Wir, die AnarchistInnen! (Buchbesprechung)

Dieses Buch beinhaltet einige wesentliche Lehren für AnarchistInnen, die eine weite Verbreitung verdienen. Die Spanische Revolution und die Ereignisse, aus denen sie hervorging sind aus anarchistischer Perspektive die wichtigsten Geschehnisse dieses Jahrhunderts. Diese Ausgabe von Black Flag erscheint zum 60. Jahrestag jener Ereignisse um den 1. Mai in Barcelona, die den Triumph der stalinistischen Reaktion und die Niederlage der Revolution kennzeichneten.

Die Rolle der Militanten der FAI und der CNT (Spaniens anarcho- syndikalistische Gewerkschaft) in der Revolution ist zum Gegenstand zahlloser Spekulationen geworden, insbesondere durch jene, die dem Anarcho- Syndikalismus feindlich gegenüberstehen. Christie's Buch behandelt das meiste, was von bürgerlichen Kommentatoren über Spanien behauptet wurde. Aber der wahre Wert dieser Arbeit besteht darin, dass sie den Verrat anarchistischer Prinzipien durch FAI und CNT in den Kontext der Evolution dieser Organisationen einbettet und die Frage nach der Führung und - wichtiger noch - der "AnhängerInnenschaft" stellt.

Christie erläutert zunächst, dass drei Faktoren berücksichtigt werden müssen, will man die jüngere spanische Geschichte verstehen. Zunächst, dass der Anarchismus tief in der ArbeiterInnenklasse verwurzelt war, zumindest teilweise weil sich in ihm ihre Beziehungen und Werte spiegelten. Zweitens, dass vom Anarchismus der hauptsächliche ideologische Einfluss innerhalb der ArbeiterInnenbewegung ausging. Und drittens, dass die anarchistischen Militanten, die ihre Organisationen über Jahrzehnte der Repression hinweg verteidigten und aufbauten, von dem Wunsch angetrieben wurden, eine libertär-kommunistische Gesellschaft herbeizuführen. Ziele, die sie sowohl in Widerspruch zu Staat und Chefs, als auch zu den FührerInnen ihrer eigenen Gewerkschaftskonföderation geraten ließen.

Das Buch skizziert die historische Entwicklung des Anarchismus in Spanien, und wie er die ArbeiterInnenbewegung - vor allem die Kataloniens, dem Zentrum der Industrie - vorantrieb und beeinflusste. Es bemüht sich auch um eine analytische Antwort auf eine Frage, die der Autor mit eigenen Worten wie folgt beschreibt: "Wie können Ideale den Prozess der Institutionalisierung überleben? Wenn dies nicht möglich ist, sollte es zumindest möglich sein, die Wendepunkte zu identifizieren, um dem Prozess Widerstand entgegenzusetzen".

Seit 1927 brach innerhalb der CNT zwischen der Gewerkschaftsführung und den bewussten anarchistischen Militanten der Basis ein Kampf um Herz und Seele der Gewerkschaft aus. Dieser Konflikt fand 1931 seinen Höhepunkt, als die „treintistas“, Führungsfiguren, die das "Manifest der Dreißig" unterzeichnet hatten, die Konföderation verließen und eine kleine Zahl von Gewerkschaften ihnen folgte. Kommentatoren von außen behaupteten, dass die ReformistInnen durch eine parteiartige Organisation mit rigider Disziplin herausgedrängt worden seien - der FAI. Aber die Wahrheit lautet etwas anders.

Christie erklärt uns wie die ReformistInnen - von denen viele nationale oder regionale SekretärInnen waren - glaubten, dass sie sich auf gewerkschaftsbezogene Themen konzentrieren und mit der sozialistischen UGT um Mitglieder konkurrieren sollten. Doch die UGT hatte durch ihre Kooperation mit Primo de Riveras Diktatur, der Gesetze erließ, die sie bevorzugten und die CNT benachteiligten, an Glaubwürdigkeit verloren, während die CNT mit ihrer Botschaft des offenen Klassenkampfes und der direkten Aktion beständig anwuchs. Die CNT-Führung, obgleich als einzelne Personen beliebt, hatte den Kontakt zur Basis verloren. Ein Grund, weshalb Personen wie Angel Pestaña in diese Positionen gelangen konnten, war, dass anarchistische Militante sich wegen der korrumpierenden Eigenschaften solcher Positionen sich weigerten, sie einzunehmen.

Die ReformistInnen versuchten, die Verfassung der CNT zu verändern und sie von ihrer föderalistischen und antikapitalistischen Grundlage fortzubewegen zu einer bloßen Vermittlungsorganisation zwischen ArbeiterInnen und dem Kapital. Zur selben Zeit arbeitete die UGT innerhalb der Strukturen der Diktatur Primo de Riveras und nutzte dort ihre Position aus, um die CNT anzugreifen. Die ReformistInnen wollten die CNT sozusagen "aus der Kälte holen" damit sie von den Angriffen der Sozialisten geschützt operieren könne. Vor diesem Hintergrund traf sich eine kleine Zahl von Militanten 1927 in Valencia, wo sie die Anarchistische Föderation Iberiens - die FAI - gründeten, der sich auch portugiesische Militante anschlossen. Die FAI beschrieb ihre Beziehungen zur CNT als “trabazon“ - eine organische Übereinkunft auf lokaler Ebene zwischen CNT und FAI durch Verteidigungs- und Gefangenenhilfskomitees.

Zu diesem Zeitpunkt war die FAI eine ad hoc Organisation von Bezugsgruppen. Nie schloss sich die Mehrheit der in der CNT organisierten AnarchistInnen in ihr zusammen, trotz anderslautender Behauptungen bürgerlicher und marxistischer Historiker wie Woodcock, Carr und Morrow, die sie als zentralisierten parteiartigen Apparat beschreiben. Sie bestand aus AnarchistInnen, die sich weigerten, ihrer Gewerkschaftsführung zu folgen und die den libertären Geist der CNT gemäss der historischen Rolle der AnarchistInnen verteidigten. Tatsächlich waren viele der berühmtesten Namen, die mit der FAI in Verbindung gebracht werden, nicht einmal Mitglieder und es bestehen sogar Zweifel, ob Durruti je ein reguläres Mitglied war.

Die Wurzeln der Kollaboration, die die ReformistInnen vorschlugen, lagen in der taktischen Kooperation, die sie mit militärischen und politischen Oppositionellen jeglicher Couleur während der Diktatur unterhielten. Obwohl die AnarchistInnen eine Minderheit darstellten, hielten sie doch eine machtvolle moralische Autorität unter den Gewerkschaftsmitgliedern der CNT inne. Viele FAIistas kamen aus dem offenen Klassenkampf des „pistolerismo“, in dem die Unternehmer bewaffnete Söldner anwarben, um CNT Mitglieder zu ermorden. Als die Diktatur zusammenbrach, kam es zu einer Woge von Streiks, für die die FAI verantwortlich gemacht wurde, obwohl ihre Existenz zu dieser Zeit nominell war.

Bislang hatten Pestaña und seine Verbündeten die Oberhand behalten. Sie gaben die Zeitung Accion heraus und kontrollierten das Nationalkomitee. Sie drängten auf engere Kontakte zu den Republikanern als strategische, nicht als taktische Maßnahme. Einer von ihnen, Juan Peiró, musste zurücktreten, nachdem er ein besonders dubioses Manifest unterzeichnet hatte – „Inteligencia Republicana“. Im April erlangte die sozialistisch- republikanische Koalition einen überwältigenden Wahlsieg, nachdem sich das Nationale Plenum der CNT für eine taktische Wahlbeteiligung zugunsten der Linken aussprach.

Die zweite Republik erließ eine Reihe von Maßnahmen gegen die CNT, einige absichtlich um die UGT zu bevorzugen, andere - wie die gemischten Geschworenengerichte - als Nebenprodukt. Am 1. Mai eröffnete die „guardia civil“ (= eine noch heute bestehende kasernierte Polizeieinheit in Spanien, Anm.) das Feuer auf die CNT Demonstration, wobei eine Person getötet und 15 verwundet wurden. Nun begann die FAI als Pol des Widerspruchs gegen die ReformistInnen innerhalb der CNT in Erscheinung zu treten. Die Auseinandersetzung brach auf dem III. Kongress im Juni auf, wurde dort aber nicht gelöst.

Während des Sommers polarisierte der gesteigerte soziale Konflikt mit der Regierung diese Differenzen. Die ReformistInnen spekulierten mit dem "Manifest der 30" darauf, die Revolutionäre zu isolieren. Aber sie versagten. Die Basis, die den offenen Klassenkampf des Staates und der Chefs täglich erlebte, schloss sich der Seite der FAI an. Die Treintistas verließen die CNT und Pestaña gründete später die Syndikalistische Partei.

Christie vertritt nun den Standpunkt, dass die FAI ihre Schuldigkeit getan habe, aber von "entwurzelten Intellektuellen" wie Diego Abad de Santillan übernommen worden sei. Es steht fest, dass die meisten ihrer Militanten zu ihrer alltäglichen Arbeit als Mitglieder der CNT zurückkehrten. Viele andere wurden nach dem gescheiterten Aufstand, der zum Massaker bei Casas Viejas und zu einer Welle von Repressionen und Verhaftungen führte, aus ihrer Aktivität gerissen. De Santillan hatte sich der FAI 1933 angeschlossen. Er war von ökonomischer Planung besessen und ging davon aus, dass die FAI dem Anarchismus das nötige Maß an Disziplin und Organisation liefere, mit der er seine historische Mission erfüllen könne. Die Gruppen um De Santillan traten für "mehr Demokratie" ein und es wurden Versuche unternommen, die Nosotros Gruppe (die aus Durruti, Ascaso etc. bestand) auszuschließen, obgleich diese Bemühungen keine Erfolge zeitigten. Mit Sicherheit hatte sich die Kultur gewandelt und viele der Militanten aus der ArbeiterInnenklasse fühlten sich innerhalb der FAI nicht länger wohl. Um es mit Progreso Fernández zu sagen: "Viele Leute sprangen damals ab, aber wir blieben AnarchistInnen, weil Anarchismus eine Lebenseinstellung ist".

Chrisities Analyse weist auf die Schwäche jener am meisten verbreiteten Kritik hin, die von englischsprachigen AnarchistInnen gegen spanische AnarchistInnen vorgebracht wird: dass sie die Wichtigkeit der Organisation nicht hinreichend ernst genommen hätten. Hätten sie doch nur, so klagt die plattformistische (später leninistische) Anarchist Workers Group, hätten sie doch nur die spanische Übersetzung der "Plattform" erhalten, so wären sie vielleicht mit besseren Ideen ausgestattet gewesen, um zu siegen. Der Trugschluss dieser Argumentation ist offensichtlich - es war nicht die korrekte politische Linie, welche den Sieg der Revolution hätte herbeiführen können, sondern die Taten und Handlungen der beteiligten Militanten. Jene, die innerhalb der FAI ein höheres Maß an Organisation forderten waren nicht diejenigen, die sich als erste erhoben, um die Faschisten in Barcelona und anderswo zu schlagen.

Der Erfolg der Revolution am 19. Juli 1936 ist gut dokumentiert. Es besteht kein Grund, dies hier nochmals zu wiederholen. Es ist allerdings interessant, wie die FAI und die CNT dazu kamen, schließlich mit dem Staat zu kollaborieren und sich sogar an der Regierung zu beteiligen. Christie nimmt an, dass dies geschah, weil diese Organisationen sich als Vertreter der Organe der Revolution betrachteten - der Fabrik- und Nachbarschaftskomitees. Auf diese Weise wurde Federica Montseny in die Regierung kooptiert. Ihr Nachbarschaftskomitee schickte sie zum Hauptquartier der CNT-FAI um in Erfahrung zu bringen, was geschah. Statt dessen wurde sie in das Komitee kooptiert. Christies Bericht von der Niederlage der Revolution ist keine leichte Lektüre. Seine Schlussfolgerung lautet, dass wir unsere Ziele und unsere Mittel nicht trennen dürfen und können. Durch die Anpassung an die Umstände fand sich die FAI auf der falschen Seite des Kampfes für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit wieder. Es wäre reine Spekulation, andere Wege vorzuschlagen, die damals hätten eingeschlagen werden können. Die spanischen AnarchistInnen standen vor einem schwierigen Dilemma und wir sollten ihre Irrtümer nicht zu streng beurteilen. Statt dessen sollten wir von ihnen lernen und versuchen, selber nicht die gleichen Fehler zu machen. Und er stellt die Frage, weshalb die anarchistische Basis damals viele Handlungen der CNT-FAI unterstützte, die anarchistischen Prinzipien verrieten, indem sie die Beziehung zwischen den Zielen und den Mitteln ignorierten.

Erschienen in Black Flag Nr. 211

Kurze Vorbemerkung: Es folgt die deutsche Übersetzung eines Artikels der ursprünglich in der 211. Ausgabe der englischen anarchistischen Zeitschrift Black Flag unter dem Titel "We, The Anarchists!" veröffentlicht wurde, die über BM Hurricane, London Wc1N 3XX, England bezogen werden kann. Eine Studie über die Anarchistische Föderation Iberiens (FAI) 1927-1937, von Stuart Christie. Herausgegeben von Meltzer Press: £ 12.50, Spiralbindung

Originaltext:
http://www.free.de/schwarze-katze/texte/fai01.html (überarbeitet)