Die kommunistische Partei und die Syndikalisten (1919)

In der letzten Zeit wurde unter den Berliner Funktionären der K.P.D. ein mit Maschinenschrift vervielfältigter Zettel verbreitet, der zur systematischen Bekämpfung des Syndikalismus den Agitatoren der K.P.D. folgende Thesen übermittelte:

"Kommunismus und Syndikalismus

Die Kommunisten und Syndikalisten sind beide Gegner des Privateigentums an den Produktionsmitteln und des Klassenstaates. Gleichwohl aber sind ihre Ziele und ihre Taktik derart verschieden, dass niemand Kommunist und Syndikalist zugleich sein kann.

Die Kommunisten führen durch ihre Partei den Kampf um die politische Macht. Sie wollen, dass das Proletariat die politische Gewalt dem Bürgertum entreißt und selbst in die Hand nimmt. Die Syndikalisten lehnen es ab, einen Kampf um die politische Macht zu führen. Politik zu treiben erscheint ihnen überflüssig und zwecklos, ja sogar schädlich.

Die Kommunisten wollen die Überleitung der Produktionsmittel aus der Hand der Kapitalisten in die der Allgemeinheit durch die Betriebs- und Arbeiterräte. Die Syndikalisten lehnen dieses Rätesystem ab; genau wie die sogenannten „freien Gewerkschaften“ halten sie an überlieferten Anschauungen fest und wollen ihre syndikalistischen Gewerkschaften zu den künftigen Trägern der Produktion machen.

Die Kommunisten erstreben, dass die Allgemeinheit künftig die Warenerzeugung und Warenverteilung nach den von ihr selbst festzustellenden Bedürfnissen regelt. Die Syndikalisten lehnen es ab, eine zentrale Regelung der Produktion anzuerkennen, sie wollen ihre nur föderativ verbundenen Gewerkschaften zu örtlichen Produktionsgesellschaften umgestalten, diese sollen dann den Warenaustausch unter sich vornehmen.

Die Kommunisten gewöhnen das Proletariat daran, sein ureigenstes Machtmittel, den Massenstreik einheitlich und planmäßig, also mit um so gewaltigeren Wirkungen zu gebrauchen. Die Syndikalisten lehnen einen solchen planmäßigen Massenstreik ab, sie legen es vielmehr jeder ihrer Gruppen nahe, jederzeit nach eigenem Gutdünken ohne Rücksicht auf die jeweiligen Verhältnisse in anderen Orten, Streiks zu inszenieren.

Also: Die Kommunisten erstreben eine planmäßige sozialistische Bedarfswirtschaft; die Syndikalisten zielen auf kleinbürgerliche Produktionsgenossenschaften hin. Die Kommunisten erziehen das Proletariat zum gemeinsamen, einheitlichen Kampfe, die Syndikalisten verzetteln und verschleudern die Kraft der Arbeiterschaft und schaffen dadurch dem Bürgertum und den Noskegarden die Möglichkeit, jeden einzelnen Streik niederzuschlagen.

Daher weg mit dem kräftezersplitternden Syndikalismus. Es lebe der die Kräfte des Proletariats zusammenfassende Kommunismus !"



Hier unsere Antwort:

Die K.P.D. und die Syndikalisten sind theoretische Gegner des Privateigentums an den Produktionsmitteln und des Klassenstaates. Die Syndikalisten sind freiheitliche Kommunisten, die Partei- Kommunisten sind Staatskommunisten. Die Ziele sind verschieden, die Tatktik der Partei-Kommunisten ist im wesentlichen den Syndikalisten gestohlen. Die Partei-Kommunisten haben keine eigenen wirtschaftlichen Kampfmittel, die politischen haben sie der bürgerlichen Revolutionsepoche entnommen. Die K.P.D. ist keine Klassenorganisation, sondern eine Organisation von Gesinnungsverwandten. Der Syndikalismus ist die Klassenorganisation des Proletariats.

Die Partei-Kommunisten führen den Kampf um die politische Macht. Sie wollen, dass die Kommunisten die politische Gewalt dem Bürgertum entreißen und selbst in die Hand nehmen.

Die Syndikalisten führen den Kampf um die Beseitigung jeder politischen Macht, um die Eroberung der wirtschaftlichen Macht. Jeder wirtschaftliche Kampf ist gleichzeitig ein politischer Kampf.

Der politische Kmapf der Partei-Kommunisten wird geführt mit bürgerlichen Kampfmitteln und hat bürgerliche Ziele: Durch Eroberung der Waffengewalt und der Gesetzgebungsmaschinerie kann nicht der Sozialismus, sondern nur der Staatskapitalismus geboren werden

Die Partei-Kommunisten predigten ursprünglich nur den einen Grundsatz: Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten! Die Gewerkschaften erklärten sie für überflüssig in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Dabei blieben aber die bekannten Agitatoren der K.P.D. Angestellte der Zentralverbände. Später predigte die K.P.D. die Eroberung der Zentralverbände durch Besetzung der Angestelltenfunktionen. Gleichzeitig ging sie zur Gründung von Betriebsorganisationen über. Und in Rheinland-Westfalen versucht sie durch selbstherrlich-diktatorische Maßnahmen die syndikalistischen Organisationen in ihrem Aufstieg zu hemmen, indem sie plötzlich – aber nur für die Bergarbeiter - als Ziel ausspricht: Eroberung der Bergwerke durch die Bergarbeiter-Union und durch diese Einführung der sozialistischen Produktionsweise.

Die Syndikalisten sind Vertreter der Idee, dass die Gewerkschaften die Keimzelle der sozialistischen Gesellschaftsordnung werden müssen. Diese Idee ist geschichtlich begründet. Nie hat ein höherer Stand der Kultur und des allgemeinen Wohlstandes geherrscht als zur Zeit der Gilden und Markgenossenschaften. Erst das Emporkommen des Staates hat diese Blütezeit europäischer Kultur vernichtet.

Die Syndikalisten sind Anhänger des reinen Rätegedankens, eines Rätesystems, aufgebaut auf sozialrevolutionären Gewerkschaften. Sie sind Feinde eines Rätesystems, das in parteipolitischen Zänkereien ihre besten Kräfte verzettelt, das durch Unfähigkeit und Unduldsamkeit jede schöpferische Initiative der Gewerkschaften, Genossenschaften und Bünde unmöglich macht, das alles auch das Geistesleben, nach einer Parteischablone zentralisieren und diktieren will.

Die Syndikalisten sind die alleinigen und konsequenten Feinde der Zentralverbände mit ihrer Tarifvertragspolitik, ihren Arbeitsgemeinschaften und ihrem Gewerkschaftsbund mit den von der Volkspartei und der Kirche gestützten Vereinen. Die Partei-Kommunisten dagegen sind in der Mehrheit noch immer Mitglieder dieser reaktionären, den Sozialismus verhindernden, die Ausbeutung und die Beherrschung der arbeitenden Massen stützenden Gewerkschaftsrichtung.

Die Partei-Kommunisten erstreben die Regierungsgewalt, um durch Dekrete die Warenerzeugung und Warenverteilung zu regeln.

Die Syndikalisten wissen, dass keine Regierung die intimsten Verhältnisse in einer Industrie so gut kennen kann, als die darin beschäftigten Kopf- und Handarbeiter. Die Gewerkschaftsbüros werden sich also am Tage nach der sozialen Revolution in statistische Büros verwandeln. Die Arbeiterräte werden die Bedürfnisse der Gemeinden und der Allgemeinheit berechnen, die Bestände der in den verschiedenen Industrien vorhandenen Rohstoffe aufnehmen, um so zu einer geregelten Bedarfswirtschaft überzugehen. Da die Gewerkschaften nicht nur örtlich begrenzt, sondern über da ganze Land föderiert sind, da sie örtlich im Kartell allgemein, über das Land in Industrieföderationen, alle Industrieföderationen des Landes wieder zu einem allgemeinen Gewerkschaftsbündnis zusammengeschlossen sind, so ergibt sich schon aus diesem Aufbau die beste Regelung einer wahrhaft sozialistischen Produktions- und Verteilungsweise.

Die Partei-Kommunisten haben durch Aufrufe zu rein örtlich begrenzten Massen- und „General“streiks die Kräfte des Proletariats stark in Anspruch genommen. Von einer einheitlichen und planmäßigen Anwendung des Massenstreiks kann in Deutschland noch nicht gesprochen werden, da so wenig die Partei-Kommunisten als auch die Syndikalisten in allen Orten Deutschlands die Massen gewonnen haben.

Die Syndikalisten sind seit langen Jahren die Propagandisten der Idee des sozialen Generalstreiks, den die „Kommunisten“ noch vor wenigen Jahren nach „wissenschaftlicher“ Methode als Generalblödsinn bezeichneten. Die Syndikalisten lassen allen ihren Ortsgruppen vollständiges Selbstbestimmungsrecht über Eintritt und Beendigung von Streiks. Sie sind der Ansicht, dass umfassende Massenstreiks sich nicht von einer Zentrale aus diktieren lassen, sondern aus den wirtschaftlichen, politischen und psychologischen Verhältnissen und aus dem Willen der Massen selbst herauswachsen müssen.


Also:

Die Partei-Kommunisten erstreben den Staatssozialismus, die Syndikalisten arbeiten seit langen Jahren an der Überwindung des Kapitalismus und des Staates und wurden dabei von den „Kommunisten“, den ehemaligen Sozialdemokraten, nicht nur nicht unterstützt, sondern stark bekämpft.

Die Partei-Kommunisten drängen die Massen mit Kraftausdrücken und starken Gesten zu unüberlegten Handlungen, zu deren Folgen sie zu feige sind, sich zu bekennen. Sie haben wiederholt bewusst gelogen, indem sie ihre Handlungen den Syndikalisten in die Schuhe schoben. Sie haben es an der geistigen Durchbildung der ihnen angeschlossenen Arbeiter völlig fehlen lassen.

Die Syndikalisten arbeiten systematisch an der Erkenntnis und an der Willensbildung der ihnen angeschlossnen Arbeiter. Sie verwerfen jede Art Militarismus, jeden Mord. Die Syndikalisten sind die Propagandisten ethischer Kampfmittel: Streiks, passive Restístenz.

Die Partei-Kommunisten lügen, wenn sie sagen, dass die Syndikalisten dem Bürgertum und den Noskegarden die Möglichkeit geben, die örtlichen Streiks niederzuschlagen. Die „Parteigenossen“ der K.P.D., ihre Gewerkschaftsbeamten sind die Organisatoren der Noskegarden und der Bürgerwehren. Auf Befehl der Gewerkschaftsbeamten sind allerorts die streikenden Arbeiter von den Freiwilligentruppen niedergeschlagen, in „Schutz“haft gesteckt und zu schweren Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt worden. Noske, Severing, Hoersing, Winnig sind geschworene Marxisten, Gesinnungsgenossen der Partei-Kommunisten. Die drei sozialdemokratischen Parteien waren die Organisatoren und Leiter aller bisherigen örtlichen Streiks.

Darum: Weg mit allen politischen Parteien, die das Proletariat zersplittern und seine Kräfte nutzlos verschwenden! Es lebe die Klassen- und Einheitsorganisation aller produktiv tätigen Kopf- und Handarbeiter: Der Syndikalismus !“

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 30, 05. Juli 1919

Originaltext:
www.fau-bremen.de.vu