Der Freie Arbeiter - Kurznachrichten aus der Sozialen Bewegung: Österreich (1904)

Aus Galizien wird ans geschrieben: Am 1. April gaben unsere Genossen die erste Nummer eines — vorläufig monatlich erscheinenden — Blattes in polnischer Sprache unter dem Titel „Wolny Swiat" (Die freie Welt) heraus. Grosse Aufregung darob bei den Staatsstützen, welche „so was" in Galizien noch nicht erlebt hatten. Der Staat, der ordentlich in Gefahr gebracht worden war, musste gründlich gerettet werden. Das Blatt wurde sofort konfisziert — dem Blaustift verfiel der ganze Leitartikel: „Unsere Prinzipien", dieselben sind somit bis auf Weiteres in Galizien verboten, — und man traf Anstalten, die ganze Auflage — 1000 Exemplare des Blattes und 3000 Broschüren als Beilage — sofort wegzunehmen.

Natürlich war Alles schon vorher in Sicherheit gebracht werden und die Nicht-Gentlemen nahmen ganze 90 Exemplare mit, die man ihnen höflichkeitshalber zur Hälfte in der Druckerei, zur Hälfte beim verantwortlichen Redakteur zurückgelassen hatte. Der Verantwortliche wurde sofort verhaftet, nach 6 Stunden jedoch wieder freigelassen.

Beim Genossen Losynskyj wurde eine Haussuchung vorgenommen — ohne Erfolg — und ausserdem noch nach einem »dritten jungen Mann" gefahndet, — der hohen Polizei ging es aber dabei ähnlich wie den berühmten Nürnbergern. Unbefriedigt von den Triumphen in Lemberg, liess sie auch bei zwei Genossen in Buczacz haussuchen — ähnlicher Erfolg, Sie musste sich mit der Mitnahme einiger sozialdemokratischer Schriften begnügen, auf denen zufällig das Wort Revolution prangte wie z.B. Schippel: „Technisch - wirtschaftliche Revolutionen der Gegenwart" (Schippel wird also staatsgefährlich!), Marx' „Revolution und Konterrevolution" u.s.w., sowie einiger jüdischer, französischer, englischer, spanischer, böhmischer u.a. Zeitungen. Wenn sie sich zur Übersetzung dieser Schriften einen ähnliehen Dolmetscher aussucht, wie die preussische Regierung für die russischen, kann manches Schöne dabei herauskommen.

Doch bei dieser Polizeiaktion, bei den Konfiskationen, Verhaftungen und Revisionen hatte es noch nicht sein Bewenden. Die Herausgabe des Blattes war in den Augen der sozialdemokratischen Päpste ein Eingriff in ihre Rechte, eine Störung ihres Monopols. Und sofort ging es los. Das Zentralorgan der polnischen Sozialdemokratie überschüttete uns mit einer solchen Flut von Beschimpfungen (Lockspitzel, Wirrköpfe, Gelbschäbel, Diebe u.s.w.) dass es uns gleich klar war, es sei die Angst, die diesen Schmierfinken die Feder führte. Welche eisernen Stirnen die Redakteure des „Naprzod" haben, beweist schon der Umstand, dass sie es wagen, uns als die Erben von Moritz Jäger und Samuel Popiel hinzustellen. Als nämlich gegen Anfang der 90er Jahre in Lemberg sich die Partei der sogenannten „Unabhängigen" bildete, die übrigens längst verschwunden ist und deren Haupttätigkeit — ohne direkt anarchistische Ideen zu propagieren — die Bekämpfung der sozialdemokratischen Führer war, da trat dieser Partei auch ein gewisser Moritz Jäger bei, von dessen Diebstählen die Sozialdemokraten schon früher wussten, jedoch den Mantel christlicher Liebe über sie hängten solange er treuer Parteimaineluke war, und über die sie sich erst entrüsteten, als er aus der Partei austrat. Nebenbei bemerkt wurde dieser Jäger von den Londoner Genossen später demaskiert und ihm ein weiterer Verkehr mit anständigen Leuten unmöglich gemacht. Samuel Popiel war ein Lockspitzel, deren es immer in jeder regierungsfeindlichen Partei genug gibt.

Alle diese Schikanen, alle Verfolgungen, mögen sie nun von der Polizei oder von unseren „Stiefbrüdern" kommen, werden uns in unserer Arbeit nicht abhalten, sie werden uns nur noch energischer, nur noch erbitterter machen. An die deutschen Genossen jedoch wenden wir uns mit der Bitte, eingedenk zu sein ihrer unter so widerlichen Bedingungen kämpfenden Brüder, und uns soweit es ihnen möglich zu unterstützen.

Das Terrain, auf dem wir arbeiten, ist günstig, das polnische und jüdische Proletariat noch nicht gänzlich seiner Energie beraubt — was uns nottut, ist Geld und tätige Unterstützung der Genossen Deutschlands, welche in polnischen Gegenden wohnen oder mit Polen zusammen arbeiten. Diese könnten uns behilflich sein, unsere Blätter und Broschüren überallhin zu verbreiten, wo polnisch gesprochen wird. Unser Blatt ist die erste und einzige Zeitschrift in polnischer Sprache und unsere Aufgabe wird, es sein, nicht lokale Krähwinkel-Politik zu betreiben, sondern die anarchistischen Prinzipien den polnisch sprechenden Arbeitern aller Länder zu vermitteln.

Buntar

(Den Vertrieb von „Wolny Swiat" hat für Deutschland Genosse St. Porankiewicz, Berlin S.W. 61. Plan Ufer 3 v. IV. Preis pro No. 10 Pfennige.)

Aus: Der Freie Arbeiter, 1. Jahrgang, Nr. 15, 1904. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.