Revolutionaere Syndikate

Die spanische Arbeiterbewegung ist syndikalistisch orientiert. Auch marxistische Beobachter haben sehr richtig darauf hingewiesen, dass sein Syndikat für den spanischen Proletarier die eigentliche Ausdrucksform seines Klassenbewusstseins, seines Befreiungswillens ist. Das gilt auch für die Arbeiter der UGT. Die Partei tritt demgegenüber zurück. Sie ist eine Angelegenheit von Ideologen und Berufspolitikern.

Der eigentliche Träger der syndikalistischen Auffassung ist die CNT. Sie geht zurück auf eine Tradition von über 75 Jahren, in denen die revolutionären Arbeiter des Landes stets ihre Gedanken gerichtet hielten auf die Idee der Übernahme der Wirtschaft durch die Arbeiterorganisation. Die Enteignungsbewegung nach dem 19. Juli, der gewerkschaftliche Charakter aller sozialen Reorganisationsversuche seitdem ist aus dieser Einstellung zu erklären. Ihre konsequente Abstinenz von aller bürgerlichen Politik und vom Parlamentarismus hatte in der CNT die ursprünglichen sozialistischen Zielsetzungen der Arbeiterbewegung lebendig erhalten. Die sozialdemokratischen Parteien und die grossen reformistischen Gewerkschaften anderer Länder hatten inzwischen vor lauter "Real-Politik" jeden sozialistischen, konstruktiven Gehalt verloren und schliesslich sogar hilflos vor dem Faschismus kapituliert - nicht einmal als blosse Abwehrorganisationen konnten sie in Aktion treten.

Will man den revolutionären Charakter der Syndikate der CNT verstehen, dann muss man sich freilich völlig frei machen von dem, was in Deutschland "Gewerkschaft" hiess. Der deutsche Arbeiter verbindet mit diesem Begriff unmittelbar eine Reihe von Vorstellungen: Volkshaus, Beamtenstab, Berufsunterhändlertum usw. Die Gewerkschaften der deutschen Arbeiter waren ein Staat im Staate. Eine ganze Klasse von Ex-Arbeitern hatte sich zwischen die Arbeiter in den Betrieben und die Unternehmer eingeschoben. Ihnen standen zahlreiche politische und administrative Karrieren offen, und zusammen mit einer Schicht marxistischer Intellektueller bildeten sie den Führerstand der Arbeiterbewegung. Der Arbeiter im Betrieb war Beitragszahler, schliesslich auch Unterkassierer; er war das Objekt, um das am grünen Tische von den Berufsunterhändlern geschachert wurde, und er streikte, wenn diese Berufsführer es befahlen. Allerdings wurde der Streik als eine rudimentäre Erscheinung aus der vordemokratischen Epoche des Kapitalismus betrachtet.

Ganz anders die CNT. Die Bewegung war nicht länger als einige Monate völlig legal. Sie hatte niemals eine Beamtenschicht, niemals bot sie Karrieremöglichkeiten für politische Ehrgeizige. Sie hatte keine Volkshäuser. Die Arbeiter, die in ihren Zeitungen, in den Organisationskomitees für kurze Zeit bezahlt wurden, kamen immer wieder unmittelbar aus dem Betrieb und kehrten in die Betriebe zurück. Der einzige Ort, an dem mit Sicherheit jeder anlangte, der in der CNT mitarbeitete, war das Gefängnis. In jeder Stadt befanden sich immer eine grössere Anzahl von Kameraden im Gefängnis. Ein Mann wie Durruti brachte sein halbes Leben im Gefängnis zu. Die übrige Zeit arbeitete er in der Fabrik oder irrte flüchtig von Land zu Land.

Die "Militanten" der CNT sind nicht Funktionäre wie sie die deutsche Gewerkschaftsbewegung heranzüchtete. Die Militantenschaft der CNT — das war die in Jahrzehnten von Kampf gehärtete und geschulte Elite der idealistischsten, persönlich bedürfnislosesten Kameraden aus den Betrieben, das waren die, die kein Privatleben mehr hatten und den Tod verachteten, wenn es darauf ankam. Sie standen am 19. Juli auf den Barrikaden. Aus den Betrieben, nicht aus irgend welcher Bonzenstellung kamen die Tausende und Abertausende von syndikalistischen Arbeitern, die heute einflussreiche Stellen einnehmen in den Verwaltungen der Syndikate, die sich zu den leitenden Büros der Wirtschaft umgewandelt haben. Aus den Betrieben und den Gefängnissen kamen unsere Vertreter in die Institutionen politischer Natur, in denen die CNT mit den übrigen antifaschistischen Organisationen zusammenarbeitet: die Consejeros der Generalidad von Katalonien, die Minister der CNT in Valencia. Diese Militanten stehen in lebendigem Kontakt mit ihren Auftraggebern, sie sind nichts anderes als diese. Hier liegt das Geheimnis der revolutionären Vitalität der CNT. Sie könnte den Arbeitern aller Länder zum Vorbild dienen.

Wir wollen hoffen, dass wenigstens in den Ländern, in denen der Faschismus alle alten Organisationen zerschlagen hat, nicht wieder jene zusammengebrochene Bürokratenherrlichkeit entsteht, die zum Untergang der Arbeiterbewegung führte, sondern neue Organismen, in denen die Arbeiter ihre Sache in den eigenen Händen behalten.

Dafür wollen wir arbeiten! So wie die russischen Arbeiter ihre "Räte" als unmittelbaren Willensausdruck schufen (die aber zu blos formalen Einrichtungen herabsanken, während die Revolution durch eine Partei monopolisiert wurde), so haben die spanischen Arbeiter ihre Syndikate. Diese aber sind nicht improvisiert, sondern fest im Denken der Massen verwurzelt. Sie werden Werkzeuge in den Händen der Arbeiter selbst bleiben und die Revolution weiterentwickeln zu einer wahren Volks-Sache. Sie werden niemals ihre Degeneration in eine Parteidiktatur erlauben. Das mögen sich auch die gesagt sein lassen, die nach Spanien Begriffe wie "Sowjet" oder "Rat" importieren wollen, die hier nur leere Worte sind. Das Syndikat ist die lebendige Wirklichkeit der spanischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus. Es ist keine leere Form, sondern immer entwicklungsfähiger Ausdruck revolutionären Dynamismus des Volkes.

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 5-6, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.