D. A. de Santillan - Wirtschaftlicher Wiederaufbau

Aus einer Arbeit des Kam. D. A. de Santillan, die vor der gegenwärtigen Revolution erschien.

Der Gedanke der Vernichtung des politischen und ökonomischen Parasitismus ist, oder sollte im mindesten im Geiste der Völker genügend gereift sein, sodass er eine Frage unmittelbarer Verwirklichung werden könne. Es ist sehr gewiss, dass die Arbeiter es nicht freudig aufnehmen, des grössten Teils der Frucht ihrer Mühen beraubt zu werden, und ohne die Polizei- und Militärmacht des Staates wird der Grundsatz: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen! sogleich zur Tatsache werden.

Noch immer leben die Arbeiter der Fabriken und des Landes in einem Zustand der Unterdrückung wie die Sklaven aller Zeiten. Die einzige Verschiedenheit ist die, dass die modernen Lohnarbeiter die bedingte Freiheit haben, ihre "demokratischen" Herren auszuwählen. Die wirklichen Produzenten sind in der Gesellschaft die übergrosse Minderheit.

Ein Zehntel der Bevölkerung lebt vom Staatsapparat, ein anderes Zehntel lebt vom kapitalistischen Handel, ohne andere bedeutende, unproduktive Kategorien, und ohne die natürlich unproduktive Kategorie der Kinder und Alten anzuführen.

Auf 10 Millionen zur Arbeit geeignete Menschen in Spanien, finden wir kaum 4,55 Millionen im industriellen oder landwirtschaftlichen Produktionsprozess. Die Revolution wird diesen Widersinn aufheben und in der Folge wird man nicht mehr den Mangel Seite an Seite mit dem Überfluss, und den protzenden Luxus an der Seite des äussersten Elends finden. Wenn ein Produktemangel besteht, dann wird man in der Weise rationieren, dass niemand mehr als sein Teil bekommt, sondern dass jeder sein Teil — gross oder klein — bekomme. Man wird die Lebensmittel, Kleidung, Wohnungen gleichmässig verteilen; zum ersten Male in der Welt wird es keine Arme noch Hirne in erzwungenem Müssiggang geben. Die spanische Polizeirepublik wird einer grossen Gemeinschaft von Erzeugern und Verbrauchern Platz machen.

Wir sind überzeugt, dass die an den Müssiggang gewöhnten Klassen der Notwendigkeit der Arbeit einen grossen Widerstand entgegensetzen. Es wird im Anfang Schwierigkeiten geben, die Bevölkerung in die Berufsgruppen unterzubringen, wo sie am nützlichsten sind. Aber die grösste Gefahr liegt nicht dort: sie liegt in den Folgen einer internationalen Blockade.

Spanien mangelt es an Baumwolle; ohne Baumwolle werden 200.000 Arbeiter der Textil- und Konfektionsgewerbe auf der Strasse sein. Spanien mangelt es an Petrol — ohne Petrol wird der Verkehr ernsthaft behindert werden. Spanien — in geringerem Grade — mangelt es an Papier — Tausende Arbeiter des Buchgewerbes: Schriftsteller, Journalisten werden feiern. Und so fort. Die Revolution muss vom ersten Tage an sich mit der Versorgung der katalanischen Fabriken beschäftigen. Sie muss die Lösung des Petrol-Problems durch die Kohle — Destillation zu finden suchen.

Es gibt keine technisch unüberwindbare Schwierigkeiten, weil die moderne Wissenschaft sie im Voraus gelöst hat. Infolge dessen, wenn die Revolution nicht die Herabsenkung des Lebensstandards, sondern im Gegenteil die Steigerung des Wohlstandes bedeuten soll, so muss mit der Baumwolle und dem Petrol gerechnet werden.

Selbstverständlich, diese Probleme werden weniger dringend sein, wenn die Weltblockade nicht zustande käme, wenn das russische Petrol und die amerikanische Baumwolle weiter hereinkämen, die gegen unsere Eisen und Kupfererze ausgetauscht werden.

Von den in den spanischen Gruben geförderten Eisenerzen wird nur eine geringe Partie im Lande verhüttet, der Rest wird exportiert und kommt in Form von Maschinen, Werkzeugen zu uns zurück. Die Revolution muss eine Metallindustrie schaffen, die Hochöfen, Machinenfabriken vermehren, so gut wie möglich den römischen Pflug, und im allgemeinen die Tierzugkraft durch den modernen Pflug und Traktor ersetzen, die allein fähig sind, die Plateaus und Ebenen zu valorisieren. Die Revolution muss die Eisenbahnen und Fabriken elektrifizieren, die Wassergefälle sowohl für die Bewässerung, als auch für die Erzeugung elektrischer Energie benutzen, das Problem der Aufholzung, der Vorbereitung neuer Gelände für Landwirtschaft und Tierzucht, der Benutzung der Windkraft, etc., ernsthaft in Angriff nehmen. — Mit einem Wort, die Revolution muss in wenigen Jahren tun, was der Kapitalismus unfähig war zu tun: ein Spanien schaffen, das fähig ist, eine Bevölkerung, welche bald auf 30 Millionen Einwohner (wenn die Auswanderung aufhört, wie das in letzter Zeit geschehen) zu ernähren, zu bekleiden, zu logieren.

Eine gute Zusammenarbeit handwerklicher und intellektueller Arbeit wird die Reichtümer viel besser entwickeln, als wie die kapitalistische Politik, die Finanzspekulationen oder die Befehle der Generäle.

Wir haben nicht die Gotteshypothese für die Errichtung unserer Arbeitergesellschaft notwendig, wir haben ebensowenig die Staatshypothese notwendig. Wir wünschen nicht, dass alle Welt nach derselben Musik tanzt, dass alle Welt den Gleichschritt markiert. Wir lassen die Existenz verschiedener Organisationen zu, die mehr oder weniger revolutionär sind, die mehr oder minder über die neue Situation begeistert sind. Das Wichtigste ist, dass alle Spanier das haben, was sie brauchen und folglich auch an der Erzeugung der notwendigen Güter im Produktionsprozess teilnehmen. Heute arbeiten in der Fabrik an unserer Seite gute Kameraden, die nicht so denken wie wir; so wird es in Zukunft sein, und es wird an uns liegen, ihre Feindschaft durch unser Beispiel zu überwinden.

Es gibt in Spanien verschiedene Organisationen; alle müssen an ihrer Stelle am ökonomische Wiederaufbau teilnehmen. Die Revolution verweigert auf diesem Gebiet niemanden ihre Hilfe, sowenig wie sie irgendjemanden das Recht verweigert, sich seiner besonderen Neigung gemäss mit anderen zu assoziieren, Auffassungen zu verteidigen, die den unsern entgegenstehen — jedoch ohne agressiven Geist: ohne diejenigen zu zwingen suchen, die sie nicht teilen. Wenn anders, so wäre der Bürgerkrieg da.

Wir sagen den Freunden des russischen Beispiels, dass ausserhalb des ökonomischen Regimes, das die Übereinstimmung aller verlangt, sie ihre Volkskommissare haben können; den Sozialisten, dass sie ihre Auffassungen aussprechen. Das wird uns nicht im geringsten genieren, und wir werden uns damit begnügen zu verhindern, dass eine Fraktion sich auf die andere stürzt, und dafür sorgen, dass der Produktions-, und Verteilungsapparat in den Händen der Produzenten selbst bleibt.

Freiheit, ja absolute Freiheit in politischer Beziehung, aber Zusammenarbeit aller Kräfte in ökonomischer Hinsicht, gleiche Verteilung der Produkte. Was ist gegen eine so organisierte Gesellschaft zu sagen?

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 4, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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