Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter - Erlebnisberichte aus den KZ-Lagern Emsländer Moor, Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald 

Vorbemerkung

Dies ist ein Dokument der Zeitgeschichte; es ist von besonderer Art: Im Jahre 1946 trafen sich einige ehemalige Widerstandskämpfer, um gemeinsam über ihre Erlebnisse in den Kerkern und Lagern der Faschisten zu sprechen.

Das Ergebnis ihrer Zusammenkunft waren 45 eng beschriebene Schreibmaschinenseiten - Versuche ihrer Aufarbeitung und Analyse einer Terrorinstitution, die den beschönigenden Namen Konzentrationslager trug, und der sie über Jahre psychisch und physisch ausgeliefert waren.

Es handelt sich bei den vier Männern, die dies verfaßten nicht um Literaten, die mit wohlfeilen Worten Schmerz und Schrecken zu beschreiben wissen, sondern um Leute aus dem Volke. Ihre Worte sind einfach, aber sie treffen. Sie waren Arbeiter, Mitglieder der Freien Arbeiter-Union (FAUD) - also Anarchisten. Ihre unbedingte Autoritätsvemeinung ließ sie 1933 kompromißlos den Kampf gegen die faschistische Diktatur aufnehmen. In ganz Deutschland beteiligten sich die Anarchisten und Syndikalisten der FAUD an den Widerstandsaktivitäten der am Boden liegenden Arbeiterbewegung. Ihre Kämpfe aber wurden vergessen. Ebenso die Wege derer, die, von der Gestapo gestellt, in den Konzentrationslagern verschwanden.
 
Heute, nahezu 35 Jahre später, gelangen diese Berichte an die Öffentlichkeit. Es ist eigentlich sehr schade, daß dies erst so spät geschieht, denn schon längst bergen die Berichte über das Leben in den Konzentrationslagern nur noch einen Mitleideffekt; ein kurzes Schaudern, gepaart mit Ungläubigkeit, erfaßt den Leser - mehr nicht. Es ist daher ein Fehler zu glauben, durch die Berichte über das Massenelend der KZ's ein antifaschistisches Bewußtsein schaffen zu können. Nur durch eine politische Aufarbeitung des deutschen Faschismus und seiner Ursachen kann dies nachhaltig geschehen.

Nur so wird es gelingen, aufkeimende zumindest nationalistisch-autoritäre Strömungen in Deutschland politisch richtig einzuschätzem und wirksam zu bekämpfen. Denn, der Faschismus mag in seinen äußeren Formen verschieden sein, in seinen inneren Strukturen bleibt er gleich.

Rolf Theißen, Peter Walter, Johanna Wilhelms

Danksagung: Unser Dank gilt Georg Hepp, der uns diesen Text zur Verfügung gestellt hat. - Auf seinen Wunsch hin sind die Berichte nicht namentlich gekennzeichnet. Georg Hepp gehört zu den alten Genossinnen und Genossen, die durch ihre Mitarbeit zum Erscheinen der Buchreihe (insbesondere dieses Bandes) wesentlich beigetragen haben.

Vorwort

Es ist durchaus kein Zufall, daß der Faschismus gerade in Deutschland zu einer so gewaltigen Machtentfaltung gelangen konnte. Die wirtschaftliche Krise, von der dieses ausgesprochene Industrieland besonders stark betroffen wurde und die damit verbundene Verelendung der breiten Massen hatten den Boden vorbereitet, auf dem sich der autoritäre Messiasglaube an einen Adolf Hitler in tropischer Üppigkeit entfalten konnte.

Aber selbst diese allgemeinen Voraussetzungen hätten alleine niemals genügt, den Faschismus zur Macht zu bringen, wenn er nicht darüber hinaus zwei wesentliche Stützpunkte vorgefunden hätte, die er nur auszubauen brauchte. Es war dies einerseits der Geist des preußischen Militarismus, der in der Demokratie lustig weiterlebte, und dessen jahrhundertealte Tradition jegliches Freiheitsgefühl im deutschen Menschen erstickt hatte und andererseits die in geistiger Verwandtschaft zum preußischen Militarismus stehende deutsche reformistische Arbeiterbewegung, in der sich eine Führerkaste entwickelt hatte, die durch ihre jahrzehntelange parlamentarische Praxis vollkommen in das Bürgertum hineingewachsen war. Diese Parteibürokratie, die mit Geringschätzung auf die alten erprobten Kampfmittel der direkten Aktion herabschaute, und für die der Klassenkampf zu den längst überwundenen Kinderkrankheiten des Sozialismus zählte, glaubte in der Stunde der höchsten Gefahr, als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler mit Hilfe der Schwerindustrie und der Hochfinanz zum Reichskanzler ernannt wurde, durch die papierene Macht des Stimmzettels Hitler stürzen zu können. Die Massen aber, die keine Klassenkampferfahrung mehr hatten und die nur gewöhnt waren, auf Befehl ihrer sozialistischen Führer zur Wahlurne zu schreiten, wechselten kampflos zu den faschistischen Organisationen über, nachdem Hitler ihre sozialistischen Führer zum Teufel gejagt hatte und gaben später jene Soldaten ab, die mit Hitler bis zum letzten Atemzuge kämpften.

Trotz dieser schmachvollen Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung gab es durch all die Jahre der faschistischen Herrschaft eine große Anzahl mutiger Kämpfer, die unerschrocken die Fahne der Freiheit hoch hielten und diesmal ohne ihre Führer, nur auf sich selbst gestellt, den Kampf gegen den Hitlerfaschismus aufnahmen und weiterführten. Sie waren es auch, die als namenlose Kämpfer, von ihren eigenen Volksgenossen verraten, von der Gestapo gehetzt und schließlich zur Strecke gebracht, zu Tausenden in die Zuchthäuser und Konzentrationslager wanderten und auf bestialische Weise gemordet wurden. Sie waren es auch, die in einem scheinbar bedeutungslosen illegalen Kleinkrieg mit dazu beitrugen, den Faschismus zu unterminieren und seine militärische Niederlage zu beschleunigen.

Das autoritäre Experiment des Faschismus hat ein katastrophales Ende gefunden!

14,45 Millionen fielen auf den Schlachtfeldern dieses Krieges, 2,9 Millionen Menschen - Frauen, Kinder und Männer - kamen im Luftkrieg um, 15 Millionen haben ihr Leben gelassen infolge der Auswirkungen dieses Krieges, 5,5 Millionen wurden hingerichtet und endeten entweder am Galgen, auf dem Schafott, unter der Kugel oder in den Gaskammern, 11 Millionen sind in den Zuchthäusern und KZ-Lagern umgebracht worden.

Dazu kommt das Heer der Millionen Verstümmelter, Gefolteter und Gequälter, nicht zu vergessen die gewaltigen Trümmerhaufen, die als einziges überall dort übrig geblieben sind, wo diese faschistischen Zerstörer hinkamen.

Man ist leicht geneigt auf Grund der Tatsache, daß diese autoritäre Pest in Deutschland zum Ausbruch kam, sie als eine typisch deutsche Erscheinung zu betrachten. Und doch sind in Wirklichkeit all diese verbrecherischen Auswirkungen nur Begleiterscheinungen jenes autoritären Wahnsinns, der sich durch die Jahrtausende der Geschichte stets gleich geblieben ist. Die lebenden Pechfackeln der ersten Christen, an denen ein Nero sich ergötzte und die brennenden Scheiterhaufen, die das dunkle Mittelalter schauerlich erhellten, entsprangen dem gleichen autoritären Pestbazillus, der sich im 20.Jahrhundert das krankhafte Gehirn eines Adolf Hitler aussuchte, um so zum Inspirator dieses grauenvollen Vernichtungswerkes zu werden.

Der autoritäre Wahnsinn hat durch seine Verherrlichung des Verbrechens alle sittlichen Hemmungen beseitigt, die in normalen Zeiten die Bestie im Menschen bändigen. Er hat eine Serie staatlich sanktionierter Verbrechertypen gezüchtet, wie jene berüchtigten SS-Männer, die es als ihr tägliches Handwerk betrachteten, Menschen zu mißhandeln, zu foltern und zu töten, oder jene Richter, die bar jedes gesunden Rechtsempfindens Tausende von Menschen zum Tode verurteilten, nur aus dem Grunde, weil sie im Verdacht standen, keine Nationalsozialisten zu sein, oder jene Ärzte und Wissenschaftler, die sich bereitfanden, an gesunden Menschen todbringende Experimente vorzunehmen. Sie alle standen im Bann jener autoritären Machtpsychose, die bis in den engsten Familienkreis eindrang und das Leben vergiftete.

Mögen diese Aufzeichnungen aus der Hölle des Faschismus dazu beitragen, den Wert der Freiheit zu schätzen und die Gefahr zu erkennen, die der Menschheit durch den autoritären Wahnsinn droht, gleichwie, ob er sich in einer braunen, schwarzen oder roten Maske zeigt.


Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at