Erfahrungsbericht aus dem KZ - Konzentrationslager Buchenwald

Anmerkung: Der folgende Bericht stammt von einem Mitglied der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter-Union (FAUD). Er wurde 1946 verfasst.

Arbeitskommando Steinbruch und Kommandantenhaus

Anfangs des Jahres 1935 wurde ich von der Gestapo verhaftet und nach fast 11 Monaten Untersuchungshaft vor dem Oberlandesgericht in Darmstadt wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Verbüßung dieser Strafe im Zuchthaus Butzbach wurde ich nicht etwa entlassen, vielmehr bekam ich statt meiner Entlassungspapiere einen Schutzhaftbefehl ausgehändigt, und am Tage meiner Entlassung nahmen mich zwei Gestapobeamte am Tore in Empfang, die mich in einem bereit stehenden Auto nach dem Polizeigefängnis nach Frankfurt am Main brachten, von wo ich dann mit einem Sammeltransport in das Konzentrationslager Buchenwald überführt wurde. Vier Jahre und drei Monate habe ich in dieser Hölle verbracht.

Ich hatte die harte Schule meiner dreijährigen Zuchthausstrafe hinter mir, und ich glaubte damals, daß auch die Dinge, die mich hier erwarteten, mich nicht erschüttern könnten. Aber bereits die nächsten Tage und Wochen sollten mich belehren, daß ich mich getäuscht hatte.

Als Zugang hatte ich das Pech, einem der gefürchtetsten Arbeitskommandos "dem Steinbruch" zugeteilt zu werden. Unsere Arbeit bestand darin, Steine zu brechen, vollgeladene Loren an ihren Bestimmungsort zu ziehen, oder auch die Steine einzeln auf der Schulter über einen steilen Abhang nach dem oberen Rande des Steinbruchs zu transportieren. Ich wurde einer Kolonne zugeteilt, welche die Loren zu ziehen hatte. Diese schwere Arbeit mußte im Laufschritt ausgeführt werden, und die SS-Posten, unter deren ständiger Überwachung wir standen, sorgten dafür, daß wir das nötige Tempo behielten. Den ganzen Tag über hagelte es Fußtritte und Gewehrkolbenstöße und wehe, wenn die Posten schlechter Laune waren, oder sich die lange Weile vertreiben wollten, dann kamen alle die Schikanen an die Reihe, die diese Landsknechte im Laufe der Zeit entwickelt hatten.

Ganz besonders die Schwachen waren die Zielscheibe der SS. Brach einer von uns vor Erschöpfung zusammen, so versuchten ihm diese SS-Bestien durch Kolbenstoße wieder auf die Beine zu helfen. Gelang dies nicht, so wurde er bewußtlos geschlagen und beiseitegeschleift, wo er, gleichgültig bei welchem Wetter, ob Schnee oder Regen, ob Hitze oder Kälte, liegen blieb. Nicht genug damit, erwartete den Armen in der Regel am Abend eine Meldung des Postens wegen Arbeitssabotage oder Arbeitsunlust, auf Grund deren er dann in den Bunker wanderte, oder über dem Bock 25 Stockschläge ausgezahlt bekam. Viele haben in ihrer Verzweiflung den Weg über die Postenkette gewählt, um durch eine Kugel von diesem elenden Leben erlöst zu werden.

Der Steinbruch war ein Himmelfahrtskommando, das sicherlich in der ersten Zeit die meisten Opfer kostete. Es war eine Freistätte, wo sich der Terror der SS hemmungslos austoben konnte, daß solche Gefangene, die der Lagerleitung aus irgend einem Grunde unbequem waren, zur kalten Liquidierung dorthin abkommandiert wurden. Selbst für einen kräftigen Menschen war es unmöglich, unter den herrschenden Arbeitsverhältnissen lange Zeit auszuhalten.

Gearbeitet wurde bei jeder Witterung vom Morgengrauen bis zum Abend, und selbst an Sonntagen hatten wir keine Ruhe. Es gab nur eine kurze Mittagspause, die oft von der Laune der SS-Posten abhing. Die Ernährung war so schlecht, daß sie selbst für einen Menschen, der nicht gearbeitet hätte, gerade ausreichte, um das nackte Leben zu erhalten. Durch die jahrelange Zellenhaft im Zuchthaus waren meine Muskeln vollkommen erschlafft und der plötzliche Wechsel zu einer so schweren körperlichen Arbeit führte zu einer Revolution aller Körperteile.

Bereits in den ersten Tagen war ich so zerschlagen, daß ich kaum noch aufrecht gehen konnte, und in wenigen Tagen war mein von der Zuchthaushaft aufgedunsener Körper zu einem Skelett abgemagert. Am Abend schleppte ich mich nur noch mühsam in das Lager zurück, wo wir oft noch stundenlang auf dem Appellplatz stehen mußten, ehe wir in die Baracken wegtreten konnten. Aber auch hier gab es noch keine Ruhe, mußten doch die völlig verschmutzten Kleider und Schuhe wenigstens einigermaßen in Ordnung gebracht werden, wenn man nicht auffallen wollte. Ich war während der Verbüßung meiner dreijährigen Zuchthausstrafe ständig in Einzelhaft, und nun mußte ich in einer mit Menschen vollgestopften Baracke hausen, in der des Abends ein wüster Lärm herrschte von sich laut unterhaltenden und streitenden Menschenhaufen. Es war mir klar, daß ich aus diesem Kommando herauskommen mußte, sonst war ich rettungslos verloren. Endlich, nachdem ich mich vier Wochen durchgeschleppt hatte, bot sich eine Möglichkeit. Es wurden Leute für ein anderes Kommando gesucht. Ich meldete mich, in der Hoffnung, daß es wohl kaum schlimmer kommen könnte.

So kam ich in das Arbeitskommando "Kommandantenhaus". Bereits am ersten Tage sollte ich erfahren, daß der Steinbruch noch ein Kinderspiel gewesen war gegen dem, was hier vorging. Durch ein wüstes Antreibersystem sollten die Termine für den Bau des Kommandantenhauses eingehalten werden. Die Arbeitsmethoden waren hier genau so primitiv wie im Steinbruch, selbstverständlich wurden auch die Loren mit Menschenkraft gezogen, wir Spezialisten aus dem Steinbruch wurden natürlich sofort wieder vor die Loren gespannt. Es galt, den Abraum von der Ausschachtung des Kommandantenhauses in dem nahe gelegenen Wald in eine Mulde von ca. 10 Meter Tiefe auszukippen. Vom Einladen bis zum Waldrand waren ca. 300 Meter zurückzulegen. Diese Strecke war ebener Weg und wurde von 8 - 10 Mann zum Ziehen verhältnismäßig leicht überwunden. Nun kam der Weg zur Mulde im Wald, der ebenfalls ca. 200 Meter lang war. Zuerst wurde, da ein Gefälle von rund 40 % (ca. 20 Meter lang) in den Wald hineinführte, umgespannt. Das heißt, die Bemannung der Lore mußte nicht mehr ziehen sondern halten, um ein Absausen der Lore zu verhindern.

Bei einer dieser Todesfahrten, es war schon gegen Abend, kam ich, hervorgerufen durch das wahnsinnige Tempo der geladenen Lore, auf der abschüssigen Bahn und auch infolge der Müdigkeit zum Fallen. Alles hinter mir her fiel über mich und die Lore sauste ohne Halt weiter und kippte sich nach ungefähr 50 Meter Lauf selbst in den Wald aus. Nun war es passiert. Die SS-Posten schrien Sabotage, und es hagelte nur so von Püffen und Schlägen auf meinen Rücken. Der Lorenführer, ein Berufsverbrecher, ließ seinen immer mitgeführten Knüppel auf meinem Rücken tanzen, und ich verlor die Schuhe. Völlig erschöpft blieb ich auf dem Feldbahngeleise liegen und war noch nicht einmal imstande, meine mir zugebrachten Schuhe wieder anzuziehen. Ein Gefangener mußte mir dabei helfen.

Als ich mich wieder mühsam aufgerichtet hatte, ging es mit Fluchen und Schimpfen wieder weiter. An der Mulde angekommen, gab mir plötzlich einer der SS-Leute im Beisein des Kommandoführers ohne irgend einen besonderen Anlaß einen Stoß, so daß ich in die Grube stürzte. Ich versuchte, mich beim Fallen irgendwie krampfhaft festzuhalten und es gelang mir auch trotz des schnellen Sturzes, mich an etwas festzuklammern. Droben standen die SS-Leute mit schußbereitem Gewehr und meiner erster Gedanke war, wenn du jetzt laufen gehst, bist du erschossen. Mühselig kroch ich auf Händen und Füßen wieder hoch.

Ich dachte, es wäre genug des grausamen Spiels, aber ich hatte mich getäuscht. Ein Kinnhaken von vorn legte mich mit dem Hinterkopf auf die Feldbahnschiene. Blutig ging ich wieder hoch und nun kam der Herr "Kommandoführer" zum Wort. Er schickte zuerst die Lore mit Besatzung und Posten zurück und blieb mit mir allein im Wald am Rande der Mulde. Jetzt zog er seine Pistole und hielt sie mir auf die Brust. "Was soll man mit Leuten, wie du einer bist, anfangen - und politisch bist du auch noch. Dich schießt man am besten über die Haufen". Ich schwieg, da ich der Meinung war, daß jedes Wort doch überflüssig sein würde. Auf seine Aufforderung hin, noch etwas zu meiner Verteidigung anzuführen, hielt ich ihm vor, daß allein das starke Gefälle am Waldeingang an dem Vorfall schuld sei, und da ich sah, daß meine Entschuldigung keinen Eindruck auf ihn machte, und er die Absicht hatte, mich über den Haufen zu schießen, setzte ich einem geheimen Instinkt folgend hinzu, ich habe zu Hause eine alte Mutter, die auf mich wartet. Scheinbar hatte dieser gestammelte Appell an die Menschlichkeit doch noch eine Wirkung auf ihn ausgeübt, denn nach einer Weile ließ er den Revolver sinken, und mit der Androhung, daß, falls bis zum Feierabend noch das Geringste bei ihm über mich zur Meldung komme, er mich doch noch "fertig" machen wolle, entließ er mich im Laufschritt zurück an die Lore. Ich hörte noch, wie er mir nachrief, daß er mir heute abend persönlich "fünfundzwanzig" zur Auszahlung bringen würde.

Noch zweimal mußte ich in meinem erschöpften Zustand die Lore ziehen. Endlich kam das Signal zum Feierabend. Mit gemischten Gefühlen stand ich nun auf dem Appellplatz und wartete darauf, daß ich zum Tor gerufen würde, wo sich diejenigen zu melden hatten, die über den Bock gingen. Ich hatte schon wiederholt diese schreckliche Prozedur mit angesehen, und ich war noch nicht so abgebrüht, wie die meisten meiner Mitgefangenen, die durch die tägliche Wiederholung auf diese Prügelszenen kaum mehr achteten. Bei jedem Hieb, der auf die unglücklichen Opfer niedersauste, zuckte ich zusammen, und mit Schrecken dachte ich daran, daß ich selbst einmal über den Bock gehen könnte. Und nun war es soweit.

Ich muß ein bejammernswertes Bild abgegeben haben, ich war nicht nur seelisch einem Zusammenbruch nahe, auch mein Äußeres bot einen wüsten Anblick. Meine Kleider waren durch den Sturz vollkommen verschmutzt, ich hatte mir den Hinterkopf blutig geschlagen und durch die Faustschläge ins Gesicht war das Blut mir aus der Nase geschossen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich abzuwaschen, und meine Kameraden, die mich so sahen, waren begierig, zu erfahren, was vorgefallen war. Ich erzählte ihnen den Vorfall, und auch, daß ich über den Bock sollte. Einer der Kameraden, der die Kommandoführer und ihre Eigenarten genau kannte, war der Auffassung, daß der Kommandoführer keine Meldung machen würde, da sie mich derart zusammengehauen hatten. Er behielt tatsächlich recht, ich war bei den Meldungen, die verlesen wurden, nicht dabei.

Als ich mich am nächsten Morgen krank meldete, muß ich selbst auf den Arbeitsdienstführer einen glaubwürdigen Eindruck gemacht haben. Zwar kam ich nicht ins Lazarett, sondern ich wurde in die Wäscherei abkommandiert. Ich war gerettet. Viereinhalb Jahre habe ich dort ausgehalten.   

Wenn auch die Wäscherei kein Paradies war, so war sie für mich doch ein Versteck, aus dem ich mich trotz aller Unannehmlichkeiten nicht mehr herauswagte.

A.H.

Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at