Pierre Ramus (1882 - 1942)

Rudolf Großmann, besser bekannt unter dem Pseudonym Pierre Ramus, wurde am 15. April 1882 in Wien als Sohn eines jüdischen Kaufmannes und einer Katholikin geboren. Als Journalist, Schriftsteller und Redner vertrat er - stark beeinflußt von Kropotkin und Tolstoi - Anarchismus und Antimilitarismus und setzte sich propagandistisch und praktisch für Geburtenkontrolle ein. Als Schüler wegen sozialdemokratischer Propaganda vom Gymnasium verwiesen und zerstritten mit seinen Eltern, wurde er zu Verwandten nach New York geschickt. 1898 begann er sich politisch und publizistisch in der sozialistischen Arbeiterbewegung zu betätigen und wurde Mitarbeiter der New-Yorker Volkszeitung (1898-1900) und der Groß-New-Yorker Arbeiterzeitung (1899). In New York gründete er 18jährig seine erste Monatsschrift, Der Zeitgeist. Er machte bald Bekanntschaft mit dem anarchistischen Revolutionär Johann Most, für dessen "Freiheit" er bis 1904 Beiträge lieferte. In den Jahren 1902-1903 war er Mitarbeiter der Chicagoer Arbeiterzeitung und einer der Redakteure von deren Sonntagsblatt "Die Fackel". 1902 wurde Ramus als Redner einer Streikveranstaltung in Paterson verhaftet und mit Luigi Galleani und William MacQueen angeklagt. Auf Kaution freigelassen, floh Ramus über Kanada 1903 nach England. Die Flucht war nicht mit dem Kautionsgeber, einem Freund von Most, abgesprochen, der dadurch sein als Kaution gestelltes Haus verlor, die erste einer Reihe kontroverser und zeitweise Teile der anarchistischen Bewegung spaltender Handlungen Großmanns.

In dieser Zeit der Flucht benutzte er das Pseudonym Friedrich Stürmer. An der jiddischen und deutschsprachigen anarchistischen Bewegung in London nahm er vor allem als Clarent Morleit teil. In dieser Zeit lieferte er Beiträge für u.a. die jiddischen kommunistisch-anarchistischen Zeitschriften "Der Arbeiterfreund" und "Germinal" und verschiedene deutsche anarchistische Blätter. 1905-1906 war er Redakteur des syndikalistischen Monatsblatts "Der freie Zigarettenarbeiter", 1906 Mitarbeiter der anarchistischen Wochenschrift "Die freie Arbeiterwelt".

1906-1907 wählte er nach dem französischen Humanisten Petrus Ramus das Pseudonym, unter dem er letztlich bekannt wurde, Pierre Ramus,  und gab so seiner Intention Ausdruck, Aufklärer zu sein. Ab 1906 gab er, zuerst in London, dann in Wien "Die freie Generation" heraus (London-Berlin, 1906-1908), dem 1910-1914 das Jahrbuch der Freien Generation folgte. 1907 nach Wien zurückgekehrt, gab er dort bis zum Kriegsausbruch die Halbmonatsschrift "Wohlstand für Alle" heraus.

Von 1906-1933 war er unermüdlich für die ihm wesentlichen Ideen propagandistisch tätig, als Schriftsteller und als Redner, und versuchte die anarchistische Bewegung in Österreich und teilweise in Deutschland nach seinen Vorstellungen (anarcho-kommunistisch, gewaltfrei, antimilitaristisch) zu beleben und zu organisieren. Unterbrochen wurden diese Aktivitäten im Ersten Weltkrieg durch seine Verweigerung des Kriegsdiensts. Er verbrachte die Zeit teils im Gefängnis, teils in Hausarrest in Klosterneuburg. 1916 heiratete er seine langjährige russische Lebensgefährtin Sophie Ossipowna (Sonja) Friedmann, um ihr eine Internierung zu ersparen. Der Verbindung entstammen zwei Töchter, Lilly und Erwina.

Ab November 1918-1933 publizierte er neben einer Vielzahl von Büchern und Broschüren die Zeitschrift "Erkenntnis und Befreiung. Wochenschrift des herrschaftslosen Sozialismus" (1928-1929 auch unter dem Titel "Der Anarchist") und unternahm ausgedehnte Vortragsreisen nach Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Seine praktisch-politische Organisationsarbeit führte in Österreich u.a zur Gründung des "Bundes herrschaftsloser Sozialisten", als dessen Organ die o.g. Zeitschrift Erkenntnis und Befreiung erschien. Er propagierte diverse alternative Projekte (z.B. Siedlungsgenossenschaften und freie Schulen) und antimilitaristische Aktionen. Als Folge dieser Aktivitäten kam er wiederholt mit den Justizbehörden in Konflikt. 1934 verbüßte er im Zusammenhang mit illegalen Sterilisationen eine Haftstrafe.

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 13. März 1938 flüchtete Ramus über die Schweiz nach Frankreich. Als die deutsche Armee Frankreich besetzte, flüchtete er über Spanien nach Marokko, wo er in ein Flüchtlingslager kam. Seine Familie, die 1938 in den USA eine neue Heimat gefunden hatte, unternahm alles, um ihm die Ausreise nach Übersee zu ermöglichen. Erst am 20. Mai 1942 konnte er das Schiff nach Vera Cruz (Mexiko) besteigen. Die Jahre der Entbehrung hatten jedoch seine Kräfte so geschwächt, daß er auf der Reise am 27. Mai 1942 einem Herzschlag erlag. Außer seinen zahlreichen Zeitschriftenartikeln publizierte Ramus u.a. "Die Irrlehre und Wissenschaftslosigkeit des Marxismus im Bereich des Sozialismus" (1919), "Die Neuschöpfung der Gesellschaft durch den kommunistischen Anarchismus" (1920) und "Friedenskrieger des Hinterlandes" (1924).

Originaltext: http://coforum.de/index.php4?Pierre_Ramus


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