«Linke Mythen in bunten Tüten» - Diskussionsbeitrag zur linken Kultur

Kritik an der Diskussion zum Verhältnis von Kultur und Politik in der GRZ 0

«Den versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorspielen und sie so zum Tanzen zu bringen.» Aber Halt! Dieser Bezug auf Musik und Tanz in dem Zitat von Karl Marx war doch nur als Metapher gemeint, möchte man den StrategInnen der politischen linken Kultur zurufen.

Von diesen wird dagegen die Bedeutsamkeit von linker Politik und Kultur auf zwei Ebenen festgemacht. Zum einen als unmittelbarer Ausdruck des Lebensgefühls und der Lebensgestaltung von Linken, zum anderen als Transportmittel für gesellschaftspolitische Themen samt dazugehörigem Bewusstsein.

Just be yourself

Die Verortung des linken autonomen Subjekts und seiner Kultur ist zugleich diffus und eindeutig. Es gibt einerseits nicht die einheitliche Kultur, sondern diese ist vielfältig und facettenreich. Andererseits weiß das autonome Subjekt genau, wogegen es zu kämpfen hat, wo die Macht sitzt usw. So muß es denn nur anfangen, was zu tun und alles kreist um das eigene Handeln, um sein Leben und um das eigenständige Schaffen. Dass diese Subjektivität überhaupt möglich ist wird praktisch vorausgesetzt. Sie realisiert sich ja erst in diesem Handlungskontext.

Linke Kultur als Ausdruck von Lebensgefühl und Lebensgestaltung knüpft unmittelbar an die von Spontis und später von Autonomen geprägte Politik der ersten Person an.

Das Bedürfnis nach Unmittelbarkeit, also dem Gefühl, ganz konkret Widerstand zu leisten und «leben» zu können, ist bei diesem linken Politikverständnis leitend. Ein Bedürfnis, das - so zeigt es die linke Geschichte - zwingend einhergeht mit der Aufgabe kritischen Denkens und zu einer linken Identitätspolitik geführt hat, die Gesellschaftskritik ersetzt hat. Es muß gar nicht mehr begründet werden, warum wie welches Denken links und emanzipativ ist.

Aber: Ist «Autonome Politik und Kultur» nur deshalb wichtig, weil es autonome Politik und Kultur ist, sozusagen als Reservat einer ethnischen Minderheit - der Linken - mit ihrer originären Musik und ihren Bräuchen? Und werden dafür dann die selbstverwalteten und selbstbestimmten Räume gebraucht?

Was hierbei das Linke beinhalten soll, wird nur indirekt angedeutet und leitet sich meist unreflektiert aus einer verkürzten und personalisierten Gesellschaftskritik ab.

Das Linke wird zum Mythos. Eine gemeinsame linke Identität muss geschaffen werden mit den üblichen Stichwörtern Widerstand und Militanz, gegen die KapitalistInnen und andere Feinde, die üblicherweise Namen und Adresse haben. Nur steckt darin nicht die Spur einer Kritik am Bestehenden, die die Verhältnisse tatsächlich zum Tanzen bringen könnte.

Just do it

Stundenlange Videofilme über die Mainzer Straße, dazu noch etwas Hardcore und Bier. Es wäre zu schön, wenn dies der Mief einer vergangenen autonomen Kultur wäre. Doch das Gegenteil offenbart sich angesichts der nostalgischen Erzählungen über einstige Häuserkämpfe, bei der 1000sten Veranstaltung zur Bewegung 2. Juni oder im linken Lobgesang auf das Heldentum des Straßenkampfes.

Wie mit den Eltern zum Sonntagskaffee sich die Fotos des letzten Mallorca-Urlaubs anschauend, sitzen die KämpferInnen in ihren selbstbestimmten Räumen und schauen sich die Ablichtung ihrer kulturellen Praxis, des Straßenkampfes an. Getränke und Musikgeschmack sind eventuell anspruchsvoller geworden, das linke Selbstverständnis ist dasselbe.

So geht es nicht um die Kritik und Abschaffung des schlechten Bestehenden, sondern um das Abfeiern der eigenen Identität. Und dieses kommt letztlich einem sich Einrichten in die bestehende gesellschaftliche Ordnung gleich, obwohl paradoxerweise genau das Gegenteil mit dieser spezifischen Kultur ausgedrückt werden soll.

Kultur als linke Reklame

Ebenso skeptisch ist die linke Kultur als Transportmittel für «gesellschaftspolitische Themen» zu betrachten, als ein Agitationsmittel im politischen Kampf. Bei diesem Verwendungszweck von Kultur scheint es den ProtagonistInnen als Strategie darum zu gehen, linke (heißt dann wohl eher trockene und langweilige) Inhalte hübsch und nett zu verpacken und über das bunte Warenangebot «linker Kultur und Politik» mehr Kundschaft anzulocken.

Die Vermittlung ist das Ziel, wobei vom zu vermittelnden Inhalt zwangsläufig stark abstrahiert wird. Es reicht schon aus, ein Stück über das eigene Unwohlsein angesichts eines Krieges zu machen, um das Gütesiegel der politischen Kultur zu erhalten. Und wie sollte denn auch in einem Popsong der Hintergrund des Krieges gegen Jugoslawien vermittelt werden?

Neben der Betroffenheitskiste, die wohl zu den ältesten Kamellen seit Wader & Co gehört, wird dabei die «Kultur» ebenso wie vorher das «Subjekt» aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang herausgelöst.

Als Gegenstück zum Mainstream gilt die authentische Subkultur, die linke Kultur. Damit dieses Szenario sich so sauber denken lässt, bedarf es der Moral und der großen Konzerne, die als äußerer Feind ausgemacht, unbedarfte Künstler verführen. Zweifellos war es so, dass beispielsweise im Bereich der sog. Independent Labels, die großen Plattenfirmen schließlich die meisten der kleinen Labels aufgekauft haben. Doch werden daran nicht die Sachzwänge warenförmiger Vergesellschaftung kritisiert, sondern nur oberflächlich auf das Nutzenkalkül und die unmoralische Profitgier abgezielt.

Die Hoffnung darauf, dass Kunst und Kultur gesellschaftliche Sprengkraft besäßen, ist nachvollziehbar. Es scheint so, als habe einem die Kulturindustrie einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Das hatte schon Adorno erkannt, als er meinte, die Kultur verschmelze mit der Reklame.

Der Unterschied liegt darin, ob diese Feststellung als Kritik formuliert wird oder, mit vordergründig emanzipativer Absicht, doch nur Reklame für Linke gemacht werden soll.

tomek

Originaltext: http://www.raumzeit-online.de/122000/10.html