Revolutionsbräuhof (RBH) - Die „Arbeit“ abschaffen!

Um mögliche, aber unnötige Missverständnisse zu vermeiden, fangen wir mit einer Definition von "Arbeit" an: Arbeit ist menschliche Tätigkeit, aber nicht jede menschliche Tätigkeit ist Arbeit. Arbeit ist die Tätigkeit, die man unter gegebenen Umständen verrichten muss, um sich die Mittel zum Leben zu verschaffen. Heutzutage muss man die Mittel zum Leben kaufen, deshalb kann die Definition für heute auch lauten: Arbeit ist die Tätigkeit, mit der man Geld verdienen oder Geld ausgeben vermeiden kann. Dass Arbeit notwendige Tätigkeit ist, bedeutet auch, dass Arbeit immer Zwang ist. Was notwendig ist, hat immer die jeweilige Gesellschaftsordnung bestimmt (ist eine Pyramide notwendig? Ein Laptop?). Und Gesellschaft bedeutete in den letzten Paartausend Jahren Klassengesellschaft. An der Frage, wer arbeitet und wer nicht, hat sich jedes Klassenverhältnis entschieden. Arbeit ist also eine historische Kategorie, keine anthropologische.

Geschichte

Menschen gibt es seit mindestens zwei Millionen Jahren. Bauern seit 10000 Jahren, Maschinenarbeiter seit 200 Jahren, Programmierer seit 40 Jahren. Und bis in die Neuzeit hinein waren sich die Menschen durchaus bewusst, dass Arbeit keine Naturnotwendigkeit ist. Die Sehnsucht nach dem Paradies, dem goldenen Zeitalter, der Utopia des Thomas Morus drückt dieses Bewusstsein aus. Und die Hoffnung, dass mit der Überwindung der Klassengesellschaft auch der Arbeitszwang abgeschafft wird.

Alle Worte für "Arbeit" in den europäischen Sprachen - lateinisch und englisch labor, griechisch ponos, französisch travail, deutsch Arbeit - bedeuten ursprünglich Mühsal im Sinne von Unlust und schmerzverursachenden Anstrengungen (z.B. Geburtswehen).

In der Bibel ist die Arbeit die Strafe Gottes für den Sündenfall. Gott verflucht die Menschheit: Mit Mühsal sollst du dich nähren ein Leben lang ...Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen. In der Antike galt Arbeit als unwürdig für einen freien Menschen. Auf der Werteordnung der Tätigkeiten standen Philosophie und Politik oben, der freie Handwerker unten und das allerletzte waren die Sklaven. Arbeit wurde verachtet, weil sie Körper und Geist verrohe. Sklaverei wurde damit gerechtfertigt, dass sie nötig sei, um die Bürger von notwendiger Arbeit freizusetzen.

Im Mittelalter verstanden die Mönche die Arbeit unter der Formel "ora et labora" als Sündenabtragung. Neben diesem religiösen Makel war die Arbeit auch mit sozialer Schande behaftet: manuelle Arbeit wurde nur von den unteren Gesellschaftsschichten verrichtet. Mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft wurde die Arbeit vom biblischen Fluch zum irdischen Segen umgedeutet. Ideologischer Träger der bürgerlichen Arbeitsethik wurde die Reformation. Die ersten Ansätze zur Entwicklung einer "kapitalistischen Ethik" sind mit der Frühmanufaktur entstanden. Den unternehmerischen Erfordernissen wie Sparsamkeit und Unterdrückung der Genusssucht entsprechen auf religiöser Ebene der Kalvinismus und andere puritanische Ideologien. Auf Arbeiterseite mussten Widerstände gegen die kapitalistische Produktionsweise überwunden werden. Das beim ländlichen wie städtischen Menschen tiefsitzende Unbehagen bezüglich der Unterordnung unter einen streng beaufsichtigten Arbeitsprozess musste erst ausgemerzt werden. Das Manufaktur- und später Fabrikwesen brauchte Arbeiter, die im Gegensatz zu den Zunfthandwerkern ihre Arbeitskraft ohne hemmende Vorschriften frei verkaufen konnten. Und die im Gegensatz zu den Leibeigenen persönlich frei waren, nicht an die Scholle gebunden. Diese persönlichen Unfreiheiten des Feudalismus waren jedoch auch verbunden gewesen mit sozialen Garantien: der Grundherr konnte dem Bauern nicht einfach kündigen. Außerdem war der Bauer zwar nicht Eigentümer, sehr wohl aber Besitzer von Grund und Boden.

Das Ende des Feudalismus entließ Scharen von Menschen in eine doppelte Freiheit: persönliche Freiheit im bürgerlichen Sinne und Freiheit von den Mitteln, sich die Mittel zum Leben zu verschaffen. Als Scharen von vertriebenen Bauern, Bettler, Vagabunden und Arbeitslose in die Städte zogen, bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel, zeigte die bürgerliche Gesellschaft, dass es mit den persönlichen Freiheiten nicht weit her ist. In ganz Westeuropa entstanden Gesetze gegen Vagabundiererei. Landstreicher wurden ausgepeitscht, gebrandmarkt, zu Zwangsarbeit verurteilt, hingerichtet. Die bürgerliche Gesellschaft setzte spätestens Ende des 18. Jahrhunderts ihren Arbeitsethos ideell und materiell auch bei den Arbeitern durch. In der Abgrenzung zum Feudaladel und zum Lumpenproletariat sind sich Bürgertum und Arbeiterklasse einig in der Polemik gegen Faulheit und Müßiggängerei. Das "Recht auf Arbeit" war eine Forderung, die die Arbeiterbewegung während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt hat. Diese Forderung ist nur in den besonderen Produktions- und Eigentumsverhältnissen des Kapitalismus möglich. Keinem Sklaven der Antike keinem mittelalterlichen Leibeigenen wäre so ein Wunsch in den Sinn gekommen. Die entstehende Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung kämpfte erfolgreich gegen die langen Arbeitszeiten, niedrige Löhne, für soziale Absicherung etc. Sie argumentierte gegen die private Aneignung des Mehrwerts, das Chaos der kapitalistischen Marktwirtschaft. Die Arbeit selbst wurde bejaht.

Denn die tragende Schicht von Gewerkschaften und Sozialdemokratie waren die Facharbeiter mit ihrer besonders stark verinnerlichten Arbeitsmoral und Disziplin. Bis hin zum Leninismus, in dem die Steigerung der Arbeitsleistung mit Sozialismus gleichgesetzt wird.

Arbeit entfremdet!

1. Entfremdet ist: Das Verhältnis des Arbeiters zum Produkt der Arbeit als fremden und über ihn mächtigen Gegenstand. Mir als Schlosser ist es völlig egal, ob die Firma, bei der ich arbeite, Traktoren herstellt, oder Flugzeugteile. Ich entscheide mich für eine Stelle nach der Höhe des Lohns. Was da produziert wird, darauf habe ich keinen Einfluss, das geht mich nichts an.
2. Entfremdet ist: Das Verhältnis zum Akt der Produktion innerhalb der Arbeit. Was ich in der Arbeit mache, wird mir vorgegeben. Mein Antrieb ist nicht die Lust zum Montieren, Schrauben, Sägen etc., sondern die Notwendigkeit zum Geldverdienen. Bitter, wenn man daran denkt, dass man fünf mal pro Woche acht Stunden lang etwas tut, nicht weil man dies tun will, sondern weil man einmal im Monat den Lohnscheck braucht. Dass manchmal Arbeit sogar Spaß macht, ändert nichts an der Entfremdung, der Spaß ist ein zufällig eintretender Nebeneffekt. Die Fremdbestimmtheit wird dadurch nicht aufgehoben.
3. Der Mensch wird sich selbst entfremdet. Körper und Geist werden zum Arbeitsmittel. Arbeiter sind ungeheuer rücksichtslos gegenüber der eigenen Gesundheit, geschweige denn dem eigenen Wohlbefinden. Harmlosestes Beispiel ist noch das Weckerklingeln am Morgen. Alles in einem drängt danach liegen zu bleiben, aber der Arbeiter im Menschen bringt einen doch zum aufstehen. Nicht so harmlos ist es, dass auch akute Schmerzen, chronische Erkrankungen oder Unfälle wegen der Arbeit in Kauf genommen werden.
4. Die Entfremdung des Menschen von dem Menschen. Wie der Mensch sich selbst gegenüber steht, so steht er auch anderen Menschen gegenüber. Plakativstes Beispiel sind die Krankenschwestern, die nicht von Herrn Müller reden, sondern vom Herzinfarkt auf Zimmer 9. [Noch krasser sind dann die Ärzte, die sich schon auf die im Frühjahr beginnende Zeit der Motorradfahrer/innen freuen, für sie ist es die „Nierensaison“ (!!!), wegen der Zunahme von tödlichen Unfällen, die dann eine Nieren- oder andere Organ„entnahme“ ermöglichen.]

Diese Entfremdung hat ihre Grundlage in der kapitalistischen Mehrwertproduktion. Mehrprodukt hat es in allen Klassengesellschaften gegeben. Es ist der Unterschied zwischen dem Produzierten und dem, was die Produzenten selbst verbrauchen. Die herrschenden Klassen haben sich dieses Mehrprodukt angeeignet. Im Unterschied zum vorkapitalistischen Mehrprodukt, bei dem z.B. der Graf dem Bauern 10 Gänse oder drei Tage Frondienste abgenötigt hat, ist die konkrete Beschaffenheit dieses Mehrprodukts im Kapitalismus ohne Belang, da sie sich in Geld ausdrückt. Und Geld kann man bekanntlich nie genug haben. Natürlich muss sich das Geraffel verkaufen lassen, insofern haben die Waren im Kapitalismus auch Gebrauchswert, sonst ließe sich der Tauschwert nicht realisieren. Aber mit welcher konkreten Tätigkeit, bohren, singen, Regale einräumen, welches konkrete Produkt erzeugt wird, Traktor, Meinungsumfrage, Sahnepudding, ist völlig gleichgültig. Und bei den Arbeitenden gibt es ebenfalls diese Gleichgültigkeit gegenüber den Gebrauchswerten, deren Erzeugung und den Folgen davon, Hauptsache es wird Geld verdient. Deshalb wird heute beim Arbeiten wahrscheinlich mehr zerstört als produziert.

Bei den Linken kommen die Arbeiter dabei immer gut weg. Es ist die BASF die den Rhein verschmutzt, die Chemieindustrie, die giftige Agrochemikalien produziert, die Lebensmittelindustrie, die Gentechnik einsetzt, etc. In der wirklichen Welt gibt es die Industrie, die da irgendwas macht, natürlich nicht.

Es sind die Chemiearbeiter, die das Gift in den Rhein leiten, die Biologielaboranten, die die Genversuche durchführen, die Programmierer, die die Software zur Verfügung stellen, die Plantagenarbeiter, die Borneo brandroden und damit den Bewohnern von Kuala Lumpur die Luft zum Atmen nehmen, die Lehrer, die den Kindern genau das beibringen, was der Kapitalismus nötig hat.

Natürlich, alle sind beteiligt, das persönliche Maß der Schuld lässt sich nicht feststellen, da alle Verantwortung tragen und sie keiner wahrhaben will, sich alle auf eine Art Befehlsnotstand rausreden können. Auch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger leben vom Mehrwert. Alle die arbeiten, produzieren über ihre Arbeit gemeinsam diese verrückte Welt. Und sie reproduzieren die Verhältnisse, die immer weitere Arbeit notwendig macht. Und genau deshalb gibt es noch Hoffnung:

Weil die Arbeitenden die Verhältnisse produzieren, deshalb können sie auch damit Schluss machen. Es reicht einfach aus, die Arbeit zu beenden. Die Sehnsucht der Arbeiter nach einem besseren Leben ist zwar zurück gedrängt, bricht aber immer wieder aus. Schwätzchen halten mit den Kollegen, Pausen überziehen, krankfeiern, streiken. Dann weigert sich die Arbeitskraft Arbeit zu werden. Das ist Klassenkampf. Die Weigerung der Frauen, länger kostenlos Hausarbeit zu verrichten, der Kampf nichtindustrieller Gesellschaften dagegen, "zivilisiert" zu werden, lieber studieren als gleich arbeiten zu gehen - all das ist Verweigerung der Arbeit. Diese Verweigerungen ändern allerdings nichts am allgemeinen Arbeitszwang in dieser Gesellschaft. Um den abzuschaffen, ist eine Abschaffung dieser Gesellschaft nötig, eine Revolution. Revolution ist nicht nur nötig, um die herrschende Ordnung zu beseitigen, sondern auch als Prozess der Selbstveränderung der Beherrschten. Um sie zu befähigen, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen. So einfach ist das natürlich nicht. Neben den Schwierigkeiten, die auf dem Weg zur Revolution liegen, gibt es immer die Frage, wer denn dann die Brötchen backt. Dahinter steckt der abgedroschene bürgerliche Einwand, dass der Kommunismus/oder die Anarchie notwendigerweise daran scheitern, dass jeder harte und unangenehme Arbeit (Müllabfuhr) auf andere abwälzen möchte. Man könnte darauf mit der Bemerkung des französischen Revolutionärs Blanqui antworten: "Wer denn im Sozialismus die Nachttöpfe hinaustragen wird? Das lässt sich auf die simple Frage Wer dann meinen Nachttopf hinaustragen wird reduzieren." (Nebenbei zeigt dieses Beispiel auch, wie manche Frage von selbst verschwindet.)

Bei der Möglichkeit zur Abschaffung der Arbeit liegt einiges auf der Hand: Die Arbeit der Verkäuferrinnen ist nur deshalb nötig, um den Mehrwert der Lebensmittel zu realisieren. Weg damit. Die Arbeit der Versicherungsangestellten ist nur nötig, weil wir in einer unsolidarischen Gesellschaft leben, in der es nicht selbstverständlich ist, dass jeder mit allem Nötigen versorgt wird. Weg damit. Die meiste Arbeit der Automobilarbeiter ist nur nötig, um Autos zu produzieren, mit denen sie selbst und andere Arbeiter wiederum zur Arbeit fahren. Der meiste stattfindende Verkehr ist nämlich der Berufsverkehr. Weg damit. Über die Arbeit von Soldaten, Polizisten, Professoren, Sozialarbeitern und anderen, die nur die Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalten, brauchen wir erst gar nicht zu reden. Weg damit. Die Arbeit der LKW-Fahrer, die im Zeitalter der Globalisierung die Zulieferteile durch ganz Europa gondeln. Weg damit. Die Arbeit der Werbeheinis[-heidis], die uns jeden Scheiß andrehen wollen und die Arbeit der Drucker, die dafür die Prospekte drucken und die Arbeit der Maschinenschlosser, die dafür die Druckmaschinen bauen und die Arbeit der Bauarbeiter, die dafür die Fabrikhallen bauen und die Arbeit der Prospektverteiler. Weg damit. Lasst eure Phantasie los. Der Kapitalismus hat doch gezeigt, dass keine konkrete Arbeit ewig ist: Getreidemähen, Dienstbotenarbeit, Bleisatz. Das wenige an notwendiger Arbeit, das übrig bleibt, wenn nicht nur Ingenieure und Techniker, sondern die Gesellschaft als ganze, sich um die Abschaffung der Arbeit bemüht, darum werden sich die Leute wohl eher reißen ...

Originaltext: Erschienen als Nr. 9 der anarchosyndikalistischen Flugschriftenreihe


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