Facharbeit über die Mujeres Libres

Gliederung

1. Einleitung: Fragestellung der Untersuchung
2. Definition des Begriffs Utopie
3. Definition des Begriffs Anarchismus
4. AnarchaFeminismus

5. Spanischer Bürgerkrieg
5.1. Hintergrund
5.2. Überblick über den Spanischen Bürgerkrieg

6. Die Gruppe Mujeres Libres
6.1. Gründe für eine Organisation der Frauen
6.2. Entstehung und Entwicklung
6.3. Ziele
6.4. Theorie und Praxis
6.4.1. Allgemein
6.4.2. Befreiung der Frau
6.4.3. Kindererziehung
6.4.4. Kampf gegen Prostitution
6.4.5. Unterstützung der Front

7. Die Zeitschrift Mujeres Libres
8. Die Mitglieder der Gruppe Mujeres Libres
9. Das Verhältnis der Mujeres Libres zur anarchistischen Bewegung
10. Mujeres Libres nach 1939
11. Fazit
12. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mujeres Libres, übersetzt "Freie Frauen". Wer war das? Welche Ziele verfolgten sie? Wie kommt es, dass so wenig über diese Gruppe bekannt ist?

Mujeres Libres, das war eine anarchafeministische Frauenorganisation, die sich im April 1936 zusammenschloss, also drei Monate vor dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges und der damit einhergehenden sozialen Revolution.

Welche Umstände haben die Frauen zu ihrem Denken und Handeln veranlasst?  Um das besser zu verstehen, werde ich im Nachfolgenden auf das Umfeld der Mujeres Libres eingehen.

Wie war die Lebenslage der Menschen, wieso ist es zum Bürgerkrieg gekommen? Welche Hintergründe haben derartige Menschenmassen dazu angetrieben, für eine freie Gesellschaft ohne Hierarchien zu kämpfen?
Und wieso haben die Mujeres Libres sich explizit als reine Frauengruppe zusammengeschlossen, wenn sie sich selber doch als Anarchistinnen bezeichneten? Müsste der Zustand einer Anarchie ihre Unterdrückung als Frau nicht automatisch aufheben?

All diese Überlegungen werfen die Frage auf, ob der von den Mujeres Libres und vielen anderen Organisationen zur Zeit des Bürgerkrieges angestrebte Wandel der Gesellschaft nicht bloß utopisches Wunschdenken war.
Oder hätte die fiktive Utopie der Anarchie doch zu einer gelebten Utopie werden können?

2. Utopie

Das Wort Utopie leitet sich aus den griechischen Wörtern ou (1) und topos (2) ab und bedeutet somit zusammengesetzt Nicht-Ort. Es ist der Entwurf einer fiktiven, idealen Gesellschaftsordnung. Wie eine solche Utopie entsteht und geordnet ist, erklärt Hans Freyer in "Die politische Insel. Eine Geschichte der Utopien von Platon bis zur Gegenwart" (Freyer). Er entwirft sechs Gesetzte des utopischen Denkens: Zunächst einmal ist eine Utopie ein geschlossenes System nach Außen. Dabei ist sowohl die räumliche Abgrenzung, durch z.B. eine Insel, eine Mauer oder auch das Universum, sowie die zeitliche Abgrenzung, durch die Zukunft oder Vergangenheit, eingeschlossen (vgl. ebd).

Eine Utopie ist auch ein geschlossenes System im Innern. Dadurch, dass die Utopie fertig durchdacht ist und nicht durch Einflüsse von Außen gestört werden kann, herrscht ein vollkommenes System von Ursache und Wirkung. Der Zustand ist mit einem Labor zu Vergleichen. Der Utopist kann die genaue Folge einer Ursache schon im Vorhinein absehen.

Das Übel des bestehenden Systems wird auf eine Fehlerquelle zurückgeführt und diese muss bekämpft werden (vgl. ebd.).

Eine Utopie ist nicht nur teilweise realisierbar. Es gilt das Alles-oder-Nichts-Gesetz. Da sie ein in sich völlig geschlossenes Gebilde ist, kann sie nicht durch Entwicklung, sondern nur durch eine Revolution entstehen (vgl. ebd.).

Außerdem bedeutet die Utopie den Stillstand der Geschichte. Insbesondere der unveränderliche Kreislauf im Innern verhindert die Entwicklung (vgl. ebd.).

Das letzte Gesetz utopischen Denkens ist die Notwendigkeit eines neuen Menschen, dessen Verstand vollkommen von der Utopie eingenommen ist. Um das zu erreichen, steht die Erziehung in der Utopie im Fokus (vgl. ebd.).

3. Anarchismus

Das Wort Anarchie stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Keine Herrschaft".

Der Anarchismus ist eine Gesellschaftstheorie, welche eine freie Gesellschaft, ohne jegliche Form von Autorität, anstrebt. "Seine Ziele sind die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die Aufhebung des Staates und die Errichtung einer nichtrepressiven Gesellschaft; im Zentrum seiner politischen Aktivität und seiner Theorie steht der sozialistische Freiheitsgedanke." (Guérin, S.12).

Prinzipien, die allen anarchistischen Strömung zugrunde liegen, sind die "individuelle Selbstbestimmung und Selbstentfaltung, soweit damit nicht die Selbstbestimmung anderer Menschen beeinträchtigt wird; eine dezentrale politische Organisation der Gesellschaft von unten nach oben; ökonomische Selbstverwaltung und Selbstbestimmung." (Ratsch, S.58)

Grundlage ist außerdem die Annahme von einem von Grund auf guten Menschen, welcher sich aber erst entfalten kann, wenn er von der Unterdrückung befreit ist (vgl. Cantzen, S.16-20).

Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Staat und seine Organisation (Regierung, Justiz, Polizei, Militär etc) abgeschafft werden (vgl. "dtv-Lexikon" Band 1, S.137).

"Aus der positiven Einschätzung der Menschen ergibt sich, dass die Massen als revolutionäres Subjekt angesehen werden" (Bianchi, S.25) Die Überwindung der derzeitigen Staatsform kann sowohl durch Gewalt als auch gewaltlos erfolgen (vgl. "dtv-Lexikon", S.137).

Das Zusammenleben in der Anarchie ist auf der Grundlage der Vernunft und dem Naturrecht (3) aufgebaut (vgl. "Der Kleine Brockhaus", S.39).

4. AnarchaFeminismus

Der Begriff AnarchaFeminismus wurde in den 70er Jahren von amerikanischen Feministinnen geprägt. Er beschreibt die Verbindung von Radikalfeminismus und anarchistischer Theorie und Praxis (vgl. "Anarchia-Versand).

Die anarchafeministische Strömung entstand, da die Frauen in der anarchistischen Bewegung ihre konkrete Emanzipation forderten.

AnarchistInnen sehen die getrennte Befreiung der Frau häufig nicht als notwendig an, da sich dieses Problem durch die Bekämpfung des Kapitalismus automatisch behebe. Doch die Frauen fordern auch nach der Befreiung der Gesellschaft von den Klassenunterschieden, die weitere Arbeit zur Aufhebung der Unterschiede zwischen Mann und Frau.

AnarchaFeministinnen distanzieren sich stets von den bürgerlichen Feministinnen, welche nur die Gleichstellung im vorhandenen System fordern (vgl."Anarchia-Versand").

5. Spanischer Bürgerkrieg

Im Nachfolgenden werde ich nicht den gesamten Verlauf des Spanischen Bürgerkrieges darstellen, sondern nur die Ereignisse schildern, die zum besseren Verständnis der Mujeres Libres dienen.

Hintergründe

Der Modernisierungsprozess der spanischen Gesellschaft verlief im Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Ländern verzögert ab, was zu Ungleichheiten auf politischer, sozialer und ökonomischer Ebene führte (Vgl. Bernecker, S.5).  Die dadurch ausgelösten Konflikte führten schließlich zu gesellschaftlichen und letztlich auch ideologischen Widersprüchen und teilte Spanien nahezu in zwei Teile. Der eine Flügel Spaniens war die antiklerikale-liberale, der andere die monarchistische-traditionalistische" Seite (Vgl. Bernecker, S.5).

Bernecker sieht als Auslöser für den Spanischen Bürgerkrieg vier grundlegende Konflikte innerhalb Spaniens: die Agrarfrage, den Konflikt zwischen dem Zentrum und der Peripherie, den Einfluss des Militärs und das enge Verhältnis zwischen Staat und Kirche.

Das Agrarproblem bestand vor allem in der ungerechten Landverteilung und dem Fehlen des Mittelbauerntums. Im Süden Spaniens herrschte eine kleine Anzahl von Großgrundbesitzern, welche Tagelöhner für einen Hungerlohn arbeiten ließen (vgl. Bianchi, S.13). Unter diesen entstand Ende der 1860er erstmals eine anarchistische Bewegung. Im Norden hingegen herrschte das katholisch-traditionelle Kleinbauerntum, welches sich den Karlisten (4) zuwandte.

Die Peripherie (Baskenland und Katalonien) war das am weitesten entwickelte Gebiet Spaniens, doch später verlor sie ihre politischen Sonderrechte wieder an das Zentrum (Madrid). Dadurch entwickelten sich in den beiden Regionen Autonomiebewegungen. Im katalonischen Regionalismus herrschte eine starke linke Tendenz, während das Baskenland eher konservativ und religiös geprägt war (vgl. Bianchi,  S.13 f.).

Das spanische Militär war politisiert und fast jeder "Regierungswechsel [...] wurde durch Militärpronunciamentos herbeigeführt" (Bernecker, S.8). Doch während die Gesellschaft einen Wandel durchlief, hielt das Militär weiterhin an der konstitutionellen Monarchie fest.

Der Katholizismus wurde in Spanien zur Staatsreligion ausgerufen, wodurch die Arbeiterklasse die Herrschenden mit der Kirche identifizierte und ihre Wut auf sie projizierte (vgl. Bernecker, S.8).

Die zweite Republik

Nach dem Rücktritt des Diktators Primo de Rivera (vgl. Wikipedia, EmausBot), fanden am 12. April 1931 landesweite Gemeindewahlen statt, bei welchen die pro-republikanschen Parteien den Sieg errungen. Daraufhin wurde am 14.4.1931 die zweite spanische Republik ausgerufen.

Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung erhielt die republikanisch-solzialistische Koalition die Mehrheit und die "bienio de reformas" (5) (Bianchi, S.15) wurden eingeleitet.  Unter anderem sollten auch die Rechte der Frau reformiert werden. Ihnen sollte das Wahlrecht, die Zulassung zu allen Berufen und die Gleichstellung vor dem Gericht zugesichert werden (vgl. Bianchi,  S.15).

Als bei der 1933 stattfindenden zweiten Parlamentswahl die Rechtspartei "CEDA" den Sieg errang, wurde den Frauen die Schuld an dem Ergebnis vorgeworfen. Mit diesem Wahlausgang begannen die "bienio negro" (6) (Bianchi, S.15), in welchen fast alle Reformen wieder zurückgezogen wurden. Als Reaktion darauf fanden zahlreiche Streiks statt, welche jedoch meist blutig niedergeschlagen wurden. 1936, bei den neuen Parlamentswahlen, gewann  ein Bündnis republikanischer und linker Parteien (Volksfront).

Die Anzahl der Aufstände und Straßenschlachten zwischen den Linken und Rechten nahmen weiterhin deutlich zu (vgl. Bianchi, S.16).

Gesellschaftsbild und Realität der Frauen

In der Zeit vor dem spanischen Bürgerkrieg war das Leben der Frau durch die Bevormundung durch den Staat, die katholische Kirche und den Mann geprägt (vgl. Bianchi, S.16-20).

Im häuslichen Bereich hatte sie zwar sehr hohes Ansehen, was ihr den Namen "ángel del hogar" (7) (Bianchi, S.16-20) einbrachte, im Vergleich zum Mann galt sie jedoch als minderwertig. Dennoch arbeiteten viele Frauen, um ebenfalls Geld zu verdienen und die Familie unterstützen zu können. Sie bekamen jedoch häufig nur die Hälfte des Lohns.

Aber auch die Frauen zu jener Zeit kannten Methoden, um sich zu Wehr zu setzten. Sie organisierten Demonstrationen und leisteten gewaltlosen Widerstand. Meist erhoben sie sich aber nur, wenn sie ihre eigene Lebenssituation bedroht sahen, wie z.B. durch niedrige Löhne oder Lebensmittelknappheit. Die Politisierung erfolgte erst durch die direkte Aktion (vgl. Bianchi, S.16-20).

Überblick über den Spanischen Bürgerkrieg

Kriegsbeginn

Am 17.7.1936 begann im spanischen Teil Marokkos der Militärputsch unter der Leitung Francisco Francos, welcher schon am nächsten Tag auf das spanische Festland übergriff (vgl. Bianchi, S.40). Daraufhin forderten UGT (8) und CNT (9) die Volksbewaffnung, welche jedoch erst nach einem Regierungswechsel gewährt wurde. Spanien teilte sich in eine franquistische und eine republikanische Zone. Im Norden und Teilen von Andalusien schlossen sich viele den franquistischen Aufständen an, während die Putschisten von der Bevölkerung im Zentrum bis hin zum Mittelmeer zurückgeschlagen wurden. Am 1.4.1939 endete der Krieg, auch durch die Unterstützung von Deutschland und Italien, mit dem Sieg Francos (vgl. Bianchi, S.40 f.).

Revolution und Konterrevolution in der republikanischen Zone

Parallel zum Widerstand gegen den Militärputsch entwickelte sich auch eine soziale Revolution (vgl. Bianchi, S.45).

In der Landwirtschaft schlossen sich Kollektive zusammen, ArbeiterInnen nahmen Fabriken ein und leiteten sie selber weiter, in Katalonien wurden die Generalitäten entmachtet. Doch da der CNT keine Herrschaft übernehmen wollte, sondern ebendiese abschaffen, wurde die ursprüngliche Regierung durch Revolutionskomitees ersetzt. Es entstand sozusagen ein "Machtvakuum"(Bianchi, S.45).

Doch die Konterrevolution ließ nicht lange auf sich warten (vgl. Bianchi, S.45). Hervorgerufen durch die StalinIstinnen der PCE (10), herrschten drei Tage lang bürgerkriegsähnliche Zustände: die AnarchistInnen und die Anhänger der POUM (11) gegen die StalinistInnen. Danach verboten die StalinistInnen die POUM und ermordeten Hunderte Anhänger der oppositionellen Linken. Zudem zerstörten sie die Agrarkollektive und das bis dahin autonome Katalonien wurde der Zentralregierung unterstellt (vgl. Bianchi, S.46).

Wandel der Rolle der Frau

Der Enthusiasmus, der während des Kampfes für die Freiheit aufkam, riss auch die Frauen mit und sie kämpften, arbeiteten und planten gemeinsam an der Seite der Männer (Vgl. Bianchi, S.47). Doch mit dem Wandel im Leben der Frauen ging nicht selbstverständlich auch ein Wandel der traditionellen Frauenrolle einher. Insbesondere in den ländlichen Regionen übernahmen die Frauen zwar die früheren Aufgaben der Männer, die traditionellen Geschlechterrollen wurden aber nicht hinterfragt.

In den Städten, wie z.B. Barcelona und Madrid, wurde hingegen das neue Frauenbild, vor allem durch Plakate, verbreitet. Überwiegend waren die Frauen als Milicionas (12) im "mono azul" (13) (Bianchi, S.48) dargestellt. Durch den "mono azul" (ebd.) drückten die Frauen einerseits ihre politische Einstellung aus, andererseits war es aber auch ein Zeichen für den Ausbruch aus dem traditionellen weiblichen Erscheinungsbild.

Doch das positive Bild der Miliciana schwang schon Ende 1936 um (vgl. Bianchi, S.48). Die Frauen wurden häufig als Prostituierte an der Front dargestellt und die Männer wurden regelrecht vor ihnen gewarnt. Dadurch verloren sie ihr Ansehen und sie standen unter dem ständigen Druck, sich beweisen zu müssen.

Das Bild der Frau entwickelte sich wieder zurück zur traditionellen Frauenrolle als Mutter, nun aber als "madre combativa" (14) (Nash, S.99). In dieser Rolle kümmerte sie sich z.B. um die Soldaten oder die Hausarbeit (vgl. Bianchi, S.51).

6. Die Gruppe Mujeres Libres

Eine besondere Bedeutung unter den Frauen gewann die Organisation Mujeres Libres im spanischen Bürgerkrieg. Sie waren "die Frauengruppe, die zum ersten Mal im spanischen Staat die Frauenproblematik von einer Klassenperspektive aus bedachten. Das heißt, sie verstanden die Befreiung der Frau aus einer Perspektive der Befreiung der Arbeiterklasse" (Ministerio de Cultura, S.31-34). Ihre Theorie lässt sich als AnarchaFeminismus bezeichnen (vgl. Bianchi, S.55).

Gründe für eine Frauenorganisation

Viele AnarchistInnen sahen keine Notwendigkeit in der Gründung einer eigenen Frauenorganisation, da durch das Abschaffen der kapitalistischen Gesellschaft automatisch auch die Unterdrückung der Frau aufgehoben werden würde (vgl. Bianchi, S.57).

Häufig wurden die  Frauen in der anarchistischen Bewegung nicht beachtet oder sogar diskriminierend behandelt, so wollten sich z.B. einige Anarchisten nicht von Frauen unterrichten lassen (vgl. Bianchi, S.56). Durch die Gründung einer eigenen Frauengruppe wollten die Mujeres Libres keine Geschlechtertrennung unterstützen, sondern den Frauen die Basis zur Befreiung und eine Möglichkeit zur geschützten Entwicklung des Selbstbewusstseins ermögliche (vgl. Bianchi, S.59).

Entstehung und Entwicklung

Die Frauenorganisation Mujeres Libres wurde im April 1936 von Lucia Sánchez Saornil, Mercedes Comaposada Guillón und Ámparo Poch y Gascón in Madrid gegründet (vgl. Bianchi, S.55). Zunächst befasste sich die Gruppe mit der Herausgabe der monatlich erscheinenden Zeitung Mujeres Libres, mit welcher sie das Bewusstsein der Frauen erweitern wollten. Ihr Ziel war es, die Frauen zur eigenen Befreiung zu befähigen und Interesse an der anarchistischen Bewegung zu wecken. Dabei richteten sie sich vor allem an noch nicht politisierte Frauen.

Aufgebaut war die Organisation nach den Grundsätzen der Basisdemokratie. Das bedeutet, die lokalen Gruppen entsandten Vertreterinnen in die Provinzkomitees, diese hatten Vertreterinnen in den Regionalkomitees und diese wiederum  schickten schließlich Vertreterinnen in das Nationalkomitee. Dabei war die Autonomie der einzelnen Gruppen festgelegt, es konnte also keine Befehlshierarchie von oben nach unten herrschen.

Während der Zeit des Bürgerkriegs hatten die Mujeres Libres etwa 20.000 Mitglieder und die meisten Gruppen der Mujeres Libres gründeten sich in Madrid und in Barcelona (vgl. Bianchi, S.56).

Ziele

Das langfristige Ziel der Mujeres Libres war die Errichtung einer freien Gesellschaft, in welcher alle Frauen und Männer gleichberechtigt und frei leben können (vgl. Bianchi, S.60). Doch um auf dieses Ziel hinarbeiten zu können, setzen sie sich zunächst zwei kurzfristige Ziele: "captación" und "capacitación" (Gewinnung und Befähigung). Das bedeutet, die Frauen für die Ideen des Anarchismus zu begeistern und sie "zu befähigen, sich selbst eine Meinung bilden zu können, politische Zusammenhänge zu verstehen [und] selbstbewusst Arbeit zu ergreifen" (Bianchi, S.60).

Nach dem 19. Juli 1936 kam noch, als dringendstes Ziel, der Sieg über die Franquisten hinzu (vgl. Bianchi,  S.61).

In der Satzung der Mujeres Libres vom September 1937 definierten sie ihre Ziele wie folgt:
"a) Eine bewusste weibliche und verantwortliche Kraft zu schaffen, die als Vorhut des Fortschritts handelt.
b) Zu diesem Zweck Schulen, Institute, Konferenzkreise, spezielle Kurs etc. aufzubauen, die darauf abzielen, die Frau zu befähigen (15) und sie von der dreifachen Sklaverei zu befreien, der sie unterworfen war und immer noch unterworfen ist: Sklaverei der Unwissenheit, Sklaverei der Frau (16) und Sklaverei der Arbeiterin." (Mujeres Libres in: Luchadores Libertarias, S.83-86)

Jedoch verfolgten längst nicht alle Mitglieder der Mujeres Libres diese Ziele. Viele Frauen traten der Organisation auch nur auf Grund der zahlreichen Bildungsangebote bei (vgl. Bianchi, S.62).

Theorie und Praxis

Die Gruppe Mujeres Libres hatte nicht nur eine einheitliche Theorie. Einerseits, da sie als Anarchistinnen bewusst die Vereinheitlichung ihrer Sicht auf die Welt ablehnten, andererseits reagierten sie auf die jeweils aktuelle politische Situation. So forderte der Bürgerkrieg von ihnen,  in erster Linie den Faschismus zu bekämpfen und die Revolution fortzusetzen (vgl. Bianchi, S.63).

Dabei konzentrierten sich die Frauen besonders auf die praxisorientierte Arbeit. Dies begründeten sie in der 5. Ausgabe der Zeitschrift "Mujeres Libres" folgendermaßen: "Wir können nicht länger mehr oder minder riskante Theorien aufstellen. Es ist auch nicht mehr die Zeit, mit Theorien zu jonglieren [...]. Heute müssen wir tatkräftig sein und mit der Realität arbeiten, deren Gehalt dunkel bleibt. Diese Taten, diese Realitäten sind es, die jenes Bewusstsein bilden sollen, das wir anstreben." (Mujeres Libres in: Mujeres Libres Nr. 5, S.2)

Die einzige übergreifende Theorie, die sie aufstellten war «la doble lucha de la mujer» (17) (In: Mujeres Libres Nr.7, S.8). Die Frau muss auf zwei Gebieten kämpfen: Für ihre äußere Freiheit, gegen den unterdrückenden Staat, zusammen mit den Männern und für ihre eigene Freiheit, gegen die patriarchalen Strukturen. (vgl. Ilse, S.8)

Im Folgenden werde ich vier Hauptzielsetzungen und ihre Umsetzung beschreiben, welche größtenteils vor Beginn des Bürgerkrieges entwickelt wurden.

Die Befreiung der Frau

Die fundamentalsten Dinge, die der Arbeiterfrau fehlten, waren Bildung und Arbeit. Die Mujeres Libres sahen sich als Katalysator, welcher den Frauen hilft, sich selber zu befreien (vgl. Bianchi, S.65). Sie entwickelten ein breit gefächertes Bildungsangebot, da sie die Möglichkeit zur Verbesserung der Situation der Frau in ein besser bezahltes Arbeitsverhältnis nur durch elementare Bildung sahen. Dabei war es ihr Ziel, die hohe Analphabetenrate zu senken und den Frauen außerdem grundlegende Kenntnisse in Geographie, Fremdsprachen, Mathematik und Politik zu vermitteln.

Um den Frauen mehr Berufsmöglichkeiten zu erschließen, gründeten die Mujeres Libres berufsvorbereitende Schulen, an denen die Frauen z.B. den Beruf der Landwirtin oder Krankenschwester erlernen konnten.

Darüber hinaus eröffneten sie Fahrschulen für Frauen, Volks-Speiseräume, Kindertagesstätten und Ferienkolonien für Kinder, damit auch die Mütter arbeiten gehen konnten (gl. Bianchi, S.66 f.).

Kindererziehung

Die Mujeres Libres legten großen Wert auf die Kindererziehung und Pädagogik in der Schule, da sie diese als Grundlage der Gesellschaft sahen ( vgl. Bianchi , S.67). So boten sie auch schon Kurse vor der Mutterschaft an, um den Frauen zu zeigen, dass Kinder eigenständige Menschen sind und ihnen nur das Fundament zum eigenverantwortlichen Denken gelegt werden muss.

Auch das Konzept der Schulen wollten sie grundlegend ändern. Auf Notengebung sollte gänzlich verzichtet werden, stattdessen müsse das Interesse der Kinder geweckt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten neue LehrerInnen aus der Arbeiterklasse ausgebildet werden. Die bürgerlich-kapitalistischen Lehrer vermittelten nur "unbrauchbare, theoretische Dinge" (Bianchi, S.68), doch den Kindern sollte Wissen mitten im Lebensprozess vermittelt werden (vgl. Bianchi , S.68 f.).

Auch in der Freizeitgestaltung wollten sie Veränderungen herbeiführen und das Verbot für Kinder, mit andersgeschlechtlichen Kindern zu spielen, aufheben (vgl. ebd.).

Kampf gegen Prostitution

Viele Frauen sahen sich auf Grund der niedrigen Löhne und hohen Arbeitslosigkeit genötigt, mit Prostitution zum Verdienst der Familie beizutragen (vgl. Bianchi, S.69). 1931 wurde vom Staat ein Gesetz zum Verbot der Prostitution erlassen, doch die Mujeres Libres sahen dieses eher als Gesetz gegen die Prostituierten selber an, da ihre sozialen  Hintergründe völlig außer Acht gelassen wurden. Sie wurden als Verbrecherinnen dargestellt, während man ihre Freier noch nicht einmal für unmoralisch hielt. Daher organisierten sie sogenannte "Häuser zur Befreiung von der Prostitution" (Buselmeier, S.71), in welchen Prostituierten Obhut gegeben wurden.

Unterstützung der Front

Während zu Beginn des Bürgerkrieges auch etliche Frauen der  Mujeres Libres als Milicianas an der Front kämpften, rückte zum Ende des Krieges die unterstützende Kriegshilfe immer weiter in den Vordergrund (vgl. Bianchi, S. 70). Sie waren "im Bereich der Kriegsunterstützung [tätig], indem sie Krankenschwestern […] zu Verfügung stell[t]en, ebenso wie Kindergärtnerinnen [...]; indem sie tatkräftig Arbeitsplätze besetzen, die die Kämpfer verlassen haben" (Mujeres Libres Nr.13, S.13). Außerdem setzten sie sich im "Bereich der Solidarität gegenüber den Kämpfern" (ebd.) ein.

Des Weiteren entwickelten sie Strategien, um die Produktivität im Hinterland zu steigern (vgl. Bianchi, S.71). Sie entwickelten Verfahren "zur Vermeidung des Schlangestehens” (Bianchi, S.71), da viele Frauen stundenlang in Lebensmittelschlangen anstehen mussten und so diese Zeit nicht sinnvoll nutzen konnten.

Ein weiteres Anliegen war die Effektivität in der Landwirtschaft (vgl. Bianchi, S.71). Sie rieten den Frauen, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um die Produktivität zu steigern, in dem sie die Technik der Agronomie anwenden, welche sie in Kursen erlernen konnten. 

7. Die Zeitschrift "Mujeres Libres"

"Die Zeitschrift [Mujeres Libres] sollte Frauen für den Anarchismus gewinnen, für eine intellektuelle Fortbildung der Leserinnen sorgen und schließlich als Organ für Informationen über die Aktivitäten der einzelnen Mujeres Libres-Gruppen dienen." (Bianchi, S.72). Geplant war eine monatliche Ausgabe der Zeitschrift, doch auf Grund der jeweils aktuellen politischen Situation wurde diese Zeitspanne nicht eingehalten.

In der Zeitschrift sind durchaus aus gegensätzliche Meinung auszumachen, was erneut zeigt, dass die Gruppe keinen Leitsatz hatte, welchem jeder folgen musste. Es wird über revolutionäre Frauen in der Geschichte berichtet sowie über die "aktuelle politische, militärische und wirtschaftliche Lage" (Bianchi, S.74).

In der zweiten Ausgabe der "Mujeres Libres" beschreiben sie ihr Geschichtsbild durch die vier Revolutionen: "Die erste sei dir Luthers (die Reformation), die zweite die der Menschenrechte (die französische Revolution), die dritte die kommunistische Utopie (die Oktoberrevolution) und die vierte, die noch kommen werde, sei die "unsere"" (Bianchi, S.74).

In der dritten Ausgabe treten sie für die "Freie Liebe" (Bianchi, S.75) ein. Dabei umfasst die sexuelle Freiheit aber nur einen kleinen Part, im Vordergrund steht "das Erlernen der "Guten Liebe"" (ebd.).

Weitere behandelte Themen in der Zeitschrift waren z.B. Hygienemaßnahmen zur Verbesserung der Situation der Arbeiterklasse, die Freizeitgestaltung in Form von Sport und der Auswahl der richtigen Bücher und Filme, ebenso wie die Veröffentlichung eigener Gedichte (vgl. Bianchi, S.75 f.).

Allerdings wurden auch etliche Artikel in der "Mujeres Libres" zensiert, besonders wenn Kritik an KomunistInnen ausgeübt wurde (vgl. Bianchi, S.103).

8. Die Mitglieder

Die Mehrzahl der Mitglieder der Mujeres Libres kam aus der Arbeiterklasse (vgl. Bianchi, S.77). Allerdings schlossen sich die meisten Kollektive in den Großstädten, wie Madrid und Barcelona, den Zentren der Revolution und des Widerstands gegen den Faschismus, zusammen, da es in den ländlichen Regionen für die Frauen durch die weiterhin bestehenden patriachalen Strukturen ungleich schwieriger war, einer anarchistischen Gruppe beizutreten.

9. Das Verhältnis der Mujeres Libres zur anarchistischen Bewegung

Die Frauen der Mujeres Libres standen den "anarchistischen Organisationen näher als den feministischen Gruppen, [da sie] mit ihnen das Ziel einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft [teilten]" (Bianchi, S.83). Sie vertaten die Meinung, dass der Krieg ohne die soziale Revolution nicht zu gewinnen sei, so wie die Revolution nicht von der Befreiung der Frau getrennt werden könne (vgl. Bianchi, S.90).

Als Feministinnen bezeichneten sie sich selber nie, da sie mit dem Begriff die bürgerlichen Frauen, die bloß die Gleichberechtigung im bestehenden System forderten, assoziierten (vgl. Bianchi, S.91).

Keine offizielle Anerkennung

Die Mujeres Libres wurden durch die CNT in Form von beispielsweise finanziellen Mitteln oder Bereitstellung von Räumlichkeiten unterstützt, ihre offizielle Anerkennung erhielten sie aber nie (vgl. Bianchi, S.84-86). Eine eigene Frauenorganisation wurde abgelehnt, da unter vielen AnarchistInnen die Meinung vertreten war, dass "die Frauenunterdrückung keine spezifische Form der Unterdrückung [sei], sondern automatisch verschwinden wird, sobald die Revolution die kapitalistische Unterdrückung besiegt hat” ( Bianchi, S.85).

10. Mujeres Libres nach 1939

Speziell über die Mitglieder der Mujeres Libres nach dem Sieg Francos gibt es keine Informationen.  Doch alle SpanierInnen, die auf der republikanischen Seite gekämpft haben, wurden offiziell zu Verbrechern ernannt. Sie mussten Jahre im Gefängnis verbringen, wurden gefoltert oder hingerichtet (vgl. Bianchi, S.106-108). Die Frauen, die in Spanien blieben, wurden durch die Diktatur wieder zurück in ihre traditionelle Frauenrolle gedrückt. Es bildete sich zwar auch ein bewaffneter Widerstand, doch besonders die Frauen litten unter den Repressionen (vgl. Bianchi, S.109).

1964 erschien erstmals eine Ausgabe der Exilzeitschrift "Mujeres Libres en exilo" in London, später auch in Frankreich.

1976 gründete sich die Gruppe Mujeres Libres neu und mittlerweile befinden sich unter den Mitgliedern auch einige Männer (vgl. Bianchi, S.111-113).

11. Fazit

Die Mujeres Libres waren eine anarchafeministische Frauenorganisation zur Zeit des Bürgerkrieges und der sozialen Revolution in Spanien. Sie strebten die Befreiung der Frau innerhalb der sozialen Revolution an. Um dieses Ziel zu erreichen, setzten sie sich für ihre kurzfristigen Ziele ein: Die Frauen für die anarchistische Bewegung begeistern und ihnen durch Bildung den Weg zu Unabhängigkeit und Selbstbewusststein eröffnen.

Die Kriegssituation hatte während ihrem kurzen Bestehen eine prägende Rolle. Die schon vor Ausbruch des Bürgerkriegs bestehenden Missstände und Interessenkonflikte innerhalb Spaniens entfachten den Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit in vielen Menschen.

Die Mujeres Libres formulierten sehr hohe und weitreichende Ziele mit revolutionären Forderungen und es ist, da nur sehr wenige neutrale Quellen zur Verfügung stehen, schwierig einzuschätzen, welche Auswirkungen die Mujeres Libres tatsächlich in der sozialen Revolution hatten. Doch die hohe Mitgliederzahl weist darauf hin, dass sich viele Frauen von den Zielen und Aktionen der Mujeres Libres angesprochen fühlten, auch wenn etliche darunter sicherlich nur aufgrund der Bildungsangebote beitraten.

Die Mujeres Libres konnten ihr Ziel, die Erschaffung einer Anarchie, in welcher auch die Frau befreit ist, nie verwirklichen.  Sie mussten viele Kompromisse zwischen ihrer eigenen Überzeugung und der Kriegssituation eingehen. Ihre Forderungen waren selbst für diese Zeit der sozialen Revolution zu fortschrittlich. Doch dieses Problem erkannten die Mujeres Libres und akzeptierten auch schon kleine Schritte in diese Richtung, um sich nicht in die völlige Isolation zu führen.

Die Hinarbeitung auf die freie Gesellschaft und auch die Existenz der Gruppe, wurde gewaltsam von außen, durch Francisco Franco, beendet. Unter seiner Diktatur wurde die Bevölkerung Spaniens, darunter insbesondere die Frauen, völlig unterdrückt. Das vorher sehr fortschrittlich denkende Spanien wurde wieder um viel Jahre zurück geworfen.

Somit blieb es bei der anarchafeministischen Utopie. Eine Utopie, deren Realisierung durch den Bürgerkrieg zunächst immer näher rückte, dann jedoch abrupt und gänzlich zerstört wurde.

Die Mujeres Libres konnten ihre Utopie niemals im realen Leben leben, aber in den Köpfen wird sie weiter Bestand gehabt haben. Sie konnten einmal am Wind der Freiheit schnuppern und werden dieses Gefühl nicht so schnell vergessen haben.

12. Literaturverzeichnis


Fußnoten:
1.) kein/nicht
2.) Ort
3.) überstaatliches, überpositives Recht, das nicht auf menschlicher Rechtssetzung beruht. Abgeleitet aus der natürlichen Vernunft des Menschen
4.) Carlismus: monarchistische Bewegung in Spanien um 1830
5.) Reformjahre
6.) zwei schwarzen Jahre
7.) Engel des Heims
8.) Unión General de Trabajadores, Allgemeine Arbeiterunion (sozialistische Gewerkschaft)
9.) Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (Nationaler Arbeiterbund)
10.) Partido Comunista de España (Kommunistische Partei Spaniens)
11.) Partido Obrero de Unificación Marxista (Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit)
12.) Kämpferin in der Miliz
13.) blauer Arbeitsoverall
14.) kämpferische Mutter
15.) siehe Ziele: „capacitación“
16.) Hierbei ist die Unterdrückung der Frau durch die katholische Kirche, den Staat und den Ehemann gemeint.
17.) doppelter Kampf der Frau

Die Facharbeit wurde www.anarchismus.at von der Autorin zur Verfügung gestellt.