Eine Heldin der Kommune

Und auch ihr, Sklavinnen der Sklaven und weibliche Hörige der Geldmächtigen unserer und jeder Zeit der Geldherrschaft, sollt nicht vergessen werden in diesen Märzblättern der Revolution. Denn ihr gehört zu uns, die Arbeiterin zum Arbeiter, ge­meinsam strebend und kämpfend für die glorreiche Sache der Freiheit und Gleichheit für beide Ge­schlechter und alle Welt. Arbeiterfrauen und Mädchen des Proletariats — ihr gehört zu uns, in allen großen Auferstehungsepochen der Menschheit habt ihr Schulter an Schulter mit dem Manne für die un­vergänglichen Ziele sozialer Humanität gestritten. Ihr habt uns Kinder geschenkt, die in den vordersten Reihen des Emanzipationskampfes standen, habt uns eine Louise Michel gegeben! Sie sei das Symbol der ewigen Gleichheit zwischen Mann und Weib in allen Gegenseitigkeitsbeziehungen, so wie sie im Kampfe der Kommune das Symbol des einmütigen Trachtens von Mann und Weib für das gleiche Ideal der Befreiung gewesen!

Als Kind freier Liebe ward „die gute Louise", als die Louise Michel jedes Pariser Kind kannte, am 20. April 1833 in einem herrschaftlichen Schloß geboren. Wie der Monat, in dem sie das Licht der Welt erblickte, stürmisch und unruhevoll ist, so war auch ihr Leben: stets erfüllt von Kämpfen, vom Ringen gegen die bestehenden Gewalten und heiligenartiger Ergebung in das ihr auferlegte Leid. Nach einer guten Erziehung verließ Louise Michel als junges Ding das Palais ihrer Geburt. Sie war eine Lehrerin und der gewöhnliche Weg, der Staats­dienst, stand ihr offen. Doch schon damals regte sich in dem bereits zur glühenden Republikanerin herangereiften Mädchen ein ungewisses Etwas der Abneigung gegen jedes Karrieremachen. Und um dem verhaßten Staatsdienste zu entgehen, begründete sie eine eigene Schule und schlug sich damit küm­merlich genug durchs Leben. An der Agitation gegen das dritte Kaiserreich nahm sie den tätigsten Anteil und als dieses am 4. September 1870 gestürzt wurde, ruhte sie nicht; sie setzte den Kampf fort, diesmal gegen die heuchlerische Scheinrepublik. Während der Kommune stand der ganze 18 Arrondissement unter ihrer umsichtigen Fürsorge.

Gekleidet wie ein Soldat der Nationalgarde, gelang es ihr, die Frauen dieses Bezirkes zu organisieren; dazu ge­sellte sich ihre eifrige Mitarbeit bei der Begründung des sogenannten Wachsamkeitskomitees. Nicht nur als friedliche Kulturpionierin stand sie mit ihrer ganzen Person ein, nein, auch als Kämpferin; und in den blutigen Straßenkämpfen der grauenhaften Maiwoche erblicken wir sie als heldenmütige Barrikadenkämpferin, die bereit ist zu sterben, die sich niemals ergibt... Gefangen genommen, wird sie am 16. Dezember 1871 vor die berüchtigten Kriegs­gerichte der Versailler gestellt. Ihre Verteidigung besteht in einer begeisterten Kundgebung für die Kommune und als Kommunardin, ist der voraus-kündende Hohn der Zukunft, der den Richtern, die wie Xerxes glauben, das schäumende und sturmbewegte Meer durch Peitschenhiebe bändigen zu können, in die Ohren gellt. Damals entrann Louise Michel nur wie durch ein Wunder der Todesstrafe. Grausam genug lautete indeß das Urteil: lebens­längliche Verbannung nach Neu-Kaledonien. Neun Jahre hat sie dort verbracht — ungebeugt und mittlerweile vollends zur Anarchistin geworden, kehrte sie zurück. Kaum drei Jahre des Friedens sind ihr vergönnt, da wird sie wieder zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie hungernde Arbeitslose in vollgepfropfte Bäckerläden geführt und das dort befindliche Brot unter ihnen verteilt hatte.

Als Louise Michel, begünstigt durch eine Amnestie, nach drei Jahren wieder „in die Freiheit" rückkehrte, war vorläufig ihres Bleibens in Frank­reich nicht länger, da der französische Staat nun einen definitiven Anschlag auf ihr Leben plante. Kurz gesagt: Er, der grausame Heuchler, wollte diesen herrlich freien Geist für wahnsinnig erklären lassen... Und so sehen wir denn Louise Michel auch das bittere Brot des Exils essend, in kümmer­lichsten Existenzkämpfen sich aufreibend, doch un­ermüdlich in der Propaganda des kommunistischen Anarchismus und der Idealprinzipien einer neuen Lebensethik. Dieser stählerne Frauencharakter und dieses weichste aller gütigen Herzen gegenüber dem Elend des Volkes hat seine soziale Frage niemals zu lösen verstanden — wie die meisten Pseudo­revolutionäre. Sie blieb stets die arme, nur inner­lich reiche und im Geben unerschöpflich reiche Propagandistin. Der Tod ereilte sie auf einer Agi­tationstour durch Frankreich für die internationale antimilitaristische Assoziation; es war in den Jänner­tagen von 1905. Keine Königin hat je solch ein Leichenbegängnis erhalten, wie diese schlichte Volkstribunin, der ganz Frankreich ein Geleite gab.

Louise Michel lernt man am besten aus ihrer selbstverfaßten Memoiren kennen: als Mensch, als Denkerin und als Kämpferin! So nur wird man es begreifen, wenn wir sagen: Und ist sie auch tot, so weilt sie doch unter uns, denn der Geist dieser heldenmütigen Kommunardin ist eingeschreint in unseren Herzen mit allen Hoffnungen und Ideen  unseres Kampfes.

Aus: "Wohlstand für Alle", 1. Jahrgang, Nr. 6 (1908). Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.