Endlich aus der Nische raus. Wie können wir anarchistische Zusammenhänge vergrößern?

Die meisten anarchistischen Gruppen und Organisationen leiden unter einer permanenten Mitgliederstagnation und kommen vor Ort selten über die Bezugsgruppengröße hinaus. In diesem Artikel soll auf häufig begangene Fehler in der Mitgliederwerbung hingewiesen und praktische Erfahrungen vermittelt werden.

Viele Gruppen arbeiten mit dem Anspruch, so viele Aktionen und so viel Medienarbeit zu machen, wie die personelle Stärke eben zu lässt. Wird dies zum einzigen Arbeitsschwerpunkt ohne die personelle Reproduktion, Bildung und Verbreiterung aktiv anzugehen, führt das meist zu Gruppen, die eben so schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, wie sie gekommen waren und in denen permanente Überlastung und Frustration vorherrscht. Eine gesellschaftliche Perspektive entfaltet sich aus ihnen nur bedingt. Es stellt sich also die Frage nach der aktiven Mitgliederwerbung und wie Neumitglieder in die schon gefestigten Personenkreise am besten eingebunden werden können ohne sich als Aktivist*innen zweiter Klasse zu fühlen oder sich durch die informellen Hierarchien kämpfen zu müssen.

1. Mitgliederwerbung

Es gehört zur sich einschleichenden Betriebsblindheit, dass aktive Mitglieder einer Gruppierung nur sehr schwer ihre äußere Bekanntheit einschätzen können. Schnell unterliegt mensch dem Trugschluss, in der Stadt ja sehr bekannt und im Internet auch für alle potentiell Interessierten leicht auffindbar zu sein. Nichts ersetzt jedoch die konkrete Ansprechbarkeit im realen Leben. Darüber hinaus ist die Trägheit des Individuums, wenn es darum geht, sich aus sei- nem gewohnten sozio-kulturellen Umfeld heraus zu bewegen, nicht zu unterschätzen.

1.1 Vorträge organisieren

Wichtig ist daher immer wieder, grundsätzliche Vorstellungsveranstaltungen der eigenen Organisation und/oder des eigenen politischen Konzeptes anzubieten. Dafür können eine oder mehrere Präsentationen erstellt werden, zu denen mehrere Mitglieder bei Bedarf referieren können. Das hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen sind die Vorträge damit flexibel und spontan haltbar (z.B. bei einer Besetzung, einem Sommercamp, während eines Themenwochenendes in einem örtlichen Treffpunkt etc.), zum anderen sorgt dies für Übung und Selbstsicherheit verschiedener Gruppenmitglieder, es verhindert außerdem die Überlastung und die zu starke Präsenz einzelner Genoss*innen.

Diese Vorstellungen können kaum zu oft gehalten werden, in einer mittleren Großstadt ist z.B. ein Takt von zwei Monaten nicht übertrieben. Wichtig dabei ist, nicht in den eigenen Szene-Treffs zu bleiben. Jeder Raum, in dem mensch seine Veranstaltung halten kann, sollte abwechselnd auch genutzt werden, da jede Lokalität auch ihr eigenes Stammklientel mitbringt. Deswegen nicht nur den örtlichen Infoladen oder das AZ anfragen sondern eben so nach Stadtteilzentren, Eine-Welt-Läden, Kneipen, Vereinshäusern, Wohnprojekten, (Hoch-)Schulen, Jugendclubs etc. Ausschau halten. Gerade völlig neutrale, öffentliche Räume senken die Hemmschwelle für viele Neugierige enorm. (1)

Gleichzeitig sollte gerade bei völlig neutralen Orten beachtet werden, dass die Nachfragen z.T. deutlich grundsätzlicher und argwöhnischer gestellt werden. Der/Die Redner*in sollte sich daher darauf einstellen und neben dem eigentlich Vortrag auch auf eine Reihe von Standard-Fragen und Argumentationen eingestellt sein.

Sollten irgendwann tatsächlich die eigenen Raummöglichkeiten in der Ortschaft ausgehen, kann es auch für die eigene örtliche Organisation durchaus sinnvoll sein, im Umland Veranstaltungen zu organisieren. Um so dichter befreundete Gruppen bei einander liegen desto mehr Kraft kann bei großen Aktionen entfaltet werden.

Nicht alles kann während eines Vortrags erklärt und erläutert werden. Meistens bietet ein Vortrag zur eigenen anarchistischen Organisation nur einen ersten Anstoß für Personen, um sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Es ist daher sehr zu empfehlen, zu jedem Vortrag eine entsprechende Auswahl an Informationsmaterial dabei zu haben. Das können kostenlose Infoblätter und Zeitungen (2), preisgünstige Einführungsbroschüren (3) oder Bücher sein (4).

Sinnvoll ist auch, vor einer Vorstellung schon Termine für das nächste praktische Zusammentreffen der eigenen Organisation festzulegen. Die Wirkung von Vorträgen erhöht sich enorm, wenn die Zuhörer*innen direkt auf konkrete Anschlusspunkte verwiesen werden.

Ein vernachlässigter Punkt in der Vortragsorganisation vieler Gruppen ist immer wieder die Bewerbung. Es werden zwar Veranstaltungen organisiert, die Bewerbung geschieht dann jedoch halbherzig. Damit verpufft die Arbeit, die für die Veranstaltung betrieben wurde, unnötig. Es ist ratsam, den Vorlauf und Aufwand der Bewerbung nicht zu gering anzusetzen. Bei der Bewerbung kommt es vor allem darauf an, aus dem eigenen sozialen Umfeld heraus zu kommen und andere soziale Zusammenhänge zu erreichen. Die verschiedenen Gruppen-/Organisationsmitglieder können sich für ihr Wohnumfeld beispielsweise Listen mit Werbemöglichkeiten anlegen und diese kontinuierlich weiter ausspähen. Potentielle Werbemöglichkeiten können sich z.B. in Kneipen, Geschäften, Vereinstreffs, Betrieben, (Hoch-)Schulen, in Hausfluren, an (evtl. auch selbst installierten) schwarzen Brettern und in WGs ergeben.

Am verlässlichsten geschieht die Verteilung, wenn jedes Mitglied seine Liste bei jeder Veranstaltung abgeht. Besonders effektiv ist die Verteilung an sympathisierende Multiplikatoren, d.h. Leute, die selber in viele WGs, Treffpunkte oder Gruppenzusammenhänge kommen und so Termine sehr weit streuen können.

Eine weiterer Punkt ist die Online-Werbung. Neben lokalen, linken Terminseiten, der eigenen Präsenz und deutschlandweiten Portalen wie Indymedia Linksunten, Demoplaner und der Kalender der Direkten Aktion (5) gewinnen hier mehr und mehr die sozialen Netzwerke und neuen Internetmedien wie Facebook und Twitter an Wichtigkeit (6).

1.2 Aktionen

Neben Vorstellungen und Vorträgen sind es natürlich auch Kundgebungen, Demonstrationen, Blockaden, Besetzungen etc., die durch unmittelbares erleben oder Medienberichte mehr Menschen auf die eigene Organisation aufmerksam machen. Aktionen sind daher nicht nur für das unmittelbare Ziel, sondern auch für den langfristigen Bestand der eigenen Organisation wichtig. Dabei ist es egal, ob es sich um eine allein organisierte Aktion, ein Bündnisprojekt oder um eine kritische Intervention z.B. auf einer DGB-Demo handelt.

Die Wahrscheinlichkeit, durch Aktionen immer wieder spätere Neumitglieder kennen zu lernen, erhöht sich, wenn mensch auf Flugblättern, mit Transparenten etc. immer klar deutlich macht, zu welcher Organisation mensch gehört. Es ist auch hilfreich, immer etwas Infomaterial dabei zu haben oder wenigstens Visitenkarten/-zettel mit Kontaktdaten und Internetpräsenz. Es ist auch sinnvoll, darauf zu achten, immer nicht nur zur kritisieren, sondern auch möglichst konkret im Hier und Jetzt die angestrebten Alternativen deutlich zu machen.

Im Rahmen von Aktionen lassen sich auch relativ aufwandsarm Vor- (z.B. Anfertigung von Transparenten) und Nachbereitungstreffen organisieren. Diese geben eine praktische Möglichkeit, mit potentiellen Interessierten ins Gespräch zu kommen, sich zu vernetzen, inhaltliche Fragen zu diskutieren, soziale Hemmschwellen abzubauen. Ebenso bietet es sich auch immer an, im Zuge z.B. einer Demonstration einen eigenen Vorstellungsvortrag in der Woche danach vorzubereiten und diesen z.B. gleich auf dem eigenen Demonstrationsflugblatt zu bewerben.

Generell gilt, dass Aktionen gerade für kleine Gruppen immer einen enormen Kraftaufwand bedeuten und schnell die Gefahr besteht, sich zu überlasten und aufzureiben. Je mehr aktive (!) Menschen Teil einer lokalen Organisation sind, desto größer deren Handlungsoptionen und die Freiräume für einzelne Mitglieder, sich auch mal zurück zu nehmen. Daher sollte die Gewinnung potentieller Neumitglieder immer ein wichtiger Punkt in der Planung und Durchführung von Aktionen sein.

1.3 Hemmschwellen

Wie oben schon angedeutet bedeuten fremde, vor allem subkulturelle Lokalitäten, gefestigte soziale Strukturen - oberflächlich betrachtet: gleichförmiges Auftreten und eine politisch-begründet andere soziale Grammatik - immer eine potentielle Hemmschwelle für Interessierte. Da sich gewisse Umstände einfach aus einem geänderten politischen Verständnis und Wissen (z.B. in Sachen Sprache) oder einer längeren Freundschaft unter Organisationsmitgliedern ergeben, lässt sich diese Hemmschwelle nie völlig abbauen. Gleichzeitig gibt es gute Gründe, sich auch in Sachen Kleidung und Auftreten dem gesellschaftlichen Mainstream zu verwehren. Es sollte jedoch wenigstens eine bewusste Entscheidung sein, z.B. auf Demonstrationen oder den Organisationsveranstaltungen subkulturell aufzutreten oder nicht.

So kann es auch eine Möglichkeit sein, die eigenen Kleidungsvorlieben während der Agitation zurück zu stellen um anderen Menschen einen offeneren Zugang zu den eigenen Inhalten zu ermöglichen. Dies sollte natürlich dann bei längerer Bekanntschaft auch entsprechend reflektiert werden.

Auch in der eigenen Wortwahl und im Verweis auf Hintergrundwissen sollte Sensibilität dafür bewahrt werden, dass mensch selbst durch die Vertiefung in verschiedene Fragen wahrscheinlich einen anderen Wissensstand entwickelt hat als das Gegenüber auf der Straße. Auch bei Neumitgliedern bleibt es wichtig, die eigenen Begriffe und Kontexte zu erklären und darum bemüht zu sein, sich möglichst barrierefrei auszudrücken.

2. Neue Menschen einbinden, Mitglieder halten

Schwieriger als die Gewinnung neuer Mitstreiter*innen ist oft deren Einbindung in bestehende Strukturen. In vielen Gruppen gibt es einen harten Kern oft langjähriger Aktivist*innen mit geringer Fluktuation, der den Großteil der organisatorischen Aufgaben übernimmt und einen Kreis von neueren Aktivist*innen, von denen nur ein kleiner Teil hängen bleibt. Der Rest wird aus Weiterbildungs-, Informations- und Entscheidungsfindungsprozessen ausgeschlossen (oder fühlt sich zumindest so), bzw. sieht sich sozial im Vergleich zur Kerngruppe nicht aufgehoben. Für neue Menschen, die zu einer schon lange Jahre bestehenden Gruppe dazu stoßen, gehört oft einiges an Selbstbewusstsein, Durchhaltewillen und Vorbildung dazu, um tatsächlich gleichberechtigter Teil der Gruppe zu werden.

Dabei gilt, dass sich dieses Problem tendenziell verschärft, wenn die Gruppe aus nur einem Freundeskreis besteht. Es verringert sich, wenn in der Gruppe mehrere unabhängige Freundeskreise existieren oder die Mitglieder außerhalb der politischen Arbeit wenig miteinander zu tun haben.

2.1 Wissen vermitteln

Da neue Mitglieder grundsätzlich vor dem Problem stehen, dass die älteren Mitglieder ihnen gegenüber zumeist einen Vorsprung an Erfahrung und theoretischem Wissen besitzen, trauen sie sich Anfangs oft nicht Aufgaben zu übernehmen oder in Diskussionen offen ihre Meinung zu sagen. Dies steht sowohl einer gleichberechtigten Arbeitsweise als auch einer Verteilung der gemeinsamen Arbeit auf möglichst viele Schultern entgegen und muss daher kontinuierlich und zeitnah ausgeglichen werden.

Ein gute Möglichkeit ist es, wenn sich in Absprache mit dem Neumitglied ein oder mehrere Verantwortliche (oft Buddys genannt) finden (vorzugsweise aufgrund von Bekanntschaft oder Sympathie) die dem Neumitglied Struktur und Geschichte der Organisation, nutzbare Strukturen in der Stadt, Leseempfehlungen und anderes Know-How vermitteln. Ebenso wichtig ist, für theoretische Fragen oder allgemeine Unklarheiten offen zu stehen. Der*die Verantwortliche kann z.B. auch im Plenum neben dem Neumitglied sitzen und bei Bedarf Fragen und Zusammenhänge im Zwiegespräch erklären, was die Hemmschwelle für Nachfragen enorm verringert.

Darüber hinaus kann die Organisation einen Index vorhandener Literatur, eine Datenfestplatte mit Ebooks, Filmen, Musik, Readern und Bildern erstellen, eigene Weiterbildungen organisieren oder gemeinsam zu externen Vorträgen gehen, um sich kontinuierlich weiter zu bilden. Auch die Führung einer Organisationschronik ist nicht nur für spätere Generationen, sondern auch für die eigenen Mitglieder interessant um zu wissen, welche Erfahrungen ältere Aktivist*innen schon gemacht haben und sich darüber ggf. weiter zu informieren.

2.2 Neue Menschen anlernen und Aufgaben übertragen

Für neue Mitglieder sind die größten Hindernisse auf dem Weg zu einem festen Platz in der Organisation paradoxerweise oft die besonders aktiven, erfahreneren Mitglieder. Die Personen, die sich stark mit einer Organisation identifizieren, entwickeln oft einen Perfektionismus und eine „am besten alles selbst machen“-Mentalität. Diese führt nicht nur dazu, dass sie sich vorschnell für diverse Organisationsaufgaben melden, sondern strahlt anders herum auch auf die neueren Mitglieder aus und erhöht die Unsicherheit, sich für vorher noch nie erledigte Aufgaben zu melden.

Generell sollten erfahrenere Aktivist*innen daher ihr Arbeitspensum reflektieren und versuchen, vor allem unterstützend, nicht federführend an Aufgaben beteiligt zu sein. Auch sollte ein nicht zu geringer Anteil der eigenen Organisationsarbeit für erfahrenere Mitglieder darin bestehen, das eigene Wissen aufzubereiten, zu strukturieren und Bildungsangebote bereit zu stellen. So könnte ein*e langjährige*r Aktivist*in z.B. in der selben Zeit, in der er*sie zum hundertsten mal eine Pressemitteilung schreibt, auch eine praktische Anleitung für diese Aufgabe erstellen, die dann von verschiedensten Aktiven ge- nutzt werden könnte. Damit wird gemachte Erfahrung effektiv verwertet und die Grundlage für eine stabile und ausgeglichene Organisation geschaffen.

Um solche informellen Hierarchien und festgefahrenen Aufgabenverteilungen aufzubrechen, kann es helfen, für die immer wieder oder kontinuierlich anfallenden Aufgaben feste Mandate mit zeitlicher Begrenzung einzurichten. Mandatsposten (7) könnten z.B. sein: Webauftritt, Kasse, Koordination, Weiterbildung etc.. Eine zeitliche Begrenzung ist für die Verteilung von Fähigkeiten in der Gruppe unbedingt empfehlenswert und erfordert von den Mandatsträger*innen auch eine transparente Arbeitsweise, da sich der*die Nachfolger*in anschließend ja auch zurechtfinden muss. Wenn die Organisationsgröße es zulässt ist überdies auch eine Mandats-Sperrzeit sinnvoll, d.h. dass z.B. nach zwei übernommenen Mandatsperioden eine Periode lang kein festes Mandat übernommen werden darf. Dies verhilft übereifrigen Genoss*innen zu einer oft bitter nötigen Zwangspause und bietet für andere Mitglieder eine zusätzliche Motivation, sich an neuen Aufgaben zu versuchen.

Die Transparenz und Zugänglichkeit zu festen Mandaten und anderen Aufgaben kann zusätzlich dadurch erhöht werden, wenn als abschließender Teil der Mandatsaufgabe die Erstellung bzw. Aktualisierung einer schriftlichen Mandatsanleitung (kombinierbar mit einer für alle Mitglieder besuchbaren mündlichen Einarbeitung des*der neuen Mandatierten) steht.

2.3 Mitglieder halten

Oft möchten Menschen anarchistische Strukturen unterstützen, denen es an der Zeit fehlt, regelmäßig Treffen zu besuchen, die virtuelle Kommunikation mit zu verfolgen oder kontinuierliche Aufgaben zu übernehmen. Ebenso kann sich durch Job, Nachwuchs oder anderweitige Projekte die Zeit von vormals aktiven Mitgliedern erheblich verringern. Trotzdem ist bei diesen Genoss*innen vielleicht Bereitschaft da, die Organisation punktuell und/oder finanziell zu unterstützen. Oft ist die mangelnde Fähigkeit, auf diese Bedürfnisse strukturell zu reagieren, ein Grund für das Ausscheiden vieler Mitglieder. Eine anarchistische Organisation, die für Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen da sein will, muss auf dieses Problem eine Antwort finden.

Ab einer gewissen Gruppengröße können dafür Stadtteilverantwortliche eine Lösung sein. Dabei haben die Verantwortlichen einen Überblick über alle Mitglieder und Sympathisierenden in ihrem Stadtteil/ Bezirk. Sie können sich mit Mitgliedern, die wenig Zeit haben, regelmäßig oder sporadisch treffen, sie mit Infomaterial versorgen, aktuelle Diskussionen und Entscheidungen in der Organisation zusammen fassen und Feedback einholen. Dadurch behalten die weniger aktiven Mitglieder ohne großen zeitlichen Aufwand einen Überblick über das Organisationsgeschehen, sehen wo sie punktuell unterstützen können oder intervenieren müssen, weil sie die Entscheidungen der Organisation nicht mittragen wollen. Die weniger Aktiven werden so nicht einfach sich selbst überlassen, sondern bleiben in Kontakt mit der Organisation und behalten einen Überblick über die laufenden Vorgänge. Gleichzeitig können die Verantwortlichen auf diese Weise unkompliziert Beiträge einsammeln, Veranstaltungen bewerben und die Vernetzung von Anarchist*innen im jeweiligen Stadtteil befördern.

Zusätzlich bemerkt der Verantwortliche, wenn sich Genoss*innen zurück ziehen und kann ggf. in persönlichen Gesprächen etwaige Unzufriedenheiten oder Probleme mit der Organisation zur Sprache bringen und verhindert so, dass Menschen mit der Zeit einfach kommentarlos die Organisation verlassen, wie es sonst oft der Fall ist.

Eine funktionierende, kontinuierliche und dabei transparent bleibende Gruppe oder Organisation ist schwer zu erreichen. Ihre Entwicklung ist immer eine Gratwanderung zwischen Polen wie Pragmatismus und Ideal, Kurz- und Langfristigkeit, Aktionismus und Strukturarbeit, Überstrukturierung und informellen Hierarchien.

Die genannten Konzepte werden zu großen Teilen im Allgemeinen Syndikat Dresden (FAU IAA) umgesetzt. Auch wenn nicht alles reibungslos funktioniert, so zeitigt sich doch bereits jetzt ein Erfolg gegenüber vorherigen anarchistischen Gruppenkonzepten in Dresden, die sich eher an autonomen und Bezugsgruppenmodellen orientierten. Das Syndikat verzeichnet seit seiner Gründung im Sommer 2011 einen kontinuierlichen Mitgliederzuwachs. Dabei wurden vor allem Menschen angesprochen, die vorher wenig oder gar nicht politisch oder gewerkschaftlich aktiv waren. Kompetenzen und theoretisches Wissen werden in oben genannter Weise miteinander geteilt, was die Arbeit in mehreren, parallel arbeitenden AGs ermöglicht.

Ich hoffe, dass die geschilderten Konzepte und Anregungen vielleicht auch in anderen Städten helfen, neue Menschen in die Bewegung einzubinden und die Mitgliederstagnation vieler älterer Gruppen aufzubrechen. Feedback und Anregungen sind wie immer erwünscht, gerne auch als Leser*innenbrief.

Fußnoten:
1.) Während der Libertären Tage 2010 in Dresden kamen so z.B. völlig unerwartet ca. 100 überwiegend ältere Menschen zu einem Anarchismus-Vortrag in ein Dresdner Gymnasium.
2.) Informationen zur jeweiligen Organisation und aktuellen Kampagnen werden z.B. vom Forum deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA IFA) und der Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union auf Nachfrage kostenlos verschickt.
3.) Ein breites Sortiment zur Geschichte, Gegenwart und Theorie des Anarchismus und des Anarchosyndikalismus bietet der Syndikat A Medienvertrieb, der auf Anfrage auch gern über die Wahl des Materials berät.
4.) Da die eigene Anschaffung eines Bücherfundus zum Weiterverkauf für eine Gruppe sehr kostenintensiv ist, macht es Sinn, mit dem nächstgelegenen linken Buchladen über eine Zusammenarbeit zu reden. Oft können Bücher für Büchertische geliehen und bestellt werden. Die Buchläden haben damit mehr Absatz und werden bekannter und ihr habt die Möglichkeit, die Theorie zu streuen, die euch wichtig ist.
5.) demoplaner.de, linksunten.indymedia.org, direkteaktion.org/termine
6.) Vor allem Facebook ist sehr kritisch zu betrachten, da von den Betreiber*innen selbst überwacht wird, Inhalte nicht mehr völlig löschbar sind und auch eine systematische Nutzung durch diverse Geheimdienste und Repressionsorgane stattfindet, die von Facebook volle Unterstützung erfährt. Auch bei vorsichtiger Benutzung von Facebook ist es immer ein schmaler Grad zwischen Nutzung, kritischer Intervention in der Facebook-Landschaft und der Gefährdung von sich und anderen. Eine gute Zusammenfassung zur Kritik an Facebook gibt es auf Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Kritik_an_Facebook. Insbesondere um noch nicht organisierte Menschen zu erreichen, ist Facebook jedoch trotzdem ein äußerst effektives Medium und kann dafür genutzt werden, neue Menschen als Stammleser*innen für die eigenen Medien zu gewinnen.
7.)  Gemeint sind hier die sogenannten imperativen (weisungsgebundenen) Mandate. Die Vollversammlung legt dabei die genauen Kompetenzen, Freiheiten und Aufgaben eines Mandatspostens fest. Bei Verstoß gegen die gemeinsamen Beschlüsse ist die mandatierte Person jederzeit abwählbar.

Von: w.m.

Originaltext:
Gai Dao Nr. 27, März 2013 (PDF)


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