Mujeres Libres - Wie treiben wir unseren Kampf richtig voran? (1977)

Mit dem Ende der Franco-Diktatur formierten sich in den 1970ern wieder Feministinnen als Mujeres Libres, als Freie Frauen. Dies ist einer ihrer Texte.

Eine echte Befreiung der Frau, und allgemeiner, die Befreiung des Individuums, kann nur möglich werden, wenn gleichzeitig die politische und ökonomische Struktur der gegenwärtigen Gesellschaft zerstört wird. An diesem Kampf müssen Männer und Frauen völlig gleichberechtigt teilnehmen, jeder nach seinen Fähigkeiten und seinen Mitteln.

Dieser gemeinsame Kampf muß in alle Bereiche des sozialen und psychischen Lebens getragen werden. Einer dieser Bereiche ist die "Lage der Frau". Hier handelt es sich nun aber nicht um einen Kampf gegen die Männer, sondern um einen Kampf gegen die politischen und geistigen Strukturen.

Der gemeinsame Kampf beider Geschlechter für die Abschaffung der ungerechten Lebensbedingungen der Frau muß auf drei Ebenen geführt werden:

Dieser letzte Punkt hängt mit dem vorhergehenden dadurch zusammen, daß unser Verhalten von diesen sozialen Normen und Einschränkungen bestimmt wird, die besonders die sexuellen Beziehungen entstellen (Machismus des Mannes, Selbstunterdrückung der Frau usw. (...).

Wir müssen anscheinend noch betonen, daß sich diese Problematik genauso auch innerhalb der revolutionären Bewegung stellt, mag sie auch antiautoritär sein. Die Probleme sind weit davon entfernt, gelöst zu sein, und es gibt oft eine klare Trennung zwischen dem "theoretischen Verhalten" und dem alltäglichen Verhalten. Wir glauben, daß die gewünschte Befreiung des Menschen auch damit beginnt, daß die Schwierigkeiten bei den Beziehungen der Menschen untereinander gelöst werden.

A. Kampf der Geschlechter oder Klassenkampf?

Wir, Männer und Frauen, sind durch die politischen und geistigen Strukturen unterdrückt, die beide Geschlechter betreffen. Man hat uns unterschiedliche Rollen spielen lassen, aber im Grunde ist keines der Geschlechter zu beneiden. Unsere Befreiung als Frauen und als Männer kann nicht ohne die Zerstörung der politischen und ökonomischen Struktur der gegenwärtigen Gesellschaft erfolgen. Unsere Bewegung kann nicht klassenkämpferisch sein; denn wir halten die Frauen nicht für eine soziale Klasse.

Wir können die gemeinsamen Probleme nicht gut lösen, wenn wir es mit einer zerstörerischen Dialektik der Konfrontation versuchen. In den Fällen, in denen die Interessen der Männer nicht mit denen der Frauen übereinstimmen und umgekehrt, müssen sich die beiden Seiten auf gleicher Ebene auseinandersetzen, so daß es weder einen Überlegenen oder Unterlegenen gibt, noch am Ende einen Sieger oder einen Besiegten. Die Auseinandersetzungen müssen, wie wir schon gesagt haben, auf einer anderen Ebene stattfinden: Wenn irgend jemand angegriffen werden muß, sind es die Männer und Frauen, die sich der Befreiung des Menschen widersetzen.

Wenn auch viele Männer die Rolle der Ausbeuter spielen und aus ihrer männlichen Natur als Väter, Ehemänner, Brüder, Polizisten und Besitzer der Frauen Vorteile ziehen, um ihre Wünsche durchzusetzen, so fügen sich auch sehr viele Frauen in ihre Rolle der Unterdrückung und Abhängigkeit und tragen dadurch mit dazu bei, daß die patriarchalische und diktatorische Familie aufrecht erhalten bleibt, wie man es in jeder Gesellschaft antreffen kann.

Wenn man für irgendetwas Vergeltung führen muß, dann nur gegen die Männer und Frauen, die gegen die Errichtung einer neuen, für alle freien Gesellschaft sind. Aber unserer Ansicht nach würde es sich dann nicht um Vergeltung handeln, sondern um die Behauptung unterschiedlicher Ausgangspunkte.

Der Mann ist nicht der Gegner der Frau, auch nicht umgekehrt. Die Angelegenheiten müssen zwischen beiden geregelt werden, Seite an Seite. Wir müssen die Beziehungen der Menschen untereinander zu verändern suchen, damit sich Männer und Frauen treffen, zusammenarbeiten und nicht wetteifern. So können sie ihre Konflikte durch neue Beziehungsformen und durch die persönliche Entwicklung beider verringern.

Wir wollen keine Gesellschaft von Frauen, sondern eine neue Gesellschaft von freien Männern und Frauen. Eine Neben-Welt zu schaffen, eine feministische Subkultur, führt zu nichts Neuem. Viele Männer gehen in eine Falle, wenn sie sich mit ihren Freunden in geschlossenen Gesellschaften treffen, in denen sie untereinander über ihre Angelegenheiten sprechen, ohne dabei Frauen zuzulassen. Diese diskriminierenden Verhaltensweisen bilden die Grundlage für viele augenblickliche Schwierigkeiten. Sie müssen verschwinden; es muß damit begonnen werden, zusammenzuarbeiten, miteinander zu sprechen und auf allen Ebenen zu kommunizieren.

B. Das männliche Modell

Die Frau wird rechtlich und sozial diskriminiert und dadurch in all ihren Rechten dem Mann offensichtlich untergeordnet. Die Lebensbedingungen der Frau und ihre fehlende Freiheit geben einige schwerwiegende und dringende Probleme auf, die mit größter Dringlichkeit gelöst werden müssen.

Aber die juristischen Normen zu verändern, darf nur ein Mittel sein, um zu unserem eigentlichen Ziel zu gelangen: die Regeln, die Verhaltensweisen, die Gebräuche, die Gewohnheiten, die sozialen Formen, die Art und Weise und die Überzeugungen der Menschen in bezug auf Mann und Frau zu verändern.

Kurz: Man muß die Rechte von Männern und Frauen ändern, damit wir alle gemeinsam wirklich gleich und frei werden können.

Die Frau darf die Rolle des Mannes nicht übernehmen, die ständig wetteifern und die Stirn bieten zu müssen bedeutet, um die Macht zu erringen oder irgendein materielles Ziel zu erreichen, und sei es auch nur das, bequem zu leben. Dieses Vorbild ist unmenschlich, sowohl für die Frau als auch für den Mann. Man muß ein besseres Leben für beide erreichen.

C. Arbeit als Emanzipation?

Wir meinen, daß die Arbeit an sich nicht die Befreiung bedeutet, sondern nur ein Teil des Problems ist. Wir glauben, daß eine wirtschaftliche Unabhängigkeit notwendig ist, um ein verantwortlicher Mensch zu werden, aber man darf nicht vergessen, daß man sich bei der Arbeit Regeln unterwerfen muß, die wir ablehnen, weil Ausbeutung und Entfremdung auch in der Arbeitswelt gegeben sind.

Die Arbeit bedeutet nicht die Befreiung von irgend jemandem, weder vom Mann noch von der Frau, und wir müssen von der entfremdeten und erschöpfenden Arbeit sprechen, die Spannungen schafft. Die Arbeitsorganisation muß verändert werden, sowohl für die Frau als auch für den Mann. Für die Frau muß gefordert werden, daß sie von keinerlei Arbeit ferngehalten wird, die sie ausüben will, daß die spezifisch weiblichen Arbeiten verschwinden und daß man ihr wirkliche Verantwortung überträgt. An dieser Stelle müssen die Frauen mit ihren Genossen kämpfen, Männer und Frauen, um die sozialen Beziehungen zu verändern.

Aber wir wollen keine Klasse von leitenden Frauen, die Betriebe müssen von den Arbeitern selbst organisiert und kontrolliert werden, von Männern und Frauen. Es ist offensichtlich, daß eine Frau anstelle eines Mannes in einer führenden, leitenden oder Geschäftsführer-Stellung nichts ändert.

D. Die politischen Parteien

Wir glauben, daß die Frau (und im allgemeinen der Mensch) über ihre eigene Zukunft entscheiden muß, über das, was ihr gefällt, was sie will, daß sie in voller Freiheit ihre Art zu leben wählen kann, ohne dabei etwas an irgend jemanden zu delegieren, der für sie denkt und entscheidet. Sie muß lernen, selbst ihr eigenes Leben zu gestalten und sich von niemandem manipulieren oder beeinflussen zu lassen. Nur sie hat das Wort und die Macht, über sich zu entscheiden. Deshalb kritisieren wir die Politische Partei als Instrument im Kampf gegen jede Art Ausbeutung.

Das Ziel einer Partei ist die "Kontrolle der politischen Macht". Die Interessen jener, die vorgeben zu vertreten, bleiben den Notwendigkeiten der einmal von den Führern für dieses Ziel entwickelten Strategien unterworfen.

In diesem Fall ist jede "feministische Abteilung" einer Partei oder jede feministische Bewegung, deren Führer einer politischen Partei angehören, dazu verdammt, den Interessen jener Partei vor denen der Frauen zu dienen, für die sie vorgeben zu kämpfen.

Wir akzeptieren keine Art Dirigismus oder Manipulation von seiten der Parteien, auch keine Kompromisse mit ihnen, es sei denn, diese sind bei einem bestimmten Kampf taktischer Art, und unser Eingreifen vollzieht sich unter völlig freien Bedingungen.

"Mujeres Libres" hat sich vorgenommen, die biologische Trennung zwischen Mann und Frau zu überwinden. Dafür ist es entscheidend, alle Frauen zu sensibilisieren, die heute in ihrer vollkommen übernommenen und akzeptierten Rolle der klaren Abhängigkeit vom Mann entfremdet sind und die sozialen Gewohnheiten zu lockern, die eine ungerechte Klassengesellschaft bestimmen.

Unsere Kräfte zu vereinen, ist das Hauptmotiv, das uns, "Mujeres Libres", bewegt, und es ist das Ziel unserer Anstrengungen.

Wir wissen, daß bei dem hier Behandelten viele Themen nicht berührt worden sind, aber wir wollen auch weiterhin unsere Einschätzungen über all diese Themen bekanntgeben und das, was daraus zu schließen ist. Das erste dieser Themen wird die Sexualität betreffen, das zweite die Ehe.

Aus: „Mujeres Libres", 2. Epoche, Nr./Juni 1977; Hier: Mary Nash: Mujeres Libres. Die freien Frauen in Spanien 1936-1978, Frauen in der Revolution, Bd. 4, Karin Kramer Verlag, Berlin 1979, S. 130-134

Originaltext: Degen, Hans-Jürgen: „Tu was du willst“. Anarchismus – Grundlagentexte zur Theorie und Praxis. Verlag Schwarzer Nachtschatten 1987. Digitalisiert von www.anarchismus.at