Carl Einstein - Die Front von Aragon

Der Krieg, der an der Aragon-Front geführt wird, ist eigener Art

Jede Revolution wird heute notwendig in einen Krieg übergehen. Die Gegner des Proletariats verfügen über Generäle und Kommandostäbe. Sind die einheimischen Chefs verbraucht oder besiegt, so spielen die Kapitalisten die internationalen Möglichkeiten aus. Man inszeniert nun mit Hilfe der internationalen Finanziers eine mehr oder weniger verschleierte Intervention. Zu Beginn entsendet man ausländische Techniker, welche die Truppen der Kapitalisten wieder auf die Beine stellen sollen.

Missglückt dieser Versuch, so schickt man eben ganze Heere, um die Interessen der imperialistischen Staaten und Spekulanten zu verteidigen. Damit wird der Bürgerkrieg in einen kolonialen oder internationalen verwandelt. Der spanische Krieg beweist unsere These. Er hat seine Fassade und seine politische Bedeutung gewechselt: er wurde verstärkt; die militärische Aufgabe wuchs ungemein.

Der neunzehnte Juli schenkte den proletarischen Massen endlich — so wollen wir noch hoffen — die endgültige Befreiung. Die CNT-FAI hatte in Katalonien und Levante ihre aktionsgewohnten Anhänger in den Kampf gegen die aufrührerischen Generäle geworfen; damit hatte sie in diesen Provinzen den Sieg der Arbeiterklasse entschieden.

Die Kolonnen der CNT-FAI verbesserten rasch die Städte, um in Provinz und Dorf den Faschismus niederzukämpfen. Als erste zog die Kolonne Durruti aus. Sie rückte mit unwiderstehlicher Kraft vor und besetzte Stellungen bis ungefähr 20 Kilometer vor Zaragoza. Allerdings der Krieg der konfederalen Kolonnen bedeutete anderes als die stupide zerstörerische Kriegsführung der üblichen Militärs. Lage und Gliederung der spanischen Front ist nicht allein durch geografische oder strategische Faktoren bestimmt; diese Front scheidet zwei entgegensetzte Anschauungen von Gesellschaft und Geschichte, dem Wirklichen, und dessen Umbildung.

Der spanische Krieg hat sich logisch erweitert. Die Arbeiter hatten in den Strassen gesiegt; dann führten sie in den Provinzen Guerillakrieg, im flachen Land wie in den Bergen. Allerdings war dieser Krieg des Proletariats gegen die Generäle von Beginn an ein kolonialer, oder — mehr oder weniger offen — ein internationaler Krieg. Spanien hatte bis zum 19. Juli als kolonisiertes Land gelebt. Ein bodenständiger Finanzkapitalismus bestand kaum. Vielmehr gab es Spanier denen die fremden Finanziers gestatteten, sich an der Ausbeutung der spanischen Massen zu beteiligen, damit die brutale Kolonisierung, die man in einem europäischen Kulturland zu betreiben wagte, einigermassen verschleiert wurde. Der eigentliche spanische Kapitalismus war der Agrarkapitalismus der Kaziken, der die Merkmale des Feudalismus aufwies.

Die Kolonnen der CNT-FAI durchzogen die fruchtbaren Felder Kataloniens und standen bald im wasserarmen, steinigen Bergland Aragoniens, worin der Wind jähe Schluchten gewetzt hat. Die Bauern begrüssten die Milizianos als ihre Befreier. Diese, zusammen mit den Bauern bildeten die Dörfer zu syndikalistischen Dorfgemeinschaften um. Dies war notwendig, zumal die Grossgrundbesitzer Haus und Hof im Stich gelassen hatten. Der Vormarsch der schwarzroten Truppen bewirkte eine soziale Umbildung, ein Beweis, dass dieser Krieg anderes, als nur eine militärische Aktion ist, dass er mit der Revolution identisch ist und identisch bleiben muss.

Die Kolonnen trafen in Aragon verhungerte Bauern, die kaum ein Stück Land ihr eigen hiessen. Sie bezahlten an die Herren Abgaben für die Wegerechte, das Wasser usw. Die Kolonnen fanden in Aragon eine revolutionäre Situation höchsten Grades vor. Der Landbesitz war in ganz wenige Hände konzentriert. So gehörte zum Beispiel alle Erde des Dorfes Montegrillo zwei Personen, für die das ganze Dorf arbeitete. Häufig trat die Kirche als der grosse Ausbeuter auf. Die Kirche besass starke Aktienpakete in den spanischen Unternehmungen; sicher war sie einer der grössten Grundbesitzer. Der Gegensatz zwischen Kirche, Proletariat und Bauern war vor allem in ökonomischen Tatsa chen begründet. Es war die Feindschaft zwischen dem hemmungslosen Ausbeuter und dem Ausgebeuteten, der vor Hunger stirbt. Klar, dass die Kirche ihre so irdischen Interessen mit metaphysischem Schwindel vernebelt.

In Aragonien herrschte ein Agrarkapitalismus. Die ökonomische Struktur dieser Provinz konnte die ausländischen Finanziers kaum interessieren. Diese Tatsache erklärt die schwächere ausländische Intervention auf dieser Front; das finanzielle Motiv der fremden Einmischung ist somit erwiesen.

Doch allmählich erlebten die aragonesischen Kolonnen die Verwandlung  des spanischen Krieges. Noch führte man Guerillakrieg. Das Terrain schien zunächst keine bedeutenden militärischen Möglichkeiten zu bieten. Die Berge bilden engdurchschluchtete steinerne Zeltstädte; Wasser fehlt gänzlich. Die Grossgrundbesitzer hatten die Bewässerung des Landes verhindert, welche dank den Wassermassen des Ebro leicht zu verwirklichen ist.

Die Kolonnen hatten die Bergketten den Faschisten gegenüber besetzt. Unten in den Dörfern begann man die Kollektivwirtschaft aufzubauen. Man schuf Strassen, schachtete Kanäle aus, gründete Schulen, Krankenhäuser und organisierte die gesamte Versorgung der Dörfer. Der militärische Erfolg wirkte sich unmittelbar sozial aus. Diese häufig verkannten Anarchisten erwiesen sich als kluge Konstrukteure.

Allmählich wurde die fremde Intervention auch in Aragon sichtbarer. Deutsche und italienische Flugzeuge bedrohen und töten dort Frauen, Kinder und Männer. Die blitzweissen Aluminiumbomben der Rheinstahlgesellschaft erschlagen Bauern, Hirten und friedliche Tiere. Man hört die klobigen Stiefel der Deutschen ranmarschieren. Trotz dem blieb diese Front fast bewegungslos erstarrt; gelähmte Stille umlagert die Stellungen. Einmal allerdings griffen die Deutschen bei Montalban an. Unsere an Zahl unterlegenen Truppen schlugen die Landsknechte glänzend zurück.

Andere Truppenbewegungen, doch nur von lokaler Bedeutung, wurden noch ausgeführt. Doch diese Ereignisse versanken in eine ungewisse verzerrende Dämmerung, verhallten in erklügeltem Schweigen, ohne Antwort, ohne militärische Folgerungen. Die Kameraden, die an der Aragonfront wachen, fordern seit langem Kampf und Vormarsch. Sie wollen um jeden Preis Madrid entlasten. Ihr Ruf verhallte ungehört. Diese Front dämmert hinter einem dichten Schleier, aus trügendem Schweigen und drohender Müdigkeit gewebt. Warum denn will man sich nicht um diese Front kräftig kümmern und mühen?

In diesen Bergen liegen eben die Kolonnen der CNT, Vorkämpfer der Revolution und der Kollektivisierung. Diese Anarchisten verfügen kaum über eine einflussreiche Internationale oder eine wirksame Auslands Propaganda. Man kennt und beurteilt sie nach den Wertungen ihrer Gegner. Man kennt sie aus einer überalterten Vulgärliteratur, die allzu oft den Pistolero beschreibt. Kaum einer draussen hat auf europäische Art den Anarchosyndikalismus dargestellt, der durchaus konstruktiv ist. Wir haben auf die aufbauende Tätigkeit der CNT-Kolonnen hingewiesen. Doch gerade solche Leistung mag einflussreiche Kreise gegen sie stellen. Ganz Spanien ist ja von der Diskussion "Demokratie oder Sozialismus" durchströmt.

Eines ist heute deutlich: Der Faschismus kann in Spanien nicht verwirklicht werden. Hitler und Mussolini verlieren diesen Krieg. Die Mächte, welche Spanien von neuem zu kolonisieren wünschen, haben sich getäuscht.

Allerdings, die "grossen" Demokratien hoffen, dass Spanien wie sie, diese Musterländer, eine gemässigte Demokratie bilde, welche den Wiederaufbau eines geschmeidigeren, kolonisierenden Kapitalismus gestattet. (Während Italiener und Deutsche plump und offen zu räubern versuchen; ihr Imperialismus ist Banditismus der überorganisierten Strolche.) Die Kolonisierung durch diese kultivierten Demokratien der Literaten und Kunstskenner wird sich in humaneren Formen vollziehen; die Spekulation wird durch fortschrittlichere Terminologie verschönt werden.

Eine andere Macht versucht aussenpolitische Gegensätze abzuschwächen, ja glaubt Konflikte vermeiden zu können, wenn die spanische Arbeiterschaft die Revolution demokratisch-volksfrontlich abklingen lässt. In diesem Fall wendet man eine andere Terminologie an, befolgt jedoch die Politik der kapitalistischen Demokratien. Man hofft nicht der spanischen Demokratie ein paar Jahre faulen Friedens kaufen zu können.

Jedoch unser Misstrauen gegen die Demokratie wurde gesteigert, da wir seit Monaten beobachten, dass just die grossen Demokratien mit ihrer Politik der Nonintervention die faschistischen Einbrecher wirkungsvollst unterstützen, den Krieg heillos verlängern und seit acht Monaten gelassen das Völkerrecht verletzen und brechen. Diese Geschehnisse haben uns gelehrt, die Bedeutung einer Demokratie einigermassen richtig einzuschätzen.

Doch in den aragonesischen Bergen kämpfen und leiden die CNT-Kolonnen, die tragischen Divisionen. Diese fordern und erwarten nichts anderes als Kampf. Die CNT-Divisionen haben allenthalben bewiesen, dass sie uninteressiert kämpfen. Sie streiten auf allen Fronten. Nur auf dieser Front, die fast die ihre ist, werden die Milizen durch eine Politik des Misstrauens gelähmt. Solche Taktik kann nur den heldenhaften Kampf Madrids und den Krieg verlängern.

Warum denn dieses Misstrauen? Verteidigen wir nicht alle die gleiche Sache, nämlich die Freiheit des spanischen Volkes? Haben wir nicht immer wieder bewiesen, dass wir die notwendige Ein heit des Proletariats, erste Bedingung unseres Sieges, mit allen Kräften fördern? Die Einheit des Befehls, eine wirkungsvolle Zusammenarbeit aller Fronten setzt völliges gegenseitiges Vertrauen voraus, das schäbige politische Tricks ausschliesst.

Eine ganz einfache Einsicht: Das militärische Ziel muss der Gesamtlage des Landes entwachsen, seiner ökonomischen wie sozialen Struktur. Der kolonisierende ausländische Kapitalismus darf nie wiederkehren. Ich kann nicht glauben, dass ein einziger Spanier wagte, Leben und Arbeit des spanischen Proletariats von neuem an ausländische, wenn auch noch so demokratische, Spekulanten zu verkaufen. Der junge spanische Kapitalismus ist im Krieg automatisch zerbröckelt.

Wer möchte diesen Parvenü-Kapitalismus wieder erwecken? Eine "Demokratie" im europäischen Sinn ist also von vorneherein in Spanien unmöglich, wenn man ihn nicht mit ausländischem, sehr teurem Kapital rekonstruiert. Geben Sie acht, Sie, die so klugen "Demokraten", dass Ihre erfahrenen Freunde die Demokratien uns nicht mit läche[....] gewährten Anleihen etc. sanft ersticken.

Ihr sagt: Zuerst der Krieg. Gewiss, zuerst der Krieg, jedoch ein Krieg der als Revolution begriffen wird. Und somit Krieg auf allen Fronten, und somit Krieg in Aragon. Wir sind verpflichtet alle Möglichkeiten des Kampfes zu nutzen, alle Kräfte aufzurufen, um unseren Krieg zu führen, abzukürzen und zu gewinnen.

Wer wünschte nicht den Krieg der CNT-Kolonnen auf der aragonesischen Front? Wer wagte diesen Krieg zu verlängern? Wer wagte es, diesen Männern irgend ein Mittel des Kampfes zu verweigern? Niemand kann wünschen, dass Aragon und Katalonien noch länger bedroht bleiben. Immerhin haben die CNT-Kolonnen bisher in unzerstörbarer Einheit mit den anderen Divisionen den Gegner abgehalten, sind nie zurückgewichen. All diese Milizianos haben um Leben und Tod nie gefeilscht.

Der Krieg in Aragon kann geführt werden. Man kann diesen Krieg verkürzen, wenn alle Fronten koordiniert sind. Man kann und muss Zaragoza erobern. Es ist Pflicht der Regierung den Sieg der antifaschistischen Front mit allen Mitteln herbeizuführen: nämlich den entscheidenden Sieg zu erzwingen, der eine ausländische Friedensvermittlung ausschliesst. Freunde, gestattet endlich diesen Divisionen zu kämpfen, und in Aragon zu siegen.

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 12, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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