Johann Most - Die Hölle von Blackwells Island

Der 2. Juni 1886 war einer jener herrlichen Sommertage, welche New York nur in beschränkter Zahl geniesst. Bei massiger Temperatur strahlte die Sonne in ihrem herrlichsten Glanze und eine leichte Brise wellte über der wasserreichen Landschaft. Es war ein Tag, so recht geeignet, in jedem Menschen den Gedanken zu erwecken: Das Leben ist doch schön!

Nachmittags 2 Uhr landete nach kurzer Fahrt der stolze Dampfer »Thomas S. Brennan« an Blackwells Island, einer Insel, welche zwischen Long Island und Manhattan Island gelegen ist, und die sich das New Yorker städtische Departement für »Charities and Corrections« zur Errichtung ihrer traurigen Institutionen ausersehen hatte.

Die dunkelste derselben präsentirte sich im Vordergrunde in massigem Gemäuer. Plump, scharfkantig, grau, felsenfest ragte die Penitentiary (Strafanstalt) empor. Dem Schiff entstiegen 3 Männer, mit Handschellen aneinander gefesselt und gefolgt von 2 Hülfssheriffs. Kein Wort wurde gesprochen während die kleine Gesellschaft dem Portal des Schreckenshauses entgegenschritt. Die 3 Gefangenen liessen ihre Blicke über die sonnenreiche Landschaft gleiten, als wollten sie ein letztes Mal für lange Zeit die Herrlichkeiten dieser Erde im Beschauen in sich saugen. In den Mienen der Büttel aber war so Etwas wie leise Schaam zu lesen, die sie ob des traurigen Berufs empfinden mochten, den sie da erfüllten, als sie, dem Gebote eines Criminal-Barbaren folgend, diese Männer einem Schicksal überlieferten, das einem Höllendasein gleichen sollte.

Schenck zu meiner Rechten, Braunschweig zu meiner Linken, so schritten wir drei »Staatsverbrecher« über die Schwelle des obgedachten, schauerlichen Baues.

Man führte uns in einen Baum, der halb einer Barbier-, halb einer Badestube glich. Da nahm man uns die Fesseln ab, befahl uns, Rock und Weste abzulegen, und ehe wir es uns versahen, hatten uns 3 Gefangene die Haare dicht an der Haut abgeschoren und den Bart mittelst längst ausgedientem Rasirmesser aus dem Gesicht geschunden. Wer mich kennt, wird sich vorstellen können, wie ich da ausgesehen habe. – –

Sodann mussten wir uns vollends entkleiden und ein eiliges Bad nehmen. Unsere Kleider schnürte man in Bündel und gab uns zunächst Hosen von ganz burleskem Aussehen, der Quere nach schwarz und weiss gestreift, als ob sie aus Zebrafellen erzeugt worden wären. Nachdem wir unsere Beine in diese sonderbaren Doppelsäcke gesteckt, gab man uns blau und weiss gestreifte Hemden, die wir aber noch nicht anziehen durften, sondern über den Rücken zu hängen hatten, wie die »wilden Männer« von ehedem Bären- oder Büffelhäute zu tragen pflegten.

So standen wir wohl eine halbe Stunde lang da bis die Oberbeamten kamen. Dann wurden die üblichen Personalfragen gestellt, bei deren Beantwortung insbesondere die Verneinung jeder Religionseigenschaft Aufsehen und Unwillen zu erregen schien. Man mass und wog uns und manipulirte überhaupt an uns herum, wie man früher auf den Sclavenmärkten mit den Negern zu verfahren pflegte.

Der Deputy Warden Osborne betrachtete unsere Rücken, wobei wir die Arme ausstrecken mussten. Diese Inspektion hatte den Zweck, unsere Muskelkräfte zu beurtheilen und darnach die Helotendienste zu bemessen, welche uns nun aufgegeben wurden.

Schenck wurde für geeignet befunden, Schusterwerke zu verrichten; Braunschweig erhielt den Auftrag, in der Tischlerwerkstatt anzutreten; mich fand man für tauglich, in der Schmiede zu arbeiten.

Der Warden Pilsbury machte uns sodann darauf aufmerksam, dass wir alle Befehle und Anordnungen unverweigerlich zu befolgen haben, widrigenfalls uns Einsperrung im Dunkelarrest nebst Hungerkur erwarte. Mir speciell wurde ein kleines Büchlein gegeben, aus welchem zu ersehen war, dass ich bei »guter Aufführung« 2 Monate vor Ablauf meiner Strafzeit entlassen werden könne. (Diese Bestimmung gilt nämlich nur für Strafen von mindestens einem Jahr).

Inzwischen waren diverse Reporter erschienen, welche uns wie frischgefangene Bären beschnüffelten und Notizen machten, um am nächsten Tage in den Blättern an uns, den völlig Wehrlosen, ihren schamlosen Spott und Hohn zu üben.

Nun konnten wir die Hemden anziehen und unsere Füsse in grosse Futterale aus hartem Leder stecken. Es sollten diese Dinger Schuhe sein, sie würden aber eher für Ochsen, als für Menschen, zur Fussbekleidung gedient haben.

Hernach verbrachte man uns nach dem eigentlichen Gefängnissgebäude, welches einen geradezu niederdrückenden Eindruck machte. Dasselbe besteht aus drei Flügeln, von denen jeder etwa 300 Gefangene beherbergen kann. In vier Stockwerken übereinander sind da lange Reihen kleiner Höhlen gleichsam in die Mauer der einen Seite eingelassen, die hievon etwa 25 Fuss abstehende andere Mauer hat ebenso viele kleine, schiessschartenartige Fenster, als ihr gegenüber Kerkerlöcher sind, welche auf solche Weise gleichsam indirekt mit ein wenig Licht versehen werden. Da jedoch die untere grössere Hälfte der Kerkergitter mit Eisenplatten beschlagen ist und der obere Theil derselben nur diverse Luftlöcher von je Quadratzoll hat, so herrscht stets Halbdunkel.

Nachdem man uns je 3 wollene Decken, eine Weste, eine Jacke und eine Mütze – letztere drei Gegenstände ebenso verrückt gestreift, wie die Hosen – verabfolgt hatte, wurden wir getrennt; Jeder hatte eine andere Abtheilung des Gefängnisses zu beziehen; Jeder wurde in einer der vorbemerkten Pferchen, Zellen genannt, eingeschlossen.

Ich hatte ja schon oft zuvor die Ehre, wegen meiner freiheitlichen Gesinnung und Neigung zur Wahrheit von den Bütteln einer tyrannischen »Ordnung« und verlogenen Moral hinter Schloss und Riegel verbracht zu werden; und es hatte sich meiner stets ein peinliches Gefühl bemächtigt, wenn ich meinen Fuss über die Schwelle eines Gefängnisses setzen und dabei bedenken musste, dass dasselbe auf so und so lange Zeit mir als »Wohnung« dienen sollte; allein etwas Aehnliches, wie dieses Loch, wohin mich hier die Schergen einer Republik gebracht, hatte ich denn doch auf den Macht gebieten des europäischen Despotismus nie gesehen, geschweige dass ich selbst davon umschlossen worden wäre. Ich befand mich ja in einem Grabe aus Stein und Eisen. Dasselbe hatte eine Länge von 7 Fuss, eine Breite von 3 und eine Höhe von 6 Fuss. An der Wand war ein eiserner Rahmen, der mit Segeltuch überspannt war, empor gestemmt. Das war die Lagerstätte, die durch einen Strohkopfpolster und die mitgebrachten groben Pferdedecken seine Vervollständigung fand, und, wenn herabgelassen, nahezu den ganzen Flächenraum in der Zelle ausfüllte. Auf dem Fussboden stand ein schmutziger hölzerner Kübel, dessen Deckel nicht passte und der in Folge dessen die spärlich bemessene Lebensluft verpestete. Dicht daneben stand ein kleiner, alter, verrosteter Becher aus Blech, worin sich angebliches Trinkwasser befand. An der Wand hing die Hausordnung, aus der ich ersehen konnte, dass in der Zelle weder geraucht, noch geschrieben, noch gesprochen, noch gesungen, noch gepfiffen werden dürfe, sowie, dass sich ein amerikanischer Gefangener überhaupt wie ein Hund benehmen müsse, wenn er nicht disciplinarisch bestraft werden wolle.

Alle sonstigen Gefangenen befanden sich auf ihren Arbeitsplätzen, das Gefängniss war wie ausgestorben und glich so mit seinen zahlreichen Grüften vollkommen einem Friedhof

Da stand ich denn am Gitter; ich hatte weder etwas zu lesen, noch sonst eine Möglichkeit, mich zu beschäftigen. Ganz und gar meinen eigenen Gedanken überlassen, bemächtigte sich meiner ein Gefühl von ungeheurer Bitterkeit, gemischt mit dem Hasse gegen Jene, welche mir diese Situation bereitet, verschärft durch das Bewusstsein absoluter Ohnmacht, zur Unausstehlichkeit gesteigert durch die Unmöglichkeit, mit irgend einer Menschenseele einen Austausch von Gedanken zu betreiben. Mechanisch schweiften meine Blicke durch das Gitter über den Vorplatz hinweg, wo sie in der schmalen Wasserlandschaft, welche das jenseitige Schiessscharten-Fenster sichtbar machte, eine Art Ruhepunkt fanden. Da rauschten die Wellen, das Getöse einer Dampfmaschine wurde hörbar, und bald zog eines jener malerischen Excursionsboote vorbei, welche die Meeresarme, zwischen denen New York gelegen ist, zur Sommerszeit so lebendig machen. Alles wimmelte da von Menschen; es war eine schwimmende Welt im Kleinen; Gesang ertönte, lustige Musik schmetterte durch die Lüfte und heitere Paare drehten sich im Tanze. Einige Augenblicke später dehnte sich aufs Neue nur die graue Wasserfläche vor meinem Auge. Es schien, als ob ein boshafter Kobold Lebenslust und Freude, in ein wandelndes Tableau gedrängt, an mir vorbei geführt und so meine Lage mir drastisch vollends klar gemacht hätte. – –

Einem langen Abend folgte eine längere Nacht. Das Urtheil am Vormittag, der Transport am Nachmittag, die Isolirhaft am Abend hatten zusammen das Ihrige gethan, den Kopf genugsam zu beschäftigen, um den Schlaf auszuschliessen.

Am andern Morgen harrten meiner neue Ueberraschungen.

Etwa um 5 Uhr wurde es lebendig auf den Gängen. Die Sclaventreiber (Keeper) stürtzten von allen Seiten herbei und schlossen die Gitter auf. Mein Nachbar rief mir zu, ich sollte von innen die Thüre halten und leicht nach auswärts drücken. Bald darauf ertönte ein Glockenschlag und ein Gefangener rannte den Gang entlang, wobei er an jedem Gitter auf einen Knopf schlug und so einen Riegel hob, der durch den Druck von innen über eine Klammer geschoben wurde, so dass der Käfig offen stand. Ein weiterer Glockenschlag erfolgte. Auf dieses Signal hin stürtzten alle Gefangenen hastig heraus und formten eine Linie. Einer dicht hinter dem Anderen. Der Keeper commandirte; »Face this side!« Das bedeutete, dass Jeder seine Blicke nach ihm zu richten hatte. Hernach hiess es: »Head on!« Und nun begann ein unbeschreibliches Gezappel. Alle Beine mussten in gleichem Tempo bewegt werden, weil man sonst überhaupt nicht laufen konnte. Ich brachte das natürlich nicht fertig, wesshalb der Commandeur, ein gewisser Metzler (Deutsch-Amerikaner) – wie ich später herausfand, der ärgste Lümmel des ganzen Hauses – fluchte, wie ein preussischer Corporal. »Most«, sagte er, »ich dachte, Du seiest ein Rebellengeneral, aber Du kannst ja nicht marschiren!« – Nachdem man etwa 500 Schritte weit gezappelt war, hatte man den Waschplatz erreicht. Da standen mehrere grosse Bottiche voll Wasser und etwa 40 hölzerne, kleine Kübel. Auf Commando griff Jeder nach einem solchen Gefäss, füllte es mit Wasser und wusch sich. Es wurde hiezu indessen höchstens eine Minute Zeit gegeben. Kaum hatte man das Gesicht ein wenig nass gemacht, so hiess es auch schon wieder: »Back out!« An der Wand hängen – sage und schreibe – fünf Handtücher. Diese sollten den Gefangenen des ganzen sogenannten »alten Flügels« – 300 Mann – zum Abtrocknen genügen! – – Der Rückmarsch wurde genau so verrückt ausgeführt, wie der Auszug. Nachdem Jeder in seine Höhle getreten war, wurden die Gitter bis zur Klinke angezogen; dann ertönte das Commando: »Close!« worauf mit einem Schlag die Gitter von innen geschlossen wurden.

Mir kam das ganze Gebahren vor, als ob ich in eine Irrenanstalt gerathen sei, in welcher aber die Narren den Ton angaben. Denn so absurd mitunter die Schuhriegeleien waren, denen die gewöhnlichen »Verbrecher« europäischer Gefängnisse, welche ich kennen gelernt hatte, unterzogen wurden, ich selber war in der Regel davon verschont geblieben – eine derartige Chikanirerei, wie sie auf Blackwells Island herrscht, war mir eben noch niemals vorgekommen. Noch hatte ich aber erst den kleinsten Theil davon bemerkt.

Kurz nach 6 Uhr ging der Tanz aufs Neue los, Glockenzeichen, Gitterschlag, geschlossener Gänsemarsch, (Lockstep) Geschrei der Keeper Diesmal ging es zum Frühstück in den sogenannten »Messroom«. Derselbe ist zur gleichzeitigen Fütterung für 900 bis 1000 Gefangene eingerichtet. Zwei Reihen ganz schmaler Tische, hinter welchen sich noch schmälere Bänke befinden, dehnen sich da ähnlich den Betstühlen einer Kirche. Da setzt man sich aber nicht so ohne Weiteres nieder, sondern auch das, sowie das spätere Aufstehen, geschieht auf Commando. Das Frühstück bestand aus einem Stück Brod und einer Blechschüssel voll gelben Wassers. Letzteres sollte »Kaffee« vorstellen, Ersteres schmeckte, als ob es aus Sägemehl bereitet worden wäre. Etwa 5 Minuten müssen genügen, die Massenfütterung vorzunehmen. Eine Anzahl von Bütteln sitzt auf hohen Stühlen und passt auf, dass Niemand ein Wort spricht.

Ungefähr eine halbe Stunde nach Beendigung des »Frühstücks« erfolgte abermaliger Colonnen-Ausmarsch. Nun musste aber Jeder seinen Nachtkübel in der rechten und seine Mütze in der linken Hand halten. Letztere durfte erst beim Verlassen des Gebäudes aufgesetzt werden. Die Excursion ging nämlich nunmehr nach dem Flussufer. Da schwärmte jede Colonne dicht am Wasser aus. Auf Commando wurden die Deckel der Eimer geöffnet, auf ein weiteres Commando die Letzteren entleert. Dann hiess es wieder; »Close up!« Die Colonne schwenkte links im rechten Winkel bis zum Commando »Hold!«, welchem der Befehl »Down!« folgte, worauf Jeder seinen Eimer zur Erde setzte. Sodann trippelte und zappelte die Colonne unter beständigem Gebrüll des Keepers »Head on!«  »Face this side!« »Close up!« etc. rechts im Bogen zum ganzen Haufen, der jetzt, wie ein Bataillon Soldaten, in zwei Gliedern eine compakte Masse bildete, während die Keeper in regelmässigen Abständen eine eigene Linie bildeten. Diese Kerle hatten ausser geladenen Revolvern martialische Stöcke in den Fäusten und glichen Ochsentreibern oder sonstigen Thierbändigern.

Bald rief jetzt der Head Keeper Kennedey eine Anzahl Namen aus, denen ein für die Betreffenden gewiss sehr tröstliches »Time expired!« folgte. Die zu Entlassenden traten aus den Reihen; und gleich darauf fing ein dürres, schwindsüchtiges, bösartig aussehendes Männchen an, seine defecten Lungenflügel zu Strapaziren. Es war das der Deputy Warden Osborne. Mit krähender Stimme rief er die einzelnen Gewerbe auf, zu allererst die Blacksmiths, zu denen ja auch ich gehörte.

Meine Collegen und ich formten nun neuerdings eine separate Colonne, welche im unvermeidlichen Lockstep zur Schmiede marschirte. Dort angekommen, hiess mich ein Mann in Civilkleidern – der Boss Namens Conklin – meine Jacke ausziehen und mein ungewohntes Handwerk beginnen. Ich wurde an eine Bohrmaschine gestellt, die ein wegen Raufereien inhaftirter Corner Loafer in Bewegung setzte, während ich die Eisenstücke einzusetzen und den Bohrer zu ölen hatte.

Etwa 50 Mann waren in diesem Shop beschäftigt, die theils an den fünf vorhandenen Feuerherden, theils an Schraubstöcken etc. arbeiteten. Es wurden da Wagenbeschläge, Schlösser, eiserne Bettstellen, Gitter und dutzenderlei andere Dinge gemacht, wie sie von den städtischen Anstalten benöthigt waren.

Bald merkte ich, dass man hier gut aufpassen muss, wenn man nicht wie ein Hund behandelt sein will. Die Stimme des Boss war fast immer zu hören. Bald war er hier, bald da, immer raisonnirend, schimpfend, fluchend. Trotzdem ich von diesen Brutalitäten nicht selber betroffen wurde, war ich auf das Tiefste darüber empört; und der blosse Gedanke, dass ich auch einer solchen Behandlung ausgesetzt werden könnte, trieb mir das Blut zu Kopfe.

Kurz nach 12 Uhr Mittags schlug der Boss mit einem Hammer auf ein an einer Kette hängendes Stück Eisen.

Auf dieses Signal wusch Jeder seine Hände. Wer, wie ich am ersten Tage, kein eigenes Handtuch hatte, trocknete sich am Schnupftuch ab. Waschen und Trocknen musste jedoch in eiliger Hast geschehen, denn schon eine Minute nach dem obgedachten Hammerschlag ward der Befehl gegeben, sich zum Abmarsch aufzustellen. Von einer gründlichen Reinigung der russigen und öligen Hände konnte also keine Rede sein, ein Umstand, welcher meinerseits bald umso unangenehmer empfunden wurde, als ich im Esszimmer eine Art Urzustand antraf, Messer und Gabeln gab es da nämlich nicht; man griff einfach wesentlich mit den Fingern zu. – –

Der Marsch zum und vom Mittagstisch unterschied sich natürlich in Nichts von den sonstigen Paraden – immer der gleiche Affentanz. Die Kost bestand an diesem Tage aus Brod, Suppe und Fleisch. Letzteres war leider von einer Qualität, welche eher Rindsleder, als etwas Anderes, dahinter vermuthen liess. Einschaltend will ich hier gleich bemerken, dass ein solches Mittagbrod alle Wochen viermal vorgesetzt wurde; zweimal gab es Bohnen und Salzfleisch, das man rein fasernweise mit den Zähnen herunterzerren musste, so zahe war es. Am schlimmsten sah es aber an Freitagen aus. Da gab es warmes Wasser und Brod, denn die sonstigen Gerichte waren für Jeden absolut ungeniessbar. Kalte verfaulte Kartoffeln und stinkige Salzfische, welche Einen durch ihren blossen Geruch und durch ihr ekelhaftes Aussehen hätten krank machen können, schämte man sich nicht, den Leuten nach schwerer Arbeit vorzusetzen. Ich habe in keinem anderen Gefängniss eine solche bodenlose Gemeinheit angetroffen! – –

Im Messroom verweilt man in der schon angedeuteten eingepferchten Form von 12 bis 1 Uhr. Man soll da weder sprechen, noch schlafen und kommt sich deshalb vor, wie ein eingesalzener Häring in der Tonne.

Nachmittags kamen etwa 20 »vornehme« Tagdiebe in den Shop und stellten sich um mich her auf. Es waren das lauter Prominenzen, die den gefangenen Anarchisten einmal in Augenschein nehmen wollten. Die Kerle grinsten vor Vergnügen. Ohnmächtig, musste ich auch diese Gemeinheit über mich ergehen lassen. Ich konnte lediglich thun, als bemerkte ich das Gesindel gar nicht. In meinem Innern aber regte sich der Wunsch, dass sich das Blättchen recht bald wenden möge, damit das Hohnlachen auf anderer Seite sei.

Abends um 5½ Uhr war das Tagwerk vollbracht. Man marschirte in der mehrfach beschriebenen verrückten Weise nach dem Vorplätze, wo, wie am Morgen, alle Gefangenen eine Colonne in zwei Gliedern bildeten. Dann rief man die einzelnen Stationen auf, und der Einmarsch erfolgte, wie der Ausmarsch in der Frühe. Das Abendbrod, eingenommen im Messroom, glich genau dem Frühstück. Endlich ging es in den Stall.

Ein Tag, ein langer, langer Tag war vollbracht. Vor mir lag noch eine ganze Reihe solcher Tage. Und in der That glich da ein Wochentag dem andern auf ein Haar. Der Mensch wurde zum Bestandtheil eines Uhrwerks. Eine Abweichung von der Alltäglichkeit fand nur am Sonnabend Nachmittags und Sonntags statt, indem da nicht gearbeitet wurde, wohingegen man diese ganze Zeit über in dem elenden Kerkerloch weilen musste. Der Aufenthalt in diesen schändlichen Käfigen wirkte auf Jeden ungefähr so, wie das längere Verweilen im Zwischendeck eines Auswanderungsschiffes. Man athmete stets erleichtert auf, wenn man am Montag wieder zur Arbeit getrieben wurde.

Allerdings gab es am Sonntag eine kleine Zerstreuung – in der Kirche. Davon konnten aber meine beiden Genossen und ich natürlich keinen Gebrauch machen, obwohl Einer der Pfaffen, die da ihr Blech zu schmieden pflegten, es nicht an Extraeinladungen fehlen liess! »Ich glaube ja gerne«, sagte derselbe eines Sonntags am Zellengitter zu mir, »dass Sie nicht zu bekehren sind; aber Sie sollten doch der Abwechselung halber zur Predigt kommen«. Umsonst! Etliche Wochen später wiederholte er seine Verlockungen. Diesmal setzte er hinzu: »Ich werde es kurz machen!« – Wieder wartete er eine Weile. Bei seinem dritten und letzten Versuche, mich nach der Gottesherberge zu bauernfängern, kam er mit der Neuigkeit, dass »zwei feine, hübsche Sängerinnen auftreten werden«. Als auch das nicht zog, gab er, scheint es, jede Hoffnung auf und überliess mich meinem Höllenschicksal.

Zur anderweiten geistigen Anregung gibt man den Gefangenen Bücher aus einer Bibliothek, wie sie armseliger kaum bei einem deutschen Dorfschulmeister angetroffen werden dürfte. Ausserdem kann sich Jeder Schundromane und dergleichen durch etwaige Freunde schicken lassen. Dagegen sind Zeitungen strikte verboten. Letztere Anordnung ist offenbar darauf berechnet, die allgemeinste Ignoranz zu fördern, intelligentere Menschen auf jene viehartige Stufe herabzudrücken, welche die Erfinder solcher Unmenschlichkeiten und mehr noch die Executoren derselben einnehmen.

Ist ein Insasse dieses Zuchthauses hinsichtlich seiner Lektüre solchermassen zur Entbehrung des Allernothwendigsten verdammt und gewissermaasen in seiner Geistesnahrung auf Wasser und Brod angewiesen, so wird sein Reflexionsvermögen sozusagen gänzlich unter Verschluss gebracht. Nur alle 4 Wochen darf Jeder einen harmlosen (familiären) Brief schreiben, zu welchem Behufe er ein kleines Stück Papier erhält. Im Uebrigen sind Schreibmaterialien total verpönt – gerade wie bei den Wilden. Diese republikanischen Strafbarbaren scheinen die Entwicklung der intellectuellen Kräfte des Menschen für gefährlich und die Idiotisirung ihrer Opfer für gemeinnützig zu halten. Oder befürchten sie vielleicht, dass ohne eine solche systematische Entmenschung der Gefangenen dieselben nicht so leicht »rückfällig« werden und damit das Büttelgeschäft schädigen könnten? Ich bin sehr stark geneigt, Solches anzunehmen.

Monatlich einmal ist der Empfang von Besuchern erlaubt. Die Letzteren werden alle gleichzeitig in den Messroom gelassen, die Gefangenen im Gänsemarsch und Lockstep vorgeführt. In etwa 20 Minuten ist das ganze »Vergnügen« vorbei, und die Sträflinge müssen, nachdem sie vom Scheitel bis zur Zehe gründlich betastet und beschnüffelt worden, in ihre Bärenhöhlen zurück kehren. Da bei diesen Gelegenheiten jeder Gefangene, welcher eine Unterredung mit Freunden hatte, gleichzeitig den Blicken sämmtlicher Anwesenden ausgesetzt wurde, wohlgemerkt, in dem schon seizzirten scheuslichen Anzüge und mit der von stumpfen Messern zerschundenen Fratze – ich sah beispielsweise aus, wie ein maskirter und blessirter Chimpanse, – so wird das Ehrgefühl eines Jeden in der denkbar empfindlichsten Weise mit Füssen getreten. Es ist, als ob man so eine allgemeine Schamlosigkeit und Selbstverachtung erzeugen wollte.

Mit diesen Schaustellungen war aber das moralische Spiessruthenlaufen, das uns zugedacht worden, nicht erschöpft. Beinahe täglich kamen Dutzende von reichen Bummlern beiderlei Geschlechtes, welche sich den Spass erlaubten, sich die Sträflinge im Allgemeinen, uns drei Anarchisten aber im Besonderen zeigen zu lassen. Da ohne Zweifel bei diesen Schaustellungen für die Büttel Trinkgelder abfielen, so bildeten sie sicherlich eine nicht unbeträchtliche Quelle von Nebeneinnahmen. Ich bin überzeugt, dass eine solche bodenlose Gemeinheit, wie sie in diesen Ausstellungen Gefangener liegt, selbst im uncivilisirtesten Despotenstaate Europas nie und nimmer vorgekommen ist. Der hartgesottenste Tyrannenknecht würde sich bis unter die Haarwurzeln hinein schämen, wenn er auch nur auf den Gedanken käme, mit wehrlosen, geplagten Menschen einen solchen Sport zu treiben, welcher an die öffentlichen Henkereien des Mittelalters erinnert. In dieser sauberen »Republik« von Nordamerika findet man eine solche Rohheit ebenso wenig anstössig, wie die ebenfalls landesüblichen Hunde-, Hahnen- und Boxer-Kämpfe. Thier- und Menschenquälereien sind da sittliche Genüsse. Die Augenweide an den Heloten einer wahnwitzigen Justiz versteht sich bei solcher Verkommenheit nicht minder von sich selbst.

Niemand kann die Despoten Europa’s gründlicher hassen, als ich; Niemand kann die unter deren Herrschaft existirenden Zustände entschiedener verachten, als ich; wenn ich aber in einer Republik Verhältnisse vorfinde, welche alle Ungeheuerlichkeiten der europäischen Tyrannei weit in den Schatten stellen, so sage ich: Eine solche Republik hole der Teufel!

Dank meiner zähen Natur habe ich alle Schuftereien, denen man mich auf Blackwells Island aussetzte, ertragen, ohne – von einer Abnahme um elf Pfund Fleisch abgesehen – körperlichen Schaden zu leiden. Meine beiden Schicksalsgenossen erfreuten sich ebenfalls einer stetigen Gesundheit. Und so hatten wir es glücklicher Weise nicht nöthig, Experimentirobjecte für Doctors-Lehrbuben abzugeben. Die Krankenpflege dieser Strafanstalt spottet nämlich jeder Beschreibung. Wer sich unwohl fühlt, hat sich in der Mittagsstunde und zwar vor dem Essen zu melden. Diese schöne Anordnung bringt es mit sich, dass die Krankgemeldeten um dreiviertel Stunden später gefüttert werden, als die Gesunden, und dass deren inzwischen auf dem »Tische« stehende Kost, namentlich zur Winterszeit, wo in dem Messroom eine Eisbahn-Temperatur herrscht, total kalt wird. Zunächst haben die der ärztlichen Hülfe Bedürftigen sich im Gefängnissgange aufzustellen, wo dann eine Anzahl junger Bengel, welche im benachbarten Armen-Hospital das Geschäft der Medizinal-Abmurksung zu erlernen suchen, an den Kranken herum klopfen, horchen, fühlen und so weiter, in der Regel aber wie die Ochsen vor dem Berge stehen. So viel ich in Erfahrung bringen konnte, operiren diese Viehdoctoren, wie sie nicht mit Unrecht seitens der Gefangenen genannt werden, wesentlich mit viererlei Universalmitteln, nämlich mit einer Art Arzenei, welche weder nützen, noch schaden kann, mit Pillen, mit Pflastern und mit Colodium. Mitunter wollte ein Gefangener die Pillen oder die Brühe nicht verschlucken; flugs wurden die Betreffenden auf Anordnung der Kurpfuscher in den Dunkelarrest geworfen! – Jeden Tag passirte es auch, dass Leute, denen jeder Laie auf zehn Schritte ansehen konnte, dass sie einer Behandlung im Lazareth bedürfen, von den angehenden Quacksalbern für gesund erklärt und in die Werkstatt zurück gesandt wurden. »Man kommt hier nicht eher in’s Hospital«, pflegten die Gefangenen zu sagen, »als bis man seinen Todtenschein in der Tasche hat«.

Schlimmer, als die physisch Leidenden, sind in diesem Zuchthause die Geisteskranken daran. Da es offenbar eine reine Glückssache ist, wenn der Mensch unter den scandalösen Verhältnissen dieser Peinigungs-Anstalt nicht verrückt wird, so sind natürlich Geistesstörungen nichts Seltenes. Die Unglücklichen, welche von einem solchen Missgeschick betroffen wurden, hatten nur zu gewärtigen, dass sie von den Doctorsbuben, sowie auch von den anderen Schindersknechten der Penitentiary mit Rohheiten und Teufeleien aller Art heimgesucht wurden. Da war z. B. ein junger Deutscher, ein Musiklehrer, welcher in vollkommen normalem Zustande auf Blackwells Island ankam, alsbald in einer für Jedermann ersichtlichen Weise geistesgestört geworden. Selbstverständlich vermochte er in diesem Zustande den schon beschriebenen unsinnigen Disciplinar-Vorschritten nicht nachzukommen. Die Folge war, dass er für jedes Vergehen in’s dunkle Loch kam. Das passirte ihm alle Wochen ein- oder zweimal, stets auf mindestens 24 Stunden. Oft jammerte und weinte der durch solche Misshandlungen immer entschiedener zum Idioten werdende Mensch in der kläglichsten Weise wie ein unbeholfenes Kind. Das hatte wiederum zur Folge, dass die Keeper und sonstige Büttel den Unglücklichen verhöhnten, hin- und herschleuderten oder gar mit Faust- und Stockhieben traktirten. Mehr als einmal habe ich ihn mit blutigem Gesicht gesehen. Die »Doctoren« dagegen erklärten dieses Opfer einer ausgesuchten Bestialität stets für gesund und zurechnungsfähig. Eines Tages beschlossen sie sogar, sich mit dem armen Teufel einen Extra-Jux zu erlauben. Sie gaben ihm eine grosse Quantität Abführmittel ein und sperrten ihn in eine Zelle, um sich von der Wirkung ihres Medicamentes leichter überzeugen zu können, die dann auch nicht ausblieb. Die Verüber dieses Bubenstreiches und die Büttel, welche davon Kenntniss hatten, bekamen fast die Lachkrämpfe vor Vergnügen über diesen »Spass«! –

In dieser Abhandlung war schon mehrmals von Dunkelarrest die Rede. Derselbe ist von der gleichen Grösse, wie die übrigen Pferchen, nur befindet sich keine Lagerstätte darin und statt des Gitters ist eine dichtschliessende eiserne Thüre angebracht. Wenn diese zugemacht wird, herrscht in dem engen Loch absolute Dunkelheit. Da kein Luftzuzug stattfindet, der Nachteimer aber die ganze Höhle alsbald total verpestet, so ist es ein Wunder, dass nicht Jeder darin rasch erstickt. An ein Schlafen auf dem harten Fussboden ist natürlich nicht zu denken. Dazu kommt die Qual von Hunger und Durst. Denn es wird nur nach Ablauf von je 24 Stunden 1/4 Pfund Brod und ein halbes Pint Wasser verabreicht. Nur wer mehr als fünf Tage im Dunkelarrest zu sitzen hat, bekommt am sechsten Tage eine warme Mahlzeit. Verschärft kann diese Strafe noch dadurch werden, dass man den davon Betroffenen die Jacken und Schuhe fortnimmt und Ketten an die Beine schmiedet. Und, wohl gemerkt, diese Einsperrung im Dunkelarrest hat man für die geringsten Kleinigkeiten, welche für subordinationswidrig befunden werden, zu erwarten. Wer aus dem Schritt kommt, beim Verlassen des Messrooms seinen Löffel vergisst, auf den Boden spuckt, nicht das Gesicht nach Commando rechts oder links dreht, schwätzt oder seine Arbeit vernachlässigt etc., ist dem Dunkelarrest verfallen. In schweren Fällen wie beim Herausschmuggeln von Briefen, Einschmuggeln von Zeitungen, bei Widersetzlichkeit, Fluchtversuch u. s. w., kommt man niemals unter dreitägigem Dunkelarrest davon.

Ein Gefangener, welcher in der Schuhmacherwerk statt beschäftigt war, an deren Spitze ein wahrer Giftmolch als Büttel figurirt, hatte eines Tages das Verbrechen begangen, mit einem anderen Sträfling zu sprechen. Dafür sollte er nun zur Strafe gezogen werden. Der Gefangene näherte sich dem Shoptyrannen demüthig und wollte ihn um Nachsicht bitten, dieser aber stiess ihn mit rauher Hand von sich. Da riss dem so Traktirten die Geduld, und ehe man es sich versah, hatte der Schuster-Boss zwei dunkelblaue Augen weg. Nun die Folge! Der Deputy Warden Osborne prügelte den Gefangenen mit einem Rohrstock durch, liess ihm auf fünf Monate schwere Ketten an die Beine schmieden und sperrte ihn zwei Wochen lang in den Dunkelarrest. Als dieser Gefangene denselben wieder verliess, sah er aus wie ein Todtengerippe; und nur mit Mühe vermochte er sich fortzuschleppen! – – Aehnliche barbarische Abstrafungen haben während meines Aufenthaltes in der Penitentiary öfters stattgefunden.

Wer von irgend einer Disciplinarstrafe betroffen wird, verliert ausserdem auf mindestens vier Wochen die Befugniss, sich Esswaaren schicken zu lassen, zu correspondiren und Freunde zu sehen. Für Solche, welche zu einem Jahre und darüber verurtheilt sind, und die nach dem Gesetze bei »guter Aufführung« einen bestimmten Theil ihrer Strafzeit nachgelassen bekommen sollen (im ersten Jahre zwei, im zweiten drei Monate u. s. w.), ist damit gleichzeitig eine relative Verlängerung ihrer Straftermine, verknüpft. Jener Gefangene, von welchem ich soeben sprach, verlor zum Beispiel seine ganze Nachlasszeit, welche in seinem Falle volle acht Monate ausmachte.

Beständig gewärtig sein zu müssen, dass die Peitsche der Disciplinirung Einem auf den Rücken saust, das ist natürlich eine Sache, welche die ganze Situation, in welcher man sich ohnehin keine Minute wohl zu fühlen vermag, zu einer grauenvollen gestaltet, zumal, wenn man, wie ich, täglich in der mannigfaltigsten Weise die Hausordnung heimlich übertrat.

Es gibt gewisse Gründe, welche mich augenblicklich noch abhalten, mein diesbezügliches Thun und Lassen genauer darzustellen, obgleich das nicht wenig interessant wäre. Ich bemerke nur, dass ich während meiner letzten Gefangenschaft, so gut, wie im Laufe früherer Haftperioden, der Partei gedient habe, so weit das nur immer meine freie Zeit und die Gelegenheit zum Schmuggel gestatteten. Da ich grosse Erfahrungen hinter mir hatte, so vermochte ich das fertig zu bringen, ohne dass man mich je dabei erwischte, ja, ohne dass ich auch nur verdächtig wurde. Desshalb kam ich auch ohne Disziplinarstrafe davon und galt sogar als ein »guter Gefangener«. – –

Für Menschen mit stark ausgeprägtem Ehrgefühl hat übrigens der Aufenthalt in diesem Zuchthaus eine noch viel peinlichere Seite, als diejenige ist, welche in der rohen Behandlung durch die Büttel besteht.

Das Schlimmste ist das völlige Aufgehen unter einem Rudel verkommener Subjecte.

Wir Anarchisten sind gewiss die Letzten, welche auf sogenannte gemeine Verbrecher Steine werfen, denn wir erblicken in denselben nur Produkte elender sozialer Verhältnisse. Damit werden aber diese Produkte selbst nicht besser als sie eben sind; am allerwenigsten kann Unsereiner Lust empfinden, sie zu Gesellschaftern auszuwählen. Nun, hier, in der Penitentiary wurde ich zwangsweise zum Kameraden dieser Gestalten der Gosse und der Spelunke gemacht. Und die Burschen gebärdeten sich nicht nur sehr »collegialisch« mir gegenüber, sondern sie erlaubten sich mit mir auch allerlei »Spässe«. Dass sie mir Esswaaren, Tabak und dergleichen – oft aus der Tasche herausstahlen, hätte ich gerne verschmerzt. Dass ich mich dagegen den schändlichsten Insulten solcher Kerle gar häufig ausgesetzt sehen musste, – das war bitter.

Mein schon erwähnter Gehilfe an der Bohrmaschine pflegte oft zu Anderen zu sagen: »Wenn ich diesen Kerl (mich meinte er) ansehe, so komme ich mir vor, wie ein Drehorgelspieler, der einen Affen bei sich hat«.

Meine anfänglichen Versuche, solche Redensarten mir zu verbitten oder Moral zu predigen, hatten nur bestialischere Ausbrüche zur Folge: »Verfluchter deutscher Hund!« »Verrückter Anarchist!« Das waren noch die gelindesten Beschimpfungen, welche es da regnete.

Vor meinen Ohren redeten die Kerle oft mit einander über mich. Ich greife das Wesentlichste aus diesen Conversationen heraus. »Der hält sicher keine Rede mehr«, sagte der Eine. »Doch, doch«, rief der Andere. »Der Lump macht ja Geld mit seinem Blödsinn und beschwindelt arme Leute«. »So einen Schuft sollte man eigentlich hängen«, warf ein Dritter ein. Ein Vierter bemerkte: »Wenn er hier fertig ist, schafft man ihn ja nach Chicago; da wird man es ihm schon besorgen«, »O, wenn ich doch den Strick dabei anziehen könnte!«, liess sich ein Fünfter vernehmen. Und so weiter mit Grazie.

Ein für mich zulässiges Mittel, diesen Infamien ein Ende zu bereiten, gab es nicht. Ich konnte freilich mich beklagen und diese Menschen in den Dunkelarrest bringen, allein mein anarchistisches Princip verbot mir, so zu handeln. Ich hätte die Burschen züchtigen können – um mir selber Dunkelarrest nebst Kettenstrafe etc. zuzuziehen! – Es gab Nichts, als Stoicismus, ein scheinbar taubes Ohr, welch es da am Platze war. – –

Was diese Menschen unter sich redeten, liess in einen wahren Abgrund von Demoralisation und Verworfenheit blicken. Die Sprache war ekelhaft gemein, der Gesprächsstoff in der Kegel criminell. Bedenkt man dann noch, dass in diesem sauberen Zuchthause ganz junge Burschen (Knaben) mit ergrauten, hartgesottenen Verbrechern in engste Berührung gebracht werden, so kann man sich vorstellen, von welcher Art die »Correction« ist, welche die New Yorker Penitentiary zu Stande bringt. In dieser Beziehung ist diese Strafanstalt einfach eine Spitzbuben-Universität. Was da die schlechte Gesellschaft nicht zu Stande bringt, das thut die Brutalität der Büttel. Jeder Pädagoge weiss ja längst, dass man durch eine niederträchtige Behandlung keinen Menschen bessern, wohl aber verbittern und gänzlich verstockt machen kann.

Natürlich gab es unter den Gefangenen auch weisse Raben – arme Teufel, die gesetzlicher Blödsinn, meineidige Rachgier oder schwarze Niedertracht in’s Verderben schleuderte. So lernte ich unter Anderem einen baierischen Bierbrauer kennen, der von untadelhaftem Charakter war. Drei Raufbolde hatten ihn eines Tages überfallen; er vertheidigte sich mit einem kurzen Knüppel und schlug seine Angreifer in die Flucht. Dafür bekam er zwei und ein halb Jahre Zuchthaus aufgebrannt. –

Wie ein Mensch, wenn er nicht von ganz starker Willenskraft ist, auf Blackwells Island moralisch verkommen muss, so ist er daselbst der Gefahr ausgesetzt, leiblich ein Schwein zu werden. Kein Gefangener bekommt Taschen- oder Handtücher geliefert; wenn er solche nicht selber hat, so wird er bald total verschmutzen. Im Sommer bekommt man auch keine Strümpfe. Ebensowenig existiren da Betttücher. Man schläft immer in den nämlichen wollenen Decken, welche höchstens alle sechs Monate – nicht etwa gewaschen, sondern bloss ausgeschüttelt werden. Da die Decken grau sind, kann man den Schmutz, der daran haftet, wenig beobachten; besieht man aber seine Beine etc., so merkt man bald, wie es in dieser Hinsicht steht. Die Art und Weise des Waschens habe ich bereits gekennzeichnet. Bäder, wie sie in jedem europäischen Gefängniss periodisch den Gefangenen gewährt werden, hält man da, trotz aller sonstigen Sauerei, für gänzlich überflüssig. Dass unter solchen Umständen Mancher verlaust, kann nicht in Erstaunen setzen. Wanzen gibt es in den Zellen massenhaft und zur Sommerszeit finden sich darin sogar Tausendfüssler ein, deren Bisse sehr schmerzhaft sind und Anschwellungen verursachen. Dabei ist noch zu bemerken, dass in vielen der Eingangs dieser Skizze geschilderten kleinen Kerkerlöcher je zwei Gefangene, die in einem Abstand von etwa drei Fuss übereinander liegen, untergebracht sind. Das ist eine Einrichtung, welche neben anderen üblen Folgen auch noch die Begünstigung unnatürlicher Laster mit sich bringt.

Im Winter sind die elenden Löcher so kalt wie Hundehütten. Es werden nämlich nur die Gänge geheizt und zwar mittelst gewöhnlicher Oefen. Sechs Oefen sollen einen ganzen Flügel mit dreihundert Zellen erwärmen! Anderwärts existirt Dampf- oder Luftheizung; hier, wo die ohnehin schon sehr angenehme amerikanische Winterkälte noch durch die beiden Wasserstrassen, welche die schmale Insel bespühlen, verschärft wurde, sollte die deutbar altmodischeste Heizmanier genügen. Eiskalte Füsse und demgemäss ein chronischer Stockschnupfen verstanden sich da ganz von selbst.

Wie mit der Heizung, stand es mit der Beleuchtung. Auf jedem Gang mit vier übereinander liegenden Reihen von je 32 Zellen brannten 4 Gasflammen, welche indessen um 8 1/2 Uhr Abends zu ganz kleinen Fhimmchcn reducirt wurden.

Das Verhältniss der Beamten zu den Gefangenen ist in diesem Zuchthause ungefähr mit dem Verhältniss von Viehtreibern zu Ochsen oder Schweinen zu vergleichen. Es besteht da einfach gar kein Verkehr. Nur wenn einem Gefangenen Grobheiten zu machen sind, wird zu ihm gesprochen, sonst würdigt man ihn keines Blickes; er gilt weniger als ein Stück Vieh. Uns Dreien ging es nicht besser, als allen Anderen. Am ersten Sonntag, kam der Deputy Warden in Begleitung eines Commissionärs an meinen Käfig. Er sagte, ich solle angeben, ob ich irgend welche Beschwerden vorzubringen hätte, »Meine Beschwerde, sagte ich, geht dahin, dass es mir in diesem republikanischen Gefängniss tausendmal schlechter geht, als in irgend einem europäisch-monarchischen Kerker, insbesondere dass ich hier wie der gemeinste Verbrecher und nicht wie ein politischer Gefangener behandelt werde«.

Der Deputy Warden bemerkte indignirt: »Hier werden Alle gleich behandelt«. »Mindestens«, erwiderte ich, »sollte man auf meine Gesichts-Entstellung Rücksicht nehmen und das allwöchentliche Rasiren unterlassen«. Da ergriff der Commissär das Wort, indem er sagte: »Das wäre ja gegen die Hausordnung«. Die Kerle verzogen sich.

Später habe ich dem Warden Pilsbury zu Gemüthe geführt, dass es ein Scandal sei, mich zu rasiren und damit dem Spott der Gefangenen, mehr noch dem der »vornehmen« Besucher preiszugeben. Erst wollte auch dieser Henkersknecht nichts von der Sache Wissen. Schliesslich aber gab er doch den Befehl, dass ich während der letzten vier Monate meiner Einkerkerung nicht mehr rasirt werden sollte.

Endlich, am 1. April, war die Quälerei vorbei. Um manche Erfahrung reicher, »ungebessert« und mit bitterem Hass im Herzen, kehrten wir in die Welt zurück. Wir werden unsere Pflicht zu erfüllen wissen.

John Most, 167 William Street.

Aus: Internationale Bibliothek, John Müller, New York, Nr. 2, Mai 1887

Originaltext: http://ngiyaw-ebooks.org/ngiyaw/most/blackwells/blackwells.htm