Geschichte der Autonomen in Nürnberg

Mit Wut. Geduld und Energie – Geschichte wird gemacht – Es geht voran
Eine Einführung in die Geschichte der Nürnberger Autonomen


Die Soziale Revolution, das Ende des Kapitalismus, der Umsturz aller gesellschaftlichen Verhältnisse, die aus dem Menschen ein unterdrücktes und ausgebeutetes Wesen machen, ist in den Metropolen keine Angelegenheit, die sich über Nacht erledigen lässt, und so kann die Autonome Linke auch in unserer Stadt heute auf fast 28 Jahre Klassenkampf zurückblicken. Mit unserer mehrteiligen Reihe wollen wir einen Einblick in die ersten 10 Jahre der Bewegung, in Kampffelder, theoretische Ausrichtung und die zunehmende Organisierung der Autonomen geben.

Es kann hier selbstverständlich nicht über alles berichtet werden, was in Nürnberg geschah, einigen wird manches fehlen, anderen anderes. Es ist ein Einblick, der hier ermöglicht werden soll, eine umfassende Würdigung der Kämpfe, der Erfahrungen und daraus resultierenden Erkenntnise, kurzum eine gründliche Aufarbeitung unserer Geschichte muss an anderer Stelle erfolgen.

Am Beginn von allem, steht wie immer ein Anfang

Wir befinden uns im Jahr 1980. Die aus den ´68ern hervorgegangenen kommunistischen Parteiansätze zerfallen, von Ausnahmen abgesehen, mehr und mehr: Der Spontiflügel der Bewegung löst sich, zum Wohlgefallen der herrschenden Klasse, in der von kleinbürgerlichen Streben geprägten Alternativbewegung auf. Die Grüne Partei als Reformprojekt steht in den Startlöchern, bereit all jenen eine Heimat zu bieten, die ihren Frieden mit den Verhältnissen machen wollen.

Soeben hatte in der BRD noch eine offizielle Studie, fast schon wehmütig, die Angepasstheit der Jugend beklagt, da zieht ein neuer Sturm über Europa auf. Berlin, Zürich, Amsterdam, Paris: es beginnt die Zeit der Autonomen Bewegung.

In der BRD bricht eine neue Generation auf, die sich den Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse zum Ziel setzt. Sie grenzt sich scharf von der satten reformorientierten Angepasstheit, der zunehmenden Praxisferne und den nicht enden wollenden theoretischen Debatten und Fraktionsauseinandersetzungen der übergebliebenen Reste der radikalen Linken ab.

Es werden hunderte aus Spekulationsgründen leerstehende Häuser besetzt und es entwickelt sich die Häuserkampfbewegung. Autonome kämpfen an Bauzäunen von AKWs, lassen in Bremen ein öffentliches Rekrutengelöbnis der Bundeswehr im Chaos militanter Auseinandersetzungen versinken und auch in Nürnberg beginnt die Geschichte der Autonomen.

Hausbesetzungen

Am 24. Dezember 1980 wird in Nürnberg die Johannisstr. 70 besetzt: Besitzer ist nicht, wie angenommen, die Stadt Nürnberg, sondern eine Erbengemeinschaft, deren Mitglieder unbekannt sind. Das Olaf Ritzmann Kollektiv, wie sich die aus ca. 20 Personen bestehende Gruppe nennt, erhält vom Tag der Besetzung an breite Unterstützung, auch aus der Nachbarschaft. Zusammen wohnen, eine Kneipe eröffnen, einen Treffpunkt und Freiraum für weitere Kämpfe zu schaffen, ist das Ziel der BesetzterInnen. Unterstützt von SympathisantInnen wird mit der Renovierung des lange leerstehenden Gebäudes begonnen und das Haus wird zum Treffpunkt für viele.

Sylvester ´80 erfolgt der zweite Streich: Nach dem Abschlussfest einer Künstler-Kooperative in der Veilloderstr. 33, wird das Haus, in dem drei Jahre lang die Kleinkunstbühne mit Kneipe, Cafe, Restaurant und Lebensmittelkooperative untergebracht waren, besetzt. Das völlig intakte Haus, mit Werkhallen und Garagen, bietet die Möglichkeit kollektiv zu wohnen und zu arbeiten. Das Haus wurde `79 vom Architekten Crimman mit Abrissabsicht gekauft und die Stadt Nürnberg erteilte auf sein Drängen eine Abrissgenehmigung.

Die Watschenaffäre: In der Nacht vom 3. auf den 4. Januar `81 überfallen vier maskierte den Hausbesitzer Crimman in seinem Heim, verpassen ihm eine Abreibung und stehlen angeblich die Handtasche seiner Frau. Obwohl in den bürgerlichen Medien sofort von einem Schädelbruch die Rede ist, Journalisten davon sprechen wie übel der Mann aussah, sitzt der Betroffene jedoch unmittelbar nach den Ereignissen in seinem Büro.

Die Räumung der Veile:  Bieten lassen wollen die Herrschenden sich das jedoch nicht. Eine Nacht darauf wird geräumt, das Polizeikommando kommt trotz offenstehender Tür mit Äxten durch den Hintereingang. 69 BesetzerInnen werden zusammen mit ihrem Rechtsanwalt festgenommen. Der Vorwurf lautete nicht etwa auf Hausfriedensbruch, nein, Wegen Körperverletzung und Raub wird gegen alle 69 ermittelt. Bis zum Nachmittag kamen dennoch alle Verhafteten frei. Zeitgleich mit der Polizeiprozedur wurden zahlreiche Wohngemeinschaften durchsucht und weitere Menschen festgenommen. Gegen zwei Personen wird schließlich Haftbefehl erlassen. Das Haus wird auf Antrag des Besitzers unbewohnbar gemacht.

Nach einer Vollversammlung der BesetzerInnen und SympathisantInnen am selben Abend, im selbstverwalteten KOMMunikationszentrum, wird die zerstörte Einrichtung vor das Polizeipräsidium geworfen. Das „Scherbengericht“ enthält „die Aufforderung zur Reparatur“ und zeigt den Vandalismus der im Auftrag der Herrschenden handelnden auf.

Der Ermittlungsausschuss 5. März bezeichnete die Räumung später als ersten Schritt zur Kriminalisierung der Nürnberger Hausbesetzerbewegung. Vorerst breitet sich die Hausbesetzerbewegung jedoch in der Region aus. In Erlangen wird das Haus eines SPD Stadtrates und ein weiteres besetzt, in Fürth eine Villa und auch in Bamberg wird die Bewegung aktiv.

Am 18. Februar 1981 wird die Johannisstr. 70 geräumt. Die 15 anwesenden Besetzer werden von der Polizei aus dem Haus geschleift. Obwohl nicht alle Erben gefunden wurden, ein Tag vor Fristablauf kein Räumungsantrag der Besitzer vorliegt, wird die Räumung durchgezogen. Die Presse kommentiert „das ist der Crimman Effekt – die Besitzer haben eben Angst vor Repressalien“.

Wie später bekannt wird, ist auch der Nürnberger Stadtrat mit seiner SPD Mehrheit nicht über die Räumung informiert worden, was Folgen hatte.

Am gleichen Tag kommt es zu massiven Protestaktionen und die Ereignisse überschlagen sich. 100 Leute versuchen in den Stadtrat zu kommen, um an einer Sitzung teilzunehmen. Als ihnen der Zutritt verwehrt wird, besetzen sie kurzerhand das nahegelegene Wohnungsamt. Die durch die Räumung verärgerte und im Wahlkampf stehende, sozialdemokratische Stadtratsmehrheit macht den Besetzern des geräumten Olaf Ritzmann Kollektivs das Angebot, Wohnungen als Übergangslösung zur Verfügung zu stellen, bis ein instandzusetzendes städttisches Gebäude gefunden wird. Die Nürnberger SozialdemokratInnen halten an dieser Linie fest und bieten unter dem Druck der Besetzerbewegung später auch weiteren Instandsetzungswilligen Wohnraum an.

Am Abend entsteht aus einer Vollversammlung der Besetzerbewegung ein Demozug, der, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot, kreuz und quer durch die Straßen zieht. Nach einer Scheinbesetzung, die die Hüter der Ordnung schnell beenden, staunen sie nicht schlecht: ein paar Straßen weiter hat in der Zwischenzeit die eigentliche Besetzung stattgefunden. Um 4 Uhr morgens haben die Verantwortlichen sich schließlich von der Überraschung erholt und räumen.

Am Abend nimmt das Olaf Ritzmann Kollektiv bei einer Pressekonferenz das „verschwenderische“ Angebot der Stadt an, nächtliche Kleindemos standen nichtsdestotrotz weiterhin auf der Tagesordnung. Das Mitglied des Landtages Dr. Sieghard Rost, klagte später in einer von ihm angefertigten Dokumentation ausgiebig über  die Ereignisse: „Zwischen dem 19.2 und 5.3. kommt es fast jeden Abend zu Demonstrationen, in deren Verlauf wiederholt Straftaten von einzelnen aus dem schützenden Kern heraus begangen werden.“

Die Massenverhaftung am 5. März ´81: Da die Bewegung mittlerweile überall in Bayern an Fahrt gewinnt und Nürnberg eins ihrer Zentren ist, beschließt die bayrische Staatsregierung hier ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Am 5. März ´81 zeigt die Medienwerkstatt – zusammen mit der aus der Bewegung hervorgegangenen Gruppe Prolos im KOMM einen Film über besetzte Häuser in Amsterdam und deren militante Verteidigung. Im Anschluss an den Film zieht eine Demo durch die Stadt. Von einem verbeulten Polizeiauto, entglasten Banken, Graffitis und umgeworfenen Zeitungsständern wird später bundesweit berichtet. Die Demo zieht schließlich zum KOMM zurück, vor dem sie sich auflöst. Ein Teil der Beteiligten bleibt im KOMM, andere gehen.

Einige Zeit später umstellt die Polizei das KOMM und nimmt 141 vorwiegend jugendliche BesucherInnen fest. Die Inhaftierten werden ohne Einzelfallprüfung auf bayrische Knäste verteilt. Untersuchungshaft, begründet durch kopierte Haftbefehle, auf denen der Vorwurf Landfriedensbruch lautet.

Ein Sturm der Empörung

Der gezielte Staatsterror löst einen von der bayrischen Landesregierung nicht erwarteten, bundesweiten Sturm der Empörung aus. Die Massenverhaftung von Nürnberg wird zum Skandal.

Am 7. März wird eine schon länger geplante Hausbesetzerdemo zur ersten Manifestation gegen diesen staatlichen Terror. 2000 Menschen ziehen mit Transparenten: „Gegen Bullenterror“ durch die Stadt.

In der Nacht zum 9. März schlägt die „Unkontrollierte Bewegung 5. März“ in Nürnberg zum ersten mal zu. In das Rechenzentrum der „Gemeinnützigen“ Wohnungsbaugesellschaft in Langwasser wird ein Brandsatz geworfen, der sich nicht entzündet.

Um 8 Uhr morgens beginnt am 9.3. der Ansturm erboster Eltern auf den Ermittlungsrichter Dorner. Es kommt zu turbulenten Szenen, in denen die Angehörigen der Gefangenen ihre Wut und Empörung zum Ausdruck bringen.

Am 10.3. ruft die SPD zu einer Protestkundgebung vor der Lorenzkirche auf. Es kommen 10 000 Menschen. Obwohl die SPD-Führung alles tut, um den Protest ausschließlich auf die Kundgebung zu kanalisieren, ziehen die TeilnehmerInnen im Anschluss zum Nürnberger Knast.

Am 12. und 13 März protestieren SchülerInnen gegen die Massenverhaftung und gegen den „Maulkorberlass“, ein für die Schulen erlassenes Diskussionsverbot. In Würzburg, Augsburg, München, Bamberg, Bayreuth, Regensburg und zahlreichen weiteren Städten finden Solidaritätsaktionen statt. Auf ein großes Nürnberger Kaufhaus wird ein Buttersäureanschlag verübt.

Am Abend des 13. März zieht erneut eine Demo zum Knast, vor dem ein Konzert stattfindet, im weiteren Verlauf wird in der Wielandstraße ein Haus besetzt.

Die zweite Woche nach der Massenverhaftung beginnt mit einem Brandanschlag auf den Schulpavillion Bielingstr., am Freitag darauf findet eine Fackeldemo zum Knast statt, sie endet mit Festnahmen. Mit Leuchtkugeln soll ein Verhafteter geschossen haben, ein anderer soll RAF-Parolen gesprüht haben.

Noch in derselben Nacht wird auf ein weiteres Büro der Wohnungsbaugesellschaft ein Brandanschlag verübt. Die Unkontrollierten hinterließen ihre Visitenkarte und forderten die Freilassung aller noch Inhaftierten vom 5. März und die Erfüllung sämtlicher Forderungen der Stadtguerilla-Gefangenen aus der Bewegung 2. Juni und der RAF.

21. bis 23. März ein ereignisreiches Wochenende. Zum dritten mal hat die Wohnungsbaugesellschaft Besuch, dieses mal erwischt es ihr Büro in der Merianstr., in das ein Molotow-Cocktail fliegt. In der selben Nacht werden zum wiederholten mal die Scheiben der Stadtsparkasse in der Johanisstr. eingeworfen. An der Tür liegt ein Zeitungsausschnitt mit der Überschrift: „ Mit Genossen die Zukunft gestalten“.

Eine Nacht später erhält das Hans-Sachs-Gymnasium, dessen Direktor als Ministerialbeamter für den „Maulkorberlass“ verantwortlich war, Besuch von der unkontrollierten Jugend. Die Gänge und Räume zieren meterhohe Parolen, alle Türschlösser sind verklebt, Kopierer und andere Geräte zerstört und die Telefonleitungen herausgerissen. Noch am selben Wochenende fliegt ein Cocktail in die Stadtsparkasse an der Schwabacher Straße und legt diese Lahm: 50 000 DM Sachschaden. In der Erklärung der Unkontrollierten Bewegung 5. März hierzu heißt es: „Der Kampf geht weiter! Wer nicht hören will, muss fühlen. Wir nehmen die Bullen – Terrorpraktiken nicht länger hin …“

Am Abend des 3. April besetzen 40 bis 50 Leute eine in der Nähe der noch immer besetzten Wielandstr. gelegenen Villa in der Roritzerstr. 5. Am Morgen des 6. April beginnt bereits die Räumung durch Bereitschaftspolizei und ein Sondereinsatzkommando.

Eine feste BesetzerInnengruppe hatte sich in der Kürze der Zeit noch nicht herausgebildet, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Dennoch stoßen die Gesetzeshüter bei ihrem Eintreffen auf harten Widerstand. Das Haus ist, einschließlich der Fenster, verbarrikadiert. Ein Hagel aus Gegenständen empfängt die Staatsdiener, darunter Unrat und eine Übungshandgranate der Bundeswehr.

Nachdem es der Polizei gelungen ist sich in den 2. Stock vorzuarbeiten, werden 12 BesetzerInnen dort festgenommen, fünf weitere haben sich jedoch auf das Dach zurückgezogen und drohen bei weiterem Vorrücken der SEK-Beamten herunterzuspringen. Sie fordern: „Freien Abzug, Freilassung der bereits festgenommenen Besetzer, Nichtabriss des Hauses, und Amnestie für alle Hausbesetzer.“ Um 13 Uhr ergeben sie sich schließlich.

Ohne Sommerpause geht es weiter

Im Sommer `81 steht zweimal die Johannisstr. 70 im Mittelpunkt von Aktivitäten der Bewegung. Es gelingt jedoch nicht das Haus zurückzuerobern. Am 27. und 28. Juni findet das vom Organisationsausschuss der Vollversammlung der Hausbesetzer organisierte Hausbesetzerfestival im Pegnitzgrund statt. Im Rahmen einer Demo mit 2000 TeilnehmerInnen, kommt es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, es wird gesprüht, Steine fliegen, Fensterscheiben gehen zu Bruch.

Der Demonstrant Klaus Jürgen Ratay wird in Berlin bei der Räumung besetzter Häuser von prügelnden Sondereinheiten in den fließenden Verkehr getrieben und kommt ums leben. Auch in Nürnberg macht sich die Empörung Luft. Auf einer Demo wird eine Deutschlandfahne eingeholt und es gehen vier Scheiben in der Innenstadt zu Bruch.

Am 24.12.81 wird schließlich direkt neben dem KOMM die Königsstr. 85 besetzt

Im November ist den AktivistInnen der BesetzerInnenbewegung klar, dass der Nürnberger Häuserkampfbewegung die Luft ausgeht. Auf die eigene Geschichte bezugnehmend, Weihnachten `80 wurde das erste Haus – die Johannisstr. 70 besetzt, wird für den 24. Dezember eine Besetzung vorbereitet um die Bewegung wiederzubeleben. Ein im KOMM stattfindendes Konzert soll genutzt werden um die BesucherInnen in das direkt gegenüber liegende Haus zu mobilisieren. Für den 25. Dezember wird zu einer Demonstration unter dem eingängigen Motto: „Alles frisch? Alles Scheiße“ mobilisiert. Mit acht verschiedenen Flugblättern wird die Demo beworben, deren nur intern bekannter Zweck es sein soll die Besetzung zu unterstützen.

Zunächst läuft alles wie geplant. Das Haus wird besetzt, nach dem Toten von Berlin: „Klaus Jürgen Ratay Haus“ getauft und es gelingt auch einen Teil der KonzertbesucherInnen aus dem Komm zur Fortsetzung der Party ins Haus zu mobilisieren, doch die Besitzer hatten vorsorglich Strafantrag gestellt und die bayrische CSU-Regierung unter Strauß die Polizei angewiesen, Neubesetzungen innerhalb von 24 Stunden zu räumen.

So marschieren noch in der Nacht die Staatsbüttel auf, um der Besetzung ein Ende zu bereiten. Während die Räumung beginnt, setzen sich die BesetzerInnen über eine an der Rückseite des Gebäudes angebrachte Feuerleiter ab, umrunden das Gebäude und gesellen sich zu den davorstehenden SympathisantInnen. So kommt es zu der absurden Situation, dass die im Gebäude nach den BesetzerInnen suchenden Beamten, von diesen  durch die geöffneten Fenster mit Schneebällen beworfen werden.

Polizei-Bilanz der Nacht: „Eine Festnahme“. Ein Lehrer, der mit anderen KonzertbesucherInnen ins Haus kam wurde vergessen, weil er betrunken hinter einem Vorhang eingeschlafen war.

An der Demonstration am 25. Dezember beteiligen sich, trotz der für die damalige Zeit massiven Flugblattagitation, kaum 100 Personen.

Der Sturm auf das Gedächtnisspektakel: Ein Jahr nach der Massenverhaftung am 5. März `82 organisiert die „Bürgerinitiative 5. März“ eine Demo und eine Großveranstaltung im KOMM. Die an der Demo teilnehmenden Autonomen stürmen am Abend zuerst die Veranstaltung, ohne den verlangten Eintritt zu bezahlen, und schließlich die Bühne. Es wird ein Flugblatt verlesen und verteilt. „Wir fordern keine Einstellung der Prozesse, sondern die Abschaffung der Justiz! Feuer und Flamme für diesen Staat“ titelt der Flyer, verantwortlich im Sinne des Presserechts zeichnet die „Unkontrollierte Bewegung“.

Das Ende der Häuserkampfbewegung

Der Nürnberger BesetzerInnenbewegung ist es gelungen durch Demonstrationen, Aktionen, Besetzungen über ein Jahr politischen Druck auf die bayrische Politik auszuüben und aufrechtzuerhalten. Die Widersprüche zwischen lokalem SPD-Stadtrat und der CSU-Landesregierung, zwischen einer mehr auf Integration und einer ausschließlich auf Kriminalisierung der Bewegung ausgerichteten Linie der Herrschenden, verstanden die Kerne der Nürnberger Besetzer sich gezielt zunutze zu machen.

Als handfestes Ergebnis der Nürnberger Häuserkämpfe blieben so vier von der Bewegung erkämpfte Wohnprojekte, darunter, das bis heute überlebende Ritzman Kollektiv in der Regensburgerstraße.

Dass ein „weiter so“ sich nach über einem Jahr dann nicht mehr aufrechterhalten ließ, lag unter anderem an der massiven Repression, neue Besetzungsversuche, wie der in der Königsstr., scheiterten alle samt an der bayrischen Linie, die dafür sorgte, dass zuletzt kein Haus länger als 24 Stunden besetzt blieb.

So sorgte die fortgesetzte Repression und Kriminalisierung für Einschüchterung und Frust in Teilen der Bewegung, andererseits trug der massive staatliche Terror zu einer schnell voranschreitenden Radikalisierung ihrer Kerne bei. Die Autonome Linke, die sich aus diesen Kernen im Verlauf der Bewegung herausbildet hat, die die ersten Schritte von der spontanen Bewegung zur organisierten autonomen politischen Kraft gemacht hat, nimmt zahlreiche Erkenntnisse aus der Bewegungszeit mit auf ihren Weg.

Zum Stand der Entwicklung der autonomen Linken im Sommer 1982

Wer im Kapitalismus etwas gegen den Willen der da oben durchsetzen will, die eigenen Interessen – in unserem Fall bezahlbaren Wohnraum für Kollektive – auf die Tagesordnung setzt, kann nur im gemeinsamen, solidarischen Kampf etwas erreichen! Verhandlungen mit der Stadt über Häuser gab es nur, wenn der gesellschaftliche Druck, den die Bewegung durch ihre Aktivitäten erzeugte, groß genug war und solange er groß genug blieb. Diese Erkenntnis und der von der bayrischen Staatsregierung vorangetriebene Versuch, die Bewegung durch gezielte Kriminalisierung zu zerschlagen, radikalisierte die aktivsten Teile der HausbesetzerInnen, setzte ein theoretisch wenig unterfüttertes Klassenbewusstsein frei und trieb die Entwicklung der in der Bewegung entstandenen kämpferischen autonomen Ansätze voran.

Die Autonomen mischten die gesamte bis dahin vor Ort gängige Praxis der Linken durch ihren Aktivismus auf. Theoretischen Ergüssen und Fraktionsauseinandersetzungen stellten die Autonomen das Primat der Praxis gegenüber. Spontaneität, militanter Aktivismus und der Anspruch als handelnde Subjekte Politik der ersten Person zu betreiben, kennzeichneten die Bewegung. Allen staatlichen Versuchen, sie einzubinden, zu integrieren, widersetzten sich die autonomen Teile der Besetzerbewegung konsequent. Der staatlichen Repression begegneten sie mit bedingungsloser Solidarität, die alle von der Klassenjustiz betroffenen einschloss.

Ebenso resistent erwiesen sie sich gegenüber Vereinahmungsversuchen, Agitation und Instrumentalisierung ihrer Aktivitäten durch Parteien und Gruppierungen der Linken. Der Organisation setzten sie die Bewegung der Kollektive entgegen. Die Revolte revolutionierte auch die Kultur der Linken in Nürnberg. Der musikalisch aggressive und textlich offensive Punk, wie ihn Hansaplast, Slime, Beton Combo, The Clash und andere spielten, verdrängte mehr und mehr die Musik der `68er. Den in der radikalen Linken bis dahin verbreiteten „Hippieklamotten“ setzten die Autonomen die Farbe schwarz und ihre Lederjacken entgegen.

Autonom sein, das heißt selbstbestimmt handeln, Banden bilden und als Bewegung militant gegen die herrschende Ordnung, für die Revolution zu kämpfen.

Die Nürnberger AktivistInnen hatten vieles in der Hausbesetzerbewegung gelernt, sich schnell politisiert und verfügten mit dem in der Bewegung entstandenem Olaf Ritzman Kollektiv und der Gruppe Prolos über erste fester organisierte Gruppenstrukturen. Mit der Frauenfront, den Aktiven Sorgenkindern, und weiteren loser organisierten Gruppen bildeten sie ein Netzwerk. Die mit der Hausbesetzerbewegung untergegangenen Vollversammlungen wurden nach einer Zeit durch ein Autonomenplenum ersetzt und die Bewegung verfügte mit erkämpften Hausprojekten und Wohngemeinschaften nun über eigene Räume, die sie als Basis für den weiteren Kampf nutzte. Darüber hinaus verstanden die Autonomen das selbstverwaltete KOMMunikationszentrum am Eingang zur Innenstadt als ihr Haus, das es vom Einfluss der Stadtverwaltung  und ihren SozialarbeiterInnen zu befreien galt.

Im KOMM verbrachten die Autonomen ihre Freizeit, besuchten Veranstaltungen, Parties und Konzerte und versuchten AnhängerInnen zu gewinnen.

Die Nürnberger Autonomen waren in dieser Zeit eine sich schnell entwickelnde linksradikale Jugendbewegung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatten sich ihre Aktiven allesamt in den Häuserkämpfen politisiert. Die Nürnberger AktivistInnen dieser Zeit waren proletarischer oder kleinbürgerlicher Herkunft. Ihrem Anspruch folgend, dass der Kampf das gesamte Leben umfassen sollte und nur der Kampf gegen die kapitalistischen Verhältnisse zählt, nahm die Bewegung eine weitgehende Verweigerungshaltung gegenüber allen ihren Alltag betreffenden gesellschaftlichen Vorgaben ein. Viele AktivistInnen brachen Schulkarrieren ab, schmissen ihre Ausbildung oder begannen nie eine.

Verweigerung gegenüber den Zwängen der vom Kapitalismus diktierten Verhältnisse, Verweigerung von Ausbildung, Bezahlung beim Einkauf, Karriere und Lohnarbeit waren Ausdruck einer antagonistischen, antikapitalistischen Grundhaltung. Der Kampf sollte den gesamten Alltag umfassen und das gesamte Leben bestimmen. Proletarisch geprägt bzw. sich selbst proletarisierend, die Integration der ´68er Studentengeneration vor Augen, standen die Autonomen allen, die sich in ihren Augen im Alltag widerspruchslos in die bürgerliche Gesellschaft einfügten, misstrauisch und ablehnend gegenüber.

Für die aus der Studentenbewegung hervorgegangenen, aus ihrer Sicht längst nicht mehr konfrontativen, angepassten kommunistischen Bünde, Parteien und die Alternativbewegung hatten die Autonomen nur Spott übrig. Ein aktiver Bezugspunkt, dem die Nürnberger Autonomen sich trotz inhaltlicher Differenzen solidarisch verbunden fühlten, waren die Stadtguerillagruppen. Die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen und die RAF kämpften eindeutig mit höherem persönlichen Einsatz, was die Autonomen mit Respekt, Bewunderung und Solidarität quittierten. Neben der bundesweit verbreiteten autonomen Zeitung Radikal und anarchistischer Literatur, waren es dann auch vor allem die Texte der Stadtguerillagruppen, die die inhaltliche Diskussion und Entwicklung der Nürnberger AktivistInnen bestimmten.

Autonome in Bewegung

Nach dem Ende der Häuserkämpfe weiteten die Autonomen in Nürnberg, entsprechend ihrer inhaltlichen Entwicklung, ihre Praxis in neue Aktionsfelder aus. Die Befreiungskämpfe im Nahen Osten und in Lateinamerika, der Kampf der Palästinenser, die sandinistische Revolution in Nicaragua, die Unterstützung der Guerilla in El Salvador und der Kampf gegen den US-Imperialismus rückten verstärkt in das Blickfeld der AktivistInnen. Internationale Solidarität, der Kampf gegen Imperialismus, Nato und Kriegspolitik, sowie die Solidarität mit den Gefangenen aus RAF, Bewegung 2. Juni und dem Widerstand auf der Straße standen nun im Mittelpunkt autonomer Aktivitäten.

Eigene Demos vor Ort zu organisieren entsprach nach dem Ende der BesetzerInnenbewegung vorerst nicht der Mobilisierungsstärke der autonomen Bewegung. Die Autonomen bevorzugten es deshalb, sich Demonstrationen anderer Gruppierungen anzuschließen und im Rahmen derselben mit eigenständigen, meist militanten kleineren Aktivitäten, für Aufmerksamkeit zu sorgen. Es fand in dieser Zeit kaum eine Demonstration in Nürnberg statt, an der sich nicht auch Autonome beteiligten und versuchten, den vorgegebenen Rahmen zu durchbrechen. Die Konfrontation suchen, zuspitzen und so die Kämpfe in den verschiedenen sozialen Bewegungen vorantreiben, so könnte die Strategie der Zeit kurz umrissen werden. Desweiteren gehörten in Nürnberg Sprühaktionen, mit Sekundenkleber verklebte Schlösser und eingeworfene Scheiben von Banken, Ämtern und Supermärkten zur militanten Praxis jener Tage, die von Kleingruppen eigenständig durchgeführt wurde.

Hatten sich schon während der Häuserkämpfe immer wieder einzelne Nürnberger an bundesweiten Demonstrationen beteiligt, reisten nun weite Teile der autonomen Szene an. Nürnberger Autonome kämpften in Frankfurt gegen den Ausbau der Startbahn West, an den Bauzäunen in Gorleben und an sämtlichen AKW-Baustellen der Republik, sie beteiligten sich an Demonstrationen und militanten Straßenkämpfen, wann und wo immer es ging.

Aus den Tagebüchern einer Aktivistin

Über eintausend Menschen protestierten am 27.03.82 vor dem Weißen Turm gegen eine Kundgebung der faschistischen Jungen Nationaldemokraten. Autonome empfangen den NPD-Nachwuchs mit Farbbeuteln und Eiern. Bei Auseinandersetzungen mit den zum Schutz der Nazis eingesetzten Polizeikräften kommt es zu zahlreichen Festnahmen.


Breiten Raum innerhalb der Diskussionen und praktischen Arbeit der Nürnberger Autonomen nimmt in der Folge der bundesweiten militanten Praxis jener Tage die Unterstützung der Gefangenen ein. Auch die Forderung der RAF-Gefangenen nach Zusammenlegung in Gruppen unterstützen die Nürnberger Autonomen. In Zusammenarbeit mit den sogenannten Antiimps, die von den Staatsorganen als legales RAF-Umfeld kriminalisiert werden, organisieren die Nürnberger Autonomen eine Kampagne zur Unterstützung der Gefangenen, in der sie zunehmend eigene Positionen zur Repression entwickeln.

Neben der sogenannten Knastarbeit prägt die von der neu entstandenen Autonomen Nicaragua Gruppe betriebene Solidaritätsarbeit das Jahr 1984. Flugblätter, kleine Aktionen die Beteiligung an zahlreichen Demonstrationen vor Ort, so sieht die Praxis aus. Am 28.03.84 organisiert die Nicaragua-Gruppe eine Veranstaltung unter dem Motto: Die beste Solidarität mit der 3. Welt ist der revolutionäre Widerstand hier“, in deren Rahmen Arbeitsbrigadisten aus der Nürnberger Szene über ihre Erfahrungen in Nicaragua berichten.

In den Kämpfen dieser Jahre entwickelte sich die Nürnberger autonome Linke weiter.

Die Entwicklung einer eigenständigen antiimperialistischen Praxis, internationale Solidaritäts- und Antirepressionsarbeit erweiterten in diesen Jahren den Horizont autonomer Politik. Über das Herumreisen zu Großdemonstrationen entstehen erste Kontakte in andere Städte.

Urwüchsig und in Sprüngen entwickelten sich theoretische Einsichten und Erkenntnisse. Die Nürnberger Autonomen beginnen sich mit der Geschichte der revolutionären Linken auseinanderzusetzen. Der Spanische Bürgerkrieg, der Kampf gegen das Patriarchat, die Novemberrevolution in Deutschland am Ende des ersten Weltkriegs, antikoloniale Befreiungskämpfe und die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung…, Bücher werden verschlungen und an WG-Tischen, in Kneipen und auf Treffen wird ohne Unterbrechung diskutiert.

Verschiedene Revolutionstheorien werden debattiert und ein erstes Interesse an den Analysen und Theorien von Karl Marx erwacht in Teilen der bis dahin anarchistisch orientierten Szene. Die autonome Bewegung entwickelt erste eigene theoretisch-strategische Einschätzungen, der Klassenkampf als Mittel, einen Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse zu erreichen, rückt in das Zentrum des Interesses.

Im Rahmen des Nürnberger Autonomenplenums kommt es in der Folge immer häufiger zu Auseinandersetzungen mit den, an den Einschätzungen und Theorien der RAF ausgerichteten, Antiimps.

Neuen theoretischen Einsichten folgen erste Schritte einer Praxis in neuen Themenfeldern.

Die militante Debatte führen

Die theoretische Entwicklung und Praxis der lokalen Autonomen Szene war bis 1985 eher spontan und sprunghaft verlaufen und die wenigen strategischen überlegungen waren stets eng an die unmittelbare Praxis gekoppelt. In der lokalen Gruppe Prolos und bei anderen Teilen der Autonomen setzte sich schließlich die Erkenntnis durch, dass es nicht ausreicht auf die jeweils aktuellen Schweinereien der Herrschenden zu reagieren. Es begann die Suche nach einer Strategie, die die Bewegung in die Lage versetzen sollte, die seit dem Ende der Häuserkämpfe bestehende gesellschaftliche Isolation aufzubrechen und langfristig eine revolutionäre Perspektive zu eröffnen.

Es wird sich nun mit der Geschichte der Black Panther Party in den USA beschäftigt, es werden die unterschiedlichen Strategien und Kämpfe der italienischen Autonomia Bewegung untersucht und diskutiert und es werden in Teilen der Autonomen Gruppen Schulungen durchgeführt und Bücher kollektiv gelesen.

Unter der von der italienischen Autonomia Bewegung übernommenen Parole: “Die militante Debatte führen”, was frei übersetzt bedeutet: “Eine organisierte Diskussion führen” begann ein kollektiver Diskussionsprozess. Die umfassende gesamtgesellschaftliche Kritik der Verhältnisse und strategische überlegungen wie diese zu überwinden seien und schließlich auch die Organisationsfrage rückten nach und nach in den Mittelpunkt des kollektiven Interesses dieses Teils der AktivistInnen.

Da revolutionäre Bewegungen im Kapitalismus jedoch nicht losgelöst von aktuellen gesellschaftlichen Widersprüchen existieren und agieren, erschwerte die Tagespolitik ersteinmal sowohl die Fortsetzung des begonnen Diskussionsprozesses als auch die Weiterentwicklung der praktischen Umsetzung der neuen überlegungen.

Wir schreiben das Jahr 1985, der Kampf gegen die WAA in Wackersdorf tritt in die heiße Phase. Hatten Nürnberger Autonome sich bereits in der Vergangenheit an einem kleineren Anti-WAA-Camp anlässlich von Probebohrungen für die geplante atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und anderen Aktionen beteiligt, rückte mit dem Rodungsbeginn in der Oberpfalz, der Anti-WAA-Kampf ins Zentrum der Aktivitäten der Autonomen in Bayern. Das in der Mobilisierung gegen den Weltwirtschaftsgipfel, auf Initiative von NürnbergerInnen  entstandene süddeutsche Autonomenplenum, wird reaktiviert und übernimmt die Planung und Koordinierung von Aktivitäten. Alle Nürnberger Gruppen beteiligen sich.

Während Umweltverbände und andere bürgerliche Gruppierungen ausschließlich die Umweltzerstörung durch den Bau und die Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch die zivile Nutzung der WAA kritisieren, begreift die Autonome Bewegung den Kampf gegen die WAA auch als Kampf gegen das kapitalistische System an sich, das für den Profit der Atomkonzerne die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung aufs Spiel setzt und darüberhinaus die militärische Nutzung der WAA, zum Bau von deutschen Atombomben plant.

Der Kampf gegen die WAA - eine knappe Übersicht

Die Entscheidung der politisch Verantwortlichen, die Oberpfalz zum Standort des WAA-Baus zu machen, weil hier im tiefen Bayern mit geringem Widerstand zu rechnen sei, hat sich als großer Irrtum erwiesen. Der Widerstand gegen die WAA hat innerhalb kurzer Zeit eine große gesellschaftliche Breite angenommen und sich enorm radikalisiert. Das militante Vorgehen der Autonomen wurde von weiten Teilen der ortsansässigen Bevölkerung praktisch unterstützt, sie bewegten sich bei Demonstrationen und Auseinandersetzungen am Bauzaun unter der Bevölkerung wie Fische im Wasser.

Die autonome Bewegung in Bayern hat sich in dieser Zeit explosionsartig entwickelt. Zahlreiche neue Gruppen entstanden und selbst im letzten Winkel des Freistaates ist die Bewegung im Verlauf der Auseinandersetzungen um die WAA angekommen. Die autonome Linke hatte sich zu einem Faktor in der Anti-WAA-Bewegung entwickelt. Neben München, den Oberpfälzer Hochburgen und Erlangen, gilt Nürnberg als ein Zentrum des autonomen Anti-WAA-Widerstands. Unterstützung erhalten die GenossInnen von Autonomen aus dem gesamten Bundesgebiet. Der Freistaat Bayern hat sich in diesem Jahr zu einem Zentrum der Autonomen Bewegung entwickelt.

Kein Kampf ohne Kritik - keine Entwicklung ohne Kritik

Obwohl sich alle Nürnberger Autonomen an den Kämpfen gegen die WAA beteiligten, unterschied sich ihre Einschätzung zu Stand und Perspektiven derselben. Während sich analog zu der Entwicklung in Bayern weite Teile der Bewegung dem Kampf um Wackersdorf mit Haut und Haaren verschrieben hatten, setzte ein Teil der NürnbergerInnen die Debatten um eine klassenkämpferische Neuausrichtung der Bewegung fort.

Selbst am Anti-WAA-Kampf beteiligt, kritisierten sie die einseitige Ausrichtung autonomer Politik an der WAA und die ausufernde Begeisterung über die Unterstützung der oberpfälzer BürgerInnen, die sich in weiten Teilen der Autonomen breit gemacht hatte. Sie analysierten zurecht das deren Unterstützung und die Zusammenarbeit mit ihnen, einschließlich der Akzeptanz militanter Aktionsformen, einzig auf den Kampf gegen die WAA fixiert bleibt und eine Verankerung von antikapitalistischen Inhalten, wenn überhaupt über Ansätze nicht hinaus kommt.

Eine längerfristige revolutionäre Perspektive erhofften sie sich weiterhin, durch den inhaltlichen und strategischen Aufbau der eigenen Seite, durch eine zu erkämpfende Verankerung in der ArbeiterInnenklasse. Die Verankerung im Proletariat, als dessen Teil man sich begreift, soll durch die überwindung, der seit dem Ende der Häuserkämpfe bestehenden Trennung zwischen politischen Kämpfen und alltäglichen ökonomischen Kämpfen erreicht werden. Vorerst im Schatten der WAA Kämpfe entwickelt sich eine eigenständige Praxis.

Einblicke – Eine Alternative zum Kampf am Bauzaun – der Kampf in der eigenen Stadt

Ein kurzer Bericht zur Lage

Ende 1987 hatte der Kampf gegen die WAA in Wackersdorf seinen Zenit überschritten und die von der lokalen Autonomen Linken vorangetriebenen klassenkämpferischen Ansätze steckten in praktischer Hinsicht noch im Anfangsstadium.

Die Bewegung war über die Jahre gewachsen und ihre personelle Zusammensetzung hatte sich verändert. Als eines der Zentren des autonomen Anti-WAA Widerstands erhielten die Nürnberger Autonomen auch Zuzug von GenossInnen aus kleineren bayerischen Städten. Viele kommen um hier zu studieren und um in eines der großstädtischen Zentren der Bewegung vorzustoßen.

Zeitgleich mit dieser Entwicklung wurden die proletarischen Teile der lokalen Bewegung mehr und mehr mit dem sich langsam aber stetig verschärfenden kapitalistischen Alltag konfrontiert. Der Kampf ums lebensnotwendige Einkommen wird härter, nimmt mehr Zeit in Anspruch und das Agieren in den zeitaufwendigen autonomen Strukturen fordert den AktivistInnen viel ab.

Organisiert sind die Autonomen nun im Antikapitalistischen Plenum, das sich, der internen inhaltlichen Entwicklung Rechnung tragend, später antikapitalistisch/antipatriarchal nennt. Im Verlauf eines Jahres hat sich das in der Vorbereitung des revolutionären 1. Mai `87 gegründete Anti-Kap-Plenum zum zentralen Ort autonomer Debatten und praktischer Planung entwickelt und eine Sogwirkung auf alle Flügel der Bewegung entwickelt. Neben den inhaltlich und strukturell relativ gefestigten Nürnberger Gruppen: Prolos, Jobber-Gruppe, Autonome Frauengruppe etc., nehmen 1987 -88 nahezu alle kleineren Gruppen und die Anti-NATO-Gruppe Erlangen an dem Plenum teil. Nach außen mit einer gewissen Stärke und Geschlossenheit agierend, ist das Plenum in Folge des schnellen Anwachsens jedoch von zahlreichen Widersprüchen durchzogen, die das gemeinsame Agieren erschweren und die Planung gemeinsamer Aktivitäten zu einer zeitaufwendigen Angelegenheit machen.

Den theoretisch erarbeiteten Erkenntnissen, sowie den praktischen Notwendigkeiten folgend setzte der klassenkampforientierte Teil der Nürnberger Autonomen um die Gruppe Prolos Ende `87 deshalb eine umfassende Debatte auf die Tagesordnung des Antikapitalistischen Plenums. Die Organisationsfrage, eine gemeinsame klassenkämpferische Strategie und inhaltliche Ausrichtung sprich revolutionäre Zielsetzung soll diskutiert, beschlossen und umgesetzt werden. Ziel des in Gang gesetzten Diskussionsprozeß ist es, eine revolutionäre Organisation mit von außen identifizierbarer Zielsetzung zu schaffen, die den sich verschärfenden kapitalistischen Lebensbedingungen Rechnung trägt. Eine Organisation die die inhaltliche und organisatorische Zersplitterung beendet, die jenseits des auf und ab der Bewegung den notwendigen langen Atem verschafft und in der Lage ist gestützt auf eine umfassende Analyse in allen gesellschaftlichen Bereichen eine klassenkämpferische Praxis und revolutionäre Perspektive zu entwickeln.

Die Diskussion um die sogenannte Supergruppe und die Neustrukturierung der Nürnberger Autonomen

Im Mittelpunkt der Diskussion stand schnell die vorgeschlagene Gründung der Organisation, die in der internen Debatte Supergruppe genannt wurde. Vorgesehen war von einem Teil der AktivistInnen die bestehenden Gruppen aufzulösen, und durch in Stadtteilen, Betrieben, Schulen, auf Ämtern und in anderen Bereichen aktive Basisgruppen der Organisation zu ersetzen. Eine neue Phase der Organisierung und des Kampfes sollte damit eingeleitet werden. Die Debatte überschlägt sich jedoch, zu groß sind die Widersprüche in der Bewegung. Der ausschließlich an der Praxis in den sozialen Bewegungen orientierte Flügel wittert einen Versuch der Parteigründung, hält am Bewegungsmodell mit seinen Kleingruppen fest und lehnt auch jeden Versuch der Vereinheitlichung von Inhalt und Strategie jenseits der in den jeweiligen Bewegungen aktiven Gruppen ab. Die Debatte eskaliert und zahlreiche weitere Widersprüche treten nun offen zu Tage. Materialismus, Organisation, Kommunismus als Zielvorstellung, Patriarchat, die Analysen und Einschätzungen sowie die daraus abgeleiteten praktischen Vorstellungen unterscheiden sich grundsätzlich. Am Ende der Debatte ist die Organisationsfrage vorerst vom Tisch und es haben sich zwei große, auch in sich nicht geschlossene, Flügel innerhalb der Nürnberger Autonomen etabliert, die jedoch weiterhin den Widersprüchen zum Trotz als Teil derselben Bewegung agieren.

Während der Bewegungsflügel auch `88 weiter in der Anti-WAA-Bewegung aktiv bleibt und sich in die Vorbereitung einer bundesweiten Mobilisierung gegen eine Tagung des IWF in Berlin stürzt, setzt der am Aufbau der revolutionären Seite und der gesellschaftlichen Verankerung vor Ort orientierte Teil der Nürnberger Autonomen die Strategiedebatte um Basisarbeit und Klassenkampf in Teilbereichen der Gesellschaft fort. Die Anti-IWF Mobilisierung begreifen sie als qualitativ nichts neues, sehen in ihr eine notwendige aber temporäre Kampagne, die auch auf die lokale Ebene heruntergebrochen werden muss.

Nach der erlittenen Niederlage vorerst außerstande die Organisationsfrage zu klären, machten sich jene GenossInnen daran, die praktischen Ansätze auf- und auszubauen. Betriebskampf, Stadtteil- und Ämterarbeit, Jugendarbeit – und in diesem Zusammenhang, auf Grund des Erstarkens neofaschistischer Parteien, das Thema Antifaschismus – standen nun im Mittelpunkt.

Im Verlauf des Jahres ´88 strukturiert sich der auf eine klassenkämpferische Position ausgerichtete Flügel der Nürnberger Autonomen um. War die Annäherung an eine klassenkämpferische Praxis `87 noch über das Agieren im Bereich der internationalen Solidarität begonnen worden (z.B. Solidarität mit dem Britischen Bergarbeiterstreik) sollte nun konkret vor Ort angesetzt werden. Nachdem in einem Seminar verschiedene Ansätze zu Betriebs-, Stadtteil-, Ämter- und Jugendarbeit umfassend, jedoch nicht widerspruchsfrei diskutiert wurden, machten sich die GenossInnen nun daran das theoretisch angedachte in eine alltägliche Praxis umzuwandeln.

Die Erlanger Anti-Nato-Gruppe will das Thema Betrieb in Angriff nehmen, Prolos Jugendarbeit in den Themenbereichen Antifaschismus und Internationalismus/Antiimperialismus. Die aus der Gruppe Prolos und kleineren Gruppen Mitte `88 hervorgegangene Autonome Proletarische Aktion will im Stadtteil Gostenhof und auf Sozial- und Arbeitsämtern aktiv werden.

Alle Initiativen wollen ausgehend von einer allgemeinpolitischen Kritik der Verhältnisse den Kampf beginnen und haben eine Verankerung in der Arbeiterklasse vor Ort zum Ziel. Bis Ende `89 entstehen zahlreiche Projekte. In Gostenhof soll ein Stadtteilladen für JobberInnen, MalocherInnen und Erwerbslose eröffnet werden, den ihr alle heute unter dem Namen „Schwarze Katze“ kennt. Im KOMM wird die Autonomen Disco Ramba Zamba eröffnet, in der BesucherInnen sich an einem Büchertisch mit allerlei Infomaterial und Theorie eindecken können und auch sonst über Aktivitäten der Autonomen informiert werden.

Neben der zu Beginn von allen Teilen der Nürnberger Autonomen genutzten, mehr oder weniger szeneinternen „Wie Weiter“ (ein Blatt, das wie die Interim abdruckt was eingeschickt wird), entstehen mit der Betriebszeitung „Frontalangriff“, der Gostenhofer Stadtteilzeitung „Von unten“ und der Jugendzeitung „Untergrund“ bis Anfang `90 drei publizistische Projekte.

Und praktische Initiativen?

Ja die gibt es auch 1988 und `89 zu Hauf. Geboten wird hier wie immer nur eine Auswahl

Antifaschistischer Kampf in Nürnberg `89

Eine schnelle Entwicklung nimmt auf Grund des Erstarkens faschistischer Parteien die auf Jugendliche konzentrierte antifaschistische Arbeit. Ende `88 wird ein Antifaschistisches Plenum gegründet, das zu Recht als ein Vorläufer des heutigen Antifaschistischen Aktionsbündnis bezeichnet werden kann. Das Plenum wächst personell schnell und entwickelt zahlreiche Aktivitäten.

Der Nürnberger Besetzerrat – Ein heißer Sommer

Der Startschuss für die unerwartet über die autonomen AktivistInnen kommende Häuserkampfbewegung `89 war damit gefallen. Die Besetzung wurde in allen Lagern der Autonomen Linken als Erfolg gewertet. Den Nazis wurde mit der Wohnungsnot eines ihrer Wahlkampfthemen abgenommen und die Presseberichterstattung zum Republikanerevent wurde durch die Besetzung in den Hintergrund gedrängt, darüber hinaus war die kapitalistische Wohnungspolitik in der Stadt nun endlich wieder ein Thema und es hatten sich viele Jugendliche mit Wohnungsproblemen aus dem KOMM an der Aktion beteiligt.

Es wurde also beschlossen weiterzumachen und mindestens ein Haus zu erkämpfen.

Am 21.06. findet im KOMM das erste Treffen des Nürnberger Besetzerrates (NBR) statt und beschließt die nächste Aktion. Gefordert wird nun neben einem Haus unter anderem: Bezahlbarer und akzeptabler Wohnraum für Alle! Bereitstellung aller leerstehenden Gebäude! Ein unbefristeter Mietvertrag für das am Besetzerrat beteiligte Olaf Ritzman Kollektiv! Enteignung aller Miethaie und Spekulanten!

In der Folge überschlagen sich die Ereignisse. Mehrere  Plätze werden besetzt, ein Camp des Nachts von der Polizei brutal geräumt. In der Desi findet ein Zeltlager des Nürnberger Besetzerrates statt. Unter den verdutzten Augen der Polizei kreuzen die Stadtpiraten Nürnberg auf Flößen und in Booten auf der Pegnitz. Ihre Forderung: „Miethaie zu Fischstäbchen“. Im KOMM wird ein StadtpiratInnenfest mit 16 Bands und StadtpiratInnenballett gefeiert. Der NBR organisert eine Transparentaktion, taucht bei einer Stadtratssitzung auf und besucht das städttische Liegenschaftsamt. Ein in weiteres Haus wird in der Schweinauer Hauptstr. 66 besetzt und in der selben Nacht geräumt.

Am Ende der Bewegung gelingt dann schließlich doch noch, was niemand mehr für möglich gehalten hat. Nach langen, zähen Verhandlungen die in einer Besetzung des Anwesens Regensburgerstr. 414, direkt neben dem Olaf Ritzman Kollektiv gelegen, münden, erhält ein Teil der Nürnberger Besetzerbewegung ein Haus und das Ritzman Kollektiv die Verlängerung seines Mietvertrags.

Wie es dann weiterging? Ja, das erfahrt ihr leider nicht in der nächsten Ausgabe. Denn unsere Reihe, die sich der Geschichte der ersten zehn Jahre der Nürnberger Autonomen widmete, endet hier. Doch ihr wißt ja: Heute ist nicht alle Tage, und so erscheint an dieser Stelle vielleicht irgendwann eine Fortsetzung, die sich dem zweiten Jahrzehnt der Geschichte der Nürnberger Autonomen widmet.

Aus: barricada – Oktober 2008 / barricada – November 2008 / barricada - Dezember 2008 / barricada - Jänner 2009

Originaltext: http://www.redside.tk/cms/barricada/geschichte-der-autonomen-in-nurnberg-teil-4/