Ein Dorf in Aragon

An einem Tage Mitte Februar hatte ich Gelegenheit, ein aragonisches Dorf aufzusuchen, das 40 km. hinter der Front liegt.

Es liegt abseits von den grossen Verkehrsstrassen, nur von Barbastro führt eine Strasse her. Wenige Milizianos kommen hier durch und deshalb lief man mir schon entgegen, als ich in meiner Milizuniform sichtbar wurde. Der Vorsitzende des Dorfkomitees hatte mit mir zusammen verwundet im Hospital gelegen. Schon damals hatte er mich eingeladen, einmal das Dorf zu besuchen, wenn ich dazu Gelegenheit fände. Die Mehrzahl der Dorfeinwohner sind kleine Landeigentümer, dessen Bearbeitung gerade soviel einbringt, dass es zum Leben reicht. Reiche Bauern gibt es hier nicht. Die Kirche hatte hier vor dem 19. Juli bereits aufgehört, in dem Leben dieser Bauern eine Rolle zu spielen. Zu tief wurzelt der Hass gegen die Schwarzkutten im Volk, und schon vor drei Jahren, im Jahre 1933, hatten die Dorfbewohner die Kirche in Brand gesteckt. Wegen dieser Sache hatte man damals dreissig Bauern, darunter einige Frauen, ins Gefängniss gesteckt. Seit damals gab es keinen Pfaffen mehr in diesem Ort. Das Dorf war jetzt fast leer von Männern, es gab nur einige Kranke und Alte, dazu das Dorfkomitee; das war alles. Von dem Vorsitzenden des Dorfkomitees erfuhr ich, dass 98 männliche Dorfbewohner an den verschiedensten Frontabschnitten im Kampfe stehen. Es gäbe im Dorf keine wehrfähigen Männer mehr.

Währenddem die Männer die Freiheit gegen die Faschisten verteidigen, bearbeiten Frauen und Kinder das Land. Ich sah am Abend etwa 200 Frauen und Kinder mit vollbepackten Maultieren vom Feld heimkehren. Sie brachten die Olivenernte ein aus einem Gebiet, das ihnen früher nicht gehörte und das sie nun gemeinsam bearbeiten. Der Ertrag wird kollektiv geteilt: der Überschuss der Ernte wird nach Barbastro und anderswohin geliefert. Im Hause der Genossenschaft zeigte man mir Berge von Oliven, die in einer Presse zu Öl verarbeitet wurden. Hier war es, wo man mich zum Essen einlud. Von allem, was vorhanden war, trug man auf. Man freute sich, dass man einen der "Internationalen" Kameraden bei sich hatte, die gemeinsam mit ihnen gegen die faschistischen Volksausplünderer kämpfen, und dass man ihn bewirten konnte. In der Ölmühle tauchten die Arbeiter ein Stück Brot ins Öl und rösteten es am Feuer. Mit dem ledernen Weinbehälter reichten sie es mir als Zeichen der Freude und der Erkenntlichkeit, als einem der Ihren.

In diesem Dorfe gibt es nichts als CNT und FAI. Der Parteikampf trübt nicht die Gemeinschaft der Dorfbevölkerung. Jeden Abend fast versammeln sich die Jugendlichen beiderlei Geschlechtes. Mehr als 60 befinden sich in der anarchistischen Jugendorganisation "Juventud Libertaria".

Während die Dorfbevölkerung ihre mit der Waffe kämpfenden Dorfsöhne mit Lebensmitteln versorgt, schicken diese einen Teil ihrer Löhnung ins Dorf, damit man die für die Kollektivisierung notwendigen Maschinen und sonstigen Gerätschaften kaufen kann. Man hat eine kleine Farm geschaffen, in der man Kaninchen, Hühner, Enten u.s.w. züchtet. Die Erträgnisse dieser Kleintierzucht werden der Gesamtheit der Dorfbevölkerung zugeführt, und nun im besonderen den Brüdern an der Front. Kein kleinlicher Hass, kein Fanatismus der Privateigentümer ist mehr zu verspüren, und voller Stolz berichtet man über die bisherigen Erfolge und das Leben des heutigen Dorfes. Am Abend verlasse ich das Dorf, ungern gehe ich von hier, denn wie glücklich wäre ich, eine gewisse Zeit in der Gemeinschaft dieser Menschen arbeiten und leben zu können. Der Vorsitzende des Dorfkomitees, ein FAI-Genosse, begleitet mich noch ein langes Stück des Weges.

Es ist eine eigentümliche Luft und ein schöner Geist, der hier weht. Diese einfachen spanischen Arbeiter und Bauern haben uns von einer tiefen Depression, hervorgerufen durch den Sieg des Faschismus in Deutschland, wieder befreit. Helfen wir mit, setzen wir alles daran, dass die Partei-Politikanten hier in Spanien keine Gelegenheit haben, ihren Streit und ihre Hegemonie-Ansprüche zu verwirklichen!

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 9, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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