Industrie-Föderationen!

Die Kollektivisierungsbewegung, die der Juliputsch der Faschisten überall dort zur Folge hatte, wo die Arbeiter sie besiegten, war ein konsequenter Ausdruck der spanischen revolutionären Tradition: auch auf ökonomischem Gebiet kam es zur direkten Aktion der Arbeiter. Sie hoben durch ihr eigenes Eingreifen in den Wirtschaftsprozess in zahlreichen Industrien und Landgemeinden das Privateigentum an Produktionsmitteln und Grund und Boden auf. Sie warteten nicht auf den Staat. Sie selbst überreichten den Geldgebern der faschistischen Generäle die einzig wahre Quittung. Sie begnügten sich nicht etwa damit, denselben republikanischen Behörden die Kastanien aus dem Feuer geholt zu haben, deren Unfähigkeit oder Verrat die Faschisten ihren Putsch überhaupt erst vorbereiten liess.

Diese Kollektivisierung war natürlich noch keine Sozialisierung. Sozialismus ist ein allgemeiner Plan, der Produktion und Bedarf in feste Beziehung bringt. Die kollektivisierten Betriebe wirtschafteten zunächst mehr oder weniger kapitalistisch weiter, jedes Kollektiv für sich. Diese Etappe konnte jedoch nicht lange währen, aus zwei Gründen. Die Arbeiter selbst empfanden, dass dies kein Sozialismus war, und die Notwendigkeiten des Krieges verlangten kategorisch die Reorganisation der Wirtschaft nach einem Generalplan.

Seit Jahrzehnten aber erzogen und durchdrungen von dem Gedanken, dass es im Sozialismus nicht um "das Brot allein", sondern um die Sache der Freiheit und Würde des Menschen geht, um seine Bestimmung über sich selbst, konnten die spanischen Arbeiter nicht den Ausweg finden, zu sagen: Der Staat mag nun die Sache weiter in Ordnung bringen! Sondern die Arbeiter der Konföderation, die in Katalonien alle Grossbetriebe kontrollieren und in allen übrigen Regionen Spaniens ebenfalls mehr oder weniger starken Einfluss haben und ohne die eine Lösung nicht möglich ist, begriffen, dass sie selbst auch die zweite Etappe der Sozialisierung durchzuführen hatten, die Reorganisation der Gesamtwirtschaft.

Die Enteignungsbewegung war das Werk der spontan entstandenen Komitees in den Betrieben. In Katalonien wurde das Werk der Komitees durch ein Dekret der Generalidad legalisiert und der Versuch gemacht, diese Komitees zu einer gewissen planmässigen Zusammenarbeit mit dem antifaschistischen Wirtschaftsrat zu bringen. Die Arbeiter in den Betrieben fühlen dieses Bedürfnis und diskutieren heute diese Fragen. Die Meinung der syndikalistischen Arbeiter und den Grundton der CNT-Propaganda in diesen Fragen könnte man in den Worten zusammenfassen: die isolierten Komitees sind allein nicht die berufenen Organe zur Führung der Wirtschaft. Die Organismen höherer Ordnung, die diese Aufgabe in Angriff zu nehmen haben, sind die Syndikate, d.h. nicht etwa die Berufsverbände, sondern die Industrieorganisationen, aufgebaut nach den Gesichtspunkten der produktiven Funktionen der einzelnen Berufe, die in ihnen zusammengefasst sind. Dieser Gedanke war richtig, doch stellte sich bald ein neuer Mangel heraus. Die Debatte wurde weitergeführt durch einige Erklärungen und Artikel des Wirtschaftsministers der Republik, des Syndikalisten Peiró. Dieser sagte: es handelt sich darum, im Rahmen des ganzen Landes, nicht nur der Gemeinde und des Bezirkes, Produktionspläne aufzustellen. Peiró erklärte, die dazu gehörigen Organe zu schaffen, sei Aufgabe der gewerkschaftlichen Organisation. Doch stellte er gleichzeitig die Frage: sind diese Organe schon geschaffen?

Hier zunächst einige Worte über die Grundlagen der anarchosyndikalistischen Organisation. Der Anarchosyndikalismus verwirft den Staatssozialismus, lehnt jede kasernenmässige Lösung des sozialen Problems ab. Er ist nicht der Meinung, dass die Verwirklichung der menschlichen Freiheit, wie sie alle Sozialisten als Ziel des Sozialismus erklären, nicht damit beginnen kann, dass die Freiheit zunächst einmal ganz abgeschafft und das ganze soziale, kulturelle und politische Leben einem neuen, allmächtigen "Überstaat", einem "totalen" Staat übertragen wird. Es kommt ihm vielmehr darauf an, die Freiheit, die Selbstbestimmung der Produzenten und Konsumenten schrittweise direkt zu verwirklichen. Deshalb erblickt der Syndikalismus im Aufbau des Sozialismus nur die organisierte produktive und administrative Leistung der Arbeiter selbst. Ihre wirtschaftlichen Organisationen, im Kapitalismus blosse Verteidigungsinstitutionen, werden nach dem Sturz des Kapitals verantwortliche Leiter der Produktion.

Die syndikalistische Organisation beruht auf einem Doppelprinzip: der lokalen und der Landesföderation. An jedem Orte schliessen sich die zusammengehörigen Berufe in Industriesyndikaten (Sindicatos Unicos) zusammen. Diese bilden gemeinsam die Lokalföderation (Federación Local). Im Bezirk und in der Region treten die Syndikate zusammen auf ihren Kongressen, um die Bezirks- und die Regionalföderation zu bilden (Federación Comarcal, Federación Regional). Der Landeskongress der Syndikate endlich konstituiert die Landesföderation (Confederaeión Nacional). Quer durch diese Organismen hindurch geht jedoch ein zweites Organisationsprinzip: das der Industrieföderation (Federaciones de Indusstria). Erst im Bezirk, dann in der Region, dann im Landesmasstab schliessen sich die Industriesyndikate jeder Zweiges unter sich zusammen. Neben dem Comite Nacional, das auf dem Landeskongress aller Syndikate gewählt ist, stehen die leitenden Komitees der einzelnen Industrieföderationen, die auf den Sonderkongressen der verschiedenen Industriezweige eingesetzt wurden.

Das Ineinander beider Organisationsprinzipien, des vertikalen und des horizontalen Organisationsschemas, gewahrleistet erst das Höchstmass von Freiheit1ichkeit und Föderalismus auf der einen, von Zusammenarbeit und Koordinierung auf der anderen Seite. In der spanischen CNT fehlten bis jetzt die Industrieföderationen, die von den anarchosyndikalistischen Bewegungen anderer Länder längst akzeptiert waren. Ihre Gründung wurde auch auf dem Kongress der CNT von 1931, insbesondere auf Anregung von Orobón Fernández, beschlossen, jedoch kam es nicht zur Durchführung des Beschlusses. Eine gewisse Tendenz in der Bewegung, die sogar zu einer vorübergehenden Spaltung in Katalonien und Levante führte, forderte die Einführung der Industrieföderationen, vertrat jedoch gleichzeitig reformistisch-politische Tendenzen. Diese letzteren führten Pestana zur Gründung einer neuen Partei ohne Anhänger, während die Masse selbst wieder zur CNT zurückkehrte.

Ende 1935 - Anfang 1936 schlossen sich diese Syndikate, unter ihnen Peiró, ein alter Genossenschaftler und Mann der wirtschaftlichen Praxis, Glasarbeiter aus Matar, wieder der CNT an. Heute sagt Genosse Peiró: jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem wir die Industriesyndikate brauchen. Sie sind die Organe, die allein sozialisieren können. Wenn sie nicht geschaffen werden und in Funktion treten, dann bleibt, um die Probleme der Kriegswirtschaft zu lösen, garnichts anderes übrig als die Nationalisierung von oben, und sei es als Provisorium.

Alle Militanten und Syndikate der CNT haben heute ihre Bedenken gegen die Industrieföderationen aufgegeben. In einer Massenversammlung in Barcelona, veranstaltet vom Regionalkomitee Katalonien, skizzierte Genosse Gaston Leval meisterhaft die Idee der industriellen Föderation als Grundlage der freiheitlich-sozialistischen Wirtschaft.

Deshalb heisst heute die Parole der gesamten CNT im Interesse der Weitertreibung der Sozialisierung, im Sinne der Prinzipien der Internationalen Arbeiter-Assoziation (AIT), des internationalen Anarchosyndikalismus: Schaffung der Landes-Industrieföderationen! Inangriffnahme der Sozialisierung durch die Arbeiter mit Hilfe dieser Föderationen!

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 4, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.