Gisela Notz - Kraft des Experiments oder Nischendasein. Kommunen im Zweispalt von Bedeutungslosigkeit oder Perspektive

Vorbemerkung

Immer mehr Menschen sind unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen, der Arbeitsorganisation, der Arbeitsteilung und der Arbeitsverteilung in unserer Gesellschaft. Viele Schäden, die die kapitalistischen Unternehmungen an der Mit- und Umwelt angerichtet haben, lassen sich nicht wieder rückgängig machen. Wissenschaft und Politik versuchen, unheilvolle Bedrohungen durch Gegenmaßnahmen zu bekämpfen. Die wenigsten sind geeignet, die Ursachen der Probleme zu beseitigen.

SoziologInnen und GewerkschafterInnen streiten sich angesichts der zunehmenden Globalisierung, forcierten Rationalisierung und kontinuierlichen Umstrukturierungen und der damit verbundenen Massenerwerbslosigkeit um die Variante der Zukunft jenseits der Arbeitsgesellschaft. Dritter Sektor, Schattenwirtschaft, Bürgerarbeit, neues Ehrenamt und Stärkung von Selbsthilfe und „alternativer Wirtschaft" jenseits oder zwischen Markt und Staat werden als Allheilmittel gegen die Erwerbslosigkeit gepriesen, oft sind sie nur alter Wein in neuen Schläuchen.

Kritik aus alternativ-ökonomischer Sicht

Aus alternativ-ökonomischer wird Kritik an den herrschenden Arbeitsbedingungen notwendig, die sich sowohl auf die bezahlt geleisteten Arbeiten in Produktion und Verwaltung, die - je höher sie positioniert sind - noch immer mehrheitlich Männern zugeordnet werden, wie auch auf die unbezahlten Haus- und Sorgearbeiten, die noch immer vor allem in den Zuständigkeitsbereich von Frauen fallen, notwendig. Daß das Problem der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung nicht alleine mit veränderten Bedingungen in Produktion und Verwaltung und mit der Einbeziehung der Frauen in diese Arbeitsbereich zu lösen ist, wird am Beispiel der Nachkriegsgeschichte der Frauenarbeit in den fünf neuen Bundesländern deutlich. Das hat Gründe.

Die Funktion der Familie als Platzanweiser für die Rollenverteilung im Reproduktionsprozeß blieb unangetastet. Sie wurde als „kleinste Zelle des sozialistischen Staates" als einzige Form des Zusammenlebens angesehen und gefördert (Merkel). Ein struktureller Wandel hinsichtlich der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung in Betrieb und Familie oder hinsichtlich der Struktur der Familie insgesamt unterblieb in der real sozialistischen DDR jedoch ebenso aus wie im kapitalistisch-patriarchalen System der Bundesrepublik.

Konstruktive Kritik an der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft kann nur unter den Bedingungen einer Zielvorstellung, also einer Vorstellung vom Anderen, Besseren, von sinnvoller Lebens-Arbeit erfolgen. Es gilt der Frage nachzugehen, wie wir in der Zukunft (zusammen) leben und (gemeinsam) arbeiten wollen. Es gilt Kritik an den Berufsstrukturen ebenso zu üben, wie an den Strukturen der Familie. Schließlich geht es um die Aufhebung der entfremdeten Arbeit in allen Arbeitsbereichen und um die Teilhabe von Männern und Frauen am ganzen Leben. Der Kritikbegriff muß daher mit einem neuen Utopiebegriff zusammengebracht werden. Das hieße, eine Verallgemeinerung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit (bezahlter und unbezahlter, auch gemeinwesenorientierter und ehrenamtlicher Arbeit) auf alle anzustreben ebenso wie ein Recht auf existenzsichernde, sinnvolle und selbstbestimmte Arbeit für alle Menschen, die das wollen. Erst dann können die befreienden Dimensionen nicht marktförmiger Arbeit ohne zusätzliche Ausbeutung wirklich werden. Ziel wäre eine Arbeit, die so gestaltet ist, daß Erwerbsarbeit, Hausarbeit und die Arbeit im sozialen, politischen, kulturellen, künstlerischen und gemeinwesenorientierten Bereich kollektiv organisiert sind und gleich wichtig sind. Die Sorge, Verantwortung und Hilfe für menschenwürdiges Leben von Kindern, Jugendlichen, Kranken und alten Menschen könne in eine solche Arbeit integriert werden. Dies wäre eine Gesellschaft, in der die „freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Manifest, MEW 4, S. 482).

Eine solche Gesellschaft ist bis heute Utopie.

Dennoch gibt es innerhalb der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft bereits Individuen und Gruppen, die mit den Entwicklungsmöglichkeiten, die ihnen das kapaitalistisch-patriarchale System bietet, nicht zufrieden sind und die versuchen, ihre eigenen Strukturen zu schaffen, um Arbeitsmöglichkeiten und Zusammenlebensformen jetzt und heute nach ihren Wünschen zu gestalten (vgl. Notz u. a. 1991; Müller 1997).

Ich will im folgenden die Kommune als radikal andere Lebens- und Arbeitsform - als gelebte Utopie im hier und jetzt darstellen. Ich werde zunächst die Frage stellen, was eine Kommune ist, dann fragen, was die Kommune-Bewegung will. Anschließend werde ich der alten Auseinandersetzung des Spannungsfeldes zwischen unpolitische Flucht oder revolutionären Kampf nachgehen. Am Beispiel einer Kommune, die ich recht gut kenne, will ich das praktische andere Leben beschreiben. Die Zukunftsperspektiven am Ende meines Beitrags sollen zur gemeinsamen Diskussion anregen.

Was ist eine Kommune?

Kommunen sind die wohl radikalste Form des gemeinsamen Wirtschaftens und des anderen Lebens. In Kommunen schließen sich Menschen mit gleichen oder ähnlichen Interessen zu überschaubaren sozialen Einheiten, Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, zusammen, um gemeinsam Dinge zu tun, die sie alleine gar nicht tun können oder tun wollen, und weil sie mit anderen zusammen leben, ganzheitlich und ohne patriarchale Hierarchien solidarisch arbeiten und handeln wollen. Sie entwickeln neue Formen der Selbsthilfe und gegenseitigen Hilfe und menschliche Beziehungen in einem kollektiv organisierten Leben, meist grenzen sie sich von kleinfamilialen Lebensformen ab und finden eigene Regelungen. Kommunen bilden Gegenkulturen außerhalb von institutionalisierten Betriebsverfassungen und ohne Heiratsurkunden. Zu ihren Konzepten gehört auch die konstruktive Auseinandersetzung mit den Schäden der modernen Zivilisation; damit sind Schäden gemeint, die die Umwelt, aber auch solche, die die zwischenmenschlichen Beziehungen betreffen. Solche Menschen weigern sich, vor Autoritäten den Hut zu ziehen. Sie wollen unter sich keine Sklaven sehen und über sich keine Herren. Sie haben das Verlangen nach einem würdevollen Leben, nach demokratischen Arbeitsstrukturen, nach ebenbürtigen Geschlechterverhältnissen und nach freier Ordnung, die sie in der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft nicht finden können, nicht aufgegeben. Sie haben keine Lust, ihre Sehnsucht nach Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit auf ein versprochenes Leben im Jenseits aufzusparen. Sie können sich ihre Utopie im Hier und Jetzt vorstellen. In ihren selbstgewählten Gruppen finden heute viele Menschen eine verläßlichere und zukunftsfähigere soziale Bezugsgruppe als in der Kleinfamilie.

Was will die Kommune-Bewegung?

Kommunen gibt es mindestens solange unsere Industriegesellschaft besteht. Die PionierInnen der Kommunebewegung kämpften gegen abstrakten Individualismus, gegen Atomisierung und gegen den Verlust des sozialen Kontextes in der Betrachtung der Individuen. Damit forderten sie auch eine Abkehr von der Konkurrenzgesellschaft hin zu fürsorgender und am anderen interessierten Gemeinschaft zwischen Frauen und Männern und Kindern.

In Westdeutschland machte die aus den Protestaktionen der StudentInnenbewegung entstandene Kommunebewegung Ende der 60er Jahre von sich Reden. Sensationelle Meldungen in den Medien haben dafür gesorgt, daß die Kommune zum Bürgerschreck wurde. Dennoch gaben Kommunen an vielen Orten den Impuls, die Idee des befreiten Menschen und der humanen Gesellschaft in subkulturellen Milieus zu verwirklichen. Seitdem entstanden in Städten und auf dem Lande zahlreiche Kommunen mit dem Selbstverständnis von Kollektiven gleichberechtigter Mitglieder, die die Isolation der Einzelnen und die Fixierung der Geschlechterrollen in neuen Formen des Zusammenlebens- und Arbeitens auflösen wollten.

Heute scheinen sie beinahe in Vergessenheit geraten, die Inseln des „alternativen Lebens", die Kommunen. Und doch gibt es sie. Nicht mehr nur ganz junge Leute schließen sich in Gruppen zusammen und stellen die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Arbeitens in einer neoliberalen profitorientierten Ellbogengesellschaft.

Die KommunardInnen der Nach-68er- Bewegung sind realitätsbezogen geworden. Die großen politischen Zielvorstellungen einer Revolutionierung des gesamten Gesellschaftssystems sind in den Hintergrund getreten. Sie setzen auf die Kraft des Experiments und des Vorlebens. An ihrer Existenz kann beispielhaft aufgezeigt werden, daß Möglichkeiten einer anderen Lebens- und Arbeitswelt nicht nur in den Köpfen und Büchern von Menschen zu finden sind, die sich theoretisch damit auseinandersetzen, sondern daß sie in Ansätzen hier und heute lebbar sind. Freilich bringt das Kommuneleben, wie andere Lebensformen auch Probleme mit sich. Möglicherweise petentieren sie sich durch die Zahl der Beteiligten, aber es potentieren sich auch die Lösungsmöglichkeiten.

Das Beispiel der Kommune Niederkaufungen, einer seit 1986 bestehenden links-alternativen Kommune, die aus ca. 51 Erwachsenen und 17 Kindern besteht, zeigt, daß politische Zielvorstellungen keineswegs aufgegeben sind. Wer dort lebt, hat sich mit den sechs Grundsätzen, die sich die Kommune selbst gegeben hat, einverstanden erklärt. Sie sind: 1. gemeinsame Ökonomie, 2. Entscheidungsfindung im Konsens, 3. gemeinsam leben und kollektiv selbstbestimmt arbeiten, 4. Abbau kleinfamiliärer Strukturen, 5. Abbau geschlechtshierarchischer Strukturen und 6. linkes Politikverständnis (vgl. auch Shalmon 1998). Uli Barth, ein Mitglied der Kommune Niederkaufungen nennt neuerdings Nachhaltigkeitsprinzp und soziale Absicherung als zusätzliche Kriterien. Er fragt: „Wo geht das besser als in der Kommune? Wer kommt schon mit 1/7 Auto aus und wer mit 1/35 Waschmaschine?" Die Kommune Niederkaufungen bezeichnet er als eine Theorie mit elf Jahren Praxiserfahrung. Die Qualität der Theorie muß sich nach seiner Meinung in Praxistest zeigen. Als erfolgreich würde er sie erst dann bezeichnen, wenn zumindest die GründerInnengeneration die Chance hat, eines natürlichen altersbedingten Todes in der Kommune zu sterben.

Rund 20 Kommunen in Deutschland leben nach ähnlichen Prinzipien wie die „Kaufunger".

Unpolitische Flucht oder revolutionärer Kampf?

Marxisten und andere Linke haben die Kommunebewegung oft als unpolitische Flucht vor der gesellschaftlichen Verantwortung zur Einläutung einer radikalen Veränderung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse gegeißelt. Sie werfen den KommunardInnen vor, daß sie Idealisten, Individualisten und Wirrköpfe seien, die sich auf den Spielwiesen der „Risikogesellschaft" (Beck 1986) tummeln und ihre Hoffnung in der Dissidenz sehen, anstatt revolutionären Kampf zu organisieren. Linke betrachteten die AktivistInnen oft skeptisch, weil sie scheinbar geschichtslos glaubten, am Rande des kapitalistischen Patriarchats ihre utopischen Inseln aufbauen zu können, vor der bösen Welt flüchten wollten und ihre Träume von einer besseren Welt ohne Angst und Unterdrückung umzusetzen versuchten, ohne etwas gegen die Unterdrücker zu unternehmen. Sie unterstellten den KommunardInnen zudem Realitätsferne, vor allem dann, wenn sie ohne sozialstaatliche Hilfe nicht lebensfähig wären. Denn diese Hilfe bekommen sie schließlich von demselben Staat, aus dessen Abhängigkeit sie flüchten wollen.

Das beschriebene Reibungsverhältnis ist alt, mindestens so alt, wie die Kommunebewegung. Freilich kann das Problem der fortschreitenden Entfremdung, Rationalisierung, Technisierung und Mediatisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt weder durch Selbstversorgung auf einem Bauernhof noch durch Selbstverwaltung in einer Unternehmung gelöst werden. Dennoch können die Kommunen und Lebensgemeinschaften als Beispiele für gelebte Utopien eines sinnvollen selbstbestimmten, anti-patriarchalen, kollektiv-organisierten Arbeits-Lebens dienen.

„Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft" (1) sind Kommunen Suchbewegungen und Versuche gegen die fortschreitende Zerstörung der menschlichen Mit- und Umwelt, gegen die Ausgrenzung von Andersdenkenden und - last not least - gegen die sozialen und die geschlechterspezifischen Ungleichheiten. Kommunen sind keine einheitlichen Gebilde. Sie haben viele Gesichter. Aber viele der Menschen, die dort leben und arbeiten, sind unermüdlich, stellen sich den Herausforderungen der GrenzgängerInnen und versuchen aus Träumen Leben werden zu lassen. Und das, obwohl heute utopisches Denken nicht gerade hoch im Kurs steht (Behrend).

Die Kommune Buchhagen

Die Kommune Buchhagen ist eine der ca. 20 Kommunen im Bundesgebiet, die sich weitestgehend an den Grundsätzen der Kommune Niederkaufungen orientiert. Ihr Sitz ist in einer ländlichen Region in Niedersachsen und gehört zu einem Dorf mit insgesamt 45 Einwohnern. Die Kommune besitzt gemeinsam ein großes Gelände mit nebeneinandergereihten ehemaligen Arbeiterhäusern, die, bevor die Kommune sie gekauft hat, zu einem naheliegendem Gut gehörten; in der Region wird ihr neu erworbener Besitz „das lange Haus" genannt. Eine aus dem Jahre 1867 stammenden Mühle, verschiedenen Werkstätten und ein großes Stück Land wurden zur gleichen Zeit erworben. Einige der Gebäude sind denkmalgeschützt.

Die Kommune besteht aus 6 Frauen, 6 Männern und 4 Kindern, das sind 2 Jungen im Alter von 1 1/4 Jahren und 2 Jungen im Alter von 9 und 12 Jahren. Die Erwachsenen sind nicht mehr alle ganz jung. Die älteste ist 76 Jahre, der jüngste Kommunarde ist 26 Jahre alt. Die Kommune hat den Anspruch, alle Generationen zu repräsentieren, weshalb von manchen Mitgliedern bedauert wird, daß eine „Zwischengeneration" (noch) fehlt. Die meisten der jungen Leute haben sich während der Wanderschaft kennengelernt. (Fast) alle sind im gleichen Schacht (2) gereist. Einige haben gemeinsam auf der „Tippelei" (3) Kommunen in Italien besucht und sind auch in Israel gewesen und haben dort einen Kibbuz kennengelernt. Das hat ihr Leben entscheidend beeinflußt. Sie sind TischlerInnen und ZimmerInnen - zwei Frauen; eine Tischlerin und eine Zimmerin - sind Meisterinnen, die anderen GesellInnen. In dieser Zusammensetzung - (fast) alle sind FacharbeiterInnen - unterscheiden sie sich grundlegend von anderen Kommunen, deren BewohnerInnen oft aus StudentInnen und Intellektuellen bestehen. Die Vorteile, die sie durch ihre Ausbildung haben, sind den meisten bewußt: „Wir haben das Potential, Studentenkommunen fehlt oft das Praktische" (4). Alle KommunardInnen tragen fachliche Qualifikationen und soziale Kompetenzen, die nirgends besser gelernt werden können als auf der Wanderschaft, in die Gruppe.

Sie wollten einsteigen in die Landkommune, weil sie von ihrem Stadtleben müde waren, weil sie ihr Glück nicht in der Kleinfamilie finden konnten, oder/und weil sie die Bedingungen ihrer Arbeit selbst bestimmen wollten und dafür lieber auf einen angesehenen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft verzichten. Eine junge Handwerkerin brachte es in einem Interview auf den Punkt: „Irgendwann war ich an dem Punkt, wo es mir unmöglich wurde, weiter einer Industrie zuzuarbeiten, die in erschreckendem Maße an der Umweltzerstörung beteiligt ist." Andere sahen den Einstieg in das Kommuneleben als „logische Folge" der „Tippelei" oder auch der damit verbundenen Kommune-Besuchsreise.

Ungefähr anderthalb Jahre lang haben sie sich auf das Zusammenleben vorbereitet. Etwa einmal im Monat haben sich alle getroffen. Damals waren sie alle noch unterwegs auf Wanderschaft: „Der Wunsch war in meinem Kopf und wurde immer größer...irgendwie wächst das und man weiß nicht wie". Neue Häuser und Höfe wurden betrachtet und die Gruppe hat sich überlegt, wie sie zusammen leben, wirtschaften und arbeiten wollen. Sie haben ihre Wünsche und Träume zusammengebracht und darüber diskutiert, wie sie sich das „gute Leben" vorstellen. Mit der Zeit wurde es immer konkreter. Daß sie Werkstätten haben wollten, war allen klar. Schließlich wurde ein gemeinsames Konzept erstellt. Das „lange Haus" bot ihnen nach ausführlicher Suche eine ideale Bleibe. Im November 1997 zogen die ersten BewohnerInnen ein. Jetzt, im Juni 1999 sind alle angekommen, neue können hinzukommen. Vor dem langen Haus und auf dem Feuerplatz vor der alten Mühle herrscht ein reges Treiben. Oft sind dort auch wandernde Gesellen, die ein paar Tage oder Wochen mithelfen, anzutreffen. Auch FreundInnen, Verwandte oder andere, die das Kommuneleben kennenlernen wollen oder in ihrem Bau- oder Zirkuswagen, auf dafür vorgesehenen Abstellplätzen für einige Zeit teilhaben wollen, sind willkommen.

Anders leben und arbeiten

Die Kommune Buchhagen versucht nicht nur, die ökonomischen Verhältnisse egalitär zu gestalten, sondern sie arbeitet ebenso an der Verwirklichung eines sozialen und emotionalen Lebensraumes, durch den ein Zusammenleben möglich wird, das in kapitalistisch organisierten Unternehmungen und kleinfamilialen Lebensformen nicht möglich ist. Die Strukturen, die dies zulassen, haben sie sich selbst geschaffen. Die Menschen arbeiten und leben im Sinne der psychologischen Handlungstheorie (vgl. Fischbach/Notz 1981) ganzheitlich, das heißt ihre Tätigkeiten umfassen Planung, Ausführung und Kontrolle des Produktionsprozesses. Sie können im Rahmen ihrer Arbeit ihre erworbenen fachlichen und sozialen Qualifikationen einsetzen und weiterentwickeln und werden zudem in der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit unterstützt. Die KommunardInnen übernehmen Verantwortung für sich selbst und für ihre Mitmenschen. Gemeinsam schaffen sie sich ein Meinungsbild über politische Probleme und wirken aktiv an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens und Arbeitens mit.

Die gemeinsame Ökonomie

Die gemeinsame Kasse bildet die Grundlage, um nicht untereinander in „Geldkonkurrenz" zu geraten. Die Kommune hat die Kasse in verschiedene „Töpfe" geteilt: eine Baukasse für den gemeinsamen Ausbau der Gebäude, eine Bedürfniskasse, aus der sich jeder Taschengeld, Geld für Kleidung und Spielzeug etc. nehmen kann, eine Haushaltskasse für Mahlzeiten, die Wartung der gemeinsamen Autos und für Ausflüge u. a. und eine Betriebskasse, für die gemeinsamen Betriebe. Bisher gab es damit keine Probleme. Die Einnahmen kommen aus den Betrieben, aus Marktverkäufen, Renten und Honoraren, die KommunardInnen für Dienstleistungen erhalten.

Gleichzeitig mit dem Eintreten in die Kommune werden Ausstiegsverträge abgeschlossen, damit KommunardInnen, die die Kommune verlassen, woanders neu anfangen können.

Gemeinsam leben und kollektiv arbeiten

Die KommunardInnen heben es alle als Vorteile des Kommunelebens hervor, daß sie gemeinsam Dinge tun können, die sie alleine nicht tun wollen, daß sie immer hilfsbereite Menschen um sich haben. Wenn der eine einmal keine Lust hat, oder nicht kann, ist die andere zur Hilfe bereit. Sie müssen nicht alleine sein, können mit Kindern und Älteren zusammenleben und können ohne Hierarchien nach ihren Vorstellungen arbeiten. Als Nachteil sehen sie den ständigen Zeitdruck und die nie endenwollende Arbeit. Freilich können sie sich in ihre eigenen Zimmer zurückziehen, aber wenn das geschieht, sind sie oft zu müde, um noch ein Buch zu lesen.

Allein von Subsistenzwirtschaft könnten die KommunardInnen nicht überleben, und die Wirtschaft für das „gemeine Eigene" (Müller), die zwar einen großen Raum einnimmt, würde auch nicht reichen. Zum vielzitierten glücklichen Leben gehört auch ein bißchen Geld für Nahrung, Kleidung, Um- und Ausbau der Häuser und Anschaffungen.

Zunächst wurde ein Verein gegründet und nach einigen Diskussionen eine gemeinsame Satzung verabschiedet. In der Zwischenzeit gibt es verschiedene Arbeitsbereiche. Da gibt es die Arbeit für die Instandhaltung der Häuser, dann die Bereiche Haus- und Gartenarbeit. Zur Teil-Selbstversorgung gehört der Gemüsegarten. Karl, der dafür zuständig ist, macht gleichzeitig die Planung für die Küche und sorgt für die Vorratshaltung. Während des ersten Winters hat er sich darauf theoretisch gut vorbereitet. Auch Schafe, Hühner, Stallhasen und eine kleine Bienenzucht sind Teil der Selbstversorgung. Rolf, der für die Tierzucht hauptverantwortlich ist, hat viel von seinen Großeltern gelernt. Die hatten einen Bauernhof und da hat er schon als Kind mitgeholfen.

Das tägliche warme Essen, es gibt sowohl „mit Fleisch" als auch vegetarisch, wird abwechselnd gekocht. Männer und Frauen beteiligen sich daran gleichermaßen. Eine selbstverwaltete ökologische Zimmerei, die durch vier KommunardInnen gegründet wurde, und ein Garten- und Landschaftsbetrieb waren die ersten Betriebsgründungen. Später sollen Tischlerei, eine Goldschmiede, ein Tagungshaus und ein Café oder eine Kneipe folgen.

Sowohl die in den Betrieben Arbeitenden, als auch die KommunardInnen, die hauptsächlich im Haus- und Gartenbereich arbeiten, haben Einblick in alle zur Kommune gehörenden Tätigkeitsbereiche. Dadurch wird es möglich, daß sie sich bei Engpässen gegenseitig aushelfen können.

Die (meisten) Kommunardinnen hatten von vornherein nicht den Anspruch, alleine von Selbstversorgung zu leben. Sie betrachten Geld als ein Tauschmittel: „Warum sollen wir nicht für die Kundschaft bauen und tischlern?". Und die Kundschaft wählen sie sich aus. „Nachbarschaftshilfe" und Tauschgeschäfte sind selbstverständlich, vor allem dann, wenn für Projekte mit ähnlichen Ansprüchen gearbeitet wird. Die TischlerInnen und ZimmerInnen überlegen sich sorgfältig, mit welchen Materialien sie arbeiten und wem die erstellten Produkte zugute kommen. Auf die Verwendung von Wohngiften wird ebenso verzichtet, wie auf den Einbau von Tropenholz. Fachwerk wird in demkmalgerechter Ausführung saniert und Fenster, Türen, Treppen etc. nach den Maßen und Wünschen der Kunden gefertigt. Das Prinzip der Nachhaltigkeit wird also eingehalten.

Im Moment werden die Häuser grundlegend saniert, Dachstühle und Dachdeckungen, Bodenausbau und Zimmerrenovierungen sind bereits in Eigenleistung entstanden. Die Nachbarn der Gemeinde Buchhagen sind sehr froh, über die neuen BewohnerInnen: „Hier hat sich viel verändert, aber nur zum Guten". Auch in der örtlichen Presse (z. B. Weserkurier vom 12. 9. 1998) werden die neuen Bewohner als „Segen" für die geschützten alten Gebäude betrachtet, weil sie deren Verfall stoppen und sie zu neuem Leben erwecken. Freilich war die Sanierung mit harter Arbeit verbunden: „Wir sind alle überarbeitet, und da ist es schwierig, was von den anderen mitzubekommen, da kennt man nur den eigenen Streß". In der Zwischenzeit, nachdem die meisten Räume wohnlich eingerichtet sind, hat sich auch der Streß etwas gelegt.

Entscheidungsfindung im Konsens

Die Kommune wendet sich gegen jede Art von Hierarchie und Machtausübung und gegen die Anonymisierung durch Großorganisationen. Die KommunardInnen möchten zurückfinden zur Selbstveranwortung - jenseits der immer noch fortschreitenden Arbeitsteilung. Um ihr Ziel erreichen zu können, ist es Voraussetzung, daß jeder Schritt von allen gleichermaßen getragen werden kann. Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Das erfordert einen oft aufwendigen Diskussionsprozeß, der während der wöchentlich (mitunter auch öfter) stattfindenden Plenumssitzungen geführt wird. Auch alle Entscheidungen, die die Betriebe betreffen, werden in (zusätzlichen) wöchentlichen Betriebsplena durch alle Beschäftigen in gemeinsamer Diskussion getroffen. Die gefaßten Beschlüsse sind dann auch für alle verbindlich und werden von allen getragen. Weder für betriebliche Entscheidungen, noch für solche, die die Kommune betreffen, sind Mehrheitsentscheidungen möglich. Alle Probleme, Bedenken und Einwände werden so lange diskutiert, bis Konsens hergestellt ist. Unterschiedliche Interessen, die sich durch den Gegensatz der individuellen Interessen einzelner Individuen und der gemeinsamen Gruppeninteressen ergeben, prallen in den Plena oft aufeinander. Es wird versucht, sie in kollektiven Lernprozessen zu bearbeiten. Freilich kam es, wie in allen Kollektiven auch, zu Konflikten und Schwierigkeiten. Die Kompetenzen, die für solche Lernprozesse notwendig sind, müssen sich die KommunardInnen teilweise erst aneignen, denn sie werden (bis heute) weder in der Schule noch in der Ausbildung gelernt. Die Prinzipien der Selbstverwaltung und der kollektiven Entscheidungen standen in dieser Kommune jedoch bis jetzt zu keiner Zeit zur Disposition.

Dieter Bensmann (Los geht’s 1999, S. 16) stellte in einem Artikel infrage, daß in einer Kommune niemand Macht hätte. Er behauptet, daß es die Verbindung von Konsensentscheidung und Machttabuisierung ist die schließlich die Übernahme von Verantwortung verhindere. Dringend notwendig wird in diesem Zusammenhang eine Definition von „Macht" vorzunehmen, um dann zu entscheiden, in welchem Zusammenhang „Macht" bzw. „Einfluß" sinnvoll ist und wie sie verteilt sein sollte.

Abbau kleinfamiliärer Strukturen

Eine Kommunardin hat in einem Zeitraum ihrer Kindheit in einer Berliner Wohngemeinschaft gelebt. Die meisten der KommunardInnen kommen aus „ganz normalen" Kleinfamilien. Sie wollen, wenn auch nicht die Welt, so doch ihr eigenes Leben verändern: „Ich wollte, daß alles anders wird, ich wußte, daß ich das nicht will, was ich dort hatte". Dazu gehört es für sie, auch nach anderen Formen des Zusammenlebens zu suchen, jenseits der isolierten bürgerlichen Kleinfamilie, die noch immer, wenn auch in modernisierter Form, die Frauen auf ihre „Familienpflichten" und die Männer auf ihre Pflichten als „Haupternährer" festlegt (vgl. Notz 1996). Die Kommune ist für sie ein bewußter neuer Lebensentwurf, der sie aus ihrer Alltagsisolation herausführen soll.

Durch das Zusammensein unterschiedlicher Menschen in der Gruppe, erfahren sie die Summierung verschiedener Fähigkeiten, Ideen und Phantasien. Sie machen ganz neue Erfahrungen mit sozialen Beziehungen. Gerade die Mütter der Gruppe sind es, die sich kleinfamiliäre Lebensweisen nicht vorstellen können: „Da hab ich durchaus Angst davor, ich will nicht ewig Kinder hüten, ich will auch etwas Produktives machen."

Freilich gibt es auch Tränen, Türenschmeißen und Verletzungen. Mitunter sind die KommunardInnen von den täglichen Auseinandersetzungen aufgerieben und ihr Bemühen, ganz andere und bessere Beziehungen untereinander aufzubauen, nimmt oft so viel Platz ein, daß sie kaum noch Zeit und Kraft haben, sich für das zu interessieren, was in der „großen Welt" oder mit der Mit-Kommunardin passiert: „Es sind zwar viele Leute da, aber die sind überall verteilt und haben den Kopf voll". Dennoch vergrößert sich mit der Zunahme der Konfliktmöglichkeiten auch die Erweiterung der Konfliktlösungsstrategien durch das Ideenreservoir der unterschiedlichen Beteiligten. Bis jetzt gab es lediglich die Trennung von einer Person, die allerdings dem Kommunegedanken weiterhin anhängt und in eine befreundete Kommune einziehen wird.

Obwohl sie alle erwachsen sind, hielten einige Eltern der KommunardInnen nicht mit ihren Warnungen zurück. Vor allem, so gaben sie zu bedenken, berge das Zusammenleben mit einer großen Gruppe von Menschen die Gefahr von Streit und ständigen Auseinandersetzungen. In der Zwischenzeit waren alle schon einmal zu Besuch dort und sie sind nun im Großen und Ganzen mit der Lebensweise ihrer Kinder und Enkel einverstanden.

Bemerkenswert ist das generationsübergreifende Zusammenleben in der Gruppe. Nicht selten staunen BesucherInnen, wenn sie die 76jährige Martha (5) mit ihrem glänzenden weißen Haar zwischen den jungen Leuten sitzen sehen, wenn sie draußen Gemüse putzen oder diskutieren oder mit den Kindern spielen. Finden Feste in den umliegenden befreundeten Bauernhäusern statt, ist Martha mit dabei. Auf die Frage, wie sie zur Gruppe gekommen ist, antwortet sie: „Ins Altersheim wollte ich nicht. Da ist mir Karl in die Quere gekommen, der sagte, wir sind alles HandwerkerInnen, wir sind auf Wanderschaft und wenn wir seßhaft werden, wollen wir uns mit anderen Tippelbrüdern zusammen tun und irgendwas Großes kaufen und ausbauen, eine Klosterruine, ein Schloß oder so. Und er sagte, komm doch mit zum Treffen. Da war der Knoten schon geplatzt. Die größte Überraschung war, da kam ich hin und lauter Mädchen saßen um den Tisch. An weibliche Handwerker hab ich nicht gedacht. Weibliche Tischler, Zimmerer und Steinmetze kannte ich nicht. Aber es waren in der ganzen Reihe nur drei Männer. Meine Freundin meinte, das mit der gemeinsamen Kasse sei unmöglich. Eine sagte auch, jetzt ist die Martha in eine Sekte eingetreten. Und eine andere meinte, das hätte ich schon vor 20 Jahren machen müssen. Aber vor 20 Jahren gab es die Gelegenheit für mich nicht. Die meisten der MitkommunardInnen sind so alt wie meine Enkel und sie haben ähnliche Ideen. Aber damit kann ich leben. Es schränkt mich keiner ein in meinen Bedürfnissen und ich lerne, meine Bedürfnisse anzumelden. Ich lerne hier sehr viel, manchmal wird auch das Gewohnte infrage gestellt. Damit, daß sich mein Leben in der Kommune verändern wird, habe ich mich vorher auseinandergesetzt."

Nachdem sie vor einem guten halben Jahr einen Schlaganfall gehabt hat, wird sie von allen ihren alten Freundinnen beneidet. Niemand von ihnen hat, wenn sie krank ist, täglich von fünf verschiedenen jungen Leuten Besuch, niemand hat einen 30jährigen Mitbewohner, der eigens einen Altenpflegekurs absolviert, um sie kompetent betreuen zu können und niemandes Wohn- und Baderäume waren dermaßen schnell behindertengerecht umgebaut wie Marthas.

Die KommunardInnen suchen Menschlichkeit und Wärme in den sozialen Beziehungen. Sie interessieren sich nicht nur für die Häuser, in denen sie selbst wohnen, sondern auch für die Nachbarwohnungen des „langen Hauses" und darüber hinaus für die Nachbarn im Dorf. Zu den Kommunefesten kommt oft die gesamte Dorfbevölkerung.

Die gemeinsame Kindererziehung

Die übersichtliche Gruppenstärke ermöglicht vielschichtige soziale und emotionale Kontakte. Das kommt vor allem der Selbständigkeit der Kinder zu Gute. Es löst die Fixierung auf die eigene Mutter. Solange die Zwillinge gestillt wurden, war es vor allem Marianne, die Mutter, die für sie zuständig war, gefolgt vom Vater, der (fast) ebenso häufig mit Tragetuch oder Kinderwagen unterwegs oder beim Wäschefalten zu sehen war. Aber auch während dieser anstrengenden Zeit hatte die Mutter neben freien Stunden und Nachmittagen einen freien Tag in der Woche, an dem sie nur für das Stillen zuständig war, und sich um sonst nicht zu kümmern brauchte, die KommunardInnen wechselten sich ab: „Karl macht das regelmäßig, dann Tina, Bernd und Tim auch, wenn sie nicht auf der Baustelle sind. Das ist nicht abgesprochen. Da sind auch oft Gäste, dann werden die Kinder weitergereicht. Karl und Tina sind eine große Entlastung für mich. Am Anfang hatte ich das Gefühl, ich sitze den ganzen Tag im Zimmer und stille, das hat sich schnell geklärt." Die Zwillinge wurden, solange sie klein waren, oft von unterschiedlichen Personen im Tragetuch herumgetragen, und auch nachdem sie über ein Jahr alt sind, findet sich immer eine Person, um mit ihnen zu spielen, sie im Fahrradanhänger mitzunehmen oder sie und sich selbst zu beschäftigen. So haben sie im Laufe der Zeit zu allen KommunardInnen, wenn auch unterschiedliche, soziale Beziehungen aufgebaut. Auch die beiden älteren Jungen bekommen vielfältige Anregungen im Gelände, im Betrieb, in der Küche und bei den Tieren. Zu den Elternabenden der Schule wird die Mutter von KommunardInnen begleitet.

Abbau geschlechtshierarchischer Strukturen

Als die Kommune zusammengezogen war, war die Diskussion um die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung schon weitestgehend gelaufen. Bereits während der Wanderschaft war die ebenbürtigen Zusammenarbeit das Anliegen von Männern und Frauen. In der Kommune beweisen sich die meisten Männer ebenso kompetent in der Leistung von Haus- und Sorgearbeiten, Kindererziehung und Betreuung von alten und kranken KommunardInnen, wie die meisten Frauen das tun. Und in den Werkstätten arbeiten Frauen genau so selbstverständlich, wie Männer. Die Zimmerei bildet ausschließlich junge Frauen aus, um deren Chancen, einen Ausbildungsplatz in einer Zimmerei zu bekommen, zu erhöhen und zu fördern, daß mehr Frauen diesen männerdominierten Beruf erlernen können. Sie bietet auch „reine Frauenbaustellen an, das heißt, Frauen planen und führen die Arbeiten aus". Sie geht davon aus, daß es KundInnen gibt, die sich ein „frauenfreundlicheres Verhalten auf ihrer Baustelle" wünschen, als es „normalerweise" üblich ist.

Freilich passiert es schon mal auf einer Baustelle, daß eine der jungen Meisterinnen als Lehrling oder Praktikantin des mitarbeitenden Gesellen angesprochen wird. Das wird von Frauen wie Männern schnell klargestellt. Manche Kommunardinnen sehen dennoch auch, daß die Ansprüche der ebenbürtigen Arbeitsverteilung schwer durchzusetzen sind: „Man gerät leicht in die klassischen Strukturen." Es ist eine Frau, die darauf hinweist, daß „eher Frauen saubermachen, aufräumen und gucken, daß es gemütlich ist. Wir sind schon in unseren Rollen. Wieso? Oft heißt es, wie in anderen Zusammenhängen auch, wenn Dich was stört, dann mach halt was und das machen eher die Frauen." Die in der Zimmerei beschäftigen Frauen sehen das anders, sie drücken sich ebenso wie ihre männlichen Kollegen gerne vor der Hausarbeit, weil sie Wichtigeres zu tun haben. So läuft die (sonst) geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in dieser Kommune nicht wirklich zwischen den Geschlechtern ab. Für den Gemüsegarten und den Großeinkauf beim Biobauernhof ist ein Mann zuständig und er klagt ebenso wie die Frauen, die in anderen Zusammenhängen dafür verantwortlich sind, über mangelnde Anerkennung seiner Subsistenzarbeit gegenüber der Anerkennung, die die Außenaufträge der Zimmerleute erhalten.

Die Putzarbeiten und das Wäschewaschen werden relativ gleichmäßig unter den KommunardInnen verteilt. Die Eltern der Kinder waschen schon mal öfter als die Anderen. Es gibt „Küchentage", d. h., jede und jeder teilt sich selbst zum Kochen ein, und diese „Küchentage" sollten egalitär zwischen den KommunardInnen verteilt sein. Ausnahmen sind möglich. Die zwei Meisterschülerinnen mußten, solange sie die Schule besuchten, nicht kochen. Im Sommer, wenn es viele Aufträge gibt, kochen die in der Zimmerei Beschäftigten Männer und Frauen seltener und auch eine junge Mutter, sowie der junge Vater mußten, solange sie mit ihren Zwillingen stark beschäftigt waren, nicht so oft in der Küche stehen. Die 76jährige macht die Zuarbeiten, die sie ohne große körperliche Anstrengung leisten kann.

Die Diskussion, einen eigenen Küchenarbeitsbereich, mit fest dafür Zuständigen einzurichten, wird immer wieder geführt, ohne daß sich bis jetzt jemand für diesen Arbeitsbereich zur Verfügung gestellt hätte.

Linkes Politikverständnis

Längst nicht alle Kommunen behaupten von sich, ein linkes Politikverständnis zu haben. Subjektivistische und spirituelle Projekte haben heute in der Kommunebewegung scheinbar ebenso Platz, wie libertär-anarchistische und bewußt links-sozialistische. Die KommunardInnen in Buchhagen haben - im Gegensatz zu den „Kaufungern" - kein einheitliches linkes Politikverständnis. Der Begriff „links" erscheint einigen als Schlagwort. Tina denkt, „daß jede Kommune politisch ist, weil sie eine Kommune ist, sich selbst organisiert. Weil es eine Lebensform ist, die in der Gesellschaft erstmal nicht üblich ist, die vieles in Frage stellt und Anderes praktiziert und macht". Die Anliegen der Kommune, die Herrschaft von Menschen über Menschen abzubauen, Zentralisierung von Macht zu vermeiden und keine geschlechterhierarchischen Diskriminierungen zuzulassen, sind ebenso wie die Versuche der (Wieder)herstellung von Lebens- und Erfahrungszusammenhängen, der neuen Formen des Zusammenlebens und der Integration von Arbeit und Freizeit als Gegenkulturen gegen den industriellen und postindustriellen Kapitalismus zu werten. Sie versuchen, die Arbeit als ein Instrument zurückzuerobern, durch das sie sich selbst verwirklichen können und mit dem sie auf die Gestaltung ihrer Mit- und Umwelt einwirken können. Die Sorge und Verantwortung für die MitkommunardInnen fördert das soziale Bewußtsein und eröffnet im Experiment beispielhafte Möglichkeiten für das Zusammenleben unterschiedlicher Generationen und Ethnien. Einige beteiligen sich auch an Anti-Atom und Anti-Kriegsaktionen und erfahren dabei Unterstützung von den anderen. Manche hoffen, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Anfangsstreß des Kommune- und Betriebeaufbaus überwunden ist, auch gemeinsame Aktionen planen und durchführen werden.

Die KommunardInnen setzen auf die Kraft des Experimentes. „Je mehr Kommunen es gibt, desto besser ist es für die einzelnen KommunardInnen, das stärkt sie. Wenn es einmal keinen Weg mehr gibt, wegen persönlicher Geschichten oder so, kann ich woanders hingehen und finde Gleichgesinnte". Die „Buchhagener" sind mit anderen Kommunen gut vernetzt. Jährlich mindestens einmal findet ein bundesweites Kommunetreffen statt und alle zwei Monate treffen sich die Kommunen aus dem Umkreis um Kassel - das sind immerhin acht Kommunen - zu einem gemeinsamen Abendessen. Auch ist es möglich, „daß Verena auch Niederkaufungen hier mal eine Zeit arbeitet und Tina geht mal für eine Zeit da hin."

Vielleicht gelingt es solchen Zusammenschlüssen, durch ihre Betätigung „nach außen hin immer weitere Gebiete zu erschließen und ihre Anschauungen in neue Kreise zu tragen", wie es der Anarchist Rudolf Rocker (1947) für die neu entstehenden Bewegungen nach dem zweiten Weltkrieg erhofft hatte, die die wirtschaftlichen und sozialen Mängel der Gesellschaft erkannt hatten und deren Absicht es war, strukturelle Veränderungen einzuleiten.

Perspektiven für die Zukunft

Rolf Schwendter (1998, S. 8) verweist auf eine Reihe von Schwierigkeiten, die dem Ausbreiten der Kommunen im Wege stehen: die Gruppendynamik zwischen Machos und Feministinnen, zwischen Superaktiven und Zurückgenommenen, Auszeit und Austritt, die unvermeidbare Dauerdebatte im Austrittsfalle zwischen Verlust des eingebrachten Geldes und Gefährdung der ökonomischen Subsistenz der Kommune. Dazu kommen strukturelle Faktoren: Land ist knapp. Die Kommune Buchhagen kann die verfallenen Gebäude nur aufbauen und bewirtschaften, weil ihre Mitglieder aufgrund ihrer handwerklichen Qualifikationen selbst tätig sein können.

Rolf Schwendter verweist auch darauf, daß „die neuere Entwicklung der Subjektivität, als Stichworte nennt er Narzismus, Ego-Trip, Mosaikpersönlichkeiten, nicht gerade dazu beigetragen hat, jenen Menschentyp zu fördern, der Kommunen aufzubauen (und in diesen auch zu bleiben) imstande wäre." (S. 9)

Dennoch: Kommunen sind gelebte Gegengesellschaften. An ihrer Existenz kann beispielhaft aufgezeigt werden, daß gesellschaftlich relevante Alternativen zum Bestehenden hier und jetzt gelebt werden können. Über die Kritik an den herrschenden Verhältnissen hinaus entwickeln sie konkrete Vorstellungen einer egalitären herrschaftsfreien Gesellschaft, die Suchenden eine politische Orientierung geben können und zu eigenen Konzepten kollektiven Zusammenlebens und -arbeitens anregen können. Die Befreiung aus den ideologischen Abhängigkeiten der Gesellschaft kann nur auf der Basis der wirtschaftlichen Unabhängigkeit aller Individuen Realität werden. Eine Mischung von kleinbetrieblichen kollektiven Unternehmungen Gartenbau, Kleintierzucht und Tagungs- und Gastronomiebetrieb scheinen zur Erreichung dieses Zieles am besten geeignet.

Die verschiedenen Einnahmequellen, die durch die Koordination der marktvermittelten, kommuneinternen und gemeinwesenorientierten Arbeiten möglich werden, lassen Kollektive zu Institutionen werden, die sich zu Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit immer wieder bewährt haben. Auch zur Betreuung und Versorgungen von KommunardInnen, die sich noch nicht, nicht mehr oder vorübergehend nicht selbst helfen können, erscheint die Kommune der geeignete Lebensraum. Naheliegend ist deshalb die Frage, wieso in Zeiten, in denen Selbsthilfe und ehrenamtliche Hilfe für andere groß geschrieben werden (vgl. Notz 1998), Kommunen nicht ebenso von staatlicher Seite räumliche, finanzielle und beraterische Unterstützung erfahren, wie beispielsweise Freiwilligenagenturen zur Unterstützung und Beratung potentiell ehrenamtlich Tätiger? Diese Frage gilt es zu stellen, auch wenn die meisten Kommunen eine solche Unterstützung für sich ablehnen würden.

Kommunen übernehmen zum Teil selbst die Grundausbildung der Kinder, pflegen sich bei Krankheit gegenseitig, pflegen alte und gebrechliche Menschen und niemand muß finanzielle Not leiden, weil alles geteilt wird. Die Möglichkeit der gegenseitigen Versorgung macht die vom „Vater Staat" geleisteten wohltätigen Unterstützungen und die Inanspruchnahme staatlicher „Einrichtungen" beinahe unnötig.

Die Gründe für die Nicht-Unterstützung und für die Nicht-Wahrnehmung durch außerkommunitäre Institutionen (so meine These) mögen darin liegen, daß kommunitäre Zusammenhänge ohne eine Kritik an der bürgerlichen Kleinfamilie und an kapitalistischen Unternehmensstrukturen nicht möglich sind, mögen sie sich selbst auch noch so „unpolitisch" verstehen. Und diese Kritik stellt die Grundstrukturen unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Frage. Allein der gelebte Hinweis: „Es geht auch ohne Hierarchien und ohne geschlechterhierarchische Diskriminierungen und Abhängigkeiten in Zweierbeziehungen, rüttelt an den Grundfesten des zur „Normalität" deklarierten Wirtschaftens und Zusammenlebens. Zudem - und da mag der Hauptgrund für die Mißachtung liegen -: Wenn es darum geht, zu politischen und wirtschaftlichen Problemen Stellung zu nehmen, ist in einem Kollektiv ohne Chef und in einer Gruppe ohne Familienoberhaupt der beste Ort der Agitation, denn hier kann am schnellsten eine Flugblattaktion, eine Informationsveranstaltung, eine Demonstration oder eine wie auch immer geartete phantasievolle Aktion geplant und durchgeführt werden. Allein diese Möglichkeit - wenn sie auch oft nicht in die Tat umgesetzt wird - mag für diejenigen, die am Fortbestand des Bestehenden interessiert sind, bedrohlich wirken.

In der Zukunft muß es darum gehen, die herkömmliche Trennung von ökonomischen und außerökonomischen Bereichen, sowie deren geschlechterspezifische Zuordnung auf breiter Ebene in Frage zu stellen. Daraus kann dann abgeleitet werden, welcher institutionellen Änderungen es in Beruf, Gemeinwesen und Haushalt bedarf, damit Frauen und Männer sich ebenbürtig begegnen können, und welche Maßnahmen in beiden Bereichen notwendig werden, um geschlechterspezifische Ungleichheiten abzubauen. Kommunen sind ein Versuch, um mit der Aufhebung der Entfremdung, der Neuverteilung von Arbeit und Verantwortung und der Möglichkeit der ebenbürtigen Teilhabe von Frauen und Männern am ganzen Leben ernst zu machen. Sie sind Schritte zur Verwirklichung des Projekts einer anderen Gesellschaft mit mehr Ebenbürtigkeit. Weitere Schritte und andere Projekte werden folgen. Denn eines ist sicher: Die Experimente des anderen Wirtschaftens und Zusammenlebens werden weitergehen. Es hat keinen Sinn, immer nur über Vereinzelung, Abhängigkeit und Unterdrückung zu klagen. Nach wie vor gilt der alte Spruch: Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zum kämpfen.

Fußnoten:
1.) „Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft" ist der Titel einer Schriftenreihe, hrsg. von Hanna Behrend im trafo verlag, dr. wolfgang weist, Berlin.
2.) Die GesellInnen und jetzigen Meisterinnen sind alle Mitglieder des Schachts (Bezeichnung für einen Zusammenschluß wandernder Gesellen) Axt und Kelle. Nach jahrhundertealten Bräuchen sind sie mindestens zwei Jahre und einen Tag unterwegs gewesen, um neue Arbeitsweisen, neue Länder oder Regionen und neue Menschen kennenzulernen.
3.) „Tippelei" heißt, sich auf Wanderschaft begeben.
4.) Alle Zitate stammen aus Interviews, die die Autorin mit KommunardInnen geführt hat. Außerdem wurden zahlreiche Gruppensitzungen und einige Betriebsplena besucht.
5.) alle Namen wurden geändert

Literatur:


Originaltext: http://www.leibi.de/takaoe/89_18.htm