Alexander Berkman (1870-1936)

Der 1870 im russisch-litauischen Wilna geborene Alexander Berkman mußte wegen „revolutionärer Umtriebe“ vorzeitig die Schule verlassen und wanderte im Alter von sechzehn Jahren nach den Vereinigten Staaten aus. Dort stieß er zur anarchistischen Bewegung, zu deren einflußreichsten Wortführern zu dieser Zeit der aus Deutschland stammende Johann Most gehörte.

Berkman kam in ein von schweren Arbeitskämpfen erschüttertes Land. Die Brutalität der „Ordnungskräfte“ wurde von anarchistischer Seite mit der unverhüllten Aufforderung zur revolutionären Gewalt und mit individuellem Terror beantwortet. Einen blutigen Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen, als im Sommer 1892 anläßlich des großen Stahlarbeiterstreiks gegen Carnegie in Homestead/Pennsylvania Militär gegen die Streikenden eingesetzt wurde und elf Arbeiter den Tod fanden. Empört über diese Gewalttat versuchte Berkman am 22. Juli 1892, Henry Clay Frick, den „Chairman of the Boards of Managers“ der Carnegie Steel Co. und Geschäftspartner des verhaßten Andrew Carnegie, zu erschießen. Der Anschlag mißlang, und Berkman wurde zu zweiundzwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. - Die allgemeine Stimmung im Lande nach diesem aufsehenerregenden Attentat machte einmal mehr deutlich, daß die anarchistische „Propaganda der Tat“ wie ein Bumerang wirkte. Jede Aktion eines einzelnen wurde der anarchistischen Bewegung zur Last gelegt; weit davon entfernt, zur revolutionären Mobilisierung der Massen zu führen, brachte sie vielmehr Anarchismus und Anarchisten generell in der aufgeschreckten und (von der anti-anarchistischen Propaganda) aufgehetzten Öffentlichkeit stets aufs neue in Mißkredit.

Nach vierzehnjähriger Haft - über die er in seinen „Gefängnis-Memoiren eines Anarchisten“ berichtet hat - wurde Berkman entlassen. Er setzte seine Tätigkeit als Propagandist des revolutionären Anarchismus nun vor allem in enger Zusammenarbeit mit Emma Goldman fort, mit der zusammen er während des Weltkrieges in den USA eine große antimilitaristische Kampagne organisierte. Als er deswegen zu zwei Jahren Gefängnis, einer hohen Geldstrafe und anschließender Ausweisung aus den Vereinigten Staaten verurteilt wurde, kam es in Petrograd und Kronstadt zu heftigen Protestdemonstrationen revolutionärer Arbeiter und Seeleute und der amerikanische Botschafter in Rußland wurde persönlich bedroht.

Ende Dezember 1919 nach Rußland zurückgekehrt, mußte Berkman schnell erkennen, daß von der erhofften Emanzipation der Massen dort keine Rede sein konnte. Sein Tagebuch 1920-22, das 1925 in New York unter dem Titel „The Bolshevik Myth“ erschien, ist eine der authentischen Schilderungen der russischen Entwicklung in diesen Jahren. Während des Aufstandes von Kronstadt hielten sich Berkman und Emma Goldman in Petrograd auf. Am 5. März 1921 richteten sie (zusammen mit Perkus und Petrovsky) einen eindringlichen Appell an Sinowjew, als Vorsitzenden des Petrograder Sowjets, in dem sie vor den verhängnisvollen Folgen eines gewaltsamen Vorgehens gegen Kronstadt warnten und Verhandlungen zwischen der Regierung und den Aufständischen vorschlugen: „Der Gebrauch von Gewalt seitens der Arbeiter- und Bauernregierung gegen Arbeiter und Seeleute wird eine demoralisierende Wirkung auf die internationale revolutionäre Bewegung haben und zu unermeßlichem Schaden für die soziale Revolution führen.“

Ende 1922 verließ Berkman die Sowjetunion wieder. Seit 1923 lebte er in Frankreich. Von schweren Depressionen heimgesucht, hat er sich am 28. Juni 1936 in Paris erschossen. Zu seinen bekanntesten Publikationen gehört das „ABC of Anarchism“, das zuerst 1929 in New York unter dem Titel „What is Communist Anarchism?“ erschien und wiederholt nachgedruckt wurde.

Aus: Achim v. Borries / Ingeborg Brandies: Anarchismus. Theorie, Kritik, Utopie. Joseph Melzer Verlag, Frankfurt 1970

Mit freundlicher Erlaubnis des Abraham Melzer Verlag´s

Gescannt von anarchismus.at (eine auf das Buch von Borries / Brandis bezogene Fußnote wurde entfernt)