Arthur Müller-Lehning - Gewalt und Gewaltlosigkeit

Im Auftrage der "Internationale der Kriegsdienstgegner" hat Dr. Franz Kobler, Wien, ein Sammelwerk herausgegeben (1), das dem Kampf gegen die Gewalt gewidmet ist - nicht indem es dogmatisch das Allheilmittel der Gewaltlosigkeit predigen will, sondern das Gesamtproblem der Gewalt sozial, politisch und religiös zu umreissen versucht.

Das Buch enthält Aufsätze von etwa 40 verschiedenen Mitarbeitern und ist in drei Abschnitte geteilt: 1. Teil: Das Problem der Gewalt, Il. Teil: Aufstieg und Entwicklung des aktiven Pazifismus, III. Teil: Methoden und Praxis des aktiven Pazifismus. Der erste Teil ist der vollständigste. Die Grenze des ersten und zweiten Teils ist übrigens nicht scharf gezogen oder zu ziehen. Aufsätze von Hans Kohn: "Judentum und Gewalt," B. de Ligt: "China und der Friede" könnten ebensogut im ersten Teil untergebracht worden sein, der überwiegend philosophisch orientiert ist, ohne dass das Ganze etwa zu einer Philosophie der Gewalt geworden wäre, obgleich viel Grundlegendes zusammengebracht sein dürfte. Es ist sehr schade, dass die wichtige philosophisch-(terminologische) Auseinandersetzung des Herausgebers "Vom Wesen der Gewalt", der Versuch zu einer Begriffsbestimmung der Gewalt, etwas fragmentarisch geblieben ist. Im ersten Teil findet man ausserdem Aufsätze von Alfred Adler: "Psychologie der Macht"; Leonhard Ragaz: Jesus Christus und die Gewaltlosigkeit"; John W. Graham: "Krieg und Protestantismus"; Hans Kohn: "Nationalismus und Gewalt"; Hendrik de Man: "Sozialismus und Gewalt"; einen älteren Aufsatz von Gandhi: "Die Theorie und Praxis des passiven Widerstandes" und viele andere. Der zweite Teil versucht eine historische Übersicht von den Bewegungen gegen die Gewalt zu geben und enthält die Geschichte der Dienstverweigerung während des Krieges in einigen Ländern, ausserdem findet man hier Artikel über Tolstoi (von Stefan Zweig), Peter Chelcicky (von Carl Vogt), Mahatma Ghandi und die Satyagrabewegung (von Wilfred Wellock). Der dritte Teil enthält Artikel über Gewalt und Erziehung, Jugendbewegung, die Frauen, Sport, Alternativdienstpflicht, die Technik des Krieges (von Freiherr von Schoenaich) und einen etwas schematischen Artikel über "die Taktik des aktiven Pazifismus" von B. de Ligt und Franz Kobler.

Ein Anhang enthält Dokumentarisches, Literaturübersicht, Adressenverzeichnis pazifistischer Organisationen, Namen- und Sachregister. Die Zusammenstellung des Buches weist darauf hin, dass es sich nicht nur um das Problem der Gewalt im engeren Sinne handelt, sondern besonders um das ihrer höchsten Organisation: des Krieges. Den Ausgangspunkt des Buches bildet die Bewegung gegen den Krieg. Dadurch ist die Geschichte des Kampfes gegen die Gewalt fast vollkommen mit derjenigen der radikalen Pazifisten identifiziert, was den Tatsachen nicht vollkommen entspricht. Es ist natürlich nicht zufällig, dass der erste Versuch, das Gesamtproblem der Gewalt zu umreissen, mit der Anti-Kriegsbewegung verbunden ist. Einerseits ist es die Gewaltlosigkeit, die ein inspirierender Faktor in der Bewegung der Kriegsdienstgegner gewesen ist, andrerseits ist es die nicht gewaltlose revolutionäre antimilitaristische Bewegung, die durch ihren konsequenten Kampf gegen den Krieg zu gleicher Zeit gegen die organisierte und monopolisierte Gewalt kämpft. Da die Grenzen der Untersuchung von vornherein nicht zu eng gezogen wurden, ist dieser erste Versuch zu einem höchst interessanten und vielseitigen Werk geworden, das die weiteste Verbreitung verdient. Es ist besonders auch zu einem wichtigen Nachschlagewerk für die Bewegung der radikalen Kriegsbekämpfung geworden.

Vielleicht ist jedoch der Rahmen des Buches für das vom Herausgeber gestellte Ziel zu weit. Indem die Anhänger der Gewaltlosigkeit zu Kriegsgegnern wurden, ist es diese Bewegung, die den Ausgangspunkt von Koblers Buch bildet, während doch die Kriegsgegner nicht ohne weiteres Anhänger der Gewaltlosigkeit, ja, sogar nicht alle Kriegsdienstgegner sind. Abgesehen davon, dass die Beiträge von sehr verschiedenem Niveau sind, hat diese Gleichsetzung resp. diese Vermischung die Einheitlichkeit des Buches, insoweit es das Problem der Gewalt untersuchen will, nicht, gefördert. Ein grosser Teil des Buches wird dann auch durch den Untertitel besser charakterisiert als durch den Titel. Wenn auch das Gesamtproblem der Gewalt untersucht werden soll, so steht doch die Gewalt des Kriegsphänomens im Zentrum. Der Weltkrieg hat nicht das Ende des Krieges gebracht; seit dem Friedensschluss haben die Waffen nicht geruht, und bereits wird der nächste Krieg mit den satanischsten Mitteln vorbereitet. "Im Bewusstsein und im Angesicht einer solchen Weltlage wird die Herausgabe dieses Buches gewagt. Die Flammenlettern 'Nie wieder Krieg' sind zum Klischee verblasst, die Massen, die diesen Ruf einst ausgestossen, zum grossen Teil längst aufgeteilt in die Lager der Gewalt. Dennoch: geblieben ist die Bewegung. Ja, gerade durch den Wegfall der Vielzuvielen ist sie in ihrer Reinheit, in ihren Zusammenhängen mit den grossen Traditionen der Vorzeit sichtbar geworden. Die Bewegung, die heute wie ehedem bei allen Völkern der Erde Menschen in gemeinsamen Streben nach Ueberwindung der Gewalt verbindet. Ihr Bekenntnis, ihre Rechenschaft soll das vorliegende Sammelwerk ablegen." (Aus dem Geleitwort des Herausgebers.) In den Dienstverweigerern von Amerika, England, Holland, der "Non-Violence"-Bewegung von Gandhi sieht Kobler den - Gedanken der Gewaltlosigkeit, der ausging von der Bergpredigt und sich über Peter Chelcicky, William Penn und Leo Tolstoi fortpflanzte, in unserer Zeit realisiert.

Es ist kennzeichnend, dass die Realisierung des Gedankens der Gewaltlosigkeit gerade gesehen wird in Bewegungen, die doch eigentlich vielmehr den Charakter sozialer Bewegungen tragen als dass sie spezifische Bewegungen der Gewaltlosigkeit sind. Desto mehr ist es zu bedauern, dass, die sozialen Zusammenhänge im allgemeinen und besonders auch syndikalistische Gedankengänge so gut wie unberücksichtigt geblieben sind.

Auch werden die Zusammenhänge des Monopols der Macht und des Monopols des Besitzes nicht näher erörtert; die Untersuchung der Rolle der Gewalt in der Entwickelung des Kapitalismus ist unterblieben. Im heutigen kapitalistischen Staatssystem sind die Macht und die Gewalt identisch. Der Staat ist ein System der monopolisierten Gewalt, und der Kampf der politischen Parteien wäre als ein Kampf um dieses Monopol anzusehen. Der heutige Krieg ist zwar das typische Beispiel der Gewalt - er ist jedoch nicht weniger die unumgängliche Folge der ökonomischen Grundlage der Gesellschaft. Die Zusammenhänge dieser Grundlagen mit dem heutigen Staat, der die Organisation der Gewalt bildet, um die Macht der Ausbeutung zu handhaben, liegen klar zutage. Die Geschichte der Gewalt wäre so fast identisch mit der Geschichte der Unterdrückung und Ausbeutung.

Wir können dem Herausgeber auch nicht beistimmen, wenn er meint, die Herausgabe des Buches sei gerechtfertigt, weil das Problem der Gewalt nicht eines der vielen, sondern das Problem der Zeit sei. Gewiss - die Gewalt in allen ihren Formen ist zu einem typischen Phänomen unserer Zeit geworden, aber ihre Rolle als grundlegender Faktor der kulturellen Struktur ist doch von sekundärer Art. Die Gewalt kann deshalb, ebensowenig wie der Krieg, nicht wirklich bekämpft werden, ohne dass man ihre Ursachen bekämpft. Und was vom Kampf gegen den Krieg gilt, gilt nicht weniger vom Kampf gegen die Gewalt: dass eine Gefahr vorhanden ist, die Erscheinung des Krieges an sich bekämpfen zu wollen und sie dabei von ihren sozialen Zusammenhängen zu isolieren. Das läuft schliesslich auf jenen zweifelhaften ,Pazifismus" hinaus, der zwar den Krieg nicht will, aber alles unangetastet lässt, was unumgänglich zu ihm führt. Es gibt ja auch zahlreiche (Kriegsdienst-)Gegner der Gewalt, die zwar dem Staate gegenüber jede "Todes-und Tötungsbereitschaft" verweigern, aber die Gewalttätigkeiten des Staates in all seinen anderen Formen keineswegs bekämpfen. Wenn, also eine Gefahr vorhanden ist für eine dogmatische Bekämpfung einer von ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen isolierten, zur abstrakten, Idee gewordenen Gewalt, dann soll dieses nicht heissen, dass diese Bewegung nicht ihre Bedeutung und Berechtigung auch für den Sozialismus hätte. Eine sozialistische Gesinnung erwarten wir nicht ohne weiteres von einer Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse. Clara Wichmann hat es deutlich in folgenden Worten ausgesprochen: "Es ist doch wohl klar, dass das Absterben von Autorität und Gewalt nicht so 'von selbst' geschehen wird, 'weil es nichts mehr zu -unterdrücken und zu bekämpfen gibt'. . . . Zu bekämpfen und zu unterdrücken gibt es immer etwas, auch in einer klassenlosen Gesellschaft. Dies nicht sehen zu wollen, wäre Utopismus. Darum ist die Bewegung gegen die Gewaltsuggestion eine selbständige Bewegung, die auch in der sozialistischen Revolution und im Sozialismus ihr Recht behält." Die Bedeutung dieser Bewegung zu erkennen, heisst noch nicht, die Notwendigkeit der Alternative anzuerkennen: Gewalt oder Gewaltlosigkeit. "Die Sache liegt nicht so", schrieb gleichfalls Clara Wichmann, "dass wir a priori (von vornherein) ein für allemal abstrakt und im allgemeinen zu wählen haben: Soll die Revolution mit oder ohne Gewalt vollzogen werden. Wir werden in ganz anderer Art vor die Wahl gestellt: im gegebenen Augenblick, in konkreten Fällen, bei Einzelhandlungen, in der Weise, in der wir unsere Propaganda führen usw. - da stehen wir vor der Frage, ob wir den Glauben an die Gewalt, die Gewaltsuggestion fördern oder schwächen wollen. Mit anderen Worten, ob wir das Überwinden der Gewaltsuggestion als einen Bestandteil der Revolution ansehen oder nicht. Und ich bin davon überzeugt, dass in dieser Hinsicht eine Anzahl revolutionärer Propagandisten leider manches Gute ungesagt und manches Verkehrte unverschwiegen lassen."

Die Mittel, die der Syndikalismus für die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft propagiert, bekommen auch in diesem Zusammenhang eine grosse Bedeutung. Der Syndikalismus lehnt die Gewalt nicht ab, aber die ökonomischen Machtmittel, die er anwenden will, haben nicht den "gewalttätigen" Charakter der Gewalt und dürften schon eher Zwangsmittel genannt werden. Der Unterschied zwischen Gewalt und Militarismus ist von Kobler nicht hervorgehoben worden - sein Ausgangspunkt, der Krieg und Gewalt fast identifiziert, ist dazu auch ungeeignet aber dieser Unterschied ist doch sehr wesentlich. Der Militarismus dürfte vielleicht der entscheidende Unterschied sein zwischen der syndikalistischen, der wirklich proletarischen Gewalt und jeder demokratischen, faschistischen oder bolschewistischen Gewalt: der Unterschied, ob die Gewalt angewendet wird zur Aufrechterhaltung der Macht resp. zur Errichtung einer neuen, oder zum Sturz der Macht. Die proletarische Gewalt lehnt den Militarismus und die militärischen Methoden der Gewalt ab und ist dann auch, in ihren Mitteln und in ihrem Ziel - sie erstrebt nicht die Errichtung einer neuen "Staatsgewalt" - prinzipiell von jeder anderen - wesentlich bürgerlichen - Gewalt zu unterscheiden. Die Bedeutung dieser antimilitaristischen, Praxis liegt jedoch auch hier wieder nicht auf dem Gebiete der Gewalt oder Gewaltlosigkeit, sondern auf dem der Kampfmethoden der sozialen Bewegung. Wir wiesen bereits oben auf die Gandhibewegung hin, deren Bedeutung nicht so sehr die Gewaltlosigkeit ist, sondern die Anwendung der Gewaltlosigkeit als eine wirksame und zweckmässige Methode im sozialen Kampf. "Sein Wert" - schrieb Gandhi - (der des passiven Widerstandes) "steht deshalb, so denke ich, unbestreitbar fest, er ist eine Kraft, die, wenn sie einmal allgemein angewendet würde, die sozialen Ideale umstürzen, die Despotie und den wachsenden Militarismus hinwegfegen würde, unter dem die Völker des Westens stöhnen und beinahe zermalmt werden, und der sich anschickt, auch die Völker des Ostens zu unterwerfen." In Afrika hatte Gandhi das Satyagraha, das Nichtwiderstehen in dem Kampf gegen die englische Regierung erprobt. 1915 kehrte er nach Indien zurück "mit einem erprobten Instrument der sozialen Befreiung in der Hand" (Wilfred Wellock). Es liegt hier also klar zutage, dass es die soziale Zielsetzung und nur diese Bewegung ist, die der Anwendung der Gewaltlosigkeit ihre Bedeutung verleiht. Dass es sich nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv bei Gandhi um eine zweckmässige Praxis - und nicht um die Realisierung der Bergpredigt - handelt, geht ausserdem daraus hervor, dass er während des Krieges zugunsten Englands an dem imperialistischen Krieg teilnahm, also keineswegs die Personifizierung der Gewaltlosigkeit ist, wie man allgemein annimmt. Wie ausserdem aus dem soeben geführtem offenen Briefwechsel von de Ligt und Gandhi her, vorgeht, will Gandhi ja sogar im Falle, dass Indien home rule (Selbstverwaltung) erhalten würde, sich nicht gegen die Einführung der Wehrpflicht und die Militarisierung Indiens widersetzen, da Indien vielleicht gezwungen sein würde, an einem Krieg teilzunehmen. Dieses alles bestätigt unsere Anschauung, dass das Wesentliche bei der Gandhi-Bewegung - und diese ist typisch für das Gesamtproblem, das hier in Frage steht - nicht die Verwirklichung der Idee der Gewaltlosigkeit ist. (Ihre Bedeutung für den sozialen Kampf wird, hier natürlich nicht in Frage gezogen - im Gegenteil.) Ausserdem zeigt sich noch in anderem Sinne als hier angedeutet die Gefahr, durch Isolierung der gewaltlosen Tendenzen, wie in diesem Falle, zu einem Zerrbild der wirklichen Tatsachen zu kommen.

Es handelt sich - um mit Gandhi zu reden - darum, die Despotie zu stürzen. Und dazu können die gewaltlosen Mittel des Boykotts der Non-cooperation usw. sehr zweckmässig sein. Dazu kann auch zweckmässig sein die proletarische Gewalt, die im Klassengegensatz begründet ist und in dem wirklichen Klassenkampf zum Ausdruck gelangt. Die passive Kriegsdienstverweigerung ist ohne Zweifel ein wichtiges Mittel im Kampfe gegen den Krieg - aber wahrscheinlich wird die Sabotage notwendig sein, und sicher sind die Methoden der sozialen Revolution auch notwendig, um den Krieg zu verhindern. Nur der Generalstreik, der nichts anderes ist als die äusserste und schärfste Form des Klassenkampfes, kann den Krieg, der nur die letzte Konsequenz der Klassengesellschaft ist, verhindern. Er hebt zu gleicher Zeit, indem er durch die passive Resistenz die gewaltsame Macht stürzt, den Klassengegensatz auf. Keine Demokratie und keine Diktatur, keine Bewegung der politischen Reform oder politischen Revolution kann der gewaltsamen Unterdrückung entbehren, da sie jedem Staatssystem immanent ist. Nur die anti-autoritäre sozialrevolutionäre Bewegung kann die Basis für eine Ueberwindung der Gewalt abgeben, weil sie eine Gesellschaft erstrebt, die die Gewalt der sozialen Grundlage entzieht. Nur eine soziale Revolution, deren Ziel die staatlose Gesellschaft ist, kann diese Grundlage legen, weil sie jede Form der organisierten und monopolisierten Gewalt, jede Form des Militarismus und des Staates ablehnt. Das direkte Ziel dieser Bewegung ist zwar nicht die Gewaltlosigkeit, aber die Freiheit- Ihre Vorbedingung ist die vollkommene soziale Befreiung. Ihre Grundlage ist ein gesellschaftliches System, wo die Herrschaft des Menschen über den Menschen Platz gemacht hat der Beherrschung der Dinge, wo das politische Unterdrückungssystem ersetzt ist durch die Organisation der Arbeit.

Die hauptsächlichste Funktion der Gewalt als Mittel zur sozialen Unterdrückung wird dadurch zwecklos werden. Die Ueberwindung der Gewalt ist nur denkbar im Zusammenhang mit der Ueberwindung von Kapitalismus und Staat. Welche Bedeutung die Verschärfung der Klassengegensätze durch die Anwendung der ökonomischen Machtmittel zur Ueberwindung des kapitalistischen Staates hat, ist von Sorel in seinem aussergewöhnlichen Buche "Ueber die Gewalt" (2) dargelegt. Es weist auf die ganze Problematik von Koblers Ausgangspunkt hin, die Gewalt als die entscheidende Frage unserer Zeit zu betrachten.

"Die proletarische Gewalt verändert das Bild aller Konflikte, in deren Verlaufe man sie bemerkt; denn sie verneint die durch die Bourgeoisie organisierte Macht und erhebt den Anspruch, den Staat zu unterdrücken, der deren zentralen Kern bildet. Unter solchen Bedingungen gibt es keinerlei Möglichkeit mehr, über die Urrechte der Menschen Betrachtungen anzustellen, und aus diesem Grunde finden sich unsere parlamentarischen Sozialisten, die Kinder der Bourgeoisie sind und ausserhalb der Staatsideologie nichts kennen, gar nicht mehr zurecht, wenn sie sich der proletarischen Gewalt gegenübersehen. Sie können auf diese nicht die Gemeinplätze anwenden, deren sie sich gewöhnlich bedienen, wenn sie von der Macht sprechen, und sehen mit Schrecken Bewegungen, die zu dem Ziele führen könnten, die Institutionen zu vernichten, von denen sie leben: wo der revolutionäre Syndikalismus auftritt, kann man keine Reden mehr über die immanente Gerechtigkeit anbringen, und gibt es auch kein parlamentarisches System mehr zum Gebrauch für die Intellektuellen; - es ist ein Greuel der Verheerung! Weshalb man sich auch nicht wundern darf, wenn sie mit einem solchen Zorne von der Gewalt sprechen.

... Es handelt sich gar nicht darum, die Gewalttätigkeiten zu rechtfertigen, sondern zu verstehen, welche Bedeutung der Gewalt der Arbeitermassen im heutigen Sozialismus zukommt.

... Die proletarische Gewalt weist die Arbeitgeber auf ihre Produzentenrolle zurück und tendiert jedesmal das Gefüge der Klassen wiederherzustellen, wenn diese sich in einem demokratischen Sumpfe zu vermischen schienen.

... Die proletarische Gewalt erscheint derart, sofern sie als reine und einfache Aeusserung der Klassenkampfgesinnung geübt wird, als etwas sehr Schönes und Heldenhaftes; sie steht im Dienste der zutiefst begründeten Interessen der Zivilisation; sie ist vielleicht nicht die geeignetste Methode, um unmittelbare materielle Vorteile zu erlangen, aber sie vermag die Welt vor der Barbarei zu erretten" (3).

Fußnoten:
1) Gewalt und Gewaltlosigkeit. Handbuch des aktiven Pazifismus. Im Auftrag der Internationale der Kriegsdienstgegner herausgegeben von Franz Kobler. Zürich und Leipzig, Rotapfelverlag. 388 S. Preis geh. 5,20 M., Leinen 6,40 M.
2) Réflexions sur la violence, von dem vor kurzem nun auch eine deutsche Übersetzung erschienen ist im Verlag Wagner, Innsbruck.
3) Sorel, Über die Gewalt, S. 21, 49, 95, 103.

Originaltext: http://www.free.de/schwarze-katze/texte/a31.html