Die Maitage Barcelona 1937 - Konterrevolutionärer Mai

Vor 65 Jahren: Ein stalinistischer Bilderbuchputsch gegen die Revolution

Am 3. Mai 1937 gegen 14 Uhr stürmen 200 Polizisten unter Führung des Stalinisten Rodriguez Sala (PSUC) - Komissar für öffentliche Ordnung in Katalonien - die Telefonzentrale (Telefonica) von Barcelona. Die Polizeitruppe stößt auf massiven bewaffneten Widerstand der ArbeiterInnen,  die sich in den oberen Stockwerken verschanzen. Zwei Tage lang können diese die Stellung halten. Die Telefonzentrale, über die sowohl alle Gespräche der republikanischen Regierung aus Valencia als auch die Gespräche ins Ausland vermittelt werden, ist seit Beginn des Spanischen Buergerkrieges in Händen der anarcho- syndikalistischen Gewerkschaft CNT und der sozialistischen UGT. Der Betrieb ist ein Musterbeispiel für Kollektivierungen wie sie im katalanischen Kollektivierungsdekret vom 24. Oktober 1936 vorgesehen sind. Er wird von einem Betriebskomitee geleitet, in dem neben Vertretern der beiden Gewerkschaften auch ein Vertreter der katalanischen Regierung sitzt. Zwei Tage später werden auch in zwei anderen Städten die jeweiligen Telefonzentralen gestürmt.

Die Stürmung dieses Betriebes auf Befehl des - der Spanischen Kommunistischen Partei (PCE) streng ergebenen - regionalistischen Innenministers Artemio Ayugade führt zum offenen Ausbruch des "Bürgerkrieg im Bürgerkrieg" (Orwell). Die Stürmung ist jedoch nur ein Ereignis in einer Reihe von Provokationen. Es ist ein Wunder, dass die Spannungen sich nicht nicht schon am 1. Mai gewaltsam entluden. In Katalonien fielen diesen 1. Mai - aus Angst vor Auseinandersetzungen - bereits alle Maifestlichkeiten aus und Versammlungen wurden verboten.

Die offizielle Begründung für die geplante Übernahme der Telefonzentrale durch die regierungstreue Polizei lautete, dass die Geschäftsführung der Telefonzentrale schlecht sei. Angeblich wurden offizielle Gespräche nicht weitergeleitet, abgehört oder mitten im Gespräch unterbrochen. Inwieweit die Übernahme der Telefonzentrale durch die Polizeieinheiten mit der Regierung abgesprochen waren, ist nicht eindeutig geklärt. Von der Führungsriege der CNT, die sich im Rahmen der Regierungsbeteiligung immer stärker von der Basis entfernt hatte, wird der Angriff auf die Telefonzentrale als ein Akt von Provokateuren erklärt. Sie fordern nach Bekanntwerden der Ereignisse erfolglos von der Zentralregierung eine Verurteilung der Ereignisse und eine Bestrafung der verantwortlichen Akteure. Von der Basis hingegen wird die Stürmung als ein Angriff auf die soziale Revolution erkannt. Schon seit längerer Zeit werden von Seiten der kommunistischen und republikanischen Kräfte in der Volksfrontregierung Schritte gegen die soziale Revolution eingeleitet - z.B. wurden die ArbeiterInnenmilizen, die sich spontan zur Verteidigung gegen den faschistischen Putsch gebildet hatten und die auf alle militärischen Autoritätsstrukturen wie z.B. Grußpflicht, Vorgesetzte und Privilegien verzichteten, in die neugebildete von den kommunistischen Kräften befehligte konventionelle Volksarmee eingegliedert. Die Meldung über den Angriff auf die Telefonica verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Überall werden Barrikaden errichtet und die ArbeiterInnen treten in einen Generalstreik, von dem nur die kriegsnotwendige Industrie verschont bleibt. Die russische Zeitung Prawda verkündete bereits am 17. Dezember 1936: "Was Katalonien betrifft, so hat der Reinigungsprozess gegen Trotzkisten und Anarchosyndikalisten bereits begonnen; er wird mit der selben Energie durchgeführt werden wie in der Sowjetunion." Diesen Worten ließen die stalinistischen Vasallen und Geheimdienstagenten in Spanien Taten folgen - mit Folter und Ermordung wird gegen AnarchistInnen und linksoppositionelle KommunistInnen vorgegangenen. Auf der einen Seite der Barrikade stehen die AnarchistInnen von der anarcho- syndikalistischen CNT, der anarchistischen FAI und der ihnen nahestehenden Jugendbewegung (Juventudes Libertarias) mit den KämpferInnen der linkskommunistischen  und häufig als trotzkistisch diffamierten POUM, auf der anderen die stalinistischen KommunistInnen - die PCE und ihr katalanischer Ableger - die PSUC, die regionalistische Partei "Etat Katalonia" und republikanische Kräfte. Die Stadt, eine Hochburg der CNT, ist am 4. Mai in den Händen der anarchistischen Bewegung. Zu Beginn des Bürgerkrieges waren Schätzungen zufolge 90% der Arbeitenden in Barcelona in der CNT organisiert. Dennoch nimmt die CNT-Führung eine Schwächung ihrer eigenen Position in Kauf, um den Erhalt der Volksfront zu sichern. Diese Politik führt zu einem herben Verlust an Einfluss auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.

Es ist eine Situation entstanden auf die die CNT nicht vorbereitet ist. Zum ersten und einzigem Mal in der Geschichte des Spanischen Bürgerkrieges kommt es zu einem Gespräch zwischen CNT / FAI und POUM über gemeinsames Vorgehen. Zwischen den Jugendbewegungen von CNT/FAI und POUM war es bereits im Februar zu einer Verschwisterung gekommen. Die Basis der CNT handelt während der Maitage spontan, ohne auf Anregungen oder Verhandlungen ihrer sich im Laufe des Bürgerkrieges manifestierenden Führungsriege zu warten. Diese u.a. vertreten durch die Gesundheitsministerin Frederica Montseny (FAI), Justizminister Garcia Oliver (FAI) und dem CNT- Generalsekretär Mariano Vázquez kommen am 4. Mai nach Barcelona um in Absprache mit der Zentralregierung wieder Ordnung in Barcelona herzustellen. Die Beendigung der Kämpfe soll nach offiziellem Wunsch der Regierung "ohne Sieger und Besiegte" erfolgen. Über Radio ruft die katalanische Regionalregierung zur Besonnenheit und zur Beendigung der Kämpfe auf. Auch die beiden anarchistischen Minister und der CNT- Generalsekretär rufen die Mitglieder der anarchistischen Gruppen auf, nur noch zur Verteidigung zu schießen und die Kämpfe zu beenden. Ihre Politik ist von der Angst des Zerbrechens der Volksfront geprägt. Gegen die Übernahme der Macht, einer "anarchistischen Diktatur", durch die anarchistische Bewegung hatten sie sich bereits bei Beginn des Bürgerkrieges entschieden - zu Gunsten eines breiten antifaschistischen Bündnisses. Sie sind nicht bereit die antifaschistische Einheit aufs Spiel zu setzen und sind sich andererseits der Gefahr bewusst, dass die britischen und französischen Kriegsschiffe vor der Küste im Falle eines Sieges des libertären Kommunismus sofort militärisch intervenieren würden. Der ehemalige katalanische Wirtschaftsminister Diego Abad de Santillan (CNT), der wegen seiner Aktivitüten beim Aufbau der ArbeiterInnenmilizen großes Ansehen in der anarchistischen Bewegung besitzt, geht in seinen Bemühungen soweit, dass er verbal "alle Opfer küsst". (Später distanziert er sich von dieser Politik und wird als Linksabweichler wegen seiner Kritik an der Politik, die er damals selber vertrat, von allen verantwortlichen Funktionen in der CNT freigestellt.)

Viele AnarchistInnen sind empört über die Gleichsetzung von KonterrevolutionärInnen und ihren GenossInnen. Sie zerreißen ihre Mitgliedsausweise. Die Aufrufe der "Amigos de Durruti", einer oppositionellen Gruppe innerhalb der CNT und der FAI, treffen eher ihre Empfindungen. Die "Amigos de Durruti" fordern am 5. Mai in Flugblättern die Fortführung der Kämpfe und die Verteidigung der Errungenschaften der sozialen Revolution in Spanien, sowie die Bildung einer revolutionären Junta bestehend aus CNT, FAI und POUM. Die Mitgliederzahl der Amigos wird zu Beginn der Ereignisse auf 4. bis 5.000 Menschen geschätzt. Sie übten allerdings einen großen Einfluss auf die anarchistische Jugendbewegung Juventudes Libertarias aus. Ihr Vorschlag zur Bildung einer Junta wird von Seiten der CNT-Führung als "unvereinbar mit libertärer Politik" zurückgewiesen. Die Amigos selber werden als "Agentes Provocateurs" bezeichnet und wenig später aus der CNT ausgeschlossen. Sie verkörpern eine Haltung, die innerhalb der CNT und FAI noch zu Beginn des Bürgerkrieges dominierte - die untrennbare Einheit von sozialer Revolution und Buergerkrieg. Den Richtungsstreit innerhalb der CNT gewinnt hingegen die "govermentale" Linie, d.h. jene die eine Trennung von Bürgerkrieg und Revolution in Kauf nehmen. Die autoritätshörigen Mitglieder der anarchistischen Organisationen ziehen letztendlich mit.

Im nachhinein wird die Position von führenden Vertretern dieser Linie selbstkritisch als Fehler eingestanden. Sowohl Montseny als auch Santillan beurteilten später ihre Haltung als großen Fehler. Am 5. Mai kommt es zu einem Waffenstillstand in Barcelona, was die Kommunisten dennoch nicht daran hindert den italienischen Anarchisten Prof. Camillo Berneri, einen sehr einflussreichen Anarchisten und großen Kritiker der Zusammenarbeit zwischen der CNT und der kommunistisch (eigentlich wäre sozialistisch treffender, Anm. Anarchia) dominierten UGT, zusammen mit einigen seiner Genossen zu entführen und zu ermorden. Auch auf das Auto von Frederica Montseny wird ein Anschlag verübt. Wer die  TäterInnen waren, ist nicht geklärt. Auch möglich ist es, dass die  TäterInnen aus anarchistischen Kreisen stammten, die in Montsenys  versöhnlicher Haltung einen Verrat an der Revolution witterten.

Die Zentralregierung übernimmt schließlich die Verantwortung für die Ordnung in Katalonien. Entgegen Absprachen zwischen den anarchistischen MinisterInnen und der Zentralregierung laufen am 5. Mai republikanische Kriegsschiffe in Barcelona ein. Anarchistische Milizen, die ihren GenossInnen in Barcelona von der Front zu Hilfe eilen wollen, werden hingegen von der CNT-Führung gestoppt. In Katalonien selbst wird eine neue, provisorische Regierung konstituiert. Der PSUC-Vertrauensmann Salas gehört ihr nicht mehr an. Ebenfalls als Folge der Ereignisse tritt Mitte Mai die Zentralregierung in Valencia zurück. Die neukonstituierte Regierung bekämpft noch stärker als ihre Vorgängerregierung die Kollektivierungen. Neuer Ministerpräsident in dieser Regierung ist Largo Cabarello, der auch den Spitznamen "spanischer Lenin" trägt. In der neuen Regierung übernimmt die CNT die Ministerien für Unterricht und Gesundheit, stellt aber nur einen Minister für diese Aufgaben.

Am 7. Mai marschieren schließlich republikanische Milizen in Barcelona ein und beenden mit ihrem Einmarsch endgültig die Auseinandersetzungen. Nach offiziellen Angaben ließen bei den Ereignissen 500 Menschen ihr Leben und 1.500 wurden verletzt. In Folge der Maiereignisse verstärkte die PCE ihren Vernichtungsfeldzug gegen die oppositionelle POUM, die sie zusammen mit unkontrollierbaren Elementen des Anarchismus (Incontrollados) für die Ereignisse offiziell verantwortlich machte. In seinem Bericht über Spanien schreibt der deutsche Anarcho-Syndikalist Augustin Souchy, dass es unmittelbar nach den Maiereignissen keine grundlegenden Veränderungen auf der politischen Ebene gegeben hätte. Auch Helmut Rüdiger ist in seiner, im Juni 1937 verfassten Schrift, "Revolution und Konterrevolution" sehr euphemistisch, was die Bewertung der Maiereignisse betrifft. Für ihn - wie auch für George Orwell - haben die in der CNT organisierten ArbeiterInnen einen Sieg davon getragen. Aus heutiger Sicht ist diese Bewertung nicht haltbar. Die Ereignisse haben ganz klar zu einer Schwächung der anarchistischen Bewegung beigetragen und offen zum Ausdruck gebracht, was stalinistische KommunistInnen unter "Volksfront" verstehen. Sie verwandelten Barcelona mit ihrer Politik in ein "Kronstadt Spaniens" und gewannen und brachen durch Ausnutzung der Schwäche der CNT Führung der sozialen Revolution in Spanien das Rückgrat.

Die Dimension des Geschehenen wird erst richtig deutlich, wenn mensch sich vor Augen führt, dass die moskauhörigen KommunistInnen zu Beginn des Kriegs kaum 10.000 Mitglieder hatten, die CNT jedoch zwei Millionen (am Ende drei Mio.). Durch die angeblich uneigennützigen Waffenlieferungen der SU (ein konstruierter Mythos: die Russen entführten den gesamten spanischen Goldschatz!) gewannen die SU-KommunistInnen massiv Einfluss,  den sie machiavellistisch zur Übernahme der Regierungs- und Staatsgewalt missbrauchten. Der im Mai 1937 in Barcelona abgebrochene Aufstand der Libertären gegen die Usurpation des spanischen Staats- und Militärapparates durch die StalinistInnen fand als Tragödie 1939 zum Ende des Krieges seine Fortsetzung: AnarchistInnen und republiktreue AntistalinistInnen verjagten die SU-Militär- und -GPU-Kamarilla. Aber es war zu spät. Geschichten wie sie beispielsweise vom stalinistischen Generalstäbler Fritz Teppich verbreitet werden, gehören in die Märchenstunde und sind leicht zu widerlegen.

Durch die beschriebenen Ereignisse wurde der revolutionäre Elan der Basis tödlich getroffen. Der Abwehrkampf gegen die Invasion spanischer, deutscher und italienischer Faschisten wandelte sich in einen Zweifrontenkrieg gegen die stalinistische Infiltration und Invasion im Inneren. Ein dreckiger Krieg, der in Geheimgefängnissen, Folter und Erschießungen ohne Öffentlichkeit und Urteil gegen nichtmoskauhörige RepublikanerInnen und ausländische Freiwillige gipfelte, der den kollektiven Widerstandsgeist aushöhlte und paralysierte. Der Kampf an der Front geriet zum Stellungskrieg und zur Materialschlacht, während hinter den Linien die Errungenschaften der ersten Revolutionsmonate zerschlagen wurden. Wofür sollte mensch weiter kämpfen? Nur die Flagge auf der Galeere schien noch getauscht zu werden.

Von den "Demokratien" Europas und Amerikas (außer Mexiko) im Stich gelassen, verblutete die Spanische Republik im Feuer "revolutionärer" neuer Kriegswaffen als Testschlachtfeld für den großen Krieg der kommen sollte. Kaum war Spaniens Volkskrieg liquidiert, reichten sich die vorher angeblichen Todfeinde 1939 die Klauen zum Hitler Stalin Pakt und fielen über Polen her. Der Zweite Weltkrieg begann in Spanien 1936/ 37. Mit dem Verlust der Spanischen Republik wurde der Weltfrieden verloren.

(übernommen von Libertarian Press agency berlin)

Literaturtips:


Anarchistische Literaturtips:


Originaltext: http://www.anarchie.de/main-15939.html