Anarchismus und Kommunismus

Dieser von www.anarchismus.de geklaute und überarbeitete Beitrag soll keine anti-kommunistische Hetze sein, sondern (parteiisch) über grundlegende Unterschiede zwischen anarchistischen und kommunistischen Konzepten informieren. Der Artikel ist dabei keineswegs vollständig, es empfiehlt sich weitere Lektüre (z.B. die Broschüre: Guerin - Anarchismus und Marxismus & Chomsky - Anmerkungen zum Anarchismus)

Vorwort über den Kommunismus

Fangen wir mal bei ein einem Zitat von einem Anarchisten über den Kommunismus an: „Ich verabscheue den Kommunismus, weil er die Negation der Freiheit ist und weil ich mir nichts Menschenwürdiges ohne Freiheit vorstellen kann. Ich bin deshalb nicht Kommunist, weil der Kommunismus alle Macht der Gesellschaft im Staat konzentriert und aufgehen läßt, weil er notwendig zur Zentralisation des Eigentums in den Händen des Staates führen muss, während ich die radikale Abschaffung des Staates wünsche, die radikale Ausrottung des Autoritätsprinzips und der Vormundschaft des Staates, die unter dem Vorwand, die Menschen sittlich zu erziehen und zu zivilisieren, sie bis heute versklavt hat. Ich wünsche die Organisierung der Gesellschaft und des kollektiven und sozialen Eigentums von unten nach oben auf dem Weg über die freie Assoziation und nicht von oben nach unten mit Hilfe irgendeiner Autorität, wer immer sie sei.“ Michail Bakunin "So hat der Kommunismus, wie ein Heer, das dem Feinde seine Kanonen weggenommen hat, nichts anderes getan, als gegen das Heer der Besitzenden dessen eigene Artillerie gekehrt. Von jeher hat der Sklave den Herrn nachgeäfft." Proudhon

Im übrigen möchte ich sagen, dass Anarchisten und Kommunisten in vielen Fällen zuerst gemeinsam gegen die Unterdrücker gekämpft haben. (Siehe Spanien, Russland usw.). Nach dem Sieg der Revolution übernahmen die Kommunisten jedoch einfach den Staat und errichteten sogar noch stärkere "Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen" gegen politische Gegner. So wurde nun jeder Widerstand gegen das System von den Kommunisten blutig unterdrückt. In Spanien kam es am Ende dazu, dass Kommunisten die Anarchisten einfach abschlachteten. Ich komme drauf noch später zurück.

Man hat den Marxismus und den Anarchismus oft als zwei feindliche Brüder bezeichnet. Doch auf den ersten Blick scheint es kaum Unterschiede in der Theorie zu geben. Über die Analyse des Kapitalismus sind sich Anarchisten und Kommunisten größtenteils einig, jedoch nicht in der Frage des Weges, wie der Kapitalismus beseitigt werden soll. Da war es nicht verwunderlich dass es zu Gegensätzen kommen musste.

So plädierten die Marxisten, die das autoritäre Lager anführten, für die Grundlage starker, zentraler Parteien , für den Eintritt in Gewerkschaften, für die Beteiligung an Wahlen und für einen politischen Kampf, der die Bedingungen der Arbeiterklasse schrittweise verbessern sollte. Die Anarchisten hielten diesem Programm entgegen: Organisation auf der Basis freier und dezentral organisierter Bünde, die sich lediglich zur Absprache ihrer Aktionen zusammenschließen sollten.

Man erkannte , dass in einer autoritären Organisation (wie es die Kommunisten mit ihrer Partei machten) bereits der Keim für eine neue autoritäre Gesellschaft erhalten war. Wir müssen jedoch von Fall zu Fall genau untersuchen, ob das, was wir kritisieren, denn eigentlich Marxismus ist. Bekanntlich gibt es mehrere "Schulen" des Marxismus, die alle von sich behaupten, die einzig wahren, rechtmäßigen Nachfolger des Lehrers zu sein. Von der reformistischen Sozialdemokratie haben wir gesehen, dass bei ihr von Marx nicht mehr viel übrig geblieben ist. Aber auch im Leninismus , der heute als "echter" Marxnachfolger allgemein anerkannt ist, müssen wir feststellen, das hier Marx ganz erheblich verfälscht wurde.

Schnell erkannten die Antiautoritären, dass der Kommunismus eine Gefahr in sich birgt. Er nimmt aufgrund seiner beanspruchten „geistigen Überlegenheit“ die Führung der Revolution („Avantgarde“) für sich in Anspruch und trägt so den Keim diktatorischer Systeme in sich. Statt den Staat zu zerschlagen, plan(t)en die Marxisten nur ihn zu übernehmen und zu stärken – samt seiner Herrschaftsapparate. Der Staat würde dann – so die Theorie – mit der Zeit absterben. Doch genau das Gegenteil trat bislang in allen „kommunistischen“ Staaten ein. Ob in Russland, China, Vietnam, Kambodscha, der DDR oder in Kuba – der Staat blieb und die Kommunisten errichteten autoritäre Diktaturen. Durch Lenin wurden deutlich einige der jakobinischen und autoritären Züge der marxistischen Theorie verstärkt. Er erweiterte diese auch um einen Ultra-Zentralismus, eine enge und sektiererische Konzeption der Partei und vor allem um die Praxis der Berufsrevolutionäre als Führer der Massen (eben die „Avantgarde“).

Es scheint, als seien die Anarchisten Propheten gewesen. Schon Bakunin schrieb: "Vorzugeben, daß eine Gruppe von Individuen, seien es die Intelligentesten und die mit den besten Absichten, in der Lage ist, die Seele, der leitende und vereinigende Wille der revolutionären Bewegung und Wirtschaftsorganisation des Proletariats aller Länder zu werden, ist eine solche Ketzerei gegen den Gemeinsinn, dass man mit Erstaunen fragt, wie ein so intelligenter Mensch wie Herr Marx das hat denken können. Die Einrichtung einer universellen Diktatur würde genug sein, die Revolution zu töten, alle Volksbewegungen zu lähmen und zu verfälschen. Man kann das Etikett wechseln, das unser Staat trägt, seine Form - aber im Grunde bleibt er immer der gleiche. Entweder müssen man diesen Staat zerstören oder sich mit der schändlichsten und fürchterlichsten Lüge, die unser Zeitalter hervorgebracht hat, versöhnen: der roten Bürokratie!" Genau dieser überbürokratisierte Staat entstand in Russland nach der Oktoberrevolution…

Lenin, der den Marxismus im autoritären Sinne weiterentwickelt hat, gelang es innerhalb von drei Jahren, die russische Volksrevolution unter die Diktatur seiner straff organisierten, kleinen Partei zu bringen. Als das Volk begriff, was geschehen war, war es schon zu spät: Jede Erhebung gegen die bolschewistische Diktatur wurde blutig unterdrückt (siehe Kronstadt 1921 , die Ukraine etc.), die neu geschaffene Geheimpolizei terrorisierte mit brutalen Methoden das Land. Trotzdem muß kritisch angemerkt werden, dass Anarchisten und Anarchogruppen ihre Kräfte manchmal mehr der Bekämpfung des Marxismus geopfert haben, als dem Kampf gegen den gemeinsamen Klassenfeind.

Wirtschaftssystem der Anarchisten/Kommunisten

Schon Marx und Bakunin haben darüber gestritten. Marx strebte eine zentrale Organisation der Produktion an. Ein Stab von Ingenieuren sollte den ganzen Staat, der das Bank- und Produktionsmonopol hat, bestimmen und entscheiden, was produziert wird und was nicht (Also nach dem "von oben nach unten" Prinzip / Autoritätsprinzip). Aus eben dieser Bürokratie entstand in Russland eine neue privilegierte Klasse.

Die Anarchisten traten dagegen für ein völlig anderes Wirtschaftssystem ein: es sollte vor allem zwei Bedingungen erfüllen: menschlich sein und effektiv produzieren. Vor allem das erste sahen sie im marxistischen Konzept gefährdet. Sie fürchteten sogar, dass aus dem allmächtigen Wirtschaftsstaat eine neue, schlimmere Regierungsform hervorbrechen würde. Wenn man sich das Staats- und Wirtschaftssystem der (inzwischen zusammengebrochenen) Sowjetunion ansieht, muss man zugeben, dass die Befürchtungen nicht abwegig war.

Genau wie alle anderen Gesellschaftsbereiche, so sollte auch die Wirtschaft und die Industrie von "unten nach oben" organisiert werden (und nicht wie im Kommunismus "von oben nach unten"), d.h. auf der Grundlage von freien und gleichberechtigten Produktionsgemeinschaften, die sich nach den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Arbeiter und Verbraucher zu wirtschaftlichen Föderationen (Bünden) zusammenschließen. Dasselbe sollte für die landwirtschaftlichen Genossenschaften gelten. Die Wirtschaft sollte also nicht durch zentrale Planung gehemmt werden, sondern sich von der Basis her, d.h. an den tatsächlichen Bedürfnissen der Produzenten (Arbeiter) und Konsumenten (Verbraucher) orientieren.

Es leuchtet ein, dass man die wirtschaftliche Ordnung nicht dem Zufall eines freien Marktes überlassen kann. Das ist damit auch keineswegs gemeint! Vielmehr sollten sich dafür Räte zusammenschließen und sich über Erfahrungen, Probleme und anderes austauschen und Beschlüsse treffen. Es leuchtet ebenfalls ein, dass eine solche Organisation nicht nur aus studierten Theoretikern besteht, die irgendwo an Tischen von staatlichen Zentralen sitzen, sondern dass diese Organisation aus den Arbeitern selbst besteht, nach dem Prinzip der Selbstverwaltung.

In den beiden erfolgreichsten anarchistischen Gesellschaften, die je existierten, in der Ukraine und Spanien, ist es tatsächlich gelungen, diese Vorstellungen in den ersten Ansätzen zu verwirklichen. Es ist gelungen die Arbeitswelt erheblich zu humanisieren. Betriebe wurden von den ArbeiterInnen selbst übernommen und verwaltet (kollektiviert). Transport- und Verteilungsfragen wurden nicht vom Kapital oder der Regierung beschlossen, sondern einzig durch demokratischen Räte der Arbeiter und Bauern. Und was niemand für möglich hielt geschah: Die Produktion stieg, anstatt zu fallen, die Löhne konnten teilweise gehoben und sogar die Arbeitszeit gesenkt werden.

Weder in der Ukraine 1918 bis 1922 noch in Spanien 1936 bis 1939 hat es trotz der Bürgerkriegssituationen Hungertote gegeben (vgl. die Millionen von Toten im planwirtschaftlichen Sowjetrussland der 20er-Jahre).  War die Ukraine mehr ein Agrarland mit wenig Industrie, so haben wir in Spanien mit seinen Industriezentren (Barcelona und Valencia) ein typisches Beispiel dafür, dass das anarchistische Prinzip der Selbstverwaltung und der Bedürfnisproduktion auch in modernen Industrieländern möglich ist.

Fassen wir die Thesen der wirtschaftlichen Organisation der Anarchisten kurz zusammen:

Räte und Selbstverwaltung

Die Räte bilden das Prinzip, das der Selbstverwaltung zugrunde liegt. Sie sind von allen bisher bekannten gesellschaftlichen Organisationsformen die demokratischste. Die Räte sind sowohl geografische als auch sachliche Organisationszusammenhänge. Sie können sich überschneiden, d.h., es gibt z.B. den Rat des Dorfes, einer Stadt oder eines Landstrichs, je nach Größe und Einwohnerzahl. In diesem Gebiet wiederum organisieren sich Räte nach sachlichen Zusammenhängen, so z.B. am Arbeitsplatz: in der Fabrik, im Transportwesen, in den Universitäten und Schulen, in den Krankenhäusern etc. Es kann auch andere sachliche Zusammenhänge geben, wie den Rat der Frauen, den der Alten, den der Körperbehinderten usw.

Jeder Rat ist also im Grunde die Versammlung aller Menschen, die unter den entsprechenden Bereich fallen und daran teilnehmen möchte. Natürlich ist die Teilnahme freiwillig. Ebenso ist jeder Rat grundsätzlich „autonom“ (unabhängig). Zur Bewältigung bestimmter überregionalen Probleme (wie z.B. Transportwesen, Post, Politik allgemein) wählt der Rat sogenannte Delegierte. Die Delegierten bilden einen weiteren Rat. Hierbei ist gewährleistet, dass die, die das meiste Vertrauen in der Bevölkerung genießen und sich mit dem Problem um das es gerade geht, am besten auskennen, gewählt werden. Dies ist eine klare Organisation von unten nach oben. Sieben Millionen ÖsterreicherInnen können sich schlecht irgendwo versammeln und noch schlechter miteinander beraten. Die Delegierten können jedoch nach ihrer Wahl nicht machen, was sie wollen: Sie unterliegen immer den Interessen der Basis, die sie gewählt hat! EinE Delegierte(r) der/die nicht für die Interessen des eigenes Rates Eintritt wird von der Basis ersetzt.

Der Kommunismus und die Parteien

Die Partei der Bolschewiki: Diese Partei ist eine Abspaltung der russischen Sozialdemokratie. Sie erhob sich selber zur "Avantgarde des Proletariats" und war straff und autoritär organisiert. Ihr Ziel war es, unter ihrer Führung einen Aufstand zu beginnen, die Macht im Staat zu übernehmen und „den Sozialismus“ einzuführen. Vom revolutionären Bewußtsein des Arbeiters hielt die Partei nicht allzu viel. Als die Revolution 1917 in Russland begann, zog sie mit und kämpfte unter der Parole "Alle Macht den Räten" an der Seite der Anarchisten und Sozialrevolutionäre mit dem Volk für die Revolution. Das war nur ein taktischer Zug - als die Bolschewiki die Macht übernahmen, zerschlugen sie zuerst einmal die anarchistischen und sozialrevolutionären Organisationen und machten Schritt für Schritt die Revolution rückgängig. Die Räte wurden entmachtet, Polizei und Armee wieder aufgebaut und gegen das eigene Volk eingesetzt. Die Bürokratie hielt überall Einzug und Erhebungen gegen die neue Parteidiktatur wurden blutig niedergeschlagen. Nach knapp 20 Jahren unterlag Russland der brutalen Diktatur eines einzigen Mannes - Josef Stalin. Von Sozialismus keine Spur, von Freiheit erst recht nicht.

Es geht nicht darum, die politische Macht zu erobern, sondern sie zu zerschlagen! Sowohl die bolschewistischen Avantgardekonzepte, als auch die parlamentarisch-reformistischen Sozialdemokratien sind gescheitert. Nicht die Übernahme des Staates ist der Weg zur Überwindung von Ausbeutung und Herrschaft, sondern seine vollständige Ersetzung durch neue Organisationsformen von unten!

Originaltext: www.anarchismus.de