FAU Flensburg - Stellungnahme zur Frage des Definitionsrechtes der Frau im Falle von sexualisierter Gewalt/Vergewaltigung

Wenn eine sexuelle Gewalthandlung/ eine Vergewaltigung öffentlich gemacht wird, handelt es sich leider nur um die Spitze des Eisberges. (Siehe z.B. Frauennotrufmaterial). Statistisch gesehen hat mindestens jede fünfte Frau (nach anderen Schätzungen jede dritte) einmal in ihrem Leben derartiges erleben müssen.

Sexuelle Belästigungen und Übergriffe werden in allen Gesellschaftsschichten und auch in der radikalen Linken meistens von Frauen aus zwangsläufiger Gewöhnung hingenommen, ohne in jedem Fall thematisiert zu werden. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Rollenverhalten, mit dem Diktat der Geschlechterklischees kommt auf den Treffen der politischen Gruppen häufig zu kurz oder wird als Nebenproblem abgetan. Oder es wird nicht für nötig befunden,weil viele linke Männer denken, dass die bloße Aussage, gegen Sexismus zu sein, sie von der Aufgabe, eine Auseinandersetzung zu führen, entbindet.

Das Definitionsrecht

Wagt es eine Frau, eine ihr angetane Vergewaltigung öffentlich zu machen, wird ihr oft nicht die erhoffte Solidarität und Betroffenheit zuteil. Ihr wird nicht geglaubt, sondern sie soll glaubhaft machen, ob denn wirklich eine solche Tat stattfand. Ihr wird das Recht und die Macht abgesprochen, die am eigenen Körper erfahrene Grenzverletzung und Gewalthandlung bezeichnen d.h.definieren zu können.

Wie soll nach Meinung derjenigen, die sich gegen das Definitionsrecht der Frau aussprechen, vorgegangen werden? Mittels einer Beweisaufnahme (wie bei den Bullen oder vor Gericht)? Einer psychologischen Einschätzung der betroffenen Person und des Täters? Wie soll "die Wahrheit" herausgefunden werden? Wer wagt es, hier ein Urteil fällen? Auch nur mit dem Täter reden zu wollen, um "sich eine eigene Meinung bilden zu können" hebelt das Definitionsrecht aus.

Uns ist bewußt, dass das Definitionsrecht nicht perfekt ist und keinen Schutz vor Falschanklagen bietet. Trotzdem ist es das Beste, was wir haben, allgemein im Umgang mit sexualisierter Gewalt/Vergewaltigungen und insbesondere zum Schutz des Opfers, und muß dementsprechend verteidigt werden.

Wenn der betroffenen Person bzw. der Frau nicht das Definitionsrecht zugestanden wird, d.h. über ihren Körper frei bestimmen zu können (was hieße,dem Selbstbestimmungrecht der Frau zu widersprechen, dessen logische Verlängerung das Definitionsrecht ist) und ebenso Grenzverletzungen benennen zu können, ohne sich rechtfertigen zu müssen, bleibt nur noch das Kreuzverhör. Wer einer betroffenen Person dieses antut, lädt den wiederholten Mißbrauch und die Schuld am Schweigen der Opfer auf sich.

"Es ist notwendig, sich mit den Geschehnissen und ihrer Wahrnehmung auseinanderzusetzen, das an sich mindert die Parteinahme nicht". ... " Die Idee einer Machtposition von Frauen, Sanktionen durchzuführen, schreckt viele. Beides, Umgang mit Opfer und Täter, hat aber nur bedingt miteinander zu tun. Es ist Unsinn, einer Frau die Kompetenz ein eigenes Erlebnis treffend zu definieren, abzusprechen, nur weil mensch einen schematischen Strafkatalog im Kopf hat, sodass aus der jeweiligen Definition zwangsläufig Sanktion XY folgen muß" (Aus: Definitionsmacht: schwergeMacht von der Gruppe Mamba).

Die Frage der Konsequenzen ist zu trennen von der Frage, ob ein Definitionsrecht zugestanden wird. Die Benennung eines sexuellen Übergriffes/sexualisierter Gewalt/Vergewaltigung und die Parteinahme für die betroffene Person beinhaltet nicht automatisch, ganz bestimmte Sanktionen zu verhängen. Doch auch hier gilt: Die betroffene Person bestimmt, was sie will und was sie nicht will. Weder ist es Angelegenheit von Männern, sich zu selbstlegitimierten Rächern aufzuschwingen und den Vergewaltiger zu verprügeln, (und dabei ihr eigenes Mackertum deutlich unter Beweis zu stellen), wenn dies nicht gewollt ist, noch sollten sie aus Männersolidarität heraus dem Vergewaltiger glauben und die betroffene Frau als Verleumderin darstellen, was selbstverständlich auch nicht von Frauen -aus was für Motiven auch immer- getan werden sollte.

Wer nicht Vetrauensperson der Betroffenen ist und genau weiß, was deren Wille ist, hat ohnehin nichts "Schlimmes" zu tun, außer ein Hausverbot für den Vergewaltiger vor allem aus Gründen des Opferschutzes mittragen zu helfen oder zumindest nicht für den ausgeschlossenen Vergewaltiger in die Bresche zu springen.

Die Angst vieler Männer vor einer hysterischen Hetzkampagne einer Frau ohne jeden Anlaß ist weniger Ausdruck der Realität (lt.Frauennotruf werden die meisten Vergewaltigungen aus Angst oder Scham nicht öffentlich gemacht) sondern ihres eigenen männlich-chauvinistischen Frauenbildes.

Die Forderung an die Männer ist folgende: Weder abnicken und blinder Gehorsam noch Rächer spielen ist gefragt, sondern sich des Themas annehmen, was auch bedeutet, die eigenen sexistischen Anteile zu erkennen und zu bekämpfen, die nahezu zwangsläufig durch die Sozialisation in einer männerdominierten patriarchalischen Gesellschaft erworben werden.

Da leider auch Frauen nicht die besseren Menschen sind, häufig auf ihre Art den Inhalten einer patriarchalischen Gesellschaft Vorschub leisten und sich ebenso einige finden, die sich gegen das Definitionsrecht aussprechen, gilt der Aufruf zur Solidarität mit der betroffenen Person auch ihnen.

Für uns gehört die Beschäftigung mit Sexismus und patriarchalen Strukturen zur Herrschaftskritik, die Grundvoraussetzung einer libertären Linken ist. Wer sich damit nicht auseinandersetzt, darf nicht den Anspruch haben, in umfassender Weise Herrschaftskritik zu üben.

April 2006

Originaltext: http://antisexismus.org/texte/FAUstellungnahme.html