TUWAT (1981)

Jetzt ist es soweit, ein paar hundert oder 50.000 kommen nach Berlin, sie kommen zum Spektakel, zur Festwoche, zum Kongreß der Aufruhr. Mit welchen Erwartungen kommen sie in die Stadt "der Bewegung", der "160 besetzten Häusern"?

Mit sicher unterschiedlichen, sie kommen als Unterstützer, als Bewegung die sich austauschen will, als Menschen, die die Berliner Szene angucken wollen, die den Mythos Berlin kennenlernen wollen. Und wir stehen da, unsicher. Kommen sie um zu konsumieren von Veranstaltungen, kommen sie um ein bischenWiderstand geboten zu bekommen. Wir haben sie gerufen und wissen selbst kaum was damit anzufangen. Die Vorbereitungen sind mager, wir hoffen auf Eigendynamik. Die Hoffnung, daß die Leute TUWAT selbst gestalten. Wir haben einen Rahmen gesteckt, hoffentlich füllt ihn jemand aus.

Und doch wiederum auch Angst vor der Eigendynamik, selbst aus militanten Kreisen werden Bedenken laut. "Es kann nicht um eine Entscheidungsschlacht gehen. Nach vier Wochen sind die Leute wieder weg und wir stehen mit dem Rosultat da". Die Angst vor unüberlegten Aktionen die uns mehr schaden als nützen, die Angst vor massenweise unnützt abgefackelter Mültonnen, die Angst vor andenkenjagenden Krawalltouristen, die ihre Stücke Berliner Pflaster aufreißen und ein Stück Q-Damm-Glas mit nach Hause nehmen wollen, die Angst vor einer erbosten Bevölkerung ohne die wir leben wollen noch können. (wollen schon, nur nicht können. d.sätzerin)

Wir kämpfen mit unserem eigenen Mythos, wir haben den Mund sehr voll genommen, was den Herrschenden den gehörigen Schreck verpasste und nun paart sich mit der Hoffnung die Angst vor den Geistern, die wir riefen.

Viele Menschen werden in unsern Häusern sein. Wir bekommen Angst um das letzte bißchen Ruhe. Und wir haben Angst unsern Mythos verkörpern zu müssen oder ihn endlich zu zerschlagen.

Der Mythos der kämpfenden Berliner Szene hat sicher manch positive Seite. Wir wissen noch zu genau wie uns Amsterdam, Zürich angetörnt haben, doch wir wissen auch wie schnell dann alles zerplatzt, nähert man sich dem ganzen mal in schlechteren Zeiten. Die Genoss/inn/en, die total frustriert aus dem verjunkten und alkoholisierten Züricher AJZ rauskamen und zusehen mußten wie eine kleine Gruppe Bewegungsüberbleibsel versuchen den Laden oder die Bewegung, oder beides zu retten. Wo ist die Power von "Züri brännt''?

TUWAT kann den Mythos Bäerlin noch steigern, für die, die kommen sicher nicht. Sie werden verwundert hören wie, wir uns die 17. Woche über Stromzahlen Streiten, werden sehen was für ein Beziehungsblues oft unter uns läuft. Wie wir versuchen was gemeinsam klar zu kriegen, uns gegenseitig blockieren und manchmal nach stundenlangem dummen Gelaber wenigstens ein Stärkegefühl auf der Straße erleben.

Wenn ich manchmal stundenlang Besetzerratdiskussionen mitbekomme, zu der sich ein paar wenige noch hinquälen und die dann zum x-ten male erfolglos verschoben werden oder zu einem Beschluß finden, an den sich schließlich doch keiner hält, dann denke ich manchmal der Mythos entsteht nur aus der Entfernung, dem damit verbundenen Mangel an Informationen und die Beschränkung auf Sensationen. In Spanien redet man enthusiastisch vom "Sturm aufs Rathaus" und in Kenia steht in der Zeitung Kreuzberg wäre fest in unserer Hand und von da aus würden wir gelegentlich zum Q-Damm oder in die Reichenbezirke vordringen und alles platt machen. Der Wunsch, der Vater des Gedankens ?

Oder eine Traumseifenblase worin man seine Hoffnungen packt, die man braucht beim Erleben seiner eigenen Ohnmacht ?

Das wäre aber zu einfach, denn der Mythos lebt in uns selbst, die wir wissen wie es wirklich ist. Der eigene Mythos (der deshalb auch gerne so vermittelt wird) schafft auch Realität. Wenn wir selbst daran glauben die Bullen geschlagen zu haben, stehen wir ihnen das nächste mal anders gegenüber. Wenn wir nach der Straßenschlacht uns unsere Heldentaten erzählen werden sie zur Realität. Oft sind die Geschichten anders als wir sie wirklich erlebten, oft wird unsere Angst kompensiert in der Erzählung: "als sie auf mich zu kamen und ich immer fix die Steine nach ihnen warf", und umgemünzt in Selbstsicherheit "wartet nur auf das nächste mal!"

Das ist auch richtig, denn wir wollen uns nicht mehr als Opfer begreifen und interpretieren Geschehnisse somit anders. Und die Presse hilft uns eifrig. Wenn wir von einer Aktion oder einer Demo nach Hause kommen, enttäuscht über unsere Fehler. Über Uneinigkeit, über unsinnige Aktionen, über immer viel zu viel Verletzte und "Eingefahrene", dann brauchen wir nur am nächsten Tag die Zeitung zu lesen und unser Selbstbewußtsein ist wieder da und oft sind die Zeitungsnachrichten bald für uns wahrer als unsere Erlebnisse. So sparen wir uns Selbstkritik und die vielleicht daraus resultierende Verbesserung unserer Aktionen.

Damit sollen jetzt nicht unsere Erfolge heruntergespielt werden, nicht das Gefühl stark zu sein und die Ohnmacht überwunden zu haben vermiest werden, sondern nur die Hochstilisierung vermieden werden, die uns blendet die Erfolge richtig auszuwerten und in taktische Überlegungen einzubeziehen. Nach Debus Tod haben wir den Q-Damm nicht platt gemacht weil wir unbezwingbar sind, sondern auch weil Kreise der Polizei einen Skandal wollten um die SPD und Hühner abzusägen und bei Bolle waren die Bullen nicht geschlagen, sondern hatten zu dem Zeitpunkt einfach nicht genügend Einheiten zur Hand. Das schmälert nicht unsere Erfolge aber kann in unseren Überlegungen bei weiteren Aktionen viel nützen wenn wir nicht im Obelix-feeling uns jeder Auseinandersetzung stellen. "Wenn die Guerilla dem Feind unterlegen ist zieht sie sich zurück und schlägt den Feind da wo sie kann". Wußte schon olle Mao.

Unseren Mythos zerschlagen heißt uns und unsere Aktionen diskutierbarer zu machen, gerade eben auch für alle die jetzt kommen. Denn eine Hochstilisierung verhindert auch eine Ausbreitung. Nach der Lorenz-Entführung bemühte sich die Presse nicht nur zur üblichen Hetze, sondern auch die Tat als genial und nur von genialen Studenten durchführbar zu schildern, so konnte die Tat nicht zur Nachahmung anregen sondern nur das Gefühl, wir hätten so was nie gekonnt, hinterlassen. Genau dieses Gefühl hatte ich oft in Diskussionen in Westdeutschland. "Ja in Berlin geht das ja, aber hier nicht". Man denkt nicht mehr an andere Bedingungen, die einen anderen Kampf ermöglichen und auch fordern, sondern an die Unmöglichkeit zur Nachahmung.

Auch hindert solche Mythisierung die kritische Auseinandersetzung. Wie beispielsweise bei unserem Verhältnis zur europäischen Guerilla. Wir glorifizieren die IRA, ETA und brigade rosse genauso unkritisch wie die Italiener die RAF bewundern, deren gesammelte Werke dort in jeder einschlägigen Buchhandlung vorne stehen.

Eine Auseinandersetzung mit der Guerilla findet nicht oder nur über drei gesprühte Buchstaben statt und nicht darüber, ob die Form des Kampfes, die Inhalte und die Ziele die gleichen sind wie die unseren.

So darf TUWAT nicht zu einer Manifestierung des Berlin-Mythos beitragen, (was es wahrscheinlich sowieso nicht tut, denn wer uns kennenlemt, dem muß es schwer fallen uns zu mythisieren), sondern den Mythos durchbrechen und eine Auseinandersetzung über Formen, Inhalte und Gemeinsamkeiten unseres Widerstands, praktisch wie theoretisch, schaffen.

Denn auch TUWAT kann nicht darüber wegtäuschen, daß diese Diskussion auch unter uns keineswegs geführt und erledigt ist, sondern gerade auch ein Stück Flucht vor dieser Diskussion war.

TUWAT kann ein fairer (?) Erfahrungsaustausch werden, über das was in den Bewegungen schief läuft, woran sie kaputt gehen, über das was gut läuft und uns stärkt.

TUWAT kann uns helfen ein Informationsnetz aufzubauen mit dem wir längerfristig Auseinandersetzungen führen können, damit Widerstand nicht nur dann für uns real wird, wenn die Presse darüber schreibt. Und eben keine kurzfristigen Mythen entstehen läßt die nach kurzer Zeit in Resignation und Enttäuschung von zu hohen Erwartungen, verrauchen.

TUWAT kann uns helfen zu klären, was unsere Gemeinsamkeiten und was unsere Unterschiede sind. In Berlin sind wir eine starke Bewegung, weil viele verschiedene Menschen einen gemeinsamen Nenner, die Häuser, haben. Doch wir alle haben viel mehr gemeinsam. Die Bedrohung durch Knast, die Wut gegen lebenszerstörende Umwelt, den Haß auf den Imerialismus, den Willen dem Krieg den Krieg zu erklären.

Wir werden uns kennenlernen und in dem Maße wie wir uns kennenlernen wird die Betroffenheit an den Problemen der andreren, der Wunsch und die Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zunehmen. Die Solidaritätsaktionen in vielen Städten und der schwarze Freitag nach der Räumung des Schwarzwaldhofes in Freiburg, dürfen keine Einzelfälle bleiben. Wir können uns massenweise Klein- und Großäktschns ausspinnen, die wir dann bei der nächsten Schweinerei machen. Gemeinsame Begehung von Straftaten "all over europe".

Aktionen, die zeigen wie Menschen unregierbar werden, nämlich, daß sie sich einfach und konsequent über alle Gesetze und Bestimmungen hinwegsetzen, die zum Schutz der Schweine und der ungerechten Eigentumsverhältnisse da sind. Wir machen internationale Schwarzfahrtage, internationale Einkaufstage zu verbilligten Tarifen und wenns sein muß internationale Scherbennächte.

Originaltext: http://autox.nadir.org/archiv/haus/81_tuwat2.html