Erich Mühsam - Panama

Wer in Deutschland von Panama spricht, meint damit gewöhnlich keine zentralamerikanische Landschaft, auch keinen aufrollbaren Sommerhut, sondern eine aufgedeckte politische Korruption. Diese Sprachwendung, die hinter einer geographischen Bezeichnung die in moralischer Empörung kochende Volksseele verbirgt, verdanken wir den höchst erfolgreichen Bemühungen des seligen Kanalbauers Lesseps, bei der Betätigung heißer patriotischer Inbrünste das geliebte Vaterland zu begaunern. Wo also einmal der unter nationalen Vorwänden gewonnene Kapitalistenprofit mit Gestank wahrnehmbar wird, wo der Dreck, mit dem das vaterländische Geschäft gedüngt ist, einmal an die Oberfläche gelangt, da ertönt von erschrockenen Lippen das Wort Panama, und man erkennt Morast und Sümpfe, wo man blumige Auen vermutet hatte.

Wir haben ja nun, Gott sei Dank, von dem Anklagevertreter im Kriegsgerichtsprozeß gegen die im Interesse der Firma Krupp bestochenen Militärpersonen selbst erfahren, daß es sich hier keineswegs um ein Panama gehandelt habe. Er stellte das in dem gleichen Plaidoyer fest, in dem er sich angelegen sein ließ, die Strafbarkeit der von den angeklagten Zeugleutnants und Zeugfeldwebeln begangenen Indiskretionen nachzuweisen, in dem er beklagte, daß es gelungen sei, „durch Schmieren Militärpersonen dauernd ihren Pflichten abwendig zu machen“, und in dem er den „Kausalzusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und hingegebenen Geschenken“ als gar nicht zweifelhaft hinstellte. Eine Begriffsdetermination des Wortes Panama, die seine Freude darüber, daß ein solches nicht vorliege, weiteren Kreisen begreiflich hätte machen können, ist der Herr Anklagevertreter leider schuldig geblieben.

Erwiesen ist, daß die Firma Krupp in Essen, die, wie Herr Rechtsanwalt Ullrich sehr schön sagte, „uns Deutschen die Waffen schmiedet für unsere Landesverteidigung“, den ehemaligen Zeugfeldwebel Brandt mit dem Gehalt eines Regimentskommandeurs und einem Repräsentationszuschuß in Berlin einquartierte, der für das Schmieren in Militärgeheimnisse eingeweihter Leute draufging. Erwiesen ist, daß Herr Brandt auf diese Weise in den Stand gesetzt wurde, in seinen „Kornwalzern“ an die Firma Krupp Mitteilungen gelangen zu lassen, die ihr sonst fremd geblieben wären, Mitteilungen, die ihr zur Kontrolle und zur Ausstechung konkurrierender Staatswaffenlieferanten äußerst nützlich waren, und die für Herrn Brandt ausgeworfenen Gelder sicher reichlich bezahlt machten. Erwiesen ist, daß die Firma Krupp auf diese Weise so diskrete Dinge erfuhr, daß ihre Erörterung in der Prozeßverhandlung im Interesse der Sicherheit des Landes nur hinter verschlossenen Türen und mit der Verpflichtung aller Zuhörer zu strenger Verschwiegenheit erfolgen durfte.

Daran, daß man mit der Bestrafung der paar armen Schlucker, die für ein warmes Abendbrot oder ein Goldstück Stellung und Reputation aufs Spiel setzten, den Schlammherd nicht auskehrte, hat das Berliner Kriegsgericht wohl selbst nicht gezweifelt. Herr Brandt ist ein diskreter Mann. Er hat nicht mehr Leute bloßgestellt, als auch ohne seine Angaben erwischt worden wären. Und daß Herr Brandt mit seinen Bestechungen nicht schob, sondern geschoben wurde, ist erst recht klar. Er saß in Berlin und hatte nach Essen Kornwalzer zu schicken. Woher er aber die geheimen Nachrichten bekam, war seine Sache. Fiel er rein, dann badeten seine Vorgesetzten die Hände in Unschuld. Über dieses Verhältnis haben ihn die Direktoren der Firma niemals im Unklaren gelassen.

Die Angeklagten entschuldigten ihre Vertrauensseligkeit gegen Herrn Brandt damit, daß sie geglaubt hätten, vor der Firma Krupp gebe es in militärischen Dingen keine Staatsgeheimnisse. Dieselbe Auffassung bekundeten in ihren Plaidoyers die Verteidiger. Ich zweifle, ob es in Deutschland viele Leute gibt, die vor dem Kornwalzer-Prozeß anderer Meinung gewesen wären. Tatsächlich haben ja auch hohe Beamte der Firma vor Gericht erklärt, man hätte die Spionage der Zeugoffiziere gar nicht so nötig gebraucht, Krupp hätte doch stets erfahren, was er erfahren wollte.

Man sollte aber auch vorsichtig sein, ehe man gegen die Leitung der großen Waffenfabrik den Vorwurf sträflicher Korruption erhebt. Ich finde, daß das Essener Werk nie etwas anderes hat scheinen wollen, als es in Wirklichkeit ist: ein kapitalistisches Erwerbsgeschäft. Die Tatsache, daß das deutsche Reich der Hauptkunde dieses Geschäftes ist, und der alte kaufmännische Grundsatz, daß eine Hand die andere wäscht, ließe es natürlich verstandlich erscheinen, wenn in Essen der Patriotismus lichterloh flammte. Der aufmerksame Zeitgenosse wird aber bemerkt haben, daß das Liebeswerben des Reiches um Krupp stets heftiger in die Erscheinung getreten ist, als umgekehrt. Offenbar hat die Regierung das Waffenwerk viel nötiger als Krupp die Regierung. Denn der Patriotismus des Armeelieferanten hat sich noch immer sehr leicht getan. Man bewirtet mal in der Villa Hügel einen vornehmen Gast und drillt die von den Segnungen der berühmteu Kruppschen Wohlfahrtseinrichtungen betroffenen Arbeiter, die weder über das Koalitionsrecht noch über sonst ein Recht freier Willensoder Gedankenbestimmung verfügen, zum Hurraschreien, aber man stellt sich im geringsten nicht so, als ob man deswegen auf irgend welche geschäftlichen Vorteile verzichten möchte. Es ist schon vor Jahren unwiderlegt behauptet worden, daß Krupp das Ausland billiger mit Waffen bediene, als sein deutsches Vaterland. Deshalb ist es der Regierung noch lange nicht eingefallen, die Firma zu boykottieren. Sie schmiedet uns Deutschen nach wie vor die Waffen zu unserer Landesverteidigung gegen den Ansturm der Waffen, die sie ebenfalls schmiedet. Sie wird sie auch dann noch schmieden, wenn wirklich Herr Brandt und meinetwegen noch einige Direktoren des Unternehmens zu ein paar Wochen Festung verurteilt sein werden.

Panama! Verkrampfen wir uns doch nicht in so ein Schlagwort, sondern bleiben wir lieber nüchtern bei der Sache. Solange Krupp sich nicht verrechnet, solange Machenschaften, wie sie jetzt zutage getreten sind, seinem Unternehmen nichts schaden, hat er ja ganz recht mit seinem Verfahren. Auf Sentimentalitäten ist seine Industrie schon ihrem Wesen nach nicht abgestimmt. Bisher hat er dem Reiche Kanonen und Waffen geliefert. Waren die Regimenter damit versorgt und in ihren Gebrauch eingeübt, dann ließ er Verbesserungen erfinden, die er der Regierung anbot. Nehmen mußte sie sie, denn sonst nahm sie das Ausland, der „Feind“. Es gab also eine neue Militärvorlage, neue Steuern fürs Volk und neue Millionen fürs Geschäft. Nun tritt plötzlich die Konkurrenz auf den Plan, macht der Regierung Angebote und stört dadurch die ungetrübte Beziehung zwischen Essen und Berlin. Krupp tut dagegen, was er tun kann. Er erkundigt sich nach den Preisen des Rivalen. Erfährt er sie nicht direkt, so erfährt er sie halt hintenherum. Wenn Herr Brandt sich dabei in die Nesseln setzt, dann ist ihm nicht zu helfen.

Panama! — Geschäft ist Geschäft. Ein Schneider weiß gern zeitig, wann sein Kunde einen neuen Anzug braucht. Sagt er's ihm nicht selbst, so gibt vielleicht das Zimmermädchen Auskunft, ob das Hosenfutter nicht schon mürbe ist. Der Kunde ist ja auch nicht böse, wenn er die kleine List durchschaut. Die Regierung war offenbar gar nicht sehr böse. Denn als Liebknecht im Reichstage mit seinem Material anrückte, da war das erste, daß der Kriegsminister der Firma Krupp ein Loblied sang, und das zweite war ein schöner, neuer Orden ins Knopfloch des Herrn Krupp v. Bohlen. Unangenehm ist die Geschichte natürlich trotzdem für beide Teile. Aber vielleicht einigt sich die Regierung mit Krupp über eine Methode, wie die Firma künftig bei hellem Sonnenlicht und ohne Benutzung eines unterirdischen Panamakanals die gewünschten Kenntnisse erlangen kann.

Panama! Man wird sich schon ein paar Stufen über dem Niveau der Wehschreier aufstellen müssen, um in dem patriotischen Wurstkessel das Panama erkennen zu können. Dann aber wird man noch andere Dinge neben den Kruppschen Schweinereien bemerken, die einem den Appetit verderben mögen. Dann wird man erkennen, was der deutsche Großgrundbesitz mit seinen Einfuhrzöllen und Ausfuhrprämien, mit seinen Liebesgaben und Privilegien für Patriotismus hält, und wie eng die patentierte patriotische Gesinnung dem geschäftlichen Profiteifer verschwägert ist.

Und nun noch ein Wort an die Adresse der Herren, die das Kruppsche Panama enthüllt haben und sich in sittlichen Ekstasen darüber nicht genug tun können. Als die neue Militärvorlage kam, die das deutsche Volk mit unerhörten Lasten behäuft, da haben die Sozialdemokraten nichts getan, um ihre Annahme zu verhindern. Nicht einmal der schwache Versuch wurde gemacht, im Reichstage eine Obstruktion zu inszenieren, geschweige denn die Massen auf die Straße zu bemühen. Man hat zum Fenster hinaus Reden gehalten, von deren Wirkungslosigkeit man selbst überzeugt war, und man hat die Milliarde, mit der das neue Werk der militärischen Volksauspowerung einsetzt, in „positiver Mitarbeit“ bewilligen helfen. Es ist hier schon auseinandergesetzt worden, daß diese direkte Vermögenssteuer genau wie jede indirekte Volkssteuer auf die Ökonomie des Landes wirken muß. Denn die Verringerung des Nationalkapitals bedingt die Verminderung der Gesamtproduktion und mithin die Verteuerung des Gesamtkonsums. Aber selbst, wenn den Herren diese simple Rechnung zu schwierig sein sollte, und selbst, wenn sie noch nicht wissen sollten, daß sich das Kapital, wo ihm Blut abgezapft wird, stets bei der Masse schadlos hält, ist die Bewilligung dieser Gelder ein noch nicht dagewesener Skandal. In demselben Augenblick, wo man mit heiliger Empörung die Geschäftspraktiken der Firma Krupp aufdeckt, stimmt man für die Aufbringung der ungeheuren Summe, die sehr wesentlich eben dieser Firma zugute kommen soll. Das ist die Illustration zu der tausendmal geleierten Phrase: diesem System keinen Mann und keinen Groschen! Das ist die praktische Betätigung des Antimilitarismus, mit dem die Partei in Volksversammlungen hausieren geht. Kommt es eines Tages zum Kriege, fallen dann ein paar hunderttausend junge deutsche Männer „auf dem Felde der Ehre“, dann mag das Volk sich erinnern, daß die Kosten des Massenmordes unter Zustimmung der deutschen Arbeitervertreter der nationalen Arbeit entzogen wurden. Die deutsche Sozialdemokratie möge sich nicht wundern, wenn die Internationale ihr Verhalten als Verrat an der sozialistischen Solidarität der Völker auffaßt, und wenn ihr eines Tages aus den Reihen, die noch nicht um des politischen Geschäftes willen vor Staat, Heer und Besitz kapituliert haben, der Vorwurf entgegenschallt: Panama!

Aus: Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit, 3. Jahrgang, Nr. 5/1913. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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