Einmaleins der Gefangenenbefreiung

Aller Anfang ist schwer. Wie wird Soli-Arbeit organisiert?

Ein schlechter Start, ist zwar besser als nichts zu tun, aber müssen viele Erfahrungen der Linken immer neu gesammelt werden?

Die Ausgangslage war typisch: Die Gefangenen in Göteborg kamen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und nach den Ereignissen fanden sich verschiedene Menschen aus dem politischen/sozialen Umfeld der Inhaftierten zusammen, um zu überlegen, wie Soli-Arbeit geleistet werden kann. Später kristallisierte sich ein fester Kern von FreundInnen und GenossInnen heraus, welcher die Kontinuität der Soli-Arbeit gewährleistete. Nach aussen traten wir als das Berliner Solidaritätskomitee für die Gefangenen in Göteborg auf. Ihm stellte sich die Frage ob inhaltlich/theoretisch zu Globalisierung gearbeitet werden sollte oder “nur” reine Soli-Arbeit geleistet werden?

Nach einigen Diskussionen wurde sich auf reine Soli-Arbeit geeinigt, da alle noch in anderen Gruppen organisiert waren und es allen wichtiger war die Gefangenen praktisch zu unterstützen und nicht ein bloßer Theoriezirkel zu werden. Zugegeben, ein inhaltlicher Ansatz der sich politisch grundsätzlicher mit Antirepressionsarbeit beschäftigt kam recht kurz. Und ein solcher findet sich auch wenig in der Broschüre, wir verweisen hier der Einfachheit halber auf die einschlägigen Anti-Represssionsgruppen, EAs und die Rote Hilfe.

Hier unsere Erfahrungen.

Was tun wenn’s brennt? Checkliste:

1. Vorsorge

Schon vor der Abfahrt sollte mensch sich über die rechtliche Situation, linke Strukturen etc. informieren. Daheim gut erreichbar eine Prozessvollmacht hinterlegen. Weiss ich im Zweifelsfall Vor- und Zunamen, Geburtsjahr und Meldeadresse meiner Freunde?

2. Kontakt

Am besten gleich vor Ort einen EA aufsuchen, Kontakte knüpfen und wichtige Infos, Anwälte Telefon Nummern einsammeln. Feststellen wer die Landessprache am besten beherrscht.
Dies ging relativ schnell und unproblematisch: Leute die in Göteborg waren hatten die Infotelefonummer besorgt und so konnten Leute aus der Soli-Gruppe dort anrufen.

3. Familie

Im Sorgenfall – möglichst vor der Polizei mit den Familien sprechen. Diese hat in der Regel am wenigsten Ahnung von politischen Aktionen, Soli-Arbeit etc. aber am meisten Sorge und Handlungsdrang. Am besten mal ein Treffen mit den Eltern der Betroffenen zu organisieren. Wichtig – Fingerspitzengefühl: Auch Eltern sind nur Menschen und schnell liegen da die Nerven blank und mit besten Absichten wird vielleicht entgegen der Soli-Arbeit und der Überzeugung der eigenen Söhne und Töchter gehandelt. Unterstützt wurde die Soli-Gruppe dabei vom Berliner EA, der nochmal Rechtshilfetips geben konnte. Die Eltern waren natürlich sehr aufgewühlt, hatten wenig politische Erfahrungen und viele Fragen. Wichtig war für die Soli-Gruppe den Eltern ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu vermitteln. Also zu zeigen, dass sie nicht die Einzigsten sind, deren Kinder Repression ausgesetzt sind und das es Menschen gibt, die sich kümmern. Gesprochen wurde darüber was bisher getan wurde und was die Soli-Gruppe vorhat. Themen waren: Umgang mit der Presse, Austausch von konkreten Neuigkeiten, Kontakt mit der Botschaft, Besuchserlaubnisse, Fahrterminen Telefonnummerntausch. Im Laufe der Zeit hat sich mit der einigen Eltern eine gute Zusammenarbeit ergeben und es gab Besuche in Schweden. Mitunter gab es Probleme, weil sie dachten, wir würden es “ihren Kindern” nur unnötig schwer machen.

4. Öffentlichkeit

Dazu gehört z.B. Pressearbeit, also Interviews, Pressekonferenzen, offene Erklärungen/Briefe/Artikel, vielleicht eine Pressemappe oder Anzeigen schalten. Klassisch natürlich Demonstrationen/ Kundgebungen, Flugblätter, Plakate, Veranstaltungen organisieren. Besser vorher über eine gemeinsame “Linie” klar werden und für Interessierte namentlich erreichbar sein. z.B. mittels Post, Telefon, Internet bzw. über einen e-mail Verteiler. Dabei irgendwie den Überblick bewahren.

Wichtig: Auch mal über die Szene hinaus arbeiten, um dort Solidarität erreichen und im besten Fall mit anderen Personen und Gruppen noch mehr Öffentlichkeit erreichen. Auch wir haben zunächst Presseerklärungen verschickt, ein Pressehandy eingerichtet, um Anfragen zu beantworten oder Interviews zu geben. Vor allem in den ersten Tagen nach dem Gipfeltreffen wurde in der hiesigen Presselandschaft der politische Gehalt der Proteste völlig aussen vor gelassen. Da musste gegengesteuert werden, um auch Informationen über die menschenunwürdigen Haftbedingungen, die angedrohten hohen Haftstrafen und das Verhalten der Polizei zu informieren.

5. Wer kann helfen?

Welche politischen Gruppen in der Stadt oder auch bundesweit kann man einbeziehen? Vielleicht gibt es auch “Promis”, andere Organisationen die man zur Unterstützung bewegen kann? Als Soli-Gruppe haben wir versucht Kontakt zu Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften und Personen aus dem bürgerlichen, liberalen Spektrum herzustellen. Diesen wurde ein offener Brief vorgestellt, den sie in vielen Fällen unterstützten. Dieser ging dann z.B. an die schwedische Botschaft, die schwedischen Justizbehörden, das auswärtige Amt u.s.w. Da ein Gefangener Gewerkschaftsmitglied war, engagierte sich z.B. ein Teil der ver.di für ihn (auch wenn es schwierig war zu verdeutlichen, das es nicht nur um ihren Kollegen sondern um alle Gefangenen geht). Einige der Angesprochenen Menschen und Institutionen konnten dazu gewonnen werden an einer Prozess-Beobachterdelegation teilzunehmen.

6. Anwälte

Am Besten schnell um nahestehende/politische Anwälte kümmern, auch wenn nach solchen Großereignissen absoluter Mangel herrscht. Anwälte sind zwar unentbehrlich, trotzdem und deswegen bei Zweifeln klare Spielregeln und Abmachungen treffen und Vertrauen schaffen. Bei unbekannten Anwälten oder Pflichtverteitigern sollte man schnellstmöglich feststellen, ob man als legitimer Stellvertreter der Gefangen wahrgenommen wird oder nur als die Gruppe, die später die Rechnung kriegt?

So wurden wie gebeten, die schwedischen Anwälte bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Zuerst erhielten die Gefangenen Strafverteidiger von den Gerichten, einige wechselten aber ihre anwaltliche Vertretung und nahmen “linke” Anwälte. Die Zusammenarbeit mit den Anwälten in Schweden war nicht immer unproblematisch. Häufig stellt sich die Frage wieviel kostet wieviel Engagement? Schwer erreichbare, am Telefon meistens unfreundliche Anwälte, denen nur schwer Infos zu entlocken waren ein echtes Hindernis. Bisweilen hatten sie ein anderes Rechtsverständnis als wir. Sie drängten Mandanten zu Aussagen, wollten Namen von Zeugen wissen, und hatten einen besseren Draht zu Polizei und Staatsanwaltschaft als ihren Mandanten lieb war. Manche besuchten ihre Mandanten selten und wussten weniger als die schwedischen oder deutschen Soli-Gruppen. Nach den Verhandlungen waren die Fälle für sie erledigt und nur auf Drängen waren sie bereit in Berufung zu gehen. Björns Anwalt wußte z.B. nicht, dass er verlegt worden war und hielt es nicht für nötig ihn dort zu besuchen.

7. Finanzen

Das heisst, versuchen schnellstmöglichst viel Geld zusammenzubekommen. Dazu beispielsweise ein Soli-Konto bei der Roten Hilfe besorgen und bekannt machen, nach kompetenten Unterstützern suchen und Anträge über Anträge verfassen. Stellt Spendenbüchsen in eure Kneipen und veranstaltet SoliPartys, Konzerte, Tombolas … seid kreativ und transparent, dass die Menschen merken das was mit den Geld für die Gefangenen passiert. Unser Geld haben wir vor allem gebraucht um die Anwälte zu bezahlen, um Sachen zu den Gefangenen zu schicken, um Besuche zu ermöglichen, um der Beobachtergruppe Fahrt und Unterkunft zu bezahlen, um den Inhaftierten Geld in den Knast zu geben für Lebensmittel und Telefonate. Dazu kommen Druckkosten, Lauti für Demos, deutsche Zeitungs Abos nach Schweden usw. Für all das hatten wir auf unseren Veröffentlichungen eine spezielle Kontonummer abgedruckt, weiteres kam durch Soli-Partys, die Rote Hilfe (vielen Dank), privat angefragte Einzelpersonen, Arbeitseinsätze.

8. Da sein

Wie sehen die Bedürfnisse der Gefangenen aus? Wer regelt die Wohnung, entschuldigt die Betroffenen auf der Arbeit, in der Schule? Bezahlt werden muss weiterhin das nötigste wie Wasser, Miete und Studiengebühren. Im schlimmsten Fall Nachmieter besorgen, Gas, Strom und Handy abbestellen und auf Arbeit abmelden. Wichtig: Kontakt halten und organisieren: Päckche packen, Briefe schreiben, besuchen – so viel Kommunikation wie möglich. Viele im Solikomitee mitarbeitenden Personen sind nach Göteborg gefahren um Björn und Hannes zu besuchen. Es fuhren immer GenossInnen zu den Prozessen und als die ersten aus der Haft entlassen wurden sie hier am Bahnhof empfangen. Die “alltägliche” Arbeit bestand neben der Öffentlichkeitsarbeit vor allem darin, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Klamotten usw. hochzuschicken bzw. es zu koordinieren, das Leute die gerade hochfahren solche Sachen mitnahmen.

9. Dabeibleiben

Auch wenn das Event Monate herliegt: Unverzichtbar ist Zuverlässigkeit und Kontinuität. Solidarität ist ein grundlegendes politisches und menschliches Versprechen auf das wir in unseren Kämpfen bauen und kein hippes Betätigungsfeld. Daran hat sich eine Bewegung zu messen!

Originaltext: http://www.gipfelsoli.org/Antirepression/4960.html