Kultureller Relativismus - der Faschismus dieser Ära

Eine (notwendige) Vorbemerkung: Als Anarcho-SyndikalistInnen sind und waren wir schon immer erbitterte GegnerInnen jeder Form von religiöser Ignoranz. Religion hat in der Geschichte der Menschheit immer wieder die Form eines Unterdrückungsverhältnisses angenommen und ist deshalb zu bekämpfen. In der aktuellen Diskussion sollte nicht vergessen werden, dass der politische Islam, also die Form, die für sich den Anspruch erhebt, die Gesellschaft organisieren und reglementieren zu wollen, nichts ist, was es in irgendeiner Weise zu verteidigen gälte. Der Islam als politische Macht ist ebenso anti-emanzipatorisch wie das Christentum oder irgendeine andere Form von religiösem Machtanspruch. (FAU, 2001)

Kultureller Relativismus - der Faschismus dieser Ära

Eine Rede von Maryam Namazie über den kulturellen Relativismus gehalten auf einem Forum über die Frauenrechte im Iran. Diese Forum, organisiert von der Internationalen Kampagne zur Verteidigung der Rechte der Frauen im Iran (ICDWRI), fand am 28. November 1998 in Toronto statt.

  • Im August 1997 wurde eine 18jährige Frau in Deutschland von ihrem Vater verbrannt, weil sie es ablehnte, den Mann zu heiraten, den er für sie ausgesucht hatte. Ein deutsches Gericht machte Strafmilderung geltend mit der Begründung, er habe seine Kultur und Religion praktiziert.
  • Im Iran werden unter Androhung von Gefängnisstrafen und Peitschenhieben die Frauen und Mädchen dazu gezwungen, sich zu verschleiern und kulturelle Relativisten sagen, dies sei ihre Religion und müsse respektiert werden.
  • In Holland werden Iraner abgeschoben, da der Außenminister festgestellt hat, die iranischen Gefängnisse seien "befriedigend für den Standard der Dritten Welt".

Der kulturelle Relativismus dient diesen Verbrechen. Er legitimiert und erhält Brutalität. Er sagt, daß die Rechte der Menschen abhängig sind von ihrer Nationalität, Religion und Kultur. Er sagt, daß die Menschenrechte unterschiedlich sind, je nachdem, ob man in Iran, Irak oder Afghanistan oder in den Vereinigten Staaten, Kanada oder Schweden geboren wurde.

Kulturelle Relativisten sagen, daß die iranische Gesellschaft muslimisch ist und denken, daß Menschen die Art zu leben wählen, zu der sie gezwungen werden. Als gäbe es keine Glaubensunterschiede im Iran, keine Kämpfe, keine Kommunisten, keine Sozialisten, keine Freiheitsliebe. Wenn es so wäre, warum wurden dann 150.000 Menschen hingerichtet wegen ihrer Opposition zur Islamischen Republik Iran? Wenn das die Kultur und Religion der ganzen Gesellschaft ist, warum braucht das iranische Regime dann solche umfassenden Werkzeuge der Repression? Wenn das der Glaube des Leute ist, warum kontrolliert das Regime dann ihr Privatleben - von ihren sexuellen Aktivitäten, bis zu den Videofilmen, die sie sehen und der Musik, die sie hören? Wenn die ganze Gesellschaft muslimisch ist, warum ging dann Zoleykhah Kadkhoda freiwillige eine sexuelle Beziehung ein, für die sie später eingegraben und gesteinigt wurde? Wenn das die Kultur der Menschen ist, warum lehnten sich die Bewohner von Bukan gegen die Steinigung auf und retteten ihr Leben? Warum werden Tausende von Frauen auf der Straße wegen "unanständiger" Verschleierung festgenommen, wenn dies ihre Kultur und ihre Religion ist. Wie kommt es, daß nach zwei Dekaden des Terrors und der Brutalität die Universitäten nach Aussage eines Offiziellen des Regimes noch nicht islamisch sind? Weil es nicht wahr ist, sogar wenn jede im Iran lebende Person reaktionären Glaubens wäre, wäre das nicht akzeptabel. Wenn jeder an die Überlegenheit seiner Rasse glaubt, macht es das auch nicht besser.

Kulturelle Relativisten sagen, wir müssen die Kultur und die Religion der Leute respektieren, auch wenn sie verachtenswert sind. Das ist absurd und ruft auf zum Respekt vor der Brutalität. Ja, Menschen verdienen es, respektiert zu werden, aber nicht jeder Glaube muß respektiert werden. Wenn eine Kultur es erlaubt, eine Frau zu verstümmeln und umzubringen, um die "Ehre" der Familie zu retten, kann das nicht akzeptiert werden. In der Islamischen Republik des Iran regiert die Religion und wurde zum Massenmörder des Volkes. Wenn die Religion sagt, daß ungehorsame Frauen geschlagen werden sollen, daß Auspeitschen akzeptabel ist und das Frauen mangelhaft sind, muß dies verurteilt und dagegen Widerstand geleistet werden.

Der Kampf gegen die frauenfeindliche und reaktionäre Regierung ist nicht zu trennen von dem Kampf gegen den reaktionären und frauenfeindlichen Glauben. Natürlich haben Individuen das Recht auf ihren eigenen Glauben, egal wie offensiv er ist, aber freiheitsliebende Menschen sind an die Pflicht gebunden, reaktionären Glauben aufzudecken, zu verurteilen und in den Mülleimer der Geschichte zu verdammen.

Kulturelle Relativisten sagen weiter, daß universale Menschenrechte ein Konzept des Westens seien. Wie kommt es, daß der Mullah nicht sagt, es sei ein Konzept des Westens und nicht vereinbar mit der islamischen Gesellschaft, wenn es darum geht, ein Telefon oder ein Auto zu benutzen? Wie kommt es, daß es universal ist, wenn es darum geht, die Arbeiterklasse besser auszunutzen, Profite zumachen und technologische Vorteile zu nutzen. Aber wenn es um die universellen Menschenrechte geht, werden sie westlich. Selbst wenn die Rechte westlich sind, ist es absurd zu sagen, daß andere ihrer nicht wert seien. Tatsächlich, obwohl Rechte Vorteile sind, die von der Arbeiterklasse und den fortschrittlichen sozialen Bewegungen gewaltsam genommen wurden, sind doch alle Vorteile oder Rechte, die jemals erlangt wurden die Vorteile und Rechte der ganzen Menschheit.

Einige, sogar unter den "Linken" sagen, daß das Aufdecken reaktionären Glaubens den Rassismus fördere. Im Gegensatz dazu dient die Vergewaltigung eines neunjährigen Mädchens, das gewaltsam verheiratet wurde nicht dem Rassismus. Im Gegensatz dazu dient der sexuelle Mißbrauch eines Kindes nicht dem Rassismus, obwohl ein Gericht der Islamischen Republik Iran sagte, der Vater sei gezwungen gewesen, das Kind zu mißbrauchen, weil seine Frau ihn nicht befriedigte. Gerade so wie aus jemandem, der gegen Antisemitismus ist auch kein Zionist wird. Kultur um der Kultur willen ist nicht heilig. Rassismus und Faschismus haben auch ihre eigene Kultur. Eine Kultur, die nicht in der Lage ist, den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, ist wertlos.

Der Kampf für die universalen Menschenrechte bedeutet die Verdammung und Verachtung des reaktionären Glaubens. Der Kampf gegen übermächtige reaktionäre Ideen ist der Kampf gegen die Ideen der herrschenden Klasse. Schließlich muß die herrschende Klasse über die Barbarei des Kapitalismus richten. Sie muß das nicht zu tolerierende natürlich und tolerabel aussehen lassen. Sie muß Unterschiede schaffen, um den Profit zu erleichtern. Kulturelle Relativisten dienen diesem Zweck. Die Idee der Unterschiede war immer ein grundlegendes Prinzip der rassistische Pläne. Die Niederlage des Nazismus und seiner Theorie der biologischen Unterschiede haben die rassische Überlegenheit größtenteils in Mißkredit gebracht. Aber der Rassismus dahinter fand eine andere, besser akzeptierte, Ausdrucksform in dieser Ära. Anstelle von Ausdrücken in rassistischer Terminologie werden jetzt Unterschiede mit kulturellen Beziehungen porträtiert. Kultureller Relativismus ist der Faschismus dieser Ära. Kulturelle Relativisten sind die Verteidiger des Völkermordes* dieser Ära.

In einer Ära von beispielloser Barbarei müssen wir die universalen Rechte von Menschen verteidigen, die täglich auf Freiheit und Gleichheit hoffen. Obwohl ein besseres Leben nur möglich ist, wenn die Welt sich ändert, muss jeder, der die Menschenrechte respektiert sofort für die Abschaffung jeden rückwärtigen und reaktionären Glaubens kämpfen, weil dieser nicht vereinbar ist mit Freiheit und Fortschritt der Menschen und weltlicher und moderner Gesellschaft für alle.

Maryam Namazie (ICDWRI)

* Im Originaltext verwendet die Autorin den Begriff "Holocaust". Da der Begriff in den deutschsprachigen Ländern für die Shoah an Juden und JüdInnen steht, habe ich ihn mit "Völkermord" ersetzt, um keine sprachlichen Missverständnisse aufkommen zu lassen (einer von www.anarchismus.at).

Originaltext: www.fau.org


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