Andrea Crociani - Was ich über Errico Malatesta weiß

Die anarchistische Bewegung ist sicherlich eine der am meisten mißverstandenen und von der offiziellen Kultur, die schon immer den Anarchismus mit Chaos, mit wandalischen Handlungen, mit dem Gebrauch von Gewalt allgemein in Verbindung gebracht hat, am stärksten willentlich verschleierten modernen geistigen Strömungen. Zum Verständnis der anarchistischen Bewegung hat auch nicht die Tatsache beigetragen, daß es innerhalb der Bewegung schon immer und immer noch häufig gegensätzliche Strömungen gab, die sicher dazu beigetragen haben, eine verzerrte Vorstellung vom Anarchismus zu vermitteln. Diese Aspekte haben hingegen recht wenig mit seinem wahren, ursprünglichen Geist zu tun, der sich Ende des 19. Jahrhunderts durch die Arbeit seiner bedeutendsten Theoretiker entwickelte: Proudhon, Bakunin, Kropotkin und Malatesta legen, die im Sinne einer gemeinschaftlichen Teilhabe am kollektiven Gut, in der gegenseitigen Unterstützung, in der Solidarität, in der Nicht-Gewalt und im kulturellen Fortschritt, der als vorrangig gegenüber dem ökonomischen Fortschritt betrachtet wird, die Grundlage ihrer Theorie festlegen. Malatesta ist im Vergleich zu den anderen bedeutenden Theoretikern des Anarchismus sicherlich der am wenigsten bekannte, und das ist einer der Aspekte, die mich dazu veranlaßt haben, mich mit seinen Ideen auseinanderzusetzen. Außerdem ist sein Denken, mehr als bei anderen, eng mit einer Idee von Entwicklung verbunden, in diesem Fall sozialer Entwicklung, die auf dem Gebrauch des Zweifels als Methode für Untersuchung und Fortschritt basiert. In seinen Gedanken wird jeder erreichte Wert als ein Punkt betrachtet, von dem man wieder erneut ausgehen muß. Erlangte Werte werden nicht als absolute, sondern als ständig durch freies Experimentieren zu verbessernde Werte erachtet und müssen immer als offen für jede eventuelle weitere Änderung gesehen werden. All dies hat mich daran denken lassen, wie sehr letztlich die Gedanken Malatestas tatsächlich Ausdruck eines typischen kreativen Prozesses sind, in diesem Fall in großem Umfang auf die Gesellschaft angewandt. Was die Tatsache, daß Malatesta nicht so bekannt ist wie seine Kollegen, anbelangt, so liegt dies sicher an seinem Lebenswandel, an der Tatsache, daß er nie ein Tagebuch geführt hat, daß er immer sehr aktiv war und dabei ständig von einem Land ins nächste reiste, daß er nie ein richtiges Buch schrieb, sondern hunderte von Artikeln, die in den zeitgenössischen, anarchistischen Zeitschriften erschienen, und daß er nie dafür gesorgt hat, sie in einer einzigen Anthologie zu sammeln. Gewiß hat sein Nomadenleben die Forschungs- und Rekonstruktionsarbeit zu den Ereignissen, die die Historiker in seinem Fall unternommen haben, erschwert. Für diesen Text habe ich mich hauptsächlich auf Schriften, die sich mit ihm beschäftigen, gestützt von Luigi Fabbri (1), Max Nettlau (2), Giampietro Berti (3) und Misato Toda (4), auf einige kurze Texte aus dem Internet vor allem auf den Aufsatz von Andrew Blackmore über Malatesta, den er 1994 beim "Workers Solidarity Movement meeting" in Dublin vortrug, und selbstverständlich auf Malatestas eigene Schriften, die in verschiedenen Anthologien gesammelt sind (5).

Die Bedeutung Malatestas ergibt sich weniger aus einer besonderen politischen Handlung, aus besonderen organisatorischen Fähigkeiten, aus einem bestimmten Text oder einem für das Schicksal des Anarchismus entscheidenden Artikel, sondern besteht vielmehr in der Tatsache, daß er all diese Faktoren in sich vereint. Trotz der vielen Schriften galt sein Vorzug nicht der Theorie sondern hauptsächlich der Revolution; das Schreiben und die Theorisierung waren für ihn ein Mittel, das im wesentlichen auf Propagandazwecke ausgerichtet war. Sein Ansatz beim Schreiben war demnach nicht akademisch, sondern er war eng verknüpft mit der Verbreitung der anarchistischen Ideen und Grundsätze durch einen einfachen und direkten Schreibstil. Dieser sollte von allen verstanden werden, selbst wenn das Thema so komplex war, wie der Aufbau einer neuen Gesellschaft: "Die anarchistische Gesellschaft ist die ohne Autorität organisierte Gesellschaft, wobei wir mit Autorität die Macht meinen, die vom Willen eines Einzelnen ausgeübt wird. Wir sind Anarchisten, Anarchisten im besonderen und allgemeinen Sinne des Wortes: das heißt, wir wollen die soziale Ordnung zerstören, in der die Menschen sich bekämpfen, sich gegenseitig ausbeuten und sich unterdrücken oder danach trachten, sich gegenseitig auszubeuten und zu unterdrücken, um den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu erreichen, in der jeder in der Solidarität und in der Liebe zu den anderen Menschen völlige Freiheit, größtmögliche Erfüllung der eigenen Bedürfnisse und der eigenen Wünsche, größtmögliche Entfaltung seiner intellektuellen und affektiven Fähigkeiten findet" (6).

Anarchismus und Anarchie

In vieler Hinsicht fungiert Malatesta als Zusammenfasser des anarchistischen Gedankens, weil er sich bemühte, den anarchistischen Gedanken von der Theorie in die Praxis umzusetzen. Dies ist das Hauptanliege des gesamten Werkes und des gesamten Wirkens von Malatesta: der Versuch die Anarchie von einem reinen und abstrakten "absoluten Wert" im direkten Bezug zu den praktischen Notwendigkeiten, zur Realität der Dinge, zu den Erfordernissen der Gegenwart umzusetzen.

Alle vorausgegangenen großen Denker, wie Godwin, Proudhon, Bakunin, oder seine Zeitgenossen wie Kropotkin oder Merlino, geben eine objektive Erklärung und Rechtfertigung der Anarchie ab. Die Anarchie wird sich demzufolge verwirklichen, weil der Verstand (Godwin) oder die natürliche Evolution des Menschen (Kropotkin) unweigerlich auf eine Art anarchistischer Gesellschaft zustreben, das heißt auf eine Gesellschaft, die sich auf die gegenseitige, spontane Unterstützung der verschiedenen Individuen gründet, ohne die Notwenigkeit irgendeiner höheren Macht, die die Regeln des Zusammenlebens festlegt. Auch der italienische Philosoph Benedetto Croce, wenngleich weit davon entfernt ein Anarchist zu sein, äußerte sich in dieser Hinsicht mit sehr ähnlichen Konzepten wie Kropotkin: die Gesellschaft wird anarchisch geboren (verstanden als Chaos, das durch das Nichtvorhandensein von Regeln verursacht wird) und durch verschiedene Entwicklungen und Experimente mit unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen (Monarchie, Demokratie, Diktatur,...) ist sie dazu bestimmt, in Zukunft zu einer "reifen" Anarchie zu werden, diesmal verstanden als Handhabung der Freiheit durch den gegenseitigen Respekt der Mitmenschen.

Malatesta widersetzt sich diesem Fatalismus, indem er behauptet, daß der Wille, und nur der Wille, das Entstehen einer anarchischen Gesellschaft bestimmen kann. Für Malatesta ist es unwichtig, die Wirksamkeit und die Notwendigkeit der Anarchie zu rechtfertigen: sie braucht keinerlei vorhergehende wissenschaftliche Rechtfertigung. Die Anarchie wird nicht untergeordnet und ist an kein wissenschaftliches und philosophisches System oder eine Theorie gebunden, sondern sie ist lediglich "eine individuelle und soziale Lebensweise, die zum Besten aller umgesetzt werden soll". Das anarchistische Programm besteht aus Zielen, die erreicht werden sollen, und den Wegen und Mitteln, wie sie zu erreichen sind. Es ist weder eine wissenschaftliche Theorie, noch ein philosophisches System. Eine Rechtfertigung wissenschaftlicher Art würde sich zudem in jedem Fall als überflüssig erweisen, da die Wissenschaft naturgemäß nicht zwischen gut und schlecht unterscheiden kann, sondern lediglich die Fakten registriert, analysiert und studiert, ohne je ein kritisches und ästhetisches Urteil abgeben zu können und zu sollen.

Und es ist offensichtlich, warum Malatesta sich entschlossen diesem Standpunkt widersetzt, auch aus Gründen, die wir als strategisch bezeichnen können: absolute Priorität hatte für ihn immer der praktische und konkrete Aspekt der anarchistischen Arbeit. Die Behauptung, daß die Anarchie sich in jedem Fall durchsetzen wird, wenn auch in einer fernen Zukunft, da sie das unvermeidliche Ergebnis der natürlichen Entwicklung der Dinge ist, würde zu einer konsequenten Schwächung des Willens bei der Verwirklichung der Anarchie führen. Und eben der menschliche Wille steht bei Malatesta im Mittelpunkt des gesamten anarchistischen Prozesses. Für Malatesta ist die Anarchie ein Wert, der über jede rationale Analyse hinausgeht, und als solcher errungen werden muß und jederzeit durch die Praxis und das Erproben wieder bestätigt werden muß. Es nützt nichts, im vorhinein ein gegebenes System sozialen Zusammenlebens zu rechtfertigen, was einzig getan werden muß, ist, seine Gültigkeit und seine Grenzen zu erproben und mögliche Verbesserungen zu begreifen. Und in dieser Perspektive brauchen die Werte des Anarchismus keine vorherigen Erklärungen oder Rechtfertigungen, und ihre mögliche Überlegenheit gegenüber anderen Modellen wird sich nur in der praktischen Anwendung seiner Prinzipien zeigen. "Die Anarchie ist ein menschliches Streben, das sich nicht auf irgendein wirkliches oder mutmaßliches natürliches Bedürfnis gründet, das sich nach dem menschlichen Willen realisieren oder nicht realisieren könnte" (7).

Und hierauf folgt eines der grundlegenden Konzepte, die Malatesta erarbeitet hat, und zwar die Unterscheidung zwischen Anarchismus und Anarchie. Malatesta unterscheidet die Anarchie, verstanden als Ziel, vom Anarchismus, verstanden als Mittel, als Prozeß. Der Anarchisms stellt das theoretisch-praktische Ganze dar und muß auf der Grundlage der historischen Situation und des Kontextes entschieden, angepaßt, analysiert und geplant werden. Und der Kontext, die Gegenwart, unterliegt einem ständigen Wandel. Daraus folgt die Unmöglichkeit den Prozeß, die Tat, die zur Anarchie führt oder sie anstrebt, länger im voraus zu planen. Die Handlungsmethoden werden den Anforderungen des Augenblicks angepaßt, der Prozeß wird auf der Grundlage des Kontextes geplant. Das anarchistische Ideal hingegen ist im Gegensatz dazu universal, da es für Werte und allgemeine Bestrebungen wie Freiheit, Brüderlichkeit, Friede und Gleichheit steht. Die Motivationen, die es rechtfertigen, beruhen nicht auf einer wissenschaftlichen Deduktion, sondern sie entsprechen einem tiefen Bestreben des Menschen. Seine Ziele sind universal, es sind Werte, die an keinen besonderen historischen Augenblick geknüpft sind.

Die Unterscheidung zwischen Anarchismus und Anarchie ist im wesentlichen die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Ethik. Die Anarchie ist für Malatesta ein menschliches Bestreben und damit auf ein Gefühl, auf einen emotionalen Antrieb zurückzuführen: "Unter anarchistischem Geist verstehe ich jenes großzügige, menschliche Gefühl, das nach dem Besten für alle, nach der Freiheit und der Gerechtigkeit für alle, der Solidarität und der Liebe zwischen allen strebt" (8). Und weiter: die Anarchie beruht auf "einem Gefühl, welches die Triebfeder aller aufrichtigen Sozialreformatoren ist, und ohne das unser Anarchismus eine Lüge und ohne Sinn wäre. Dieses Gefühl ist die Liebe zu den Menschen, ist die Tatsache, daß wir das Leid der anderen teilen" (9).

Durch die Unterscheidung zwischen Anarchismus und Anarchie versucht Malatesta, dem ersten seine höchste realistische Wertigkeit und der zweiten ihren höchsten ethischen Ausdruck zu verleihen. "Die Anarchie ist das Ideal, das vielleicht nie realisiert werden kann, so wie man nie die Horizontlinie erreicht, die sich mit jedem Schritt, den man geht, weiter entfernt. Dagegen ist der Anarchismus Lebens- und Kampfmethode, die von den Anarchisten heute und immer, innerhalb der Grenzen der nach Zeit und Umständen sich verändernden Möglichkeiten, praktiziert werden muß" (10). Die Analyse des Anarchismus ist nützlich, um über seine Entwicklungen und seine Realisierbarkeit zu entscheiden, aber nicht, um der Anarchie eine Rechtfertigung zu geben. Und dies geschieht nicht so sehr, um die Anarchie auf eine ethische und moralische Ebene zu setzen, sondern um die Anarchie, ihre Ziele und ihre Werte über die Gegenwart hinaus, über den erreichbaren Horizont hinaus zu bringen. Daraus folgt, daß die Anarchie nie ganz erreicht werden kann, da sie das absolute Ideal ist; sie ist der Horizont, auf den man ständig zusteuern muß. Sie äußert sich auf praktischer Ebene durch ihre eigene Entwicklung, den Anarchismus. Daraus entsteht also eine Art von Gesellschaft in beständigem Wachstum oder, um es besser auszudrücken, in unablässiger und konstanter Veränderung. Jeder erreichte Wert ist die Grundlage für eine weitere Entwicklung, von der es erneut weitergeht, und es gibt keine Werte, die als absolut betrachtet werden können, jeder Aspekt unseres Gemeinschaftslebens kann und muß durch die Forschung und durch das Ausprobieren verbessert werden.

In dieser Hinsicht stehen wir vor einem Schaffensprozeß, der in großem Umfang auf die Gesellschaft angewandt wird. Es ist der Versuch ein System (des sozialen Zusammenlebens) durch den Gebrauch der Forschung, des Zweifels und der freien Erprobung zu entwickeln, wobei immer zu bedenken ist, daß die Forschungsergebnisse keinen absoluten Wert darstellen; sie können nicht als die "Wahrheit" betrachtet werden, sondern sind lediglich eine weitere, wichtig, aber nur partielle Erkenntnis über uns in der Beziehung zu anderen. Diese Ergebnisse müssen konstant durch die Fakten wieder bestätigt werden und für jede etwaige weitere Entwicklung offen sein. Die vergangenen Erfahrungen sind wichtig, um über die aktuellen Entwicklungen zu entscheiden, und die Möglichkeit des Irrtums wird in dieser Betrachtungsweise als notwendiges und positives Element für den gesamten Prozeß der sozialen Entwicklung betrachtet.

Wille und Wissensschaft

Wir haben davon gesprochen, inwieweit der menschliche Wille für Malatesta der notwendige Antrieb ist, um den Weg in Richtung Anarchie zu beschreiten. Ohne diesen grundlegenden Antrieb bleibt die Anarchie eine unmöglich zu realisierende, reine Utopie. Es ist logisch und kohärent diese Art von Einstellung von jemandem wie Malatesta zu erwarten, der an den unmittelbaren Kontakt mit den realen Gesellschaftsproblemen seiner Zeit, den Kämpfen und der vor Ort durchgeführten Propaganda gewöhnt war. Seine Einstellung im Leben wie in seinen Schriften ist weit entfernt von akademischen Anschauungen, seine Texte sind immer eng mit den Notwendigkeiten des Augenblicks und der direkten Verbreitung des anarchistischen Gedankens verknüpft, die theoretische Ausarbeitung hat immer die revolutionäre Praxis zum Ziel. Der Wille ist das Mittel, das einzige Mittel, um die Dinge zu erreichen; nur durch den Willen kann der Mensch in seiner eigenen Erforschung Fortschritte machen. Alles andere ist zweitrangig, da der Wille noch vor dem Mittel kommt, ist er der Faktor, der die Existenz und die Effizienz des Mittels selbst festlegt. Der Wille beinhaltet also alles, von der Wissenschaft, über die Philosophie, bis hin zur revolutionären Praxis, da er der "Motor" ist, der das Erreichen jeden menschlichen Fortschritts erlaubt. Ohne den Willen fehlt der grundlegende Anfangsantrieb zur Veränderung der Dinge. Und so steht folglich der Wille im Mittelpunkt des anarchistischen Prozesses, wie in jedem wichtigen Prozeß radikaler Veränderungen: "Die Existenz eines Willens, der fähig ist, neue, von den mechanischen Gesetzen der Natur unabhängige Wirkungen zu erzielen, ist eine notwendige Voraussetzung für denjenigen, der die Notwendigkeit von Gesellschaftsreformen vertritt" (11). Hier liegt der tiefe Widerspruch zur Theorie Kropotkins, in der die Anarchie als eine natürliche Ordnung betrachtet wird, wenn er behauptet, so wie die Natur die Harmonie ohne Regierung erreicht, so strebt die Gesellschaft danach, das eigene Gleichgewicht ohne den Staat und ohne die Institutionen der Macht zu finden. Wo für Kropotkin die Anarchie "eine Idee vom Universum" ist, "die auf der mechanischen Interpretation der Phänomene beruht, die die gesamte Natur umfaßt, ohne das Gesellschaftsleben auszuschließen", so ist sie dagegen für Malatesta ein Resultat der menschlichen Erforschung durch den Willen, und es gibt nichts, was ihm ferner läge, als die Anarchie als eine natürliche Ordnung zu betrachten, und die Evolution der Natur als "spontan anarchisch". Ganz im Gegenteil, für Malatesta bedeutet die Natur Unordnung, und der Mensch muß einer anderen Richtung folgen, muß mit dem Willen, welchen er als wichtigstes Mittel für den Fortschritt sieht, ein anderes Entwicklungsmodell erschaffen: Es ist "der Kampf der menschlichen Gesellschaften gegen die Unstimmigkeiten der Natur". "Die Natur baut und zerstört, läßt gebären, leiden und sterben, sie erschafft das Leben und gestaltet es so, daß es sich, ohne die Zerstörung anderen Lebens nicht erhalten kann. Natürlich sind Liebe und Freude, so wie Haß und Schmerz natürlich sind; natürlich ist die Fülle, so wie Unfruchtbarkeit und Elend natürlich sind; natürlich ist das Zerquetschen des Schwachen durch den Starken [...] Es ist so, daß diese natürliche Ordnung sehr viel mehr der bürgerlichen Ordnung ähnelt, als derjenigen, die wir wollen!" (12). "Die natürlichen Harmonien, das natürliche Zusammenfließen vom Guten eines jeden Einzelnen mit dem Guten aller anderen sind Erfindungen der menschlichen Faulheit, welche statt zu kämpfen, um die eigenen Wünsche zu verwirklichen, sich vorstellt, daß letztere sich spontan, aufgrund eines Naturgesetzes realisieren" (13).

Wie gesagt ist also der von den mechanischen Gesetzen der Natur völlig unabhängige Wille das entscheidende Element, er liefert die notwendige Energie für die Veränderung der Gesellschaft. "Der Szietismus, den ich ablehne, [...] ist das Akzeptieren von partiellen Entdeckungen als endgültige Wahrheiten, als Dogmen; ist das Vermischen von Wissenschaft und Moral, von Kraft im mechanischen Sinne des Wortes, die eine definierbare und meßbare Größe ist, und moralischen Kräften, von Natur und Denken, von Naturgesetz und Willen. Dies führt logischerweise zum Fatalismus, das heißt zur Negierung von Willen und Freiheit" (14). Absurd ist die Hypothese von der Allmacht der Wissenschaft, der Glaube an sie wie an die absolute Wahrheit. Was man finden kann, sind vorläufige, partielle und zeitweise untaugliche Wahrheiten. Sicher können auch wichtige Errungenschaften gemacht werden, aber keine absoluten. Für den anarchistischen Geist ist jede Wahrheit immer relativ und er muß ständig die fundamentale Freiheit eines Irrtums in Betracht ziehen; auch weil häufig derjenige, der sich im Besitz der absoluten Wahrheit glaubt, mehr oder minder unbewußt zur Intoleranz neigt.

Für Malatesta ist die Grundlage einer aufrichtigen und ernsthaften Forschung auf jedem Gebiet in der absolut bedeutenden Rolle zu sehen, die dem Zweifel zukommen muß. Nur der systematische Zweifel kann die einzig gültige Methode zur Erforschung der Wahrheit sein, "wie auch immer sie aussehen mag". Die Suche muß kontinuierlich sein, sie darf nie stehenbleiben und nie die eigenen Errungenschaften als definitiv betrachten, sondern nur als gültige und wertvolle Ausgangspunkte, von wo die Suche weitergeht. Und sie darf sich nicht von den Illusionen oder den Versuchungen wissenschaftlicher, religiöser oder politischer Dogmen, oder wie auch immer sie aussehen mögen, überlisten lassen. Als Antwort auf eine Polemik in der er beschuldigt wurde, ein Dogmatiker und Szientist zu sein, sagte Malatesta: "Ich protestiere gegen die Bezeichnung Dogmatiker, denn ich bin zwar beharrlich und entschieden in dem, was ich will, aber ich zweifele an dem, was ich weiß; und ich denke, daß so viele Anstrengungen auch unternommen wurden, das Universum zu verstehen und zu erklären, so hat man dennoch bislang keine Sicherheit, noch nicht einmal die Aussicht auf eine Sicherheit erlangt - und ich weiß nicht, ob die menschliche Intelligenz überhaupt jemals dort ankommen könnte. Hingegen mißfällt mir keineswegs die Bezeichnung Szientist, und ich wäre geschmeichelt, sie zu verdienen; denn die Denkweise eines Szientisten ist, daß er die Wahrheit mit positiver, rationaler und experimenteller Methode erforscht, er macht sich nie Illusionen, die absolute Wahrheit gefunden zu haben, und er bescheidet sich damit, ihr mühsam nahezukommen, indem er partielle Wahrheiten entdeckt, die er immer als provisorisch und zeitweise untauglich erachtet" (15). "Ich glaube nur an die Dinge, die bewiesen werden können; aber ich weiß sehr genau, daß Beweise eine relative Sache sind, und sie konstant von anderen bewiesenen Tatsachen überholt und aufgehoben werden können und tatsächlich auch werden; und ich glaube demzufolge, daß der Zweifel die Geisteshaltung eines jeden sein muß, der bemüht ist, sich der Wahrheit immer mehr zu nähern, oder zumindest dem bißchen Wahrheit, das zu erreichen möglich ist. Ich glaube nicht an die Unfehlbarkeit der Wissenschaft, nicht an ihre Fähigkeit alles zu erklären, nicht an ihre Mission, die Führung der Menschen zu übernehmen" (16). Und die Wissenschaft muß eine neutrale Position wahren, denn das Wissen und die Werte sind zwei verschiedene Dinge. Die Wissenschaft "sagt dem Menschen nicht, was er anstreben soll, ob er lieben oder hassen soll, ob er gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht sein soll [...] die Toxikologie lehrt die physiologische Wirkung der Gifte, aber sie sagt uns nicht, ob wir uns der erworbenen Kenntnisse bedienen sollen, um die Leute zu vergiften oder zu heilen. Die Mechanik deckt die Gesetze vom Gleichgewicht und Widerstand der Materialien auf, sie lehrt uns Brücken, Dampfschiffe, Flugzeuge zu bauen, aber sie sagt uns nicht, ob es besser ist, die Brücke dort zu bauen, wo sie der Gier eines Besitzers nützt, oder wo sie den Interessen aller dient, sie sagt uns nicht, ob Schiffe und Flugzeuge dazu dienen sollen, Soldaten zu transportieren und Bomben auf die Leute zu werfen, oder Zivilisation, Wohlstand und Brüderlichkeit auf der Welt zu verbreiten. Güte, Gerechtigkeit, Recht sind Begriffe, die die Wissenschaft überhaupt nicht kennt. Sie ist eine Waffe, die dem Guten oder dem Schlechten dienen kann; aber sie kennt die Vorstellung von gut und böse keineswegs"(17). Und weiter: "Alles läßt sich mit Theorien erklären, aber was das reale Verhalten bestimmt, ist das Leben, das triumphiert und sich über alle Theorien lustig macht. Denn das Leben geht weiter als Philosophien und Religionen. [...] Diese drücken den lobenswerten Wunsch des menschlichen Geistes aus, alles erklären zu wollen, den Sachen auf den Grund gehen zu wollen, und könnten als vorläufige Arbeitshypothesen akzeptiert werden, um dann mit weiteren Forschungen fortzufahren, wenn da nicht in den meisten Fällen die menschliche Neigung wäre, nie die eigene Unwissenheit zugeben zu wollen, und sich, statt zu sagen ,ich weiß nicht', mit leeren verbalen Erklärungen jedweden Inhalts zufriedenzugeben" (18). Das Wissen, das sich durch die Theorien bildet, ist also nicht dazu in der Lage, letztendlich, das entscheidende Problem des menschlichen Verhaltens zu lösen: und zwar das der persönlichen, freien und bewußten Wahl zwischen dem Guten und dem Bösen.

Revolution und Reform

Malatesta betrachtet die Revolution als einen notwendigen Umstand, da das Machtverhältnis innerhalb der Gesellschaft zwischen den privilegierten Klassen und ihren Gegnern nicht zulassen würde, daß letzteren die Absicht, jede Art von Macht zu vernichten, gelänge. Zu sehr sind die Kräfte der Macht mit den eigenen Privilegien verhaftet, als daß sie spontan und friedlich darauf verzichten könnten. Die Revolution durch gewaltsames Handeln wird folglich von Malatesta als ein notwendiger Kraftakt gesehen: "Eine radikale Revolution, die das gesamte Staatsgefüge niederreißen soll, die die Inhaber des sozialen Reichtums enteignen und alle Menschen auf die gleiche Ebene ökonomischer und politischer Gleichberechtigung stellen soll [...] muß notwendigerweise gewaltsam sein, wenngleich die Gewalt an sich ein Übel ist. Sie muß gewaltsam sein, denn es wäre verrückt darauf zu hoffen, daß die Privilegierten den Schaden und die Ungerechtigkeit ihrer Privilegien anerkennen und sich entschließen würden, freiwillig auf sie zu verzichten. Sie muß gewaltsam sein, weil die vorübergehende, revolutionäre Gewalt das einzige Mittel ist, um der großen und unaufhörlichen Gewalt, die die große Masse der Menschen versklavt, ein Ende zu setzen" (19).

Wiederum besteht Malatesta auf den Begriff des Willens; er vertritt, daß die Revolution vor allem beginnen muß, und daß sie ein Akt des bewußten Willens ist, der sicher günstige Voraussetzungen zu seinem Entstehen braucht, aber der nicht als einfaches Produkt der historischen Umstände und Entwicklungen gesehen werden kann. Man darf nicht abwartend und passiv sein, sondern muß von Anfang an aktiv die Voraussetzungen schaffen, damit die Revolution entstehen und sich entwickeln kann. Und die Revolution in diesem Sinne hat eine eigene Wichtigkeit, weil sie mit Kraft und Entschlossenheit den Willen zum Bruch mit jedem vorangegangenen Entwurf bekundet. Jenseits der anarchistischen Ideologie bleibt die Revolution ein wichtiger Akt der Verweigerung gegenüber einem aufgezwungenen System und ist folglich eine Freiheitsbekundung: "Ich glaube, das entscheidende ist nicht der Triumph unserer Pläne, unserer Projekte, unserer Utopien, welche außerdem der Bestätigung durch die Erfahrung bedürfen, und durch die Erfahrung verändert, entwickelt und den realen moralischen und materiellen Bedingungen von Zeit und Ort angepaßt werden können. Worauf es ankommt ist, daß das Volk, die Menschen die Instinkte und die Gewohnheiten von Schafen ablegt, die die Jahrtausende alte Sklaverei ihnen eingeflößt hat, und frei zu denken und zu handeln lernt. Und es ist dieses große Werk der Befreiung, dem die Anarchisten sich hauptsächlich widmen müssen" (20).

Malatesta ist sich bestimmt der Unmöglichkeit eines Gelingens des revolutionären Aktes nur durch die Anarchisten vollkommen bewußt, da ihre Anzahl für ein mögliches Gelingen zu gering ist. Wesentlich bleibt somit, sich der Zusammenarbeit mit anderen revolutionären Gruppen zu öffnen, jedoch darauf zu achten, daß der revolutionäre Prozeß frei von einer genauen politischen Färbung geführt wird. Für jede andere politische Bewegung bedeutet die Revolution tatsächlich, außer der Zerstörung der vorherigen Macht, das Einsetzen einer neuen Macht. Für die Anarchie dagegen darf die Revolution sich strikt nur auf die erste Phase beschränken, oder auf die Absetzung und die Zerstörung der alten Macht, ohne an irgendeinen Zwang durch eine neue Idee oder eine neue soziale Struktur zu denken. Aus diesem Grund kann die Revolution in der anarchistischen Denkweise nicht von einer einzigen politischen Macht angeführt werden: wenn es so wäre, dann hieße das, Ideen mit Macht durchzusetzen, eine den anarchistischen Prinzipien zutiefst widersprechende Sache. Der Aufstand muß hingegen Gelegenheit geben, eine soziale "tabula rasa", ein neutrales Terrain, einen Ort zu schaffen, der dann jedem die Möglichkeit gibt, einschließlich der Gegner der Anarchie, frei zu sein, die eigene Vorstellung sozialer Struktur in völliger Freiheit zu erproben. Die Anarchisten müssen in diesem für die Erprobung nun endlich günstigen Raum, die Gültigkeit ihrer Ideen durch praktisches Handeln, Propaganda und Beispiel beweisen.

Die Revolution darf, um wirklich Gelegenheit zu geben, sich definitiv von jeder Art von Macht zu befreien, nicht die spezifische Revolte des Proletariats oder des Bürgertums oder der Klassen der Bauern oder der sozial Ausgegrenzten sein, sondern muß Revolte der ganzen heterogenen Masse der Unterlegenen und der Unzufriedenen sein. Je mehr Massen die Revolution einzubeziehen vermag, um so mehr schwinden die Risiken, daß eine einzige neue Macht den Platz der alten einnimmt. Und dies bleibt historisch betrachtet das größte Risiko der Revolution: nach dem ersten Moment des Feuereifers fiel sie gewöhnlich in sich zusammen und schloß mit der sukzessiven Restauration, die von den gleichen intellektuellen Eliten ausgeführt wurde, die die Revolution angeführt hatten. "Die gesamte Geschichte lehrt uns, daß alle Fortschritte, die die Revolutionen erwirkt haben, in der Phase der Volkserregung erzielt wurden, als entweder noch keine anerkannte Regierung existierte, oder die Regierung zu schwach war, um sich offen gegen die Revolution zu stellen. Wenn dann die Regierung gebildet war, hat immer die Restauration eingesetzt, die den Interessen der alten und der neuen Privilegierten diente, und den Massen wieder alles genommen hat, was man ihnen nehmen konnte" (21). " [...] die Revolution muß wirklich eine soziale Revolution sein und darf sich nicht auf einen einfachen politischen Wechsel beschränken, der nach wenigen Erschütterungen, die Dinge auf den Stand von vorher zurückführen würde" (22). "Wir wollen nicht an die Macht gehen und wir wollen, daß niemand dorthin geht. Wenn wir aus Mangel an Stärke nicht verhindern können, daß Regierungen existieren und sich konstituieren, bemühen wir uns und werden wir uns bemühen, daß diese Regierungen so schwach wie nur möglich bleiben oder werden, und deshalb sind wir immer bereit zu handeln, wenn es darum geht, eine Regierung niederzuwerfen oder zu schwächen, ohne uns zu sehr (ich sage zu sehr, nicht überhaupt nicht) darum zu sorgen, was danach kommt" (23). "Wir werden nie die Institutionen anerkennen, wir werden mit dem Geist, mit dem man dem Feind das besetzte Gebiet entreißt, die möglichen Reformen ergreifen und sie erobern, um dann immer weiter zu gehen, und wir werden jeder Art von Regierung immer Feind sein, sei es die monarchische von heute, sei es die republikanische oder bolschewistische von morgen. Und wenn wir im Volk keine ausreichende Zustimmung fänden, und den Wiederaufbau des Staates mit seinen autoritären Institutionen und seinen Zwangsorganen nicht verhindern könnten, müßten wir unsere Beteiligung und Anerkennung verweigern, uns gegen dessen Zwänge auflehnen und volle Autonomie für uns selbst und alle andersdenkenden Minderheiten fordern. Wir werden also im Zustand der effektiven oder potentiellen Rebellion bleiben müssen, und da wir gegenwärtig nicht gewinnen können, zumindest die Zukunft vorbereiten müssen" (24). Daher fordern wir "das Recht dieser Freiheit, das wir gewillt sind, nach Möglichkeit auch mit Waffen zu verteidigen. [...] Die Aufstände werden solange nötig sein, wie es Mächte gibt, die mit materieller Gewalt die Massen zum Gehorsam zwingen; und es ist leider wahrscheinlich, daß zahlreiche Aufstände stattfinden müssen, bevor jenes Minimum an unerläßlichen Bedingungen erreicht ist, so daß eine freie und friedliche Entwicklung möglich wird" (25).

Sicher führt ein so heikler und gleichzeitig so komplexer Aspekt wie die soziale Revolution zu unvermeidlichen Widersprüchen, zu unklaren Punkten in ihrer Entwicklung. Wie gesagt, darf für die Anarchisten die Revolution nicht der Ausdruck einer einzigen Partei oder einer einzigen Lehre sein, sondern muß volksnah sein, das heißt so viele Kräfte wie möglich einbeziehen, um das sukzessive Durchsetzen einer einzigen politischen Macht zu verhindern. Darüber hinaus gilt es, die Gefahr abzuwehren, die für Malatesta die "Intellektuellen Eliten" darstellen, also die Gruppen, die zuerst die Revolution organisieren und anführen, ihr somit eine genaue politische Ausrichtung geben, und dann unweigerlich die politische Macht an sich nehmen mit der folgenden Restauration von Un-Rechte und Un-Freiheiten für die Bevölkerung. Und hier offenbart sich das erste Problem der Theorien Malatestas und des Revolutionsanarchismus im allgemeinen: die Massen werden nicht wirklich frei sein können, wenn sie nicht gezeigt haben, daß ihnen wirklich schon vor und während der Revolution an der Freiheit gelegen war, indem sie entscheiden, sich nicht von Gruppen führen zu lassen, die in der Revolution einen Weg sehen, auch in gutem Glauben, die eigenen Überzeugungen durchzusetzen. Wie Malatesta sagt, "man kann nicht erwarten, daß die Menschen Anarchisten werden, um die Revolution zu machen", sonst würde die Revolution nie geschehen. Was also tun, damit sie nach der Revolution Anarchisten werden, was tun, damit sie sich für die Freiheit begeistern, daß sie verstehen, worin sie besteht, und die Wichtigkeit der wahren Freiheit begreifen, und nicht die vorgetäuschte Freiheit, die von den verschiedenen, auch demokratischen Regierungsformen für gut verkauft wird? Wie die Aufständischen davon überzeugen, jede Versuchung einer einfachen und direkten Regierung fallen zu lassen, um den viel komplexeren und längeren Weg der freien Erprobung einzuschlagen? Malatestas Überzeugung in diesem Zusammenhang ist, daß die Massen nie anarchistisch werden können, wenn nicht zuvor die unterdrückenden Institutionen niedergeschlagen werden, und daß "um unser Ziel einer radikalen Veränderung des sozialen Gefüges durch den direkten Eingriff der Massen zu erreichen, müssen wir uns ihnen annähern, sie nehmen wie sie sind, ein Teil von ihnen werden, und sie so weit als möglich vorantreiben" und dann, wie gesagt, durch das praktische Beispiel ihre Offenheit und ihr Interesse für die anarchistische Praxis wecken. Das heißt, solche Bedingungen zu schaffen, daß die Anarchie verstanden und verwirklicht werden kann, Voraussetzungen, die in der vorrevolutionären Zeit nicht existieren. Aber zu sagen, daß nach der Revolution "der Rest mit der progressiven Verbreitung unserer Ideen unter den Massen geschehen wird", erscheint über alle Maßen naiv, vor allem während einer so wichtigen Phase.

Ein anderes Problem: bedeutet die Revolution nicht immer das Aufzwingen des eigenen Willens für die große Masse der Bevölkerung? Die Anarchie schafft man nicht durch Gewalt, aber mit Gewalt schafft man die Grundlage für ein mögliches Verstehen und eine mögliche sukzessive Verwirklichung der Anarchie. Mit anderen Worten, man will die Anarchie nicht aufzwingen, aber die Revolution. Aber die Revolution, als notwendiger Teil des anarchistischen Prozesses betrachtet, bleibt dennoch immer eine Zwangshandlung. Der Widerspruch bleibt also und vertieft sich. Der einzige Weg, das Problem zu lösen, ist, so Malatesta, wenn es gelingt, die Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität als "gemeinsames Bewußtsein" durch einen graduellen und unvermeidbar langsamen Prozeß erfolgreich zu verbreiten. Die Revolution wird nur dann konsequent anarchistisch sein, wenn sie von der großen Mehrheit der Bevölkerung gewollt ist, nur wenn ihr wichtigstes Ideal, die Freiheit, auf breiter Ebene geteilt wird. Hier wird deutlich, daß die Phase der Revolution, wenngleich fundamental, in Wirklichkeit zu einer Sache mit geringer Bedeutung wird, im Vergleich zum langen, graduellen Prozeß des "Vorher" und "Nachher". Mit den Worten Malatestas: "Alles in der Natur und im Leben geht schrittweise voran, die Anarchie kann nur Schritt für Schritt gelingen, weshalb der Anarchismus gezwungenermaßen schrittweise vorgehen muß. Im Leben und in der Geschichte ist im Grunde alles eine Frage von Schritten und Wegen [...] Die Menschheit geht aufgrund der Evolution schrittweise voran, selbst wenn sie von den heftigsten revolutionären Stürmen bewegt wird" (26).

Ein weiterer Schwachpunkt, und dieses Mal nicht aufgrund innerer Widersprüche, liegt in der Tatsache, daß der revolutionäre Prozeß in anarchistischem Sinne zum Ziel hat, daß die Gegner des Anarchismus, Verbündete während der Revolutionshandlungen, schließlich von jeglicher autoritären Absicht ablassen. Zu zerbrechlich und schwach ist die gerade entstandene befreite Gesellschaft, als daß sie sich erlauben könnte, aus autoritärer Richtung angegriffen zu werden; der Sieg der letzteren wäre absolut sicher vorauszusehen. Und Beispiele dieser Art fehlen nicht in der Geschichte, erstes unter allen die Russische Revolution sowie der Spanische Bürgerkrieg, Fälle, in denen gerade wegen seiner antiautoritären Konzeption, wie auch wegen seiner geringeren Streitkräften, der Anarchismus sowohl dem faschistischen als auch dem kommunistischen Angriff, mit der beinahe totalen Zerstörung oder Inhaftierung der eigenen Kräfte, machtlos erlag. Darüber hinaus behauptet Malatesta realistisch, daß "die Anarchisten eine sehr kleine Minderheit sind [...] und daß folglich die zukünftigen Revolutionen keine anarchistischen Revolutionen sein können". Im Grunde kann man nicht die Revolution haben, die man will; der Anarchismus muß folglich Bündnisse eingehen und sich den Notwendigkeiten des Augenblicks anpassen, während er sich um die Volksmassen herum formiert, und nicht die Volksmassen sich um den Anarchismus formieren, und aus dieser Situation muß versucht werden, das Beste zu machen.

Wie diesen toten Punkt überwinden, die autoritäre Gefahr abwenden und die anarchistische Gesellschaft durch eine konsequente Entwicklung mit eben jenen anarchistischen Grundsätzen erreichen? Malatestas Antwort ist einfach und offensichtlich naiv: durch das Beispiel. Aber es ist auch die einzig mögliche Antwort, denn nur durch das Beispiel kann die Anarchie die Wichtigkeit ihrer Werte, Freiheit, Solidarität und Zusammenarbeit, verständlich machen, ohne Gefahr zu laufen, sich selbst zu widersprechen, indem sie die eigene Lehre mit Autorität durchsetzt. Und es ist das extreme Vertrauen Malatestas in die Werte der Anarchie und gleichzeitig in die menschlichen Fähigkeiten, das ihn denken läßt, sich in einer Situation von widerstreitenden Kräften durch die Anwendung des Beispiels behaupten zu können, und gegen den Feind "Macht" durch die friedliche, praktische Vorführung der Wirksamkeit der eigenen Ideen gewinnen zu können.

Die anarchistische Revolution, der gesamte anarchistische Prozeß, ist vor allem ein kultureller, nicht politischer Prozeß, da er die Herangehensweise der Menschen an das Gemeinschaftsleben durch eine ethische und nicht durch eine ökonomische Wahl zu verändern anstrebt. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist die Anarchie also eine Lehre in konstanter Entwicklung, ein fortwährender Prozeß der Verbesserung und der konstanten Präzisierung der eigenen Rolle und der eigenen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft, in dem Versuch sich den gegebenen Anforderungen besser anzupassen und den Bedürfnissen des Menschen besser zu dienen: "Es geht nicht darum, die Anarchie heute oder morgen oder in zehn Jahrhunderten zu machen, sondern heute, morgen und immer in Richtung Anarchie Fortschritte zu machen" (27). Solch eine Phase kann man nie als abgeschlossen betrachten und sie kann nicht abgeschlossen werden; mit einem Bild, das Malatesta selbst benutzt, ist sie das Bemühen den Horizont zu erreichen, wenngleich man genau weiß, daß der Horizont unerreichbar ist.

Die Alternative zum Aufstand, die von den nicht revolutionären, politischen Bewegungen und auch von einem Teil der Anarchisten gefördert wird, stellt die Reform dar. Malatesta sieht in den Reformen einen möglichen Weg für eine vorübergehende Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen mit Aussicht auf die Revolution, aber auch als mögliche Falle, die zum Teil die unterdrückten Klassen zufriedenstellt, aber gleichzeitig den revolutionären Willen dämpft. In jedem Fall werden sie von ihm nicht als wirksames Mittel für eine reale und tiefe Veränderung der Gesellschaft betrachtet, weil sie weiterhin das gleiche Verhältnis der Unterordnung zwischen denjenigen, die die Produktionsmittel besitzen und denen, die sie benutzen, aufrechterhalten. Dieses Verhältnis kann durch die Reformen zugunsten der Arbeiter verbessert werden, aber nie vollständig abgeschafft werden, wie es dagegen die Anarchisten wollen. Und hier zeigt sich die Kritik und die ganze Uneinigkeit mit den Reformisten, die hingegen die Reform als einzig mögliches Mittel zur Veränderung betrachten. Für Malatesta hängen, wie schon gesagt, die privilegierten Klassen zu sehr an ihren Privilegien, als daß sie friedlich zugunsten der Allgemeinheit darauf verzichten würden. Mit Reformen kann man nicht darauf hoffen, solche Privilegien gänzlich zu vernichten, weil die Macht einen Weg finden würde, wenn die Forderungen für sie inakzeptabel wären, die Autorität wieder herzustellen, und so mit einem Schlag die bislang erreichen Verbesserungen aufzuheben. Darüber hinaus ist, so Malatesta, der Reformismus nicht nur ein Hindernis für die Revolution, sondern auch für das Erreichen der Reformen selbst; er wird als nicht ausreichende Methode betrachtet, "um den Regierungen und Besitzenden, die einzig und allein aus Angst nachgeben, Reformen abzuringen; und oft sind die von ihnen bevorzugten Reformen solche, die einen fragwürdigen, unmittelbaren Vorteil einbringen, während sie später dazu dienen, das geltende Regime zu festigen" (28). Auch um lediglich Reformen zu erringen, bleibt es also von Nutzen, auf die Drohung mit der Revolution zurückzugreifen, weil die Macht nur aufgrund einer Bedrohung durch konkrete Gefahr Verbesserungen bewilligt. Weiter ist für Malatesta die totale Armut, außer einer inakzeptablen Lebensbedingung, ein Feind der Revolution, weil sie deren vitale Energie schwächt und deren notwendige Vorbereitung nicht erlaubt: "Das Elend entmutigt und macht häßlich, und aus Elend macht man keine Revolutionen: man macht höchstens eine Aufruhr ohne Zukunft. Und deshalb drängen wir die Arbeiter alle möglichen und unmöglichen Verbesserungen zu fordern und durchzusetzen [?] Wer sich dem Übel ergibt, wird sich am Ende daran gewöhnen und dessen Last nicht mehr spüren. Das beweist die Tatsache, daß normalerweise die ärmsten Regionen und die elendsten Klassen des Proletariats auch die am wenigsten aufrührerischen sind" (29). Das heißt also, Reformen ja, aber es muß achtgegeben werden, daß sie sich später nicht als kleine Zugeständnisse von Seiten der Macht entpuppen, die die Arbeiter zufriedenstellen sollen; solche Reformen schwächen die Macht nicht wesentlich und bringen den Arbeitern keinerlei wirklich bedeutenden Vorteil. Der Endzweck des Anarchismus ist nicht, die Regierung zu verbessern, sondern sie gänzlich niederzuschlagen, damit eine vollständige Selbstverwaltung der Produktions- und Tauschmittel möglich wird; diese Phase kann nur durch die Revolution erreicht werden. Nur wenn man diesen Endzweck immer präsent hat, können Reformen vorgeschlagen, durchgesetzt und errungen werden für eine partielle Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Aber die auf diese Weise gemachten Eroberungen sind nur eine vorübergehende Phase und können nicht als angemessenes Mittel betrachtet werden, um das festgesetzte Ziel zu erreichen. Allen möglichen Reformen kann zugestimmt werden, aber sie könnten nie die Teilung der Menschen aufheben, das Recht einiger Menschen von der Arbeit und der Existenz anderer zu leben, abschaffen.

Das Problem der Gewalt

Für Malatesta muß der gesamte anarchistische Prozeß zutiefst kohärent mit den eigenen Prinzipien sein, zwischen dem Ziel und den Mittel darf es keine Widersprüche geben. Und das nicht so sehr, oder nicht nur, in moralischer Hinsicht, sondern weil ein Prozeß, der nicht streng anarchistisch, freiheitlich und gleichberechtigt in all seinen Punkten ist, niemals die Anarchie zum Resultat haben kann. "Jedes Ziel braucht seine Mittel [denn], wenn das Ziel, das man erreichen will, durch den Willen oder durch die Notwendigkeit, festgelegt ist, besteht das große Lebensproblem darin, das Mittel zu finden, das den Umständen entsprechend mit größter Sicherheit und größter Wirtschaftlichkeit zum festgesetzten Ziel führt" (30). "Die materielle Rebellion wird sicher geschehen und kann dazu dienen, einen Ruck zu geben, den letzten Anstoß zu geben, das gegenwärtige System niederzureißen; aber wenn sie kein Gegengewicht in den Revolutionären findet, die für ein Ideal handeln müssen, und die von der Liebe zu den Menschen, zu allen Menschen beseelt und geleitet sein müssen, wird eine solche Revolution sich selbst verschlingen. Haß erzeugt keine Liebe, und mit Haß erneuert man nicht die Welt. Die Revolution des Hasses würde komplett scheitern und in einer neuen Tyrannei enden, die sich vielleicht sogar anarchisch nennen könnte, so wie sich die Regierenden von heute liberal nennen, aber sie wäre nichtsdestoweniger eine Tyrannei und würde unweigerlich jene Auswirkungen nach sich ziehen, die jede Tyrannei erzeugt" (31).

Malatesta geht dann zu einer zweiten Betrachtung über: die Verwirklichung der Anarchie stellt in jedem Fall eine tiefgreifende Veränderung innerhalb der Geschichte dar. Aber die Geschichte hat keine innere Moral und ist immer von Machtverhältnissen entschieden worden; daraus folgt, daß Macht sich als unvermeidbar herausstellt, um die Geschichte selbst zu verändern. Wenn die Machtausübung, die Gewalt, notwendig wird, um die anarchistischen Prinzipien zu befolgen, müßte sie sich ausschließlich auf die legitime Verteidigung beschränken, weil die Anarchie sich als nicht gewalttätige Bewegung präsentiert. So ergibt sich eine Reihe von widersprüchlichen Fragen: wenn die Anarchie aus Prinzip "Nicht-Gewalt, Nicht-Herrschaft des Menschen über den Menschen, Nicht-Zwang durch den Willen eines einzelnen oder mehrerer auf die der anderen" (32) ist, wie wird das Mittel der Gewalt dann in Zusammenhang mit all dem angewandt? Wo beginnt und wo endet ihre Notwendigkeit? Betrachten wir zu diesem Punkt einige Sätze von Malatesta: "Unsere Gewalt ist sozusagen negativ: sie dient der Zerstörung jener Ordnung, die mit der organisierten Macht an der Regierung, die Menschen dazu zwingt, den Willen anderer zu ertragen und sich von anderen ausbeuten zu lassen." (33) "Die Gewalt ist leider notwendig, um sich der Gewalt anderer zu widersetzen, sie dient nicht dem Aufbau von etwas Gutem: sie ist die natürliche Feindin der Freiheit, und muß daher innerhalb der Grenzen der strengsten Notwendigkeit gehalten werden. Die Revolution dient dazu und ist notwendig, die Macht der Regierungen und der Privilegierten niederzureißen; aber die Gründung einer Gesellschaft von freien Menschen kann nur die Folge einer freien Entwicklung sein" (34). "Wir müssen die Gewalt predigen und vorbereiten, wenn wir nicht wollen, daß der gegenwärtige Zustand der verschleierten Knechtschaft, in der sich die große Mehrheit der Menschen befindet, fortdauert und verschlechtert. Aber sie beinhaltet die Gefahr, die Revolution in ein brutales Getümmel ohne den Funken eines Ideals und, ohne die Möglichkeit gemeinnützige Resultate zu erreichen, zu verwandeln, und daher muß man auf den moralischen Zielen der Bewegung und auf der Notwendigkeit, auf der Pflicht beharren, die Gewalt innerhalb der Grenzen der strengsten Notwendigkeit zu halten. Wir sagen nicht, daß die Gewalt gut ist, wenn wir sie anwenden und schlecht, wenn die anderen sie gegen uns anwenden. Wir sagen, daß die Gewalt gerechtfertigt ist, gut ist, ,moralisch' ist, geboten ist, wenn sie zur eigenen Verteidigung und der Verteidigung anderer gegen die Ansprüche der Gewalttätigen angewandt wird; sie ist schlecht, ist ,unmoralisch', wenn sie dazu dient, die Freiheit anderer zu verletzen" (35). "Wenn man für den Sieg den Galgen auf den Plätzen errichten müßte, würde ich es vorziehen zu verlieren" (36). Gewalt und Revolution fallen zusammen; das ist unvermeidbar; die Revolution macht Gewalt erforderlich, Gewalt ist ein grundlegender Bestandteil der Revolution. Daher kann man die gleiche Argumentation wie in Bezug auf die Revolution anwenden, und unter diesem Gesichtspunkt können wir die beiden Begriffe synonym benutzen: die Revolution-Gewalt muß sich sorgfältig darauf beschränken, sich von der Gewalt der Regierungen und der verschiedenen Mächte zu befreien. Sie darf keinesfalls direkt zum Sieg führen, sondern nur die Voraussetzung für einen Sieg schaffen, der mit der Unterdrückung durch den Staat nicht möglich wäre. Das Erreichen einer anarchistischen Gesellschaft, muß ausschließlich die Folge einer freien Wahl sein; die Gewalt soll also nur mit der revolutionären Phase zusammenfallen. Wenn die Nicht-Gewalt auch ein grundlegender Wert der Anarchie ist, so gibt es doch andere Werte, die wichtiger sind, wie die Freiheit, die Gleichheit und die Menschenwürde; die Gewalt wird also nicht von vornherein zurückgewiesen, wenn sie als Mittel eingesetzt wird, um solche Werte zu erlangen. Aber ihre Rolle muß ausschließlich befreiend wirken, nicht unterdrückend. "Damit zwei in Frieden leben können, müssen beide den Frieden wollen; wenn einer der beiden sich darauf versteift, den anderen mit Gewalt dazu zwingen zu wollen, für ihn zu arbeiten und ihm zu dienen, dann wird der andere, wenn er seine menschliche Würde wahren und nicht auf die niederträchtige Sklaverei herabgesetzt werden will, trotz seiner Liebe zum Frieden und zum guten Einvernehmen dazu gezwungen sein, sich der Gewalt mit angemessenen Mitteln zu widersetzen. [...] Sich nicht dem Schlechten ,aktiv', das heißt auf jede mögliche und angemessene Weise, zu widersetzen, ist in der Theorie absurd, da es im Widerspruch zu dem Ziel steht, das Schlechte zu verhindern und zu zerstören, und es ist in der Praxis unmoralisch, da es die menschliche Solidarität und die daraus folgende Pflicht, die Schwachen und Unterdrückten zu verteidigen, verleugnet" (37). Hier wird also die Reaktion zu einer moralischen Pflicht, wenn man in der Lage ist, reagieren zu können, um eine Ausbreitung der Gewalt zu verhindern. Aber das Thema ist derart heikel, daß es unvermeidlich zu einer Reihe von Fragen und Zweifeln führt, auf die nur das Gewissen eines jeden einzelnen Antworten gibt: wie und aufgrund welcher Maßstäbe, kann die Verteidigung als legitim betrachtet werden? Kann, und wann kann, die Verteidigung selbst zur Unterdrückung werden? Sind die Ausbeuter, ihre Strukturen und ihre Hierarchien immer so leicht und genau erkennbar, daß man dann zurecht mit Gewalt auf ihre Gewalt antworten kann?

Der demokratische Betrug

Für Malatesta ist die Demokratie, bezeichnet als "Regierung aller", ein Betrug, denn die einzige Möglichkeit, die eine Regierung hat, wirklich von allen zu sein, ist, daß das Volk immer mit jeder politischen Entscheidung einverstanden ist, und dies ist offensichtlich unmöglich. Dies sowie die Kontrolle und die Herrschaft eines Teils der Bevölkerung über die anderen sollte besser erklärt werden. Es spielt keine Rolle, ob die Kontrolle von der Mehrheit oder von der Minderheit ausgeübt wird; in beiden Fällen geht es darum, einem Teil des Volkes Entscheidungen aufzuzwingen. Die Demokratie wird demnach von Malatesta und den Anarchisten als ein System betrachtet, daß nicht den vollkommen freiheitlicher Ausdruck aller Individuen garantiert: "Regierung des Volkes nein, denn das ließe vermuten, was nie eintreten wird, und zwar die Einhelligkeit des Willens aller Individuen, die das Volk bilden. Also wird man sich eher der Wahrheit annähern, wenn man sagt: Regierung der Mehrheit des Volkes. Es steht somit bereits eine Minderheit in Aussicht, die rebellieren muß oder sich dem Willen anderer unterwerfen muß. Aber es geschieht nie, daß die Delegierten an der Macht der Mehrheit des Volkes alle der gleichen Meinung sind zu allen Fragen, also muß man wiederum auf das System der Mehrheit zurückgreifen, und daher werden wir uns noch ein bißchen mehr der Wahrheit annähern, wenn wir sagen: Regierung der Mehrheit der Gewählten von der Mehrheit der Wähler. Was schon anfängt einer Minderheitsregierung stark zu ähneln [...] Auch in der demokratischsten aller Demokratien ist es immer eine kleine Minderheit, die herrscht, und mit Macht ihren Willen und ihre Interessen durchsetzt [...] Wer also tatsächlich die "Regierung des Volkes" will, in dem Sinne, daß jeder seinen Willen, seine Ideen, seine Bedürfnisse geltend machen kann, muß so handeln, daß niemand, ob nun Mehrheit oder Minderheit, über die anderen herrschen kann; das heißt, er muß die Abschaffung der Regierung bzw. jeder Zwangsorganisation wollen, und er muß sie durch die freie Organisation derjenigen, die gemeinsame Interessen und Ziele haben, ersetzen wollen" (38). Die Demokratie wird nie den Willen der ganzen Gemeinschaft erfüllen können, weil die Gemeinschaft nicht homogen ist, die Menschen haben verschiedene Bedürfnisse, Bestrebungen, Werte, denen die demokratische Regierung nicht entsprechen oder nur zum Teil entsprechen kann. In diesem Zusammenhang zählen die Minderheiten nicht, sie haben keine Stimme und unterstehen dem Willen der Mehrheit, welcher mit Macht (die Polizei und die Bürokratie) durchgesetzt wird. Die Demokratie ist also für Malatesta ein unvollkommenes und ungenaues System, das die Macht an die stärkste politische Klasse delegiert, die ihrerseits Ausdruck der stärksten sozialen und ökonomischen Klasse ist. Deshalb kommen in diesem Zusammenhang die grundlegenden Werte der Freiheit und der Gleichheit nur teilweise zum Tragen und werden nicht mit ihrem ganzen Potential entwickelt. Sicher besteht kein Zweifel daran, daß "die schlechteste Demokratie, wenn auch nur unter erzieherischem Gesichtspunkt, immer noch der besten Diktatur vorzuziehen ist. Sicher ist die Demokratie, die sogenannte Regierung des Volkes, eine Lüge, aber die Lüge verpflichtet immer den Lügner und beschränkt dessen willkürliches Handeln; sicher ist das "souveräne Volk" ein Souverän aus der Komödie, ein Sklave mit Krone und Zepter aus Pappmaché, aber sich für frei zu halten, auch ohne es zu sein, ist immer noch besser, als sich in der Knechtschaft zu wissen und die Sklaverei als richtige und unvermeidbare Gegebenheit hinzunehmen" (39). Und dann gibt es das Problem, wer einmal an die Macht gekommen ist, will dort bleiben, indem er unweigerlich auf die üblichen Kniffe zurückgreift: Bevorzugung der mächtigsten Klassen, Klüngelwirtschaft, Unterdrückung der Oppositionen, kleine Bluff-Reformen, um die Minderheit zu beruhigen, leere Scheinreden, Kontrolle der Medien, erzwungene Bündnisse... In diesem System, wo das Ziel notwendigerweise die Wiederbestätigung der eigenen Macht bleibt, kann die freie, ehrliche und uneigennützige Diskussion über kollektive Probleme in keiner Weise garantiert sein.

Natürlich lehnt Malatesta nicht den wichtigsten Ausdruck der Demokratie, die Wahl, ab, auch wenn er an diesem Punkt eine Unterscheidung trifft zwischen "der politischen Wahl, die dazu dient, neue Herrscher zu ernennen, und der Wahl, wenn sie das Mittel ist, auf kurze Art die eigene Meinung auszudrücken". Es ist die Idee von der "direkten Demokratie", die die Anarchisten vertreten: unter manchen Umständen ist es notwendig, zu wählen und demnach dem Willen der Mehrheit zu folgen. Sie fordern jedoch die Wahl der Bevölkerung in Bezug auf ein spezifisches, zu lösendes Problem, und nicht die Wahl, die eine Machtübertragung bedeutet. Auf jeden Fall darf die Wahl nicht als eine permanente Verfahrensregel betrachtet werden, weil, wenn möglich, keinerlei Art von Zwang, auch der nicht, der von der Mehrheit gebilligt wird, gefördert werden soll. Zu diesem Punkt schreibt Giampietro Berti in seinem Buch "Il pensiero anarchico": "Wenngleich Situationen existieren, in denen die Minderheiten der Mehrheit nachgeben müssen, braucht man nicht die Heiligkeit dieses Gegensatzes zu kultivieren, weil die Mehrheiten nicht immer Recht haben, genau wie übrigens auch die Minderheiten nicht immer Recht haben. Man muß die Freiwilligkeit des Aktes, bei dem die Minderheit sich der Mehrheit beugt, bekräftigen und sich folglich nicht dem Fatalismus der Nötigung verfallen. Malatesta - Gefangener einer radikal optimistischen, anthropologischen Auffassung - betont den moralischen Charakter des Unterschiedes zwischen Anarchie und Demokratie, was auf die unterschiedliche ethische Auffassung von der Gesellschaft hinausläuft: die Mitglieder einer freien Gesellschaft geben, wenn sie die Güte und die Unmöglichkeit anders zu handeln, erkannt haben, spontan dem Willen der anderen nach" (40). Eine autoritäre Gesellschaft hält sich an den Zwang, die anarchische Gesellschaft an das freie Einverständnis: "So zum Beispiel, wenn es darum ginge, eine Eisenbahn zu bauen, gäbe es sicher tausend verschiedene Meinungen, die sich von Tag zu Tag ändern würden: aber wenn man die Eisenbahn bauen will, muß man sich auch entscheiden [...] man könnte nicht jeden Tag die Trasse verändern, die Stationen und Wagen versetzen. Und da es sich um eine Entscheidung handelt, ist es besser, wenn mehr Menschen als weniger Menschen zufrieden sind, außer natürlich man gibt den Wenigen völlige Freiheit und alle möglichen Mittel, um ihre Ideen zu propagieren, zu erproben und zu versuchen, eine Mehrheit zu werden. Also in all jenen Dingen, die nicht mehrere, gleichzeitige Lösungen zulassen, oder in denen die Meinungsunterschiede nicht von solcher Wichtigkeit sind, daß es lohnen würde, sich zu trennen und jede Fraktion auf ihre Weise zu handeln, oder in denen die Pflicht zur Solidarität Einheit verlangt, ist es vernünftig, richtig und notwendig, daß die Minderheit der Mehrheit nachgibt" (41).

Anarchie und Freiheit

Die Freiheit ist die Seele, der Hauptzweck der Anarchie, ihr grundlegendes Prinzip, die größte Anerkennung der menschlichen Würde. Für Malatesta läßt sich die Anarchie in der Formel "Freiheit für alle" zusammenfassen: Nicht nur eine theoretische, gedachte, teilweise Freiheit, sondern eine volle Freiheit, ausgedrückt mittels der völligen Abwesenheit jeglicher gewalttätiger Zwangsausübung eines Menschen über einen anderen Menschen, und durch die Anwesenheit aller möglichen materiellen Bedingungen, durch die jeder ohne Einschränkung Herr seiner selbst sein kann, durch die er frei sein kann, durch den er größtmöglichen Genuß und das größtmögliche Wohlbefinden finden kann, ermöglicht durch die Verfügbarkeit der Mittel ohne jede Begrenzung außer der gleichen Freiheit der anderen.

Freiheit und Wohlergehen können nach Malatesta nicht durch einen Menschen, eine Partei oder eine Regierung gewährt werden; hingegen muß jeder von selbst die Bedingungen dafür entdecken und sie erkämpfen, auch weil jedes Individuum anders als die anderen ist, und die Antworten auf die eigenen Bedürfnisse, die jedes Individuum sucht, sind oft unterschiedlich. Der Mensch muß völlig frei sein , und es ist der Respekt für den Nächsten, der über die notwendige Begrenzung entscheidet. Die Abwesenheit von Regeln bedeutet in Wirklichkeit die Möglichkeit zu wählen und über die eigenen Regeln zu entscheiden, auf der Basis des eigenen Gewissens und der jeweiligen Situation. Wie wir schon sagten ist dies sicherlich ein komplexer, langsamer Prozeß, weil er auf die Entwicklung des Bewußtseins des Menschen zielt, auf das Wiedererwecken jener kritischen Aktivitäten, die in einem totalitären oder demokratischen Regime betäubt werden durch die Gewohnheit, blind den oft unnützen, einseitigen und oberflächlichen Regeln zu gehorchen. In diesen Regimen hat der Mensch nicht die Möglichkeit, den eigenen kritischen Geist durch Versuch und Irrtum voll zu entwickeln, diesem einzigen Mittel, wirklich selbständig zu lernen, welchen Weg man gehen soll. In der Demokratie wird ein Irrtum als juristisch verfolgbar angesehen.

Es scheint, als könne die Demokratie aus dem Menschen keine reife Persönlichkeit machen; das ist wie bei schlechten Eltern, die ihren eigenen Kindern Lebensregeln vorschreiben, ohne deren Gründe zu erklären und ohne daß die Kinder die Möglichkeit hätten, frei eigene Erfahrungen zu machen, auch durch die Suche nach eventuellen anderen Lösungen. Sie läßt keinen Raum für Experimente, wo doch die Neugierde des menschlichen Geistes in jeder Weise unterstützt und stimuliert werden sollte. Außerdem existiert für die Anarchie nicht nur eine einzige Wahrheit, sondern der Versuch einer stetigen Suche nach Verbesserung, die auch unterschiedlichen Richtungen folgen kann. Der Wille der Allgemeinheit ist nicht die Wahrheit und kann nicht als solche gewertet werden, noch kann er als der beste zu beschreitende Weg gesehen werden, nur weil es die Mehrheit ist, die ihn verkündet hat. Für die Anarchie ist es grundlegend wichtig, die Vielfalt der Entwicklungen und der sozialen Alternativen in einer Logik des stetigen Experiments auf der Suche nach dem Besten zu garantieren; eine solche Garantie kann jedoch nicht in einer sozialen Struktur sichergestellt werden, die die eigenen Entwicklungen in zweipoligen Gegensatzpaaren wie schwarz-weiß, machbar - nicht-machbar, gut-schlecht entscheidet, und dabei einen völlig vereinfachenden Prozeß anwendet. Die Anarchie will andere Faktoren ins Spiel bringen, will das menschliche Interesse an der Suche nach verschiedenen Arten des Zusammenlebens verstärken, den kritischen Geist und die Phantasie stimulieren und nicht die Notwendigkeit des Experimentierens unterdrücken. Und sie will nicht die Angst vor dem Fehler machen produzieren, wie es gerade eine autoritäre Familie mit den eigenen Kindern macht. Das Fehler machen ist integraler und fundamentaler Bestandteil des Prozesses. Sicher ist es ein schwieriger Prozeß, denn er will nicht banal sein, er will die Sachen nicht vereinfachen, die ausgesprochen komplex sind, und er weigert sich, die Menschen als unreife Persönlichkeiten anzusehen. "Ich habe nie gesagt, daß die Anarchie am Anfang eine Art Arkadien oder Eldorado sein wird. Leider wird es Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten geben, die der Unvollkommenheit und Uneinigkeit der Menschen entspringen; aber wenn es wahrscheinlich ist, daß die schlechten Seiten geringer sind als in irgendeinem autoritären Regime, dann reicht mir das, um Anarchist zu sein" (42).

Es ist offensichtlich, daß die Freiheit für alle garantiert sein muß, auch für die, die anders denken, auch für die, die nicht für die Anarchie sind. So äußerte Malaparte anläßlich eines Vorfalles in einer kleinen umbrischen Stadt im Jahre 1897, in der eine Katholische Vereinigung mit einer religiösen Prozession ihre Verfassung einweihte und dabei von einer Gruppe Antiklerikaler, unter ihnen einige Anarchisten, mit Faust- und Stockschlägen auseinander getrieben wurde: "Das die Liberalen so ein Zeug machen versteht man. Jetzt hat ein Ereignis gezeigt, was die Klasse, die mit der Französischen Revolution 1798 triumphiert hat, unter Freiheit versteht. Sie begannen ihre Herrschaft damit, die Gefangenen zu massakrieren und die Adeligen, Volksvertreter, Realisten und Kommunisten massenhaft zu köpfen; sie haben es immer mit unglaublicher Wildheit verteidigt, wenn sie ihr Geld in Gefahr sahen oder zu sehen glaubten, und nun sind sie dabei angekommen, die Errungenschaften der Inquisition wieder einzuführen und zu erneuern. Aber es scheint, als ob bei den Gewalttätigkeiten gegen die Klerikalen auch Anarchisten aktiv waren - und das erfüllt uns mit Scham und Empörung [...] Wer die Freiheit der anderen nicht respektiert und diese für sich selbst beansprucht, ist kein Anarchist; er ist ein Heuchler oder ein verantwortungsloser Mensch, der, während er den Schergen haßt und verachtet, sich dann als Scherge gegen die anderen wendet, sobald er sich stark genug dazu fühlt und sich die Gelegenheit bietet. [...] Anarchisten, seid Menschen der Freiheit. Wendet Euch gegen die physische Gewalt, denn der physische Widerstand ist notwendig; aber gegen die Propaganda wendet nur die Propaganda, nichts anderes als die Propaganda. Ansonsten bleibt die Anarchie ein leeres Wort. So wie auch das Wort Freiheit leer geblieben ist, als dessen Verteidiger sich die Bürgerlichen vor ihrem Triumph bezeichnet hatten." (43) "Der Gegner kann im Irrtum sein, kann allen nur vorstellbaren Fehlern unterliegen, seine Propaganda kann schädlich sein: Er hat trotzdem das Recht auf die umfangreichste Freiheit. Denn wer würde andernfalls entscheiden, welches die erlaubte Wahrheit ist und welches der verbotene Fehler?" (44) Zum gleichen Thema berichtet Luigi Fabbri in seinem Text über Malatesta eine Episode: "Während in Italien die ungezügelte faschistische Gewalt immer heftiger wütete, fragte man ihn: "Erkennen Sie jetzt auch die Freiheit für die Faschisten an?" Er [Malatesta] antwortete: "Sicher, unter der Voraussetzung, daß man unter Freiheit die wahre Freiheit versteht, genau die, die wir für uns beanspruchen und für alle (für die Presse, das Wort, die Versammlung, für Vereinigungen usw.), und nicht die sogenannte Freiheit, zu plündern, Brand zu stiften, zu prügeln und zu morden, die infame und anmaßende Willkür ist, eine Vergewaltigung jeder Art von Freiheit." (45)

Die Anarchie akzeptiert nicht eine einzige und unangreifbare Wahrheit, sondern versucht, die soziale Struktur für mehrere "Wahrheiten" offen zu halten, die, während man sie anerkennt und gleichstellt, als einzigartige aber nicht als einzige mögliche Lösungen betrachtet werden.

Wie immer in der Anarchie sind es die Fakten, anhand derer man eine Entscheidung beurteilen kann. "Wir Anarchisten können sagen Unsere Anarchie, jeder Anarchist kann sagen Meine Anarchie, da ein Anarchist keine andere Lebensregel anerkennt als die, die er mit seinem eigenen Gewissen geprüft hat." (46) "Es geht nicht um die Frage, ob man Recht oder Unrecht hat: Es geht um die Frage der Freiheit, Freiheit für alle, denn greife nie die gleichwertige Freiheit der anderen an. Niemand kann sicher beurteilen, wer Recht und wer Unrecht hat, wer näher an der Wahrheit ist und welcher Weg besser zum größtmöglichen Wohl jedes einzelnen und aller führt. Die Freiheit - mit dem Weg über die Erfahrung - ist nur das Mittel, um zum Wahren und zum Besten zu gelangen: Und es gibt keine Freiheit, wenn es keine Freiheit zum Irrtum gibt." (47) Die Freiheit, verschiedene Wahlmöglichkeiten auszuprobieren, ist das einzige Mittel, um zur Wahrheit zu gelangen, um stets nach dem Besten zu streben, um sich der Wahrheit so weit sie möglich zu nähern. Das Wichtige ist, die Möglichkeit zur Realisierung der eigenen Ideen zu haben, ohne diese Möglichkeit anderen Menschen vorzuenthalten: "Wir sind für die Freiheit, nicht nur wenn sie uns dient, sondern auch wenn sie uns schadet. Und nur so kann es Freiheit geben." (48) Welches die konkreten Bedingungen und Formen sein könnten, unter denen dieser Triumph der Freiheit und der Liebe Wirklichkeit werden "kann niemand mit Sicherheit sagen", weil "es keine Zauberformeln gibt, die die Schwierigkeiten auflösen könnten, noch universelle und unfehlbare Doktrinen, die auf alle Menschen und auf jeden Einzelfall angewandt werden können." (49) Also kann niemand etwas Genaues über die Zukunft sagen, wie die anarchistische Gesellschaft tatsächlich einmal sein könnte, denn die anarchistische Gesellschaft muß für jede zufällige Situation sensibel bleiben und darf sich nicht wie eine Serie von festen und unveränderlichen Regeln präsentieren, die, koste es, was wolle, in jeder Situation und in jedem Moment gut sein sollen.

Biographische Anmerkung

Errico Malatesta wird am 4. Dezember 1853 in Santa Maria Capua Vetere (Caserta) in einer Familie von Einzelhändlern geboren; der Vater hatte eine Gerberei. Die Familie zieht früh nach Neapel, im Jahr 1864. Mit 14 Jahren, am 25. März 1868 wird Errico Malatesta erstmalig verhaftet. Der Haftbefehl wird ausgestellt, weil ein subversiver Brief, "drohend und unverschämt" gegen den König Vittorio Emanuele II, von ihm unterschrieben und nach Florenz, der damaligen Hauptstadt, geschickt worden war. Diese Verhaftung, auf die dann eine sofortige Entlassung wegen seines jungen Alters folgt, ist die erste in einer langen Reihe, die Malatesta sein Leben lang begleiten, mit insgesamt mehr als zehn Jahren im Gefängnis und genau 35 Jahren (fast die Hälfte seines Lebens) im Exil. Er schreibt sich an der Fakultät für Medizin in Neapel ein, ohne je zu promovieren. Er erlernt den Beruf des Elektromechanikers, auf den er sein ganzes Leben lang in den verschiedenen Phasen ökonomischer Schwierigkeiten zurückgreift. Noch sehr jung schließt er sich, dem Beispiel seines älteren Bruders Aniello folgend, dem patriotischen, republikanischen Kreis, der von Giuseppe Mazzini geführt wird, an. Mit knapp achtzehn Jahren schließt er sich dem anarchistischen Ideal an, das er sein Leben lang verfechten wird. Zu diesem Thema schreibt Malatesta: "Ich studierte und sah, daß die Republik immer eine Regierung wie jede andere war oder schlechter als die anderen, und daß es in der Republik, wie in der Monarchie Elend gibt, und man mit Gewehren auf das Volk schießt, wenn es versucht das Joch abzuschütteln [...] ich sah mir die zeitgenössischen Länder an und sah, daß diejenigen, in denen die Republik herrscht nicht besser dastehen, als diejenigen, in denen die Monarchie herrscht. In Amerika gibt es die Republik und doch gibt es bei solch einer Ausdehnung von freiem Land, bei Produktionsüberschuß, Menschen, die Hungers sterben; es gibt dort die Republik, und trotz der Freiheit und Gleichheit, die in der Konstitution festgeschrieben sind, hat, wer arm ist, keine Menschenwürde und die Kavallerie treibt mit Knüppel- oder Säbelhieben die Arbeiter, die Brot und Arbeit verlangen, auseinander [...] Was sage ich: in Amerika, wie schon in Rom und in Griechenland, hat man gesehen, daß die Republik mit der Sklaverei vereinbar ist! Es gibt die Republik in der Schweiz, und es gibt dort Elend, und es herrschen die protestantischen und katholischen Priester, und man kann nicht ohne Aufenthaltsgenehmigung in einer Stadt leben [...] Es gibt die Republik in Frankreich, und sie begann ihre Existenz, indem sie fünfzigtausend Pariser massakrierte, und sie wird immer mehr ein Lehnsmann der Priester und schickt ihre Soldaten überall dorthin, wo die Arbeiter den Kopf heben, um sie zu zwingen, sich den Herrschenden zu fügen und ihr Elend demütig zu erdulden. Also, sagte ich mir, die Republik ist nicht das, was ich erträumt hatte; also, eines ist das vage Streben nach dem Gemeinschaftlichen, etwas anders, etwas ganz anderes die Wirklichkeit. Meine älteren Gefährten, diejenigen die ich als meine Lehrer betrachtete, sagten immer wieder, daß die existierenden Republiken nicht die wahre Republik sei, und daß sie in Italien Gerechtigkeit, Freiheit, Wohlstand und Gleichheit bringen würde; aber ich wußte, daß man in Frankreich die gleichen Dinge gesagt hatte, bevor die Republik triumphierte; [...] ich wollte klar sehen" (42). Malatesta verläßt daher die republikanische Bewegung Mazzinis und tritt der sozialistischen Internationale bei. Schon früh beginnen die Differenzen zwischen dem italienischen Flügel der Internationale und dem marxistischen Generalrat in London, dem programmatischen Herzen der Bewegung. Die Unstimmigkeiten sind im wesentlichen vom unterschiedlichen Ansatz der sozialistischen Doktrin vorgegeben: autoritär der marxistische, anarchistisch der italienische. Der offizielle Bruch zwischen den beiden Positionen findet dann 1872 auf dem Kongreß in Rimini statt, wo man endgültig jede Beziehung zum Generalrat in London abbricht, und wo die "Federazione Italiana dell'Associazione Internazionale dei Lavoratori" ("Italienischer Bund der Internationalen Arbeitervereinigung") ins Leben gerufen wird, unter deren Gründern sich auch Malatesta befindet. In Italien hat der Sozialismus de facto hauptsächlich einen anarchistischen Ursprung. Die neue Bewegung versucht sich zu verdichten, Form anzunehmen und eine eigene, vom Generalrat in London unabhängige und autonome Identität aufzubauen. Mit dieser Perspektive wird ebenfalls 1872 der "Primo Congresso Internazionale Federalista" (der "Erste Internationale Föderalistische Kongress") oder die antiautoritäre Äußerung der Internationale organisiert. Bei dieser Gelegenheit, werden auf Anregung des Organisators dieses Ereignisses; Michail Bakunin, erstmalig die anarchistischen Grundsätze offiziell formuliert. Der Kongress wird in der Schweiz in Saint-Imier organisiert, und Malatesta wird als Vertreter der Federazione Operaia Napoletana (Neapolitanischer Arbeiterbund), ebenfalls ein antiautoritärer Flügel der Internationale, eingeladen. Dort begegnet er erstmalig Bakunin: "Bakunin war in Neapel eine Art Mythos. [...]durch das, was ich von ihm gehört hatte, war Bakunin für mich zu einer Legende geworden; und ihn kennenzulernen, ihm nahe zu sein, mich an seinem Feuer zu wärmen, war mir ein lebhafter Wunsch, fast eine Obzession" (43). Malatesta hatte sein Leben lang Probleme mit der Gesundheit, vor allem mit dem Atmungssystem. Als er bei dieser Gelegenheit erstmalig Bakunin traf, war Malatesta mit 19 Jahren so krank, daß er Blut spuckte. Er kam in Bakunins Haus in Zürich an und wurde sogleich ins Bett gesteckt. Aus Malatestas Erinnerungen: "Ich fuhr also in die Schweiz zusammen mit Cafiero. Ich war damals kränklich, spuckte Blut und war für schwindsüchtig oder etwas ähnliches befunden worden, zumal ich die Eltern, eine Schwester und einen Bruder durch Lungenleiden verloren hatte. Bei der nächtlichen Überquerung des St.Gotthard (damals gab es den Tunnel nicht und man mußte das zerfurchte Gebirge in der Postkutsche passieren) hatte ich mich erkältet und erreichte am Abend das Haus in Zürich, wo Bakunin sich aufhielt, mit Husten und Fieber: Nach den ersten Begrüßungen bereitete Bakunin mir ein Lager, lud mich ein, zwang mich beinahe, mich darauf auszustrecken, deckte mich mit allen Decken und Mänteln zu, die er zusammenbringen konnte, gab mir heißen Tee und empfahl mir, ruhig zu bleiben und zu schlafen. Und all dies mit einer Aufmerksamkeit, einer mütterlichen Zärtlichkeit, die mir zu Herzen ging. Während ich eingewickelt unter den Decken lag und alle glaubten, daß ich schliefe, hörte ich, wie Bakunin mit leiser Stimme liebenswürdige Dinge über mich sagte und dann melancholisch hinzufügte: 'Schade, daß er so krank ist; wir werden ihn früh verlieren, er hat keine sechs Monate mehr.' Ich maß der traurigen Prognose keine Wichtigkeit bei, denn es schien mir unmöglich, daß ich sterben könnte [...]; sondern ich dachte, es wäre beinahe ein Verbrechen zu sterben, wenn es so viel zu tun gibt für die Menschheit, ich war glücklich über die Wertschätzung dieses Mannes und versprach mir, alles zu tun, um sie zu verdienen" (44). Ihre Beziehung wird sich mit den Jahren durch eine umfangreiche Korrespondenz und verschiedene Treffen intensivieren, auch wenn Malatesta später seinen eigenen Weg geht, da er Bakunin als zu marxistisch befindet. Aber der Respekt, die Zuneigung und die hohe Wertschätzung blieben immer bestehen, so daß Malatesta mehr als fünfzig Jahre nach ihrer ersten Begegnung von 1926 als Siebzigjähriger schrieb: "...und doch, allein der Gedanke an ihn wärmt mir immer noch das Herz und erfüllt es mit jugendlichem Enthusiasmus. Denn das war vor allem der große Wert von Bakunin: den Glauben zu vermitteln, das Fieber der Aktion und des Opfers all denen zu vermitteln, die das Glück hatten, ihm zu begegnen. Er selbst pflegte zu sagen, daß man den Teufel im Leib (le diable au corps) haben müsse, und er hatte ihn tatsächlich im Leib und im Geist, den rebellischen Satan der Mythologie, der keine Götter kennt, keine Herrscher kennt und nie stillsteht im Kampf gegen alles, was die Gedanken und die Aktion hemmt" (45). Während des Kongresses in Saint-Imier wird erneut der Bruch mit dem marxistischen Teil der Bewegung der Internationale betont: man proklamiert deutlich, daß nicht die Eroberung der politischen Macht, worauf der Generalrat in London beharrt, sondern die "Zerstörung jeder politischen Macht die erste Pflicht des Proletariats ist". Der Kongreß von Saint-Imier kann als offizieller Gründungsakt der anarchistischen Bewegung betrachtet werden.

1877 ist Malatesta einer der Hautakteure, zusammen mit dem Italiener Cafiero und dem Russen Stepniak, der "Banda del Matese", einer bewaffneten Gruppe von ungefähr dreißig Anarchisten, die im April 1877 versucht, einen Bauernaufstand zu organisieren, um die soziale Revolution einzuleiten. Das Hauptziel besteht in der "Propaganda der Tat", das heißt in der Verbreitung der anarchistischen Grundsätze durch Aktionen, die es schaffen, die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung und der Volksmassen auf sich zu lenken. Die Gruppe dringt in die Berge Mittelitaliens zwischen Benevento und Campobasso vor und hebt in verschiedenen, kleinen Kommunen die Mehlsteuer auf, sabotiert die Mechanismen für deren Berechnung, händigt die Steuergelder wieder aus und brennt die Archive nieder. Sie werden nach einer massiven Mobilisierung von Soldaten verhaftet und eingekerkert.

Ab 1878 nimmt Malatesta sein stetiges Reisen auf, um den Verhaftungen zu entgehen, um neue Verbindungen zu knüpfen, und um die anarchistische Bewegung auf internationaler Ebene zu organisieren. Das Reisen ist ein Aspekt, der ihn sein Leben lang begleitet. Er beteiligt sich an den anarchistischen Bewegungen in Ägypten, Syrien, Frankreich, der Schweiz, Belgien, Rumänien, Spanien, England und ihm widerfahren während dieser ständigen Reisen Verhaftungen und Ausweisungen. 1881 organisiert er zusammen mit Kropotkin den ersten Internationalen Anarchistischen Kongreß in London. 1882 kehrt er heimlich nach Italien zurück, wo er das Wochenblatt "La Questione Sociale" ("Die Soziale Frage") gründet, die erste ernst zu nehmende, anarchistische Zeitschrift, die in Italien gegründet wird. Um einer Verurteilung zu drei Jahren Gefängnis wegen seiner "Vereinigung von Übeltätern" zu entfliehen, geht er 1885 nach Argentinien, wo er fünf Jahre bleibt, in denen er zum einen in Buenos Aires die ersten Arbeiterverbände ins Leben ruft und sich zum anderen zusammen mit anderen Gefährten auf die Suche nach Gold in Patagonien begibt, um die anarchistischen Aktivitäten zu finanzieren. Er kehrt 1889 nach Europa zurück, wo ein während eines Aufenthalts in Nizza eine neue Zeitschrift gründet, "L'Associazione" ("Die Vereinigung"). 1890 gehört er zu den Initiatoren des anarchistischen Kongresses in Capolago, in der Schweiz, der mit dem Ziel veranstaltet wird, eine organisierte, anarchistische Bewegung zu gründen. Malatesta verfolgt seine Aktivitäten als Revolutionär zwischen Italien, wohin er dank einer Amnestie der italienischen Regierung frei zurückkehren kann, und London. In Ancona, wo er sich niederläßt, gründet er eine weitere Zeitung, "L'Agitazione" ("Die Agitation"). 1899 infolge einiger Unruhen, wird er verhaftet, "krimineller Vereinigung" angeklagt und zu 6 Monaten Haft und 5 Jahren Gewahrsam auf einer Strafinsel verurteilt. Er wird auf die Insel Lampedusa verbannt, von der er am Ende desselben Jahres flieht und nach Tunesien flüchtet. Wieder in London, dann in den Vereinigten Staaten und Kuba. Von 1900 bis 1913 bleibt Malatesta in London, wo er mit kleinen handwerklichen Arbeiten, als Mechaniker, Elektriker, Ausbesserer von Fahrrädern und Eisverkäufer für seinen Unterhalt sorgt. Er gründet zahlreiche Zeitungen, die wichtigsten sind: "Cause ed effetti" (1900), "L'internazionale" (1900), "La rivoluzione sociale" (1902). 1912 wird aufgrund einer Verleumdung eine Sentenz gegen Malatesta erlassen mit der Verurteilung zur Deportation und zu drei Monaten Gefängnis. Eine starke Kampagne zu seiner Freilassung von seiten der radikalen Presse und eine Massendemonstration am Trafalgar Square erwirken seine Freilassung.

Zwischen 1913 und 1914, zurückgekehrt nach Italien, beteiligt er sich an der Ausarbeitung einer großen Organisations- und Propagandaaktion, die im größten revolutionären Versuch mündet, der in Italien nach der Einheit stattgefunden hat: die rote Woche, ein Ereignis, bei dem Malatesta und die Anarchisten eine Rolle von absolut bedeutendem Rang in der Vorbereitung und der Durchführung spielen. Die Ereignisse: am 7. Juni 1914 in Ancona, während die Leute nach einer Versammlung bei Malatesta auseinandergehen, schießt die Polizei; ein Anarchist und zwei Republikaner werden erschossen, fünfzehn Verletzte. Dies ist der Anfang der roten Woche. Es folgt eine Reihe von Generalstreiks und Demonstrationen, die die Entstehung von autonomen Vereinigungen und den Versuch, die Gesellschaft auf sozialistischen, antiautoritären Ideen aufzubauen, unterstützen. Die inneren Spannungen der Revolutionsbewegung und die Ausrufung des Endes vom Generalstreik von Seiten der reformistischen Gewerkschaft begünstigen schließlich die sukzessive Repression durch die Polizei und die darauf folgende Wiederherstellung der Ordnung. Das Scheitern der aufrührerischen Unruhe und die Repression zwingen Malatesta erneut nach London zu fliehen. 1914, bevor er nach London zurückkehrt, trifft er Benito Mussolini, damals Direktor der sozialistischen Tageszeitung "L'Avanti!".

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges erklärt sich Malatesta zusammen mit einer großen Mehrheit der anarchistischen Bewegung zum Nicht-Interventionisten. Eine der wenigen abweichenden Stimmen ist die von Kropotkin, der sich offen für die Intervention ausspricht. Malatesta greift die von Kropotkin eingenommene Position an und erklärt, man dürfe "niemals die Waffen für die eigenen Herrscher ergreifen, sondern nur im Kampf für die soziale Revolution". Dieser Vorfall ist einer der Hauptgründe für den Bruch zwischen den beiden Protagonisten der anarchistischen Bewegung.

1919 kehrt Malatesta endgültig nach Italien zurück. Er geht in Genua an Land, wo er von einer enthusiastischen Menschenmenge empfangen wird. Er beteiligt sich an der Gründung und er leitet die grundlegende anarchistische Tageszeitung "Umanità Nova", deren Spitzenauflage bis zu 50.000 Exemplaren erreicht. Er fördert die Organisation der Unione Anarchica Italiana (UAI - Anarchistische Italienische Union) mit mehr als dreißigtausend Mitgliedern. Diese Phase Malatestas wird als seine produktivste und wichtigste betrachtet in Bezug auf seine Schriften und seine theoretischen Stellungnahmen.

1920 in Bologna, anläßlich des II° Kongresses der Unione Anarchica Italiana verfaßt und präsentiert Malatesta das Anarchistische Programm, welches vom Kongress einstimmig bestätigt wird. Dieses Dokument wird noch heute als die programmatische Grundlage von Seiten der verschiedenen Gruppierungen, die die anarchistische, italienische Bewegung organisiert, anerkannt. Es folgen in Zusammenfassung die wichtigsten Punkte:

«1. Abschaffung des Privateigentums von Land, Rohstoffen und Arbeitsgeräten, damit niemand die Mittel hat, durch die Ausbeutung der Arbeit anderer zu leben, und alle, da ihnen die Mittel zur Produktion und zum Leben gesichert sind, wirklich unabhängig sind, und sich den anderen aufgrund gemeinsamer Interessen und eigener Sympathien frei anschließen können.
«2. Abschaffung der Regierung und jeder Macht, die Gesetze aufstellt und sie anderen aufzwingt: das heißt Abschaffung von Monarchien, Republiken, Parlamenten, Armeen, Polizei, Justiz und jeder anderen Institution, die über Zwangsmittel verfügt.
«3. Organisation des Soziallebens durch freie Verbände und Vereinigungen von Erzeugern und Konsumenten, diese werden nach dem Willen der Mitglieder gestaltet und modifiziert, von der Wissenschaft und der Erfahrung geleitet und sind frei von jeglichem Zwang, der sich nicht aus den natürlichen Notwendigkeiten ergibt, denen sich jeder, vom Gefühl der unabwendbaren Notwendigkeit überzeugt, freiwillig fügt.
«4. Garantie der Mittel für das Leben, die Entwicklung, den Wohlstand der Kinder und all jener, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen.
«5. Kampf den Religionen und allen Lügen, auch wenn sie sich unter dem Deckmantel der Wissenschaft verstecken. Wissenschaftliche Lehre für alle bis hin zur höchsten Bildungsstufe.
«6. Kampf den Rivalitäten und den patriotischen Vorurteilen. Aufhebung der Grenzen, Brüderlichkeit unter allen Völkern.
«7. Wiederherstellung der Familie, wie sie sich durch die Liebe in der Beziehung ergibt, frei von jeder rechtlichen Bindung, von jeder ökonomischen oder physischen Unterdrückung, von jedem religiösen Vorurteil».

Malatesta bereist Italien in dem Versuch all jene politischen Kräfte zu einen, die sich untereinander streiten, aber die irgendwie ein gemeinsames Abkommen im Kampf gegen die Ausbreitung des Faschismus schließen sollen. Der Versuch scheitert offensichtlich auch an der gerade entstehenden italienischen kommunistischen Partei, die versucht, wie es auch später während des Spanischen Bürgerkriegs passiert, alle linken Kräfte, die nicht mit ihr verbündet sind, zu zerstören. 1921 wird der Mailänder Sitz von "Umanità Nova" von den Faschisten verwüstet und 1922, im Jahr von Mussolinis Marsch auf Rom und seiner folgenden Amtseinsetzung ist die Tageszeitung endgültig gezwungen zu schließen.

1924 gründet und leitet er die Halbmonatsschrift "Pensiero e Volontà", eine weitere grundlegende Zeitung für die Ideenentwicklung Malatestas und des Anarchismus im allgemeinen. Es ist eine Zeitschrift mit kultureller und theoretischer Prägung in dem Versuch, der faschistischen Zensur zu entgehen. Noch heute ist sie bekannt als eine der besten anarchistischen Zeitschriften, die je publiziert wurden. Sie wird 1926 mit Gewalt geschlossen.

Mit der definitiven Machtübernahme der faschistischen Diktatur, 1925-1926, ist Malatesta gezwungen, die vom neuen Regime diktierten Einschränkungen zu ertragen. Er verbringt die letzten sechs Jahre seines Lebens unter Hausarrest in seiner Wohnung in Rom, mit zwei Polizisten als Bewachung Tag und Nacht vor der Tür, bereit jeden zu verhaften, der ihn hätte besuchen wollen. Er wird am 22. Juli 1932 an Bronchienproblemen sterben, mit denen er ein Leben lang konfrontiert war.

Andrea Crociani, 2001

Dieser Text darf frei reproduziert werden unter der Bedingung, daß die Quelle angegeben wird. Übersetzung aus dem Italienischen von Christiane Vonnahme.

Fußnoten:
1.) Luigi Fabbri, Malatesta. L'uomo e il pensiero, Napoli, 1951.
2.) Max Nettlau, Errico Malatesta. The Biography of an Anarchist, New York, 1922.
3.) Giampietro Berti, Il pensiero anarchico dal Settecento al Novecento, Bari-Roma, 1998 e Errico Malatesta, Il buon senso della rivoluzione, a cura di Giampietro Berti, Milano, 1999.
4.) Misato Toda, Errico Malatesta da Mazzini a Bakunin, Napoli, 1988.
5.) Errico Malatesta, Scritti, vol. I, II, III, Ginevra, 1935.
6.) Errico Malatesta, I nostri propositi, «Umanità Nova», 27 febbraio 1920.
7.) Errico Malatesta, Scienza e anarchia, in «Pensiero e Volontà», 1° luglio 1925.
8.) Errico Malatesta, La funzione dei sindacati nella rivoluzione, in «Umanità Nova», 13 aprile 1922.
9.) Errico Malatesta, La base morale dell'anarchismo, in «Pensiero e Volontà», 1° luglio 1925.
10.) Errico Malatesta, Repubblicanesimo sociale e anarchismo, in «Umanità Nova», 27 aprile 1922.
11.) Errico Malatesta, Scienza e anarchia, in «Pensiero e Volontà», 1° febbraio 1926.
12.) Errico Malatesta, Ancora su scienza e anarchia (nota all'articolo di Hz.), «Pensiero e Volontà», 1° settembre 1925.
13.) Errico Malatesta, La base morale dell'anarchismo, in «Pensiero e Volontà», 1° luglio 1925.
14.) Errico Malatesta, Fra le nebbie della filosofia, in «Pensiero e Volontà», 1° novembre 1924.
15.) Errico Malatesta, Fra le nebbie della filosofia, in «Pensiero e Volontà», 1° novembre 1924.
16.) Errico Malatesta, La fede e la scienza, in «Pensiero e Volontà», 15 settembre 1924.
17.) Errico Malatesta, Scienza e riforma sociale, in «Volontà», 27 dicembre 1913.
18.) Errico Malatesta, La base morale dell'anarchismo, in «Umanità Nova», 16 settembre 1922.
19.) Errico Malatesta, Le due vie. Riforme o rivoluzione? Libertà o dittatura?, in «Umanità Nova», 12 agosto 1920.
20.) Errico Malatesta, A proposito della «Plateforme», in «Il Risveglio Anarchico», 14 dicembre 1929.
21.) Errico Malatesta, Repubblica e rivoluzione, «Pensiero e Volontà», 1° giugno 1924.
22.) Errico Malatesta, Le due vie. Riforme o rivoluzione? Libertà o dittatura?, in «Umanità Nova», 12 agosto 1920.
23.) Errico Malatesta, La rivoluzione in pratica, in «Umanità Nova», 7 ottobre 1920.
24.) Errico Malatesta, Anarchismo e riforme, in «Pensiero e Volontà», 1° marzo 1924.
25.) Errico Malatesta, Discorrendo di rivoluzione, in «Umanità Nova», 25 novembre 1922.
26.) Errico Malatesta, Gradualismo, in «Pensiero e Volontà», 1° ottobre 1925.
27.) Errico Malatesta, Verso l'anarchia, in «La questione sociale», 9 dicembre 1899.
28.) Errico Malatesta, Riforme e rivoluzione, in «Umanità Nova», 10 settembre 1920.
29.) Errico Malatesta, Tanto peggio, tanto meglio, in «Umanità Nova», 26 giugno 1920.
30.) Errico Malatesta, Ancora sulla rivoluzione in pratica, in «Umanità Nova», 14 ottobre 1922.
31.) Errico Malatesta, in «En-Dehors», Parigi, 28 agosto 1892.
32.) Errico Malatesta, Anarchia e violenza, in «Pensiero e Volontà», 1° settembre 1924.
33.) Errico Malatesta, Errori e rimedi, in «L'Anarchia», agosto 1896.
34.) Errico Malatesta, Ancora sulla rivoluzione in pratica, in «Umanità Nova», 14 ottobre 1922.
35.) Errico Malatesta, Morale e violenza, in «Umanità Nova», 21 ottobre 1922.
36.) Errico Malatesta, Il terrore rivoluzionario, in «Pensiero e volontà», 1° ottobre 1924.
37.) Errico Malatesta, Anarchia e violenza, in «Pensiero e Volontà», 1° settembre 1924.
38.) Errico Malatesta, Democrazia e anarchia, in «Pensiero e Volontà», 15 marzo 1924.
39.) Errico Malatesta, Democrazia e anarchia, in «Pensiero e Volontà», 15 marzo 1924.
40.) Giampietro Berti, Il pensiero anarchico dal Settececento al Novecento, Bari-Roma, 1998, pp. 435-436.
41.) Errico Malatesta, Maggioranze e minoranze, in «L'Agitazione», 14 marzo 1897.
42.) Errico Malatesta, Democrazia e anarchia, in «Pensiero e Volontà», 15 marzo 1924.
43.) Errico Malatesta, Per la libertà, in «L'Agitazione», 2 luglio 1897.
44.) Errico Malatesta, Per la libertà, in «Volontà», 27 settembre 1913.
45.) Luigi Fabbri, Malatesta - L'uomo e il pensiero, Edizioni «Anarchismo», Catania, 1979, pp. 98-99.
46.) Errico Malatesta, Ancora sulla repubblica, in «Umanità Nova», 21 maggio 1920.
47.) Errico Malatesta, Maggioranze e minoranze, in «Umanità Nova», 11 settembre 1920.
48.) Errico Malatesta, Ancora sulla libertà del lavoro, in «Umanità Nova», 16 aprile 1922.
49.) Errico Malatesta, I nostri propositi, in «Umanità Nova», 27 febbraio 1920.
50.) Errico Malatesta, Come divenni socialista.
51.) Errico Malatesta, Il mio primo incontro con Bakunin.
52.) Max Nettlau, Errico Malatesta. The Biography of an Anarchist, New York, 1922.
53.) Errico Malatesta, Michail Bakunin, in «Pensiero e Volontà», 1° luglio 1921.

Originaltext: http://www.anarca-bolo.ch/baronata/libri/malatesta/malatesta-de.html


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