L. Krafft - Zur Lage in Österreich (1928)

„In Österreich ist der Mensch katholisch,“ dieses geflügelte Wort könnte man in die Behauptung, daß in Österreich der proletarische Mensch Sozialdemokrat sei, zeitgemäß ändern. Es sieht wirklich ganz danach aus. Jedes andere proletarische Glaubensbekenntnis im österreichischen Proletariat ist schon im vorhinein zur Bedeutungslosigkeit verdammt, was wohl in der großen Scheu des österreichischen Arbeiters vor politischer Spaltung und Zersplitterung liegen mag. Die Anfänge der Arbeiterbewegung in Österreich sind vom Bruderkampf der Radikalen und Gemäßigten durchtobt gewesen, der bloße Hinweis auf jene Zeit übt heute noch seine abkühlende Wirkung aus.

Ob also jetzt eine kommunistische Partei - die hier nicht einen ernst zu nehmenden Mann und was weniger maßgebend, keinen Nationalratssitz hat - um Hirne und Herzen wirbt oder Großmann-Ramus weit abseits vom Wege auf der Gewaltlosigkeitsflöte spielt, vergebliche Liebesmüh: der österreichische Prolet ist und bleibt Sozialdemokrat, das heißt ein braver Geselle, der getreu jeder Führerparole allzeit pariert.

Daß er das wirklich ist, beweist uns der so viel Druckerschwärze benötigende 7. Oktober, dieses jüngste Schulbeispiel proletarischer Massenentmannung und Indolenz. Aufatmend behaupten von ihm alle Spießer hüben und drüben, jeder in seiner Sprache: „Gut is gangen, nix is g'scheh'n!“ Aber die Vorbereitungen waren auch danach. Wer Gelegenheit hatte, den Republikanischen Schutzbund (die sozialdemokratische Abwehrorganisation und Parteigarde) sowie Führer und Partei in diesen Tagen von der Nähe zu besehen, konnte sich nur ein Urteil bilden: das Fehlen jeglichen revolutionären Kampfwillens, das Weiterwurstelnwollen um jeden Preis.

Für die Mentalität eines sozialdemokratischen Führers mag folgendes Eingeständnis bezeichnend sein. Dieser „Genosse“ meinte: „Sollten wir im entbrennenden Bürgerkrieg siegen, ist unsere Situation gleich schlecht. Was fingen wir dann an? Unsere Macht würde nur bis Hütteldorf (Wiener Vorort) reichen.“ Das war die entmutigende Denkweise der Sozialdemokratie vor und mach dem 7. Oktober, die es mit dem Krähwinkler Landsturm halten möchte und „Immer langsam voran“ den Staat zu erobern gedenkt. Kann man sich da wundern, daß es diesmal so gekommen ist?

Prälat Seipel, der mit allen Salben geölte Jesuit und bürgerliche Einheitsfrontkleisterer, hat unter solchen Umständen mit Erfolg den starken Mann spielen können. Mit allen Machtmitteln des Staates, also einem ansehnlichen Teil unserer Zinnsoldatenschachtel, mit Gendarmerie, Bundespolizei und wer weiß noch was hat er den Heimwehraufmarsch in Wiener Neustadt erzwungen. Zwar haben sich die faschistischen Banden ihres Sieges nicht sonderlich gefreut, die Zahl ihrer Leute war geringer als erhofft, die Stimmung flau. Bei Nacht und Nebel kamen sie an und nach kurzem Marsch durch die Stadt zogen sie sich auf ihre auswärts gelegene Festwiese zurück, um schon mittags den Bannkreis der „eroberten“ Stadt zu verlassen, ohne vom dortigen Bürgertum - welches wohl aus geschäftlichen Gründen sehr zurückhaltend war - allzu sehr gefeiert zu werden. Aber sie haben ihren Willen erreicht und frecher denn je haben die Heimwehrführer das übelberatene Proletariat in ihren Festreden gehöhnt.

Ist es wirklich ein Zufall, daß die Heimwehrbewegung in den Betrieben Obersteiermarks, dem Königreich der Alpine, rasende Fortschritte erzielt, Arbeiterbataillone aufstellt und marschieren läßt, in proletarischen Bezirken feste Trutzburgen besitzt und sich fast überall in der Offensive befindet? Ist das nicht alles die Folge schwerer Unterlassungssünden der größten Arbeiterpartei Österreichs, der Sozialdemokratie, die Schritt auf Schritt zurückweicht, wo sie ein fanatischer Gegner vor Entscheidungen stellt? Was hilft da ein Arbeitertag in der heimwehrfreien Zeit Wiener Neustadts mit Paraden der Wehrformationen? Das ist Spiel, Volksfest statt energischer Abwehr-Tat!

Darf man sich da wundern, wenn die wenigen aufrechten Arbeiter, die nicht mit Festgelüsten nach Wiener Neustadt kamen, die keine behördlich bewilligten Abzeichen im Knopfloch trugen, wie herrenlose Hunde von allem, was Uniform anhatte (Schutzbund inbegriffen) zusammengefangen wurden? Willkürlich, hohnlachend jedem „Gesetz“ und „Recht“, denn was nicht sozialdemokratisch ist, ist - vogelfrei!

Schwere Zeiten stehen dem österreichischen Proletariat bevor, seine Verführer hat es am 7. Oktober gründlich kennen gelernt, es wird diese abschütteln, es wird sich befreien müssen. Zu allererst aber los von dem Autoritätsgedanken, der jede wirkliche Aktion im Keime ersticken muß, nur dann werden wir die Genossen finden, die wir brauchen, wenn wir frei sind, innerlich und äußerlich frei!

L. Krafft, Wien

Aus: Fanal, 3. Jahrgang, Nr. 2, November 1928. Digitalisiert von www.anarchismus.at anhand des Nachdrucks aus dem Impuls Verlag (bearbeitet, Ue zu Ü usw.)


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