Andere Beziehungen? Anspruch und Wirklichkeit

Von der Bewegung für eine herrschaftsfreie Gesellschaft wird zumindest nach außen der Anspruch vertreten, antisexistisch zu sein, obwohl auch dieser oft nur oberflächlich angehängt wird, wie sich z.B. in Flugblättern (»gegen die patriarchal-kapitalistische Herrschaft«) ausdrückt. Immer wieder wird von uns als Wunsch und Ziel benannt, schon heute ein anderes Leben zu führen. Innerhalb unserer Zusammenhänge wird dieser Anspruch jedoch kaum verwirklicht: Männer bestimmen die Tagesordnung, verhalten sich mackerhaft. Bei vielen Treffen herrscht eine distanzierte, anonyme Atmosphäre, die ganz und gar nicht der Freiraum ist, in dem mensch ohne Angst die eigenen Gefühle und Gedanken raus lassen könnte. In Diskussionen wird nicht aufeinander eingegangen und wenn eine mal etwas Persönliches von sich gibt, folgt betretenes Schweigen. Verregelungen und der starre Blick auf die harte Politik schließen Berührungen und gemeinsame Zärtlichkeiten aus. Während wir davon reden, anderen Beziehungen zwischen Menschen zu schaffen, werden Zuneigung und Nähe aus unseren Zusammenhängen ausgeklammert und als Folge - wie so üblich - in eine Zweierkiste gedrängt. Wieder sollen Menschen sich selbst aufspalten, die für sich eigentlich den Wunsch haben, isolierte Lebensbereiche wieder zu vereinen und Menschen als ganze Wesen zu begreifen.

Beispiel dafür, wie Schein und Sein auseinander klaffen ist die Gender Debatte, in der Geschlechter als soziale Konstrukte begriffen werden, in welche wir erst durch Erziehung und so gepresst werden. Von vielen Männern wird dieser schöne, eigentlich radikale Ansatz so gedreht und benutzt, um sich antisexistisch zu geben, ohne doch sich selbst und die eigene Männlichkeit ernsthaft in Frage zu stellen. So von wegen: »Geschlechter gibt's gar nicht, also muss ich mich auch nicht mit meiner Männlichkeit auseinander setzen.« Während sie von der Aufhebung der Geschlechter reden verhalten sie sich so, als wären sie selber nicht davon betroffen. Ich hab's leider schon erlebt: theoretisch abgehoben spricht mann sich gegen Geschlechterrollen aus, während mann gleichzeitig die sexistische Normalität reproduziert. Ohne auch nur ein Wort über das eigene Verhalten zu verlieren, was ich einfach nur zum Kotzen finde. Theoretisch daher labern, um sich vor anderen wichtig zu tun - das gefällt den Typen. Aber spätestens dann, wenn ihre Heterosexualität angegriffen wird, wenn Veränderung gefordert wird, wenn es weh tut - und auch weh tun muß! -, hört der Spaß für sie auf.

Die Trennung des Privaten vom Politischen

Diese Trennung durchzieht das Leben der Menschen in dieser Gesellschaft, zerstückelt es in Teilbereiche und weist uns bestimmte Rollen zu. Auch in emanzipatorischen Zusammenhängen: Bei politischen Treffen herrscht oft eine anonyme Atmosphäre, mensch kennt sich kaum oder kann sich eh nicht ab. Über Gefühle und persönliche Wünsche darf erst nach Ende des Treffens in der Kneipe geredet werden - wenn überhaupt. Durch diese (Rollen-)Zuweisungen entstehen instrumentelle Beziehungen: für politische Aktionen ist nur die Gruppe zuständig, für Emotionen, Liebe und Angst die Zweierbeziehung. Dadurch werden Grenzen zementiert, mit der Folge, dass viele Menschen weiter in einengende Lebensformen gedrängt werden, die sie eigentlich ablehnen. Statt dessen ist die Vision, diese Grenzen zu sprengen: die Menschen, mit denen ich gegen das System kämpfe sind auch meine Freunde, die, an die ich mich wende, wenn es mir schlecht geht. Und wenn wir kuscheln wollen.

(Zweier-)Beziehungen

Von Anfang an werden unsere Wünsche nach Zuneigung und Berührungen unterdrückt, damit wir später problemlos für die Arbeitsmaschine funktionieren: alles »Naturhafte« an uns lernen wir zu verdrängen. Durch Bücher, Fernsehen und Eltern, die es uns vorleben, wird uns die traute Zweisamkeit als höchstes Glück und als die Lebensform von Menschen schlechthin präsentiert. Das tausendfach wiederholte happy end, wo Mann und Frau sich in die Arme fallen, soll uns einreden, dass es persönliche Erfüllung im totalen Unglück geben könnte. Die Zweierkiste ist der einzige Ort, wo Zärtlichkeit und körperliche Nähe begrenzt erlaubt sind - obwohl viele durch die pausenlose Unterdrückung und Angst gar nicht mehr fähig sind, zärtlich zu sein. Die traute Zweisamkeit ist eine Fassade: FeministInnen haben schon vor langem in aller Deutlichkeit aufgezeigt, dass sie der perfekte Ort für den Mann ist, vom Blick der Gesellschaft geschützt wenigstens eine Frau zu beherrschen, wirtschaftlich und sexuell auszubeuten. Zweierbezeihungen sind eine Stütze dieses Systems, in der sich Herrschaft immer weiter am Leben erhalten kann - viele Menschen, die früher für ein anderes Leben gekämpft haben, haben sich heute in familiäre Strukturen zurückgezogen. An solchem Rückzug ins Private tragen auch unsere Zusammenhänge Verantwortung, weil die ersehnten anderen Lebensformen in ihnen fehlen.

Geschlechter

Wer die Geschlechter dekonstruieren will, kann die Heterosexualität nicht übergehen. Denn gerade in der Heterosexualität drückt sich aus, wie Geschlechterkonstrukte unser Leben und unsere Beziehungen bis ins Innerste bestimmen: es wird von vornherein ausgeschlossen, Menschen nah zu sein, weil sie zu Mann oder Frau gemacht wurden. Menschen können gar nicht mehr personenorientiert wahrnehmen oder auf einzelne Menschen zugehen, weil sie ihnen sofort Geschlechter überstülpen. Und das ist einfach pure (Selbst-)Diskrimierung. Wie viel Gewalt muss ein Mensch erfahren haben, dass sie einen anderen nicht lieben und berühren kann, weil er scheinbar ein Mann oder eine Frau ist? Wie viel Unterdrückung hat ein Mädchen hinter und in sich, das nicht einmal den Gedanken zu läßt, ein anderes Mädchen zu streicheln, zu begehren? Insbesondere für Männer ist Heterosexualität ein wesentlicher Teil ihrer Männlichkeit. Für sie sind Schwule keine Männer mehr: weil sie mit der Heteronorm brechen, werden sie als schwach, als quasi-weiblich gesehen, wie sich in den gängigen Beschimpfungen nur zu deutlich zeigt. Umgekehrt bedeutet dies aber nicht, dass Homosexuelle keine Heteronormen wiedergeben würden... ist alles halt nicht so einfach. Die Vision: eine Welt ohne Geschlechter, ohne den Zwang, irgendeine Rolle spielen zu müssen. Eine Welt, in der unsere Zuneigung wirklich konkrete Menschen trifft - und kein Rollenstereotyp.

Sexualität

Sexualität ist ein gesellschaftliches Konstrukt, um unsere grundlegendsten Bedürfnisse einzusperren, zu kontrollieren und in systemgerechte Bahnen zu lenken. Vom Kuss bis zum Orgasmus - vom Betrieb wird bis ins kleinste Detail definiert und vorgebeben, wie wir uns verhalten sollen, was sexuell ist und was nicht. Es gibt »wissenschaftliche« Bücher, in denen dargestellt wird, dass es eine natürliche Abfolge vom Vorspiel zum Sex gäbe, dass die Penetration des Mannes und seine Schwanzfixierung ganz normal ist. Jede Abweichung wie z.B. Intersexualität wird sofort normiert und kategorisiert, um sie beherrschbar zu machen. Wer sich nicht an die Regeln, an die fremdbestimmte Reihenfolge hält, sondern den eigenen Wünschen vertraut, muß ständig Angst haben, auf Ablehnung zu treffen: Und sei's weil ich einen Menschen schon beim ersten Treffen streicheln möchte und nicht erst knutschen. Solche Erlebnisse, machen klar, wie weit gesellschaftliche Konstruktionen in unser Leben eingreifen, uns einengen und in absurdeste Situationen befördern, die es ohne sie gar nicht geben würde: gäbe es keine festgesetzte, hierarchische Reihenfolge der Berührungen, wäre es egal, wo wir anfangen oder aufhören, uns zu lieben.

Diese Sexualität ist etwas durch und durch Kaltes, etwas, das feinsäuberlich vom übrigen Menschsein abgetrennt worden ist - und dadurch zur tauschbaren Ware gemacht werden konnte. Erst weil Menschen Sexualität als etwas ihnen selbst Äußeres erfahren, weil sie ihre Bedürfnisse ständig verdrängen (müssen), sind sie dazu zu kriegen, Wichshefte, Pornos und andere Ersatzprodukte zu kaufen. Worauf wir nicht kommen sollen: dass Nähe, Glück und Zufriedenheit nur zwischen Menschen zu finden ist. Dass Zuneigung und Zärtlichkeit ein Teil jeder Beziehung zwischen Menschen ist, egal wie stark wir es von uns weisen.

Aus der Zärtlichkeit eine Waffe machen: andere Formen des Zusammenlebens

Gegen Sexismus, gegen Geschlechterkonstruktionen sein ist zu wenig, wenn damit keine Auswirkungen in der eigenen Wirklichkeit verbunden sind. Und ohne einfallsreiche Aktionsformen bleiben selbst diese für den Rest der Gesellschaft folgenlos. Wenn wir unsere Utopien ernst nehmen und das bedeutet, diese auch auf uns zu beziehen, dann müssen wir Veränderungsprozesse in unseren Zusammenhängen vorantreiben. Wir brauchen Ideen, wie wir Veränderung im sogenannten »Alltag« hinbekommen. Und wir brauchen Aktionen, die aus dem Rahmen fallen, für Verwirrung stiften und dennoch Inhalte vermitteln (ein paar davon findet ihr unten!). Es geht ja darum, schon heute ein anderes Leben zu leben, um eine reale Alternative darzustellen und die Keime einer freien Gesellschaft zu legen.

Ich will meine Wünsche nach Streicheln und Kuscheln nicht aus dem Einsatz für eine freie Gesellschaft verbannen, weil es ganz einfach dazu gehört. Ich will keine Trennung von Vernunft, Politik auf der einen, und Gefühlen und Bedürfnissen auf der anderen, welche ins Private abgeschoben werden: wenn ich nicht schmusen kann, ist es nicht meine Revolution. Ich sehne mich und strebe nach Räumen, in denen wir wieder lernen, uns lieb zu haben, jenseits von Zweierkisten und instrumenteller, warenförmiger Sexualität. Ich wünsche mir Zusammenhänge, in denen es gar nicht erst ein Problem ist, wenn Menschen sich mögen und sich dies offen zeigen, in denen sich die Frage nach Mann | Frau nicht mehr stellt. Ich wünsche mir eine Bewegung, die Zuneigung, Angst und Schwäche nicht ausgrenzt - sondern als etwas Selbstverständliches einbindet. Damit ist ganz sicher kein harmoniesüchtiges »alle haben sich lieb« gemeint, mit dem Auseinandersetzungen verdeckt oder unterbunden werden. Für mich schließt sich das einfach nicht aus: Konflikte austragen und sich lieben gehören zusammen!

Auf jeden Fall ist es einfach total wichtig, dass wir an Stelle dessen, was wir ablehnen und überwinden wollen andere (Keim-)Formen des Zusammenlebens treten lassen, die uns gemeinsame Stärke verleihen und davor schützen, vom System verschlungen zu werden - auch wenn es widerspruchsvoll scheint. Durch den gemeinsamen Rückhalt in einer gelebten Utopie können wir uns davor schützen, integriert zu werden. Verunmöglicht wurden und werden solche inneren Prozesse, weil unser Blick viel zu starr nach außen, auf die anderen und aufs bloße Machen, auf Aktionen ausgerichtet ist. Deshalb ist es erst einmal wichtig, dass wir innere Veränderung nicht hinten anstellen, sondern als logischen wie gleichwertigen Teil des Einsatzes für ein anderes Leben begreifen. Gerade angesichts der augenblicklichen Kräfteverhältnisse.

Weitere Forderungen an uns, die sicher erst einmal abstrakt erscheinen: sich der Sexualität zu "verweigern", welche nur da ist, um uns einzuengen, gegen heterosexuelle Logik angehen, z.B. durch kollektives Kuscheln. Was für Männer sinnvoll wäre: über Ängste sprechen, weinen, sich gegenseitig streicheln. Damit Männer anfangen, andere Typen als Menschen zu sehen, ihre stumpfe Vergewaltigungs-Sexualität erkennen und aufbrechen. Und lernen, dass es keine Schwäche ist, schwach zu sein. So können gemeinsame Zärtlichkeiten unter Männern bewusst machen, wie verzerrt, stereotyp und widerlich die Wahrnehmung von Frauen bei ihnen ist. Für weitere Anregungen gibt's nur eines: Männerrundbrief lesen (alte wie neue Ausgaben)!

Freies Lieben bedeutet herrschaftsfrei Leben

Freie Liebe setzt Herrschaftsfreiheit voraus. Angesichts dessen, wie viel Gewalt und Entfremdung in unseren Beziehungen steckt, ist eine Auseinandersetzung um andere Beziehungsformen für uns nur denkbar in Verbindung mit (Anti-)Sexismus und allen anderen Unterdrückungsformen. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass unter dem Deckmantel befreiter Liebe ein männliches Zugriffsrecht auf möglichst viele Frauenkörper durchgesetzt wird. Der one-night-stand ist der Triumph einer "sexuellen Befreiung", welche Sexualität vollends zur Ware macht: Jede kann mit jeder völlig beziehungslos schlafen und den anderen Menschen am nächsten Morgen weg werfen. Beispiele dafür bieten Teile der 68er Bewegung und die von ihnen angestrebte sexuelle Befreiung: Frauen, die einfach nicht wollten, wurden unter Druck gesetzt und als verklemmt beleidigt. Ähnliche Ansichten werden heute z.B. vom ZEGG vertreten, für die das größte Hinderniss zur sexuellen Befreiung Frauen sind, die sich nicht willig benutzen lassen wollen. Freie Liebe und instrumentelle, herrschaftsförmige Beziehungen sind unvereinbar: ein freies Lieben setzt die Autonomie aller Menschen voraus.

Kuschelweiche Vorschläge für eine kreative Praxis

Lustig wird's auch, wenn an Eltern ein schriftliches Dementi der Schule eingeht, in dem klar gestellt wird, dass es trotz lesbischer bzw. schwuler Schwenks auch weiterhin getrennte Umkleiden und Duschkabinen gibt. Homosexuelle Neigungen sollen auch in Zukunft gefördert werden, um die SchülerInnen vor Engstirnigkeit zu schützen. (Ein solches Fake dürfte allerdings vielen SchülerInnen Ärger daheim bereiten!) An dieser Stelle ist es wichtig, dass Menschen die Aufregung, den Ärger nutzen, um rein zufällig eine inhaltliche Diskussion anzuzetteln. Ansonsten bleibt das Fake ein Selbstzweck ohne politischen Erfolg.


Sich anders auf einander beziehen: "Wenn ich nicht schmusen kann, ist es nicht meine Revolution!"


Von: Schwarze Katze, Postfach 41 20, 58664 Hemer, www.free.de/schwarze-katze/

Originaltext: http://www.free.de/schwarze-katze/texte/bez01.html