Arthur Müller Lehning - Die IAA und der Kampf gegen Militarismus und Krieg (1932)

1.

Der internationale Zusammenschluss der Arbeitermassen hätte nur wenig zu bedeuten, wenn er nicht die selbstverständliche Voraussetzung enthielte, dass die gemeinsamen internationalen Interessen des Proletariats schwerer wiegen als die gemeinsamen Interessen des Proletariats mit der Bourgeoisie innerhalb eines staatlichen Verbandes.

Als die erste Internationale 1864 den ersten grossen Versuch machte, die Arbeiter aller Länder auf ökonomischer Grundlage zu vereinigen zur Befreiung der Arbeit, da erklärte sie, dass diese Befreiung kein nationales, sondern ein internationales Problem sei.

Aus dieser Auffassung ging eine klare Haltung gegen den Krieg und gegen den Militarismus hervor. Auf dem 2. Kongress der Internationalen Arbeiter-Association 1868 in Brüssel fasste sie die berühmte, von Cäsar de Paepe vorgeschlagene Resolution, in der der Krieg zu einem Bruderkrieg von Produzenten erklärt und im Kriegsfalle das Mittel des Generalstreiks empfohlen wird.

Es ist besonders Bakunin gewesen, der am schärfsten erkannt hat, dass man den Krieg nicht bekämpfen kann, ohne den Staat zu bekämpfen, und dass die Vernichtung des Staates genau so die Vorbedingung ist für den Frieden wie für die soziale Befreiung. denn der Staat ist die permanente Unterdrückung nach innen und der permanente Krieg nach aussen.

Wo die Arbeiterbewegung den Weg des ökonomischen Kampfes und der direkten Aktion verlassen hat und an ihre Stelle die politische Partei und deren Ziel: die Eroberung der Staatsmacht getreten ist, konnte sie auch den Krieg nicht mehr wesentlich bekämpfen, denn wenn man den Staat will, muss man den nationalen Staat wollen, und mit dem Staat hat man den Nationalismus und den Militarismus und den Krieg.

Die mechanisch-fatalistische Auffassung des Marxismus, dass der Kapitalismus sich notwendigerweise zum Sozialismus entwickeln würde, wirkte sich auch katastrophal auf dem Gebiete der Kriegsbekämpfung aus. Welche Folge diese Einstellung hatte, dass der Militarismus "von selbst" verschwinden würde, zeigte der August 1914, als es sich herausstellte, dass der Sozialismus auf dem Wege zur Eroberung des Staates inzwischen vom bürgerlichen Staate erobert war. Die Sozialdemokratie aller Länder liess "in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich" und schloss den blutigen Burgfrieden mit dem Todfeind der Arbeiterklasse.

Nach dem Kriege zeigte es sich, dass die Sozialdemokratie nichts gelernt und nichts vergessen hatte. Der instinktive Protestschrei von Millionen gegen das blutige Morden: "Nie wieder Krieg" wurde bald durch die Parteilosungen und durch die erneute Losung des Verteidigungskrieges ersetzt. In Arbeiter- und Koalitionsregierungen organisierte die Sozialdemokratie die neuen Kriegsvorbereitungen und verstärkte in allen Ländern den militaristischen Apparat des kapitalistischen Staates. Die Antwort auf die Frage, was von dieser Partei zu erwarten ist, wenn morgen ein neuer Krieg ausbrechen würde, erübrigt sich.

Der Militarismus gehört zum eisernen Bestand des Staates. Er war und ist stets eine Waffe des Kapitalismus gegen den "inneren Feind"; eines der Mittel, womit die Unterdrückung der Arbeiterklasse gehandhabt wird. Von der antistaatlichen Arbeiterbewegung ist denn auch stets der Kampf gegen die Organisation des Militarismus und gegen den Geist des Militarismus als eine unerlässliche Vorbedingung für den Kampf für eine freie Gesellschaft ohne Ausbeutung und ohne politische Unterdrückung betrachtet worden.

Auch der heutige Faschismus, der nicht nur eine nationalistische Reaktion, sondern eine wahre Konterrevolution des Militarismus darstellt, ist in seinen Wurzeln und in seinen für die Arbeiterklasse verhängnisvollen Auswirkungen gar nicht zu überwinden, ohne prinzipiell den Militarismus zu bekämpfen.

Die Syndikalistische Bewegung in allen Ländern hat darum auch stets einen rücksichtslosen Kampf gegen den Militarismus geführt. In Übereinstimmung mit einer jahrzehntelangen revolutionär-syndikalistischen Tradition und im Zusammenhang mit ihrem erstrebten Ziel: Befreiung der Arbeiterklasse von Kapital und Staat, legte die IAA mit folgenden Worten diese Auffassung in ihrer Prinzipienerklärung fest: Der revolutionäre Syndikalismus bekämpft den Militarismus in jeder Form und betrachtet die Antimilitaristische Propaganda als eine der wichtigsten Aufgaben im Kampfe gegen das herrschende System. Die Verweigerung der Persönlichkeit dem Staate gegenüber und besonders der organisierte Boykott der Arbeiter gegen die Herstellung von Heeresgerät sollte vor allem anderen ins Auge gefasst werden.

2.

Neben den nicht sehr erfolgreichen Versuchen, die im Laufe der Jahre unternommen wurden, eine anarchistische Internationale zu gründen, gab es die Bestrebungen zur Gründung einer antimilitaristischen Internationale. Sie kam auch im Jahre 1904, besonders von französischer Seite angeregt, zustande. Der holländische Anarchist Domela Nieuwenhuis setzte sich ganz für sie ein. Auf den internationalen sozialistischen Kongressen 1891 in Brüssel und 1893 in Zürich hatte er bereits auf die Notwendigkeit einer direkten Aktion gegen den Krieg hingewiesen und die konkrete Frage gestellt, was die Arbeiterklasse zu tun habe, wenn der Krieg ausbräche. Und in Übereinstimmung mit der Resolution von 1868 schlug er - bekanntlich ohne Erfolg - den Generalstreik bei Kriegsausbruch vor. Der Vorschlag wurde von den Marxisten als indiskutabel und sogar als lächerlich abgelehnt. Erst nach dem Kriege sollten sozialdemokratische Gewerkschaften die Richtigkeit dieses Gedankens, wenigstens auf dem Papier, anerkennen.

Die gegründete Internationale, die Internationale Antimilitaristische Vereinigung (IAMV) hielt noch einen zweiten Kongress 1907 ab aber sie existierte praktisch nur in Holland und kam auch nur dort zur Bedeutung. Auf dem dritten internationalen Antimilitaristen-Kongress, 1921 im Haag, wurde das Internationale Antimilitaristische Büro gegen Krieg und Reaktion (IAMB) gegründet, das jetzt nicht mehr eine Internationale von ausschliesslich antimilitaristischen Vereinigungen sein sollte, sondern alle Organisationen, die einen revolutionär-antimilitaristischen Standpunkt einnahmen, sollten auf diesem Gebiete zusammenarbeiten. So waren neben anarchistischen, antimilitaristischen, Jugend- und Frauenorganisationen auch syndikalistische Organisationen dem Büro angeschlossen.

Seit 10 Jahren hat das IAMB eine rege Propaganda für die Prinzipien des revolutionären Antimilitarismus international geführt. Es hat auf zahlreichen internationalen Kongressen seinen Standpunkt verteidigt und intervenierte und rief in zahllosen Fällen zu Protestaktionen für die verfolgten Opfer der Reaktion auf. Es bekämpfte den Pazifismus in allen seinen Formen - den Völkerbund, den Abrüstungsschwindel, den Kelloggpakt usw., sowie den Pseudo-Antimilitarismus der Sozialdemokratie - und betonte die revolutionären, sozial-ökonomischen Waffen der direkten Aktion.

Die enge Verbindung mit der IAA fand ihren organisatorischen Ausdruck in der Internationalen Antimilitaristischen Kommission (IAK), die zwecks praktischer und permanenter Zusammenarbeit auf der internationalen Konferenz der IAA im Mai 1926 in Paris gegründet wurde. Sie hat ihren Sitz in Holland und gibt einen speziellen Antimilitaristischen Pressedienst in mehreren Sprachen heraus.

3.

Die kapitalistische Welt geht einem neuen 1914 entgegen, Seit dem Ende des Krieges haben die Waffen nicht geruht. Auch die Kriegstechnik nicht. Und die Kriegsvorbereitungen nicht. Alle Versuche, den wahnsinnigen Rüstungswettkampf der Staaten auch nur zu beschränken, sind misslungen. Mit dem Scheitern der Weltabrüstungskonferenz hat die pazifistische Epoche der Nachkriegszeit ihr trauriges und definitives Ende gefunden. Denn die Regierenden aller Länder sind sich darüber einig, dass es aus dem heutigen, durch den ersten Weltkrieg hervorgerufenen wirtschaftlichen Chaos keinen anderen Ausweg gibt als neuen Krieg.

Inzwischen hat die Kriegstechnik eine Revolution durchgemacht. Der moderne Krieg ist motorisiert, der Motor ist auf dem Lande und in der Luft von überragender Bedeutung geworden; und mit dem Motor das Öl, Der Krieg ist mechanisiert, die mechanischen Kampfmittel sind von grösserer Bedeutung geworden als das Menschenmaterial, Schliesslich ist der Krieg industrialisiert : die Kriegführung ist nicht mehr abhängig allein von Pulver und Kanonenfabriken, sondern von dem gesamten Produktionsapparat eines Landes. Ohne industrielle Vorbereitung kann kein Staat den Krieg mehr führen. Auch die ganze Bevölkerung wird aktiv und passiv in den Krieg einbezogen.

Mit den neuen Kriegsmethoden hat sich auch das Kriegsziel geändert, es gilt nicht mehr, die feindliche Armee zu schlagen, sondern die militärische und technische Basis dieser Armee, die politischen und industriellen Zentren des "feindlichen" Volkes zu vernichten. Zu diesem Zwecke stehen heute bereits tausende von Flugzeugen startbereit und inzwischen wird, besonders auf diesem Gebiet, fieberhaft weiter gerüstet (während Frankreich zum Beispiel 1914 134 Flugzeuge hatte, verfügt es jetzt über etwa 3000). Der moderne Krieg ist der aero-chemische Krieg. Der Schutz der Zivilbevölkerung gegen den Luftkrieg ist unmöglich.

Dieser Wandlung der Kriegsvorbereitungen vom spezifisch militärischen aufs ökonomische Gebiet muss auch die Arbeiterklasse Rechnung tragen. Der Schwerpunkt der Kriegsbekämpfung kann nur noch auf industriellem Gebiet liegen. Nicht nur, weil dort die Kriegsvorbereitungen des Staates am besten zu treffen sind und auf dem Gebiete der Arbeit die wesentlichste Macht der Arbeiterklasse liegt, sondern auch, weil eine zweckmässige Kriegsbekämpfung nur möglich ist in Verbindung mit dem Kampf gegen den Kapitalismus überhaupt.

Die Verhinderung der Herstellung von Heeresgut, die Verweigerung von Kriegstransporten, die Kontrolle und Vorbereitung der Sabotage in den Friedensindustrien wie Farbenfabriken usw., die im Kriegsfalle sofort zur Kriegsproduktion umgewandelt werden, müssen durchgeführt werden mit Hinblick auf den organisierten Endkampf der Arbeiterklasse gegen das gesamte herrschende System, d, h. mit Hinblick auf die Eroberung der Produktionsmittel.

Wie die Tageskämpfe gegen das Unternehmertum unerlässliche Teilkämpfe sind für den Endkampf gegen den Kapitalismus, so sind die antimilitaristischen Aktionen auf industriellem Gebiet zweckmässige und notwendige Vorbereitungsaktionen zur Verhinderung des Krieges.

Denn mehr als je heisst heute die Frage: Krieg oder Revolution. Eine dritte Möglichkeit gibt es für die Arbeiterklasse nicht. Wenn sie den Krieg ablehnt, muss sie die Revolution vorbereiten, Die endgültige Besiegung des Krieges ist nur möglich durch den Sieg der Revolution.

4.

Die heutige Weltkrise ist eine ungeheure Warnung für die Arbeiterklasse der ganzen Welt. Diese Krise beweist, wie wenig der Kapitalismus imstande ist, die Wirtschaft wieder "normal" funktionieren zu lassen. Diese Krise ist ein Alarmsignal. Denn diese Krise ist erst das Vorspiel. Sie ist erst der Anfang der Krise. Die wahre Krise des Kapitalismus ist der imperialistische Krieg. Kein Völkerbund, kein Paneuropa, kein Kelloggpakt und "Nichtangriffspakt" können da helfen. Der Kapitalismus kann den Krieg ebensowenig verhindern, als er die Krise verhindern kann. Er kann den Krieg hinausschieben, um inzwischen die politischen Gruppierungen zu verändern, um neue Bündnisse zu bilden, aber schliesslich nur, um den Krieg auf breiterer Basis ausbrechen zu lassen. Die Gegensätze, die im Kapitalismus zum Kriege führen, sind unter dem Kapitalismus nicht zu lösen. Das wird zwar nicht von Pazifisten und Sozialdemokraten verstanden, aber um so mehr von den herrschenden Staatsmännern. Deshalb rüsten sie, trotz aller Friedensversicherungen, bis zum Staatsbankrott. Deshalb das Weltkriegsbudget von 20 000 Millionen Mark pro Jahr.

Die Krise unter dem Kapitalismus ist keine zufällige Erscheinung. Sie ist wie der Krieg eine gesetzmässige Folge des kapitalistischen Produktionsprozesses. Der Kapitalismus muss produzieren, um Gewinne zu produzieren. Für seine Produkte muss er Absatzgebiete finden. Die imperialistische Phase des Kapitalismus und eine der Hauptursachen des ersten Weltkrieges war der Kampf um noch nicht erschlossene Gebiete zum Absatz von Waren und von Kapital. Aber der Kampf um Kolonien ist durch den Weltkrieg und seit dem Weltkrieg mehr oder weniger zu Ende. Die Welt ist von den räuberischen Staaten aufgeteilt. Diese Aufteilung ist, wie die ganze kapitalistische Produktion, in hohem Masse chaotisch. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Staaten sind nicht geringer geworden. Das einzige grosse Gebiet, das von den Imperialisten noch nicht vollständig beherrscht wurde und noch nicht ganz dem Kapitalismus erschlossen war - China - ist denn auch das Gebiet des heftigsten Kampfes der verschiedenen imperialistischen Staaten und bereits der Schauplatz eines offenen Kolonialkrieges, trotz Völkerbund und Kelloggpakt.

Heftiger ist dieser Kampf der imperialistischen Staaten noch geworden durch das Erscheinen der sogenannten farbigen Völker auf der weltgeschichtlichen Bühne. Sie fordern ihre "nationale Unabhängigkeit", das bedeutet, dass die aufkommende Bourgeoisie in diesen Ländern die kapitalistische Ausbeutung in ihre eigene Hand nehmen will.

Die gewalttätige Unterdrückung der Kolonialvölker durch die imperialistischen Staaten bildet eine dauernde Kriegsgefahr. Diese Unterdrückung ist übrigens nur möglich durch die tatsächliche Unterstützung der imperialistischen Bourgeoisie durch das weisse Proletariat in den verschiedenen Ländern. Die Aufgabe des weissen Proletariats ist es, die Solidarität mit der Bourgeoisie zu zerbrechen und durch die direkte Aktion der Massenverweigerung von Soldaten und Matrosen, durch die organisierte industrielle Arbeitsverweigerung und Transportverhinderung jede militärische Aktion gegen die Kolonialvölker unmöglich zu machen.

Nur der gemeinsame Kampf aller unterdrückten Rassen und Klassen gegen jeden Kapitalismus und Imperialismus kann die neuen drohenden Weltkriege verhindern und jeder Unterdrückung ein Ende machen. Denn die wirkliche Befreiung der Kolonialvölker fordert nicht die nationale Unabhängigkeit und die Errichtung neuer nationaler Staaten, sondern die soziale Unabhängigkeit, die soziale Befreiung: die Aufhebung jeder Unterdrückung und Ausbeutung des arbeitenden Volkes.

Der weisse Imperialismus hat allmählich die Grenzen seiner Expansion erreicht. Das ist einer der Gründe, weshalb die heutige Krise sich von den vorherigen Krisen unterscheidet, sowohl hinsichtlich ihrer Intensität, wie durch ihren Umfang, als auch durch die Schwierigkeiten, diese Krise zu überwinden. Denn durch die Entwicklung des Kapitalismus in den kolonialen und halbkolonialen Ländern ist der Ausweg, den der Kapitalismus früher hatte, enger geworden, Wohin früher Waren gebracht wurden, werden jetzt selbst Waren produziert, nachdem man dort eine neue bestimmte Sorte von Waren - nämlich maschinelle Produktionsmittel - hingebracht hat, die Waren produzieren können. Und zwar billiger durch die masslose Ausbeutung der farbigen Arbeitskräfte, Der "ausländische" Kapitalismus wurde nicht nur aus diesen Gebieten verdrängt, sondern auch auf dem Weltmarkt durch billigere Waren bedroht.

Neue "farbige", kapitalistische Länder - Japan, China, Indien - nehmen an, der Weltwarenproduktion teil. Der internationale Konkurrenzkampf, der Kampf auf dem Weltmarkt, der Kampf um die wenigen offenen Märkte und um "Offene Türen" ist heftiger als je. Der welthistorische Widerspruch des Kapitalismus ist dieser: Je mehr die Welt durch ihn eins wird, je enger die ökonomischen Zusammenhänge zwischen Ost und West werden, desto heftiger und umfangreicher wird die Krise, desto schärfer die imperialistischen Gegensätze, desto unvermeidlicher die imperialistische Krise des Kapitalismus: der Krieg.

5.

Gegen die ungeheure drohende Gefahr eines neuen Weltgemetzels, dessen Opfer an erster Stelle aufs neue die Arbeiterklasse sein würde, ruft die IAA die Arbeiter in allen Ländern auf zu einem Kampf gegen das herrschende System. Sie ruft die Arbeiterklasse auf, den direkten Kampf gegen den Krieg und gegen die Kriegsvorbereitungen auf ökonomischem Gebiet sofort zu beginnen. Sie erklärt, dass die Arbeiterklasse in diesem Kampf von den politischen Parteien ebensowenig etwas zu erwarten hat, wie im Kampfe für ihre soziale Befreiung. Die Vorbedingung zu einem einheitlich organisierten Kampf der gesamten Arbeiterschaft ist die praktische und ideologische Loslösung von jeder politischen Partei und von den nationalen Interessen jedes Staates.

Der reformistische internationale Gewerkschaftsbund und mehrere seiner wichtigsten Berufsverbände haben wiederholt erklärt, einen Kriegsausbruch mit dem Generalstreik beantworten zu wollen. Bis jetzt hat man noch wenig von einer Vorbereitung dazu gemerkt. Und das ist erklärlich. Solange der IGB ideologisch und politisch mit einer Sozialdemokratie verbunden ist, die ja den Verteidigungskrieg bejaht und die Kriegsvorbereitungen mit organisiert, ist dies auch nicht anders möglich.

Zwischen zwei Wegen gilt es zu wählen: entweder man bereitet sich vor auf den Verteidigungskrieg, oder man bereitet die Verhinderung des Krieges um jeden Preis auf ökonomischem Gebiete vor.

Ebensowenig wie die reformistische Sozialdemokratie ist die revolutionäre Sozialdemokratie, der Bolschewismus, eine Gewähr für einen unbedingten Kampf gegen den Krieg. Wie alle anderen Staaten - und in Verbindung mit anderen Staaten - bereitet der staatskapitalistische Sowjetstaat sich auf den Krieg vor. Wie kaum in einem anderen Lande wird, das ganze Volk mit einem nationalistischen und militaristischen Geist vergiftet.

Aussenpolitisch hat Sowjetrussland seine Verbindungen mit kapitalistischen und reaktionären Staaten in Europa und Asien: Es unterhält ausgezeichnete militärische Beziehungen mit dem italienischen Faschismus, mit der Reaktion in Persien, mit der Diktatur in der Türkei.

Im Kampfe gegen den Krieg kann deshalb die Arbeiterklasse sich nicht mit der roten Armee und dem russischen Staat verbinden, denn das würde bedeuten, dass es sich im Kriegsfalle auf die Seite jener Gruppen von Staaten stellt, die mit Russland verbündet sind. Es würde damit prinzipiell für den Krieg Partei nehmen. Deshalb ist es die Aufgabe der Arbeiterklasse, in allen Ländern bereits jetzt die Verhinderung eines jeden Krieges, unter welchen Losungen er auch geführt werden wird, zu organisieren; in allen lebenswichtigen und kriegswichtigen Betrieben, in der Metallindustrie, im Bergbau, im Transportwesen Aktionskomitees zu bilden zur Vorbereitung des Generalstreiks; womöglich ein Beispiel in der organisierten Verhinderung von Heeresmaterialproduktion zu geben und den Transport von Kriegsmaterial zu verweigern.

Bei diesen Teilkämpfen gegen die Kriegsvorbereitungen muss stets das Ziel der sozialen Revolution ins Auge gefasst werden, deren Aufgabe es ist, den Staatsapparat zu vernichten und das gesamte ökonomische Leben in die Hände der Produzenten überzuleiten.

Wenn die Arbeiterklasse durch die soziale Revolution den Krieg nicht verhindert, wird der Krieg die Arbeiterklasse vernichten. Es kommt darauf an, durch die Revolution dem Krieg zuvorzukommen, nicht nur um die Arbeiterklasse und darüber hinaus die gesamte Menschheit vor dem Wahnsinn eines modernen Krieges zu bewahren, sondern auch, weil bei einer Verzweiflungsrevolution, die gewiss im Verlauf des Krieges ausbrechen würde, die sozialistische Reorganisation der Gesellschaft erschwert wäre durch die Zerrüttung des wirtschaftlichen Lebens. Die Internationale Arbeiter-Assoziation wird nicht müde werden, vor dem Forum des Weltproletariats zu wiederholen, dass es sich hier um eine Frage um Leben und Tod der Arbeiterklasse und des Sozialismus handelt. Will die Arbeiterklasse dieneue Weltkatastrophe, die der Kapitalismus heute vorbereitet, umgehen, so wird sie ihr Schicksal in ihre eigene Hand nehmen müssen.

Auch die Befreiung der Arbeiterklasse von der Geissel des Krieges kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.

Arthur Müller-Lehning.

Aus: "I.A.A. 10 Jahre internationaler Klassenkampf / Gedenkschrift zum zehnjährigen Bestehen der Internationalen Arbeiter-Assoziation" / Berlin, 1932

Überarbeitet nach: http://www.free.de/schwarze-katze/texte/a31.html