Was macht den Syndikalismus eigentlich revolutionär? Ein Plädoyer für die Direkte Aktion

Zu einer Gewerkschaft geht man heute wie zu einer Versicherung. Als LohnarbeiterIn trägt man sich üblicherweise bei einer Branchengewerkschaft innerhalb des DGB ein und ist man einmal Mitglied, gewährt einem die Gewerkschaft Rechtsschutz in Sachen Arbeitsrecht – etwa so wie der Mieterbund Rechtsschutz in Mietangelegenheiten gewährt. Die Gewerkschaft vertritt ihre Mitglieder auch dann, wenn es um Lohnfragen geht – alle Jahre wieder schaltet sie sich zu den Tarifverhandlungen ein. Laufen die Verhandlungen schlecht, organisiert sie hier und da einen Warnstreik, eine Demo oder Kundgebung: Eine symbolische Aktion um zu signalisieren „Hier sind wir: Wir sind eine Gewerkschaft. Wir können auch anders!“. Aber was soll „Wir können auch anders!“ bedeuten? Zweifellos handelt es sich dabei um eine Drohung, um den Verweis auf das mobilisierbare Machtpotential. Anders können, meint kämpferisch sein können. Doch die Gewerkschaften belassen es beim Symbol – zu kämpfen wäre alles andere als diplomatisch.

Kämpferisch sein, aus Prinzip

Will man eine Veränderung erreichen, bieten sich unterschiedliche Herangehensweisen an – welche man wählt, zeigt wie konsequent man vorgehen möchte.

Fordern wir etwas, setzen wir noch eine Autorität zwischen uns und unserem Ziel und seiner Realisierung. Fordern wir zu etwas auf, lassen wir dieser Autorität keine Wahl mehr, wir drängen auf eine genaue Umsetzung des Geforderten, notfalls unter Androhung von zwingender Konsequenzen. Agieren wir direkt, gehen wir noch einen Schritt weiter: Wir fordern nicht mehr, wir lassen auch niemanden mehr für uns umsetzen, wir setzen selbst durch.

Der Grad unserer Selbstbestimmung, ist auch der Grad unserer Kompromisslosigkeit. Ob wir fordern, ob wir auffordern, ob wir direkt agieren offenbart unser Verhältnis zu einer Autorität und unser Selbstbewusstsein ihr gegenüber. Revolutionär agieren, bedeutet dieses Verhältnis schon in der Form unserer Aktionen aufbrechen zu lassen. Natürlich wäre es vermessen den alltäglichen ökonomischen Kampf ausschließlich kompromisslos führen zu wollen: Aus einem revolutionären Idealismus faktische soziale Verbesserungen aus der Hand zu schlagen, Zugeständnisse rigoros abzulehnen und Verhandlungen zu verachten, wäre fatal. Doch genauso problematisch ist es den Kompromiss zum Selbstzweck zu machen.

Ein unfaires Spiel gewinnt man gegen die Regeln

Einen gangbaren Weg zur Revolution zu finden, ohne dabei asketisch zu werden, scheint verzwickt. Die großen Gewerkschaften haben jedenfalls ihre Route gewählt: Sie führt im Kreis. GewerkschaftsfunktionärInnen wissen wie VersicherungsvertreterInnen auch, dass der Status Quo – das Elend des Versicherten – letztlich Grundlage des Geschäftes ist. Nicht die Veränderung der Umstände, sondern nur ein guter Kompromiss kann ihr erklärtes Idealziel sein. Einen Kompromiss anstreben, dass klingt wie eine sehr realistische und demokratische Programmatik. Ökonomische Kompromisse sind allerdings Vergleiche zwischen Machtpositionen im Klassenkampf. Ein guter Kompromiss wird erst dann realisierbar, wenn die eigene Macht offensiv zutage tritt. Dabei helfen symbolische Aktionsformen wie Demonstrationen, Kundgebungen oder Warnstreiks nur marginal. Eine symbolische Aktion ist vielmehr so etwas wie ein Rückgriff auf die seichteste Art der Machtdemonstration. Bezeichnender Weise haben die großen Branchengewerkschaften dieses Verhältnis auf den Kopf gestellt.

Pragmatisch kämpft man, indem man seine Stärke optimal in Aktion bringt. Revolutionäre Ideale sind da nicht Hemmnis, sondern Triebfeder. Im alltäglichen Kampf sind es oft die Aktionsformen, die mit unseren Idealen übereinstimmen, welche uns zum Erfolg führen. Boykotte, Streiks, Sabotagen, Besetzungen sind nur die krassesten Beispiele für eine Aktionsweise, die sich nicht den Regeln einer Ordnung beugt, sondern direkt interveniert. Entscheidend ist dabei nicht die Härte unseres Handelns, sondern inwieweit wir als direkt Betroffene unsere Ziele eigenmächtig umsetzen. Man kann hier von einer Aktion im eigentlichen Sinne sprechen: Eine Aktion, die nicht andere stellvertretend in Aktion bewegen, sondern etwas selbstbestimmt in Bewegung bringen will.

In der Tradition des Syndikalismus wird diese Form der Aktion als Direkte Aktion bezeichnet. Die SyndikalistInnen verstehen sie als Garanten für eine starke, selbstbewusste Position im Klassenkampf, und als Ausdruck einer Übereinstimmung von Ideal und Medium. Denn agieren wir direkt, sind unsere Prinzipien schon in unsere Aktionsform integriert: Wir organisieren uns selbstbestimmt, hierarchiefrei, solidarisch. Unsere Aktion ist nicht mehr nur Kommunikationsmittel: Sie greift unmittelbar eine ökonomische Ungerechtigkeit an – das macht unsere Forderungen zu Aufforderungen und schließlich zur Direkten Aktion.

Mit Willkür haben Direkte Aktionen indessen nichts zu tun: Sie sind nur in einem Kollektiv denkbar, welches sich über die Wahl ihrer Ziele und Mittel bewusst ist. Das diese dann den gängigen Sitten und Praktiken widersprechen, liegt in der Natur der Sache. Eine Direkte Aktion ist schließlich immer erst dort notwendig, wo Hierarchie Demokratie verhindert. Willkürlich handeln nicht diejenigen, die unfaire Spielregeln brechen, sondern die, die sie diktieren.

Das Brecheisen im syndikalistischen Werkzeugkasten

Ein Arbeitskampf hat viele Facetten, nicht immer ist er eskalativ. Der Begriff umfasst die ganze Bandbreite von Kämpfen um Lohn, Arbeitsbedingungen bis hin zu Arbeitsplatzsicherung oder Betriebskollektivierung, nicht immer ist er von prekärem Ausmaß. In einem Arbeitskonflikt direkt zu agieren, hieße sich offensiv in Opposition zum/zur ArbeitgeberIn zu begeben. Unbestreitbar bringt das zuweilen ein sehr hohes Risiko mit sich. Behutsam die angemessenen Mittel zu wählen, ist daher die erste Losung. Im Betrieb frisch angestellt, wäre es unklug eine verspätete Lohnzahlung gleich mit einer Sabotage der Produktionskette zu beantworten.

Klar sollte allerdings sein: Lohnarbeit wirkt sich jeden Tag zerstörerisch aus – wir brauchen keine konkreten Anlässe um klassenkämpferisch zu agieren. Direkte Aktionen helfen uns von der Defensive in die Offensive zu treten. Sie erzeugen einen massiven wirtschaftlichen Druck – Besetzungen bis zur Kollektivierung setzen unsere Visionen in die Tat. Die Vielfalt der Direkten Aktion ist unerschöpflich: Sie ist ein Prinzip, dass wir lernen müssen kreativ anzuwenden. Ob wir am Ende die Pinzette oder das Brecheisen rausholen, ist maßgeblich abhängig von der Solidarität und der Struktur auf die wir uns stützen. Um kämpferisch agieren zu können, brauchen wir eine Organisationsform, die unsere Ideale verkörpert, unsere Aktionsformen trägt, die den Nährboden unserer Solidarität bildet: Eine Föderation gemeinsamer Selbstorganisation. Der Syndikalismus ist unser Werkzeugkasten – die Direkte Aktion unser Hebel. Machen wir uns ans Werk!

Originaltext: Dieser Artikel ist in der 14. Ausgabe (Mai/Juni 2013) des Schwarzen Kleeblatts erschienen. Er ist hier zu finden: http://schwarzeskleeblatt.blogsport.eu/2013/04/30/was-macht-den-syndikalismus-eigentlich-revolutionar/