Interview mit Aktivistinnen der LAW (2009)

Am 28.08 besuchten uns 2 Genossinnen der “Libertären Aktion Winterthur (LAW)” im Rahmen ihrer Vortragsreise “Anarchafeminismus – Ein Ansatz der noch ausgearbeitet werden muss“.

Im Anschluss an den Vortrag im JUZ St.Ingbert hatten wir die Gelegenheit, in einer gemütlichen Runde den beiden einige Fragen zur politischen Situation in der Schweiz, der Arbeit ihrer Gruppe, sowie natürlich auch inhaltliche Fragen zu ihrem Vortrag zu stellen. Auch wenn das Ganze ein wenig verspätet erscheint, wollen wir euch dieses ziemlich interessante Interview nicht vorenthalten, liefert es doch einen Einblick in die schweizer Verhältnisse, den mensch ansonsten schwer bekommt.

Oxana Jakowa und Juanita Martinez kommen beide aus Winterthur in der Schweiz und sind dort aktiv in der Libertären Aktion Winterthur (LAW). Diese Gruppe existiert seit 2004 und versteht sich selbst als „anarchistisches Netzwerk, welches von allen Menschen genutzt werden kann [und] versucht, Menschen mit verschiedensten antiautoritären und antistaatlichen Ansätzen zu erreichen.“ Die Gruppe setzt sich aus verschiedenen Aktionsgruppen zusammen. So gibt es bpsw. eine Bibliotheks- oder Filmgruppe und eben auch die AG Anarchafeminismus, in deren Namen die beiden Referentinnen auf ihrer, rund 2-wöchigen, Vortragsreise quer durch Deutschland unterwegs waren. Wir hatten die Chance ihren Vortrag zu besuchen und den beiden am Folgetag noch einige Fragen zu stellen bevor sie ihre Reise nach Duisburg fortsetzten.


F: Bei uns hört man doch recht wenig über politische Aktionen / Gruppen etc. aus der Schweiz und wenn, dann höchstens einmal aus Bern oder Zürich, aber z.B aus Winterthur ist – zumindest mir – so gar nichts bekannt; von der anarchistischen Buchmesse einmal abgesehen. Wie steht es um die politische Szene in Winterthur, welche Gruppen gibt es, wie sind diese lokal und überregional vernetzt usw.?

A: Winterthur hat eine lange politische Tradition, denn es ist eine Arbeiter- und Industriestadt. In den 80er Jahren ist die ganze Schwerindustrie größtenteils pleite gegangen, folglich gab es viele Arbeitslose und auch breiten Widerstand. Das „Zürich brennt“ und das Zeug was ihr bei euch vielleicht kennt, gab es in Winterthur ebenfalls, wie auch sog. „Terroranschläge“. In den 90er Jahren entstand der Infoladen, den es auch heute noch gibt, sowie eine recht starke Antifagruppe, und dass obwohl Winterthur wenig Probleme mit Faschos hatte. Im Jahr 2003/2004, nach dem Irak Krieg und den darauffolgenden Protestaktionen, entstand eine neue Generation. Es gab einige größere Aktionen. Eine der ersten war die Besetzung des „Sulzer Hochhauses“, dem Wahrzeichen von Winterthur. Daraufhin folgten mehrere Hausbesetzungen. Winterthur hat sowieso eine recht starke Hausbesetzer Szene, welche besonders in der Deutschschweiz sehr bekannt ist. An Gruppen gab es die „Alternativ Revolutionären Kräfte“, was so der erste Versuch war wieder eine Gruppe zu bilden. Die politische Ausrichtung der einzelnen Mitglieder spielte dabei erstmal keine größere Rolle. Ziel war es nämlich Anarchos, Kommis, Punker oder Hippies in einer Gruppe zu vereinen. Nach ihrer Auflösung entstand – aus dem anarchistischen Teil – die „Libertäre Aktion Winterthur“. Sie wurde 2004 gegründet. Des weiteren gab es dann die „MarxistInnen Winterthur“, welche sich jedoch später spalteten und heute gibt es die Trotzkisten – mit welchen wir uns überhaupt nicht gut verstehen *lacht* – die haben sich in der Juso eingenistet, der Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz sowie in der „Unia-Jugend“. Unia ist die größte Gewerkschaft in der Schweiz. Ein weiterer Teil schloss sich der Sektion „Revolutionären Aufbau“ in Winterthur an.


F: Wie ist das bei euch in der Schweiz mit rechtsradikalen / rechtsextremen Parteien? Bei uns in Deutschland ist bspw. die NPD sowie außerpalarmentarische Kräfte, freie Kameradschaften etc. in einigen Teilen des Landes recht stark. Wie ist das bei euch, also mit Konservativen und rechtsextremen Parteien?

A: Bei uns gibt es die „PNOS“, die Partei National Orientierter Schweizer. Sie ist vergleichbar mit der NPD in Deutschland. In der Naziszene in der Schweiz ist sie sehr umstritten und ist eigentlich auch etwas gespalten so zwischen der Partei, die schon viele Anhänger hat und den außerpalarmentarischen Gruppen. Letztere wollen nichts mit der PNOS zu tun haben. In der Schweiz gibt es, außerhalb der Städte in (größeren) ländlicheren Regionen, in denen von linker Seite her nicht viel passiert sehr viel Faschoaktivitäten. Es gibt viele Regionen die einfach bekannt dafür sind. Es enstehen immer wieder Kameradschaften, im Kanton Zürich, der Bezirk indem auch Winterthur liegt. So gab es den „Wyland Sturm“, welcher sich irgendwann auflöste, sowie die Hardturm Front in Zurüch. Wie gesagt in unserem Kanton gibt es keine PNOS, das ist eher so in der Region Bern der Fall. Aufgrund der starken Antifa in den 90er Jahren ist die Stadt Winterthur größtenteils Nazifrei. Die Nazis haben sich folglich aufs Umland konzentriert und wenn es zu Übergriffen auf ihre Leute kommt, dann mobilisieren sie einfach die Nazis von Deutschland und Österreich – am Bodensee ist ja auch das Dreiländereck und das hat dann schon eine andere Qualität. Also z.B in Bern kennen wir das nicht, das Nazis aus Deutschland oder Österreich in die Schweiz kommen um Aktionen zu durchzuführen. Dann gibt es noch die nationalen Gedenk- und Feiertage, beispielsweise die „Schlacht von Sempach“ oder der 1. August, der Nationalfeiertag. Hier gibt es dann schon regelmäßig Naziaufmärsche, was auch in den letzten Jahren zugenommen hat. Aber das sind dann meistens auch nur kleine Demos, mit so zwischen 30 und 60 TeilnehmerInnen.


F: Wie sieht das von staatlicher Seite bei euch aus in Bezug auf Repressionen, Überwachung, Polizeiübergriffe auf politische Aktionen, Demos, Projekte. Das ist in Deutschland bspw. in Berlin ziemlich extrem, wo derzeit mehrere Hausprojekte räumungsbedroht sind, oder in Erfurt wo vor kurzem ein ziemlich großes Hausprojekt geräumt wurde etc. Wie tolerant ist der Staat bei euch gegenüber libertären oder anarchistischen Projekten und Aktionen?

A: Wir, als Gruppe, hatten eigentlich noch nie Probleme mit der Polizei. Ich denke auch die Überwachung von linksextremen oder der radikalen Linken hat in der Schweiz schon eine andere Qualität als in Deutschland. Bei uns gibt es zum Beispiel nicht den Artikel 129a. Dafür halt ähnliche Dinge und es gibt die politische Polizei sowie den Staatsschutz, bei welchen es in den letzten 150 Jahren immer wieder zu Skandalen aufgrund ihrer Vorgehensweise kam. Es gab z.B die „Fischn Affäre“ in den 80er Jahren, da wurden 900.000 Schweizer – man bedenkt das die Schweiz 7,5 Millionen Einwohner hat – registriert, ganz nach dem Motto: Sie sind an dem Tag hier und dort gewesen und haben diesen und jenen getroffen und kennen den und den. Das war nichts offizielles und kam schließlich doch ans Licht. Im Eindefekt ein riesiger Skandal. Heute ist die Bevölkerung nicht mehr darauf sensibilisiert, es gibt im Kanton Zürich die „Polis Datenbank“, das ist eine zentrale Datenbank, in der alle „ExtremistInnen“ gespeichert werden. Außerdem gibt es die „HOOGAN“, die so genannte Hooligan Datei. Es wurden sogar u.a. im Zusammenhang mit der EM 2008 Hooligan Gesetzte eingeführt, welche sich auch wirklich so nennen. In der Schweiz braucht man immer eine Volksabstimmung, oder halt die Möglichkeit ein Referendum zu machen und dann zu einer Volksabstimmung zu gehen. Mit dem Schlagwort Hooligan konnten natürlich viele Leute mobilisieren werden, welche dann für das Gesetz stimmten. Für uns ist jedoch klar, dass das eigentliche Ziel dieses Gesetzes auch ist, Linksradikale oder Autonome zu registrieren und gegen sie vorzugehen. Auch bei uns gibt es nämlich große Diskussionen über Internetüberwachung bzw. Vorratsdatenspeicherung. Vor kurzem kam erst raus das sie jetzt von staatlicher Seite her die Telekommunikationsunternehmen zwingen innerhalb eines Jahres ihre Technik so aufrüsten, dass eine Echtzeitüberwachung möglich wäre. Das kam auch größer in den Medien. Es gibt auch Gruppen die ständig vom Staatsschutz überwacht werden, z.B der „Revolutionäre Aufbau Schweiz“. Wenn von denen Leute verhaftet werden, schaltet sich recht oft direkt die Bundesanwaltschaft ein. Ja und von der Geschichte her ist es schon ziemlich krass mit der Überwachung gegen Linke oder auch gegen Flüchtlinge. Aber was die Hausbesetzungen betrifft ist es schon anders als in Deutschland, hier gibt es so keine Häuserkämpfe in direkter Konfrontation mit der Polizei. Gesetzlich ist es bei uns so, dass die Polizei ein Haus nicht räumen darf, sofern der Besitzer keine Anzeige (mit Unterschrift) gestellt hat. In Winterthur kam es vor 2 Jahren auch schon zu Hausbesetzerprozessen, bei welchen die Leute freigesprochen wurden, weil auf der Anzeige eine falsche Unterschrift war. Und die Bullen können eben ohne diese Anzeige die Häuser nicht räumen. Ich denke auch weil die Schweiz eben so viel kleiner ist als Deutschland, können sich die Bullen nicht allzu viele illegale Aktionen erlauben, weil es hier eben viel schneller an die Öffentlichkeit kommt.


F: Wie ist eure politische Arbeit denn gesellschaftlich akzeptiert? Gibt es da Überschneidungen mit bürgerlichen Parteien oder Gruppierungen? Habt ihr irgendeine Basis in bürgerlichen Kreisen? Habt ihr schon Reaktionen auf gewisse Aktionen eurerseits erfahren?

A: Wir versuchen eigentlich schon auch andere Leute zu erreichen. Wir haben zum Beispiel jedes Jahr im Februar die „Anarchietage“, welche in Winterthur auch schon einen Namen haben. Normale Tageszeitungen berichten davon. Wir versuchen hier auch die normal-bürgerlichen Leute, wenn man sie so nennen kann, anzusprechen und auch für unsere Veranstaltungen zu mobilisieren, was wir in ein paar Fällen auch schon geschafft haben. Es sind auch schon Leute gekommen, die wir zuvor nie gesehen haben. Größtenteils ist es jedoch eben wie in anderen Orten auch, so ein kleiner „Szenenkuchen“ halt. Und mit anderen Gruppen in Winterthur gibt es, sofern es um revolutionäre Bündnisse oder 1. Mai Geschichten geht eine Zusammenarbeit. Schweizweit gibt es auch Kampagnen mit mehreren anarchistischen Organisationen. Wir selbst sind da jedoch sehr vorsichtig mit wem wir zusammen arbeiten. Wir arbeiten zum Beispiel nicht mit stalinistischen Gruppen oder mit PKK, oder MLKP, die in Zürich ziemlich stark sind, zusammen. Und auch ganz klar nicht mit Parteien, mit Gewerkschaften eher weniger, da wir nicht so auf dem „Syndikalistischen-Trip“ sind.


F: Wie ist es in Winterthur mit Subkulturen? In Deutschland rekrutiert sich die politische Szene ziemlich stark aus Subkulturen, viele Leute kommen aus oder bewegen sich noch in bspw. der Punk- oder Crustszene. Wie setzt sich das bei euch zusammen? Wie ist das zum Beispiel in eurer Gruppe?

A: Was die Politisierung der Jugendlichen betrifft, kommen die meisten Leute bei uns ursprünglich aus der Punk Szene. In Deutschland ist ja die Antifa-Bewegung ziemlich stark. Diese Pop-Antifa Kultur gibt es in der Schweiz so jedoch so gar nicht. Ein weiterer großer Teil kommt bei uns auch aus der Hausbesetzerszene. Ich denke Subkultur ist auch hier ein wichtiger Faktor. Es gibt halt die Punkszene und auch eine Crust- und HC Szene. Auch Hip Hop als Subkultur ist in letzter Zeit immer wichtiger geworden. Bei der LAW war es schon immer sehr breit gefächert was Subkulturen betrifft. Da kamen die Leute schon aus dem Grund, weil wir früher die einzigste anarchistische Gruppe in der Region waren. Es kamen viele Leute die einfach die Schnauze voll hatten von den sog. Stalos. Zürich ist ja eigentlich schon eine kommunistische Hochburg und die kamen dann einfach zu uns und das war schon recht breit. Früher hatten wir auch ein besetztes Haus: mit Hunden, Bar und einer Bibliothek, Sitzungsraum und vielem mehr. ‘Es gab dort dann immer Sitzungen in dem hinteren Raum, zeitgleich mit der Öffnung der Bar und so hat es eben viele Leute gegeben, die kamen und einfach mal geschaut haben. Viele Leute die jetzt aktiv sind, sind auf diesem Wege zur LAW gekommen. Also schon eher aus der subkulturellen Szene, der Hausbesetzerszene eben. Winterthur ist ja sowieso eine, wenn man das so sagen kann, „Hausbesetzer Stadt“.


F: Du hast ja eben kurz das Verhältnis zu kommunistischen Gruppierungen angesprochen. Bei uns ist das auch recht verbreitet, wobei hier die meisten Konflikte eher zwischen antideutschen und libertären Gruppen bestehen. Wie ist das bei euch mit antideutschen Gruppierungen und eben auch kommunistischen Gruppierungen? Gibt es da Überschneidungen und Zusammenarbeit?

A: Also bei uns gab es eine Phase in der die „Antideutsche Diskussion“ in die Schweiz rübergeschwappt ist. Viele Leute haben sich dann auch damit auseinandergesetzt, wobei diese Diskussion dann auch recht schnell wieder vorbei war. Es gibt also in der Schweiz keine Gruppen die sich als Antideutsch bezeichnen. Was es gibt sind einzelne Personen die so ein wenig israelsolidarisch sind. Die kennt man und belächelt sie auch ein wenig. Das hat alles keine Hand und keinen Fuß gefasst. Was aber an den antideutschen Diskussionen wichtig war, hab ich auch bemerkt, das war die Diskussion über Marxismus, die daraufhin angeheizt wurde und es bildeten sich daraufhin auch Gruppen wie zum Beispiel die „Eiszeit“ aus Zürich. Die sind ziemlich korrekt drauf. Das sind so antiautoritäre MarxistInnen und die bilden dann in Zürich schon etwas einzigartiges, da Zürich ja schon eine traditionelle Kommunisten-Hochburg ist, gemeint sind Marxisten-Leninisten und eben auch türkische Gruppen und Parteien. Der Revolutionäre Aufbau ist auch ganz klar antiimperialistisch eingestellt und die sind in der Schweiz auch sehr dominant. Wenn es hier antideutsche Gruppen gegeben hätte wäre es ziemlich schnell zu Konflikten gekommen. Wie gesagt die wirkliche Basis war einfach nicht da. Bei anarchistischen Gruppen ist das halt insofern kein Thema, weil wir ganz einfach gesagt gegen Nationalstaaten sind. Da fallen Antideutsche und Antiimps halt meistens raus. Wir sind schon offen gegenüber gemäßigteren Leuten, aber es ist kein sonderlich großes Thema.


F: Also ihr seit ja jetzt schon ein paar Tage auf Vortragsreise zu dem Thema Anarchafeminismus und ganz vorneweg eine blöde Frage: Was ist das? Wie seid ihr auf das Thema gekommen, wieso habt ihr euch damit beschäftigt?

A: Ganz blöd erzählt ist eben schwierig, weil die Leute sich dann schon fragen müssten was ist eigentlich Anarchismus und was ist Feminismus. Anarchafeminismus ist eigentlich nichts anderes als die Verbindung von Anarchismus und Feminismus. Es gibt im Feminismus eben auch Strömungen, die nicht wirklich vereinbar sind mit dem Anarchismus und das ist eigentlich so das Ziel des Anarchafeminismus, hier die Synthese zu schaffen. Ein fixes Theoriekonstrukt dazu gibt es nicht. Die Diskussionen dazu sind eigentlich schon vor über 20 Jahren zu Ende gegangen. Ich selbst befasse mich schon länger mit feministischen Ansätzen und für mich als Anarchistin war es eben schon wichtig zu sehen, wo es da Parallelen gibt und daher war es für mich auch spannend nachzuforschen, was es über Anarchafeminismus gibt. Wie ist der Stand der Diskussion und wie wir im Vortrag auch sagen geht das bis in die 80er zurück. Es gibt auch gar keine bis fast gar keine anarchafeministischen Gruppen im deutschsprachigen Raum. Es gibt seit neuem eine Zeitung und eine Gruppe aus Berlin die heißt „Erinyen“ oder so ähnlich. Es ist halt schwierig in kurzen Worten zu sagen was Anarchafeminismus genau ist aber einfach gesagt ist es wirklich der Versuch anarchistische mit feministischen Ansätzen zu verbinden. Ich persönlich verstehe den Anarchafeminismus auch als Forderung an die anarchistische Bewegung, in der doch mehrheitlich Männer sich bewegen. Halt die Forderung an die Bewegung sich mit dem Thema Sexismus und den daraus resultierenden Unterdrückungsverhältnissen auseinanderzusetzen und nicht nur mit wirtschaftlichen oder staatlich-rassistischen Unterdrückungsverhältnissen.


F: Also denkst du das das bisher in der anarchistischen Szene zu wenig geschehen ist? Also konkret sexistische Zustände zu benennen zu analysieren und zu kritisieren.

A: Ich denke eines der Probleme, was man auch ganz stark an der Sexismus-Debatte erkennt, ist das zu viele Anarchistinnen und Anarchisten, wenn ich da Kritik üben darf, das Gefühl haben Anarchismus heißt per se gegen Unterdrückungsverhältnisse zu sein, und da gehört der Sexismus sowieso mit rein. Mit dieser Haltung wird dann eigentlich vorweggenommen, dass mensch sich mit einer genauen Analyse auseinandersetzt. Und ich finde gerade in der heutigen Zeit, wo Frauenbewegungen und Gruppen nicht mehr so aktuell sind wie in den 70er und 80er Jahren, in denen es eben noch die autonome Frauenbewegung gab, schon wichtig auch auf diese Dinge aufmerksam zu machen und zu analysieren. Verändert hat sich nämlich was das betrifft in der heutigen Gesellschaft nicht viel seit den 80er Jahren. Das einzigste was sich verändert hat, ist das viele junge Menschen das Gefühl haben es würde sie nicht betreffen. Sie fühlen sich nicht sexuell unterdrückt und sehen sich somit auch nicht gezwungen sich damit auseinandersetzen.


F: Ihr seit ja jetzt schon ein paar Tage auf Tour gewesen also St. Ingbert war ja der 4. Ort wo ihr einen Vortrag gehalten habt. Wie war da so die Reaktion auf den Vortrag, wie war das Publikum zusammengesetzt, wie war die anschließende Diskussion? Habt ihr Zustimmung erfahren oder sahen das viele Leute ganz anders?

A: Das Publikum war jetzt bei den ersten 4 Tagen schon krass unterschiedlich. Im Haus Mainusch in Mainz waren es hauptsächlich Wagenplätzler, Studenten, Frauen die im Frauenreferat an der Uni organisiert sind und auch ein paar Antifas. In München waren eigentlich alle über 40 und auch seit den 70er und 80er aktiv und haben halt schon viele feministische Ansätze durchgekaut. In Mannheim waren die meisten aktiv bzw. aus dem Umfeld der anarchistischen Gruppe Mannheim und in St. Ingbert waren ja auch die meisten aus dem anarchistischen Umfeld. Da sieht man schon Unterschiede. Was es bis jetzt immer gegeben hat waren Einzelpersonen, so Marxisten oder Antifas die das Ganze schon kritisiert haben und das ganze auf die marxistische Schiene leiten wollten. Von den Diskussionen sonst waren für mich die in Mannheim und St. Ingbert am coolsten und intensivsten, aber ich denke das liegt auch daran das das Publikum hauptsächlich anarchistisch war. In München bei den Frauen aus der autonomen Frauenbewegung gab es halt keine großen Diskussionen, weil für die war das auch eigentlich nichts Neues. In Mainz gab es so keine große Diskussion. Wahrscheinlich haben wir da das Publikum einfach mit der Judith Butler am Schluss erschlagen. *lacht* Ne, aber das Publikum ist schon unterschiedlich gewesen. Der Vortrag wurde eben ursprünglich für ein anarchistisches Publikum konzipiert und ich denke schon das da das größte Diskussionspotenzial liegt.


F: Dann zum Abschluss. Was würdet ihr euch für die Zukunft wünschen, wie sollte weiter mit diesem Themenkomplex Anarchismus, Feminismus und Sexismus umgegangen werden. In der explizit anarchistischen Szene in der weitergefassten politische Szene aber auch der Versuch das in die normal bürgerliche Gesellschaft zu tragen?

A: Ich hoffe schon, das der Feminismus in Zukunft wieder stärker wird, das er wieder ein Thema wird, weil momentan ist es um ihn wirklich tote Hose. Nicht nur bei den Anarchisten sondern auch sonst. Und für den Anarchafeminismus wünsche ich mir, dass auch die anarchistische Bewegung sich mit diesem Unterdrückungsverhältnis auseinandersetzt, und sich nicht nur auf wirtschaftliche Themen konzentriert. Der Vortrag heißt ja auch „ein Ansatz der noch ausgearbeitet werden muss“ und da ist halt auch schon die Frage: Macht es Sinn? Braucht es überhaupt einen Anarchafeminismus? Ich persönlich lese eigentlich hauptsächlich andere feministische Literatur und die bringen mir auch viel mehr, weil es im Anarchafeminismus nicht viel gibt. Das wäre ein Punkt wo noch mehr kommen könnte. Auch das sich die Diskussionen mehr auf die globale Situation der Frau beziehen, also mit Tripple Opression und nicht nur so weißer Mittelstands- Feminismus in Europa, das fände ich ebenfalls einen wichtigen Ansatz. Und ich wünsche mir einfach auch ,dass es in der anarchistischen Szene Thema bleibt oder mehr zum Thema wird.

Originaltext:
http://antinationale.org/?p=302