AIB - Der Streit ums Erbe. Die Nachfolgestrukturen von Blood & Honour

Am 7. März 2006 durchsuchte die Polizei in sechs Bundesländern insgesamt 119 Wohnungen und Geschäftsräume von 80 Neonazis, die verdächtigt werden, das im September 2000 verbotene Netzwerk der Blood & Honour-Division Deutschland weitergeführt zu haben. Insbesondere wird den Betroffenen die Organisierung »verfassungsfeindlicher Musikveranstaltungen« vorgeworfen. In Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz zielten die Razzien unter anderem auf die Aktivisten einer Division 28, die sich als die wahren »Erbfolger« von Blood & Honour sehen. Diesen Anspruch versuchen sie mit rabiaten Methoden durchzusetzen.

Es war eine Razzia mit Ansage. Seit Monaten thematisiert der baden-württembergische Innenminister in überraschender Offenheit die gestiegene Anzahl neonazistischer Konzerte. Als auf einem Neonazikonzert am 22. Oktober im bayerischen Mitterskirchen von der Bühne aus für Blood & Honour geworben wurde und Mitglieder von Blood & Honour Vorarlberg aus Österreich (eng verbunden mit der deutschen Division 28) die Bühne enterten, um das berüchtigte U-Bahn-Lied anzustimmen, blieb die zahlreich anwesende Polizei seltsam untätig und begnügte sich mit der Dokumentation des Ganzen. Als am 21. Januar 2006 Sondereinsatzkräfte der baden-württembergischen Polizei im Karlsruher Rheinhafengelände ein Konzert sprengten, auf dem der Karlsruher Hartwin Kalmus, angeblich »zweiter Chef« der Division 28, als Veranstalter auftrat, waren Staatsschützer und Landeskriminalamt vor allem daran interessiert, die an der Organisierung beteiligten Personen herauszufiltern und das an den Verkaufsständen angebotene CD- und Fanzine-Material zu beschlagnahmen. Und als nur eine Woche später durch den Hack eines Internetforums der »Freien Kameradschaften Rhein-Neckar« interne Diskussionen öffentlich wurden, in denen der Division 28 schwere Straftaten zugewiesen wurden, war die Polizei bemüht, die Brisanz dessen herunterzuspielen und die Öffentlichkeit hinzuhalten. Es war etwas im Busch, das war fast allen klar – nur nicht einigen der Neonazis, die im Fokus der Ermittlungen standen: Ein 32jähriger aus Nürnberg hatte eine Handgranate in seiner Wohnung, bei einem 26jährigen aus dem Raum Miltenberg (Unterfranken) fand die Polizei eine scharfe Waffe, viele der Durchsuchten hatten umfangreiches, zum Teil verbotenes Propagandamaterial zu Hause.

Mehr Schein als Sein: Hinter der Fassade von Blood & Honour

Dass Blood & Honour-Leute einen Teil ihres Netzwerkes auch nach dem Verbot aufrecht erhalten konnten, haben in den letzten fünf Jahren viele antifaschistische Recherchen offen gelegt. Nur: Ein übergreifendes Label mit hierarchischem Aufbau und festen Mitgliedschaften gab es tatsächlich nicht mehr. Es hatte sich nämlich schon vor dem Verbot zerfasert. Bis ins Jahr 1999 stellte Blood & Honour in Deutschland einen festen, klar strukturierten und elitären Zusammenhang, der es ermöglichte, die »besten« (und gewinnträchtigsten) Konzerte auf die Beine zu stellen und einen erheblichen Teil des Marktes insbesondere mit illegalen CDs zu kontrollieren. Doch schon ein Jahr vor dem Verbot setzten, wie man heute rekonstruieren kann, Auflösungserscheinungen ein: Konkurrenz und persönliche Antipathien prägten das Innenleben der Truppe, die sich nach außen hin weiter als verschworene Gemeinschaft präsentierte und unbeirrt an ihrem Mythos strickte.

Während ab 1998 ihre »politischen Köpfe« aus Hildesheim und dem Hamburger Raum (Sektion Nordmark) B&H zur »politischen Kampfgemeinschaft« mit 25-Punkte-Programm und regelmäßigen Aktionsberichten ausbauen wollten, mochten andere Sektionen diesem Plan nicht folgen. Sie verstanden sich eher als subkulturelle Gangs. Ihnen genügte es, ihre abgesteckten Territorien zu kontrollieren und in Ruhe ihre Geschäfte zu betreiben. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten fast alle nur auf eigene Rechnung und standen zum Teil schon mit einem Bein im Rotlicht- und Rockermilieu. Die Zugangskriterien zum einst elitären Kreis waren längst aufgeweicht. »Wenn du denen von Nutzen sein konntest«, so erzählt ein Aussteiger, »dann konnte dir es passieren, dass du, wenn du besoffen nach einem Konzert irgendwo eingeschlafen bist, mit Blood & Honour-Mitglieds-Patch auf der Jacke aufgewacht bist.« Auch die Hierarchien funktionierten nicht mehr – Funktionäre und ganze Sektionen wurden ausgeschlossen, weigerten sich jedoch schlichtweg zu gehen, bisweilen gab es miteinander konkurrierende Sektionen. Als B&H schließlich verboten wurde, kam dies so manchem aus dem Netzwerk gar nicht ungelegen. Endlich keine lästigen Fragen mehr nach den finanziellen Gewinnen und nicht abgelieferten Aktionsberichten. Die Geschäftsleute konnten nun völlig ungeniert selbst »unpolitische« Musik und rechten Lifestyle erschließen, wer wollte, der stieg nun fest in Rockergruppen ein. Diejenigen, die sich weiterhin als politische Aktivisten verstanden, wurden von den aus dem Boden sprießenden Kameradschaften gerne aufgenommen. Mancherorts bediente man sich aber auch einfach nur eines anderen Namens und beließ alles beim Alten: Hauptsache war, dass der Ruf und die Territoriumsansprüche gesichert waren und die Geschäfte weiter liefen. Der eine oder andere kam auch in einem der Aussteigerprogramme unter oder verschwand sang- und klanglos von der Bildfläche. Die Entwicklung von B&H nach dem Verbot war höchst unterschiedlich. Ausgerechnet die bundesweit führende Struktur in Berlin trieb es in alle Richtungen auseinander: Der ehemalige Chef der deutschen Division, Stephan (»Pin«) Lange, zog nach Kirchheim am Neckar (bei Heidelberg) und war weiter in der Organisierung von Konzerten aktiv. Bei ihm beschlagnahmte die Polizei am 7. März umfangreiches Material. Seine ehemalige Lebensgefährtin soll heute in Berlin als Prostituierte arbeiten, ein anderer »Ehemaliger« aus dem Führungskreis von B&H ihr Zuhälter sein. In anderen Regionen jedoch gelang es den B&H-Leuten ihre Kreise weitgehend zusammen zu halten. Diese Regionen standen nun im Mittelpunkt der Razzien vom 7. März.

Die »28« wird institutionalisiert

Als kurz nach dem Verbot von B&H die ersten T-Shirts auftauchten, die trotzig verkündeten »Ich lass mich nicht verbieten – 28«, war dies zunächst eine Idee des überaus geschäftstüchtigen ehemaligen Leiters der Sektion Franken, Bernd »Pernod« Peruch, der sich heute der Neonaziszene weit entfremdet hat und versucht, im unpolitischen Rockabilly-Milieu geschäftlich Fuß zu fassen. Sein ehemaliger Versand Shootdown-Records, eigentlich eine kleine Nummer im deutschen Neonazi-Business, erzielte vor allem über den Verkauf von »28«- und »Combat 18«-Accesoires monatliche Gewinne von ca. 5.000 EUR. Ab Ende des Jahres 2002 tauchte die »28« dann erstmals im organisatorischen Zusammenhang auf. Ausgehend vom rheinland-pfälzischen Rhein-Lahn-Kreis und dem benachbarten hessischen Landkreis Limburg-Weilburg erhob die Gruppe MSC 28, offiziell als »Motorsport- und Skinheadclub« firmierend, den Anspruch, die strukturellen Reste des B&H-Netzwerkes zu übernehmen und setzte sich öffentlich mir der »28« in Szene. Der Karlsruher Hartwin Kalmus, ehemaliger Vizechef der B&H-Sektion Baden, begann spätestens im Jahr 2004 unter dem Label der Division 28 Konzerte zu organisieren und konnte sich dabei unter anderem »alter« B&H-Kontakte aus dem fränkischen Raum bedienen. Erbstreitereien waren die Folge: Auf Parties in Hessen und Rheinland-Pfalz kam es zu Prügeleien zwischen der Division 28 und dem MSC 28 und die Division 28 gab am 31. August 2004 per Rundmail bekannt, dass der MSC 28 aufgrund »geistiger Verwirrung« als aufgelöst zu betrachten sei. Der MSC 28 baute seine »Zentrale«, ein Einfamilienhaus in Hirschberg (bei Diez/Rheinland-Pfalz) daraufhin zur Festung aus, denn man fürchtete sich vor einem Mann aus den Reihen der Division 28: Michael Zatzke, ehemals führender Exponent von Blood & Honour im Westerwald-Städtchen Montabaur, der sich nach dem Verbot von B&H den Hells Angels angeschlossen hatte, ohne jedoch die Neonaziszene zu verlassen. Seit den frühen 1990er Jahren ist der heute 35jährige als Neonazi aktenkundig. Seine imposante körperliche Erscheinung, sein gewalttätiges Auftreten und seine schon Mitte der 1990er Jahre erkennbaren Kontakte zur Halbwelt brachten ihm schnell eine unangefochtene Führungsrolle in der Westerwälder Neonaziszene ein. Auf Aufmärschen und ähnlichem war er selten zu sehen, er agierte stets im Hintergrund und trat vor allem dann auf den Plan, wenn es Geld zu verdienen gab. Wenn Michael Zatzke ein Neonazi-Konzert organisierte, wurde intern gerne einmal darüber gelästert, »dass der Zatzke wohl wieder Geld brauchen« würde, nur öffentlich traute sich niemand, dies anzusprechen.

Die Halbwelt der Division 28

Die »Politik« der Division 28 orientierte sich streng am Gebaren der Rockerszene: Zunächst wurde zielgerichtet der Mythos von B&H aufgegriffen, ausgesuchten Personen und Neonazi-Gruppen wurde der Anschluß an die Division 28 »angeboten« und das Gefühl vermittelt, von nun an in der ersten Liga mitspielen zu können. Darüber wurde beständig das Einflussgebiet erweitert, in dem die Division 28 immer ungenierter Führungsansprüche erhob. Während sich Gruppen um ehemalige B&H-Leute, wie zum Beispiel die Gruppe White Unity aus dem Raum Miltenberg (Unterfranken), der Division 28 anschlossen oder unterordneten, erwiesen sich die selbstbewussten Kameradschaften um das Aktionsbüro Rhein-Neckar als resistent. Auch waren sie nicht bereit, den von der Division 28 erhobenen Forderungen nach »Schutzgeld« zur Durchführung von Konzerten nachzukommen. Am 5. November 2005 überfielen 25 bis 30 Neonazis der Division 28 ein Konzert, das die Neonazigruppe Nibelungensturm Odenwald in Mitlechtern (bei Heppenheim/Südhessen) organisiert hatte. Nach übereinstimmenden Berichten schlug der Chef dieser »Gang«, Michael Zatzke, den Veranstalter mit einem Teleskop-Schlagstock krankenhausreif, während andere die Eintrittskasse raubten. In der nachfolgenden Aufregung, nachzulesen im gehackten Internetforum der Freien Kameradschaften Rhein-Neckar, plapperten die Betroffenen offen über die Strukturen und Personen der Division 28. Was die mitlesende Polizei dabei besonders gefreut haben dürfte: Stets war nur von den Leuten von »Blood & Honour« die Rede, nicht ein Mal wurde der Name Division 28 erwähnt. Die Stimmung schwankte zwischen der Angst, von den »feigen Schweinen« umgebracht zu werden, und demonstrativem Selbstbewusstsein. Denn schließlich glaubte man, starke Bündnispartner zu haben. So prahlte ein Kamerad von der hessischen Bergstraße mit seinen »sauguten Kontakten zu Rockern«, und in der Tat: Treffpunkt des Nibelungensturm Odenwald ist die Rocker-Kneipe Rider’s Inn im Odenwaldstädtchen Rimbach, die vom MC Night Riders betrieben wird – einer Gruppe, die dem internationalen Netzwerk des Outlaws MC angeschlossen ist, einem der schärfsten Konkurrenten der Hells Angels.

Was kommt als nächstes?

Die szeneinternen Gegner der Division 28 können nun aufatmen. Sowohl die Aktivisten der White Unity, Hartwin Kalmus als auch Michael Zatzke, der vom Haftrichter auf freien Fuß gesetzt wurde, haben nach den Razzien vom 7. März erst einmal andere Sorgen. Es bleibt abzuwarten, ob die Razzien die Neonazi-Musikszene in Südwestdeutschland überhaupt schwächen werden, denn letztendlich wurde den überaus aktiven Strukturen im Aktionsbüro Rhein-Neckar, die von den Razzien nur am Rande betroffen waren und die alleine im letzten Jahr ungefähr 20 Konzerte veranstalteten, nur ein lästiger Konkurrent vom Hals geschafft. Das »Erbe« von Blood & Honour ist nun wieder vakant. Wann und wer diesen Anspruch anmelden wird, ist genauso wenig abzusehen, wie das Label, unter dem dies ablaufen wird. Da nach dem Namen nun auch der Zahlencode verbrannt ist, wird man sich wohl etwas Neues einfallen lassen müssen. Vielleicht chinesische Schriftzeichen

Originaltext: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 71 / http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/71/10.php