George Orwell - Spanische Erfahrungen

Der Geist der Gleichheit

Als wir auf Urlaub gingen, war ich hundertfünfzehn Tage an der Front gewesen, und damals schien dieser Zeitraum einer der nutzlosesten meines ganzen Lebens gewesen zu sein. Ich war in die Miliz eingetreten, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Ich hatte jedoch kaum gekämpft, sondern nur wie ein passives Objekt existiert. Ich tat nichts als Gegenleistung für meine Rationen, außer daß ich unter der Kälte und dem Mangel an Schlaf litt. Das ist aber vielleicht in den meisten Kriegen das Schicksal der Mehrzahl der Soldaten. Wenn ich jedoch heute diese ganze Zeit rückblickend betrachte, bedauere ich sie nicht vollständig. Ich wünschte allerdings, ich hätte der spanischen Regierung etwas wirkungsvoller dienen können. Aber von meinem persönlichen Gesichtspunkt, das heißt von dem Gesichtspunkt meiner persönlichen Entwicklung her gesehen, waren die ersten drei oder vier Monate, die ich an der Front verbrachte, weniger nutzlos, als ich dachte. Sie waren eine Art Interregnum in meinem Leben, völlig unterschieden von allem, was vorausgegangen war und was vielleicht auch noch kommen sollte. Diese Zeit lehrte mich Dinge, die ich auf keine andere Weise hätte lernen können.

Der wesentlichste Punkt bestand darin, daß ich während dieser ganzen Zeit isoliert war - denn an der Front war man fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten; selbst von dem, was sich in Barcelona ereignete, hatte man nur eine verschwommene Vorstellung, und das unter Leuten, die man etwas verallgemeinert und doch nicht zu ungenau als Revolutionäre bezeichnen konnte. Das war das Ergebnis des Milizsystems, das vor 1937 an der aragonischen Front nicht grundlegend geändert wurde. Die Arbeitermiliz, die auf den Gewerkschaften aufbaute und sich aus Leuten von ungefähr der gleichen politischen Meinung zusammensetzte, bewirkte, daß an einer Stelle die intensivsten revolutionären Gefühle des ganzen Landes zusammenkamen. Ich war mehr oder weniger durch Zufall in die einzige Gemeinschaft von nennenswerter Größe in Westeuropa gekommen, wo politisches Bewußtsein und Zweifel am Kapitalismus normaler waren als das Gegenteil.

Hier in Aragonien lebte man unter Zehntausenden von Menschen, die hauptsächlich, wenn auch nicht vollständig aus der Arbeiterklasse stammten. Sie lebten alle auf dem gleichen Niveau unter den Bedingungen der Gleichheit. Theoretisch herrschte vollkommene Gleichheit, und selbst in der Praxis war man nicht weit davon entfernt. In gewisser Weise ließe sich wahrhaftig sagen, daß man hier einen Vorgeschmack des Sozialismus erlebte. Damit meine ich, daß die geistige Atmosphäre des Sozialismus vorherrschte. Viele normale Motive des zivilisierten Lebens - Snobismus, Geldschinderei, Furcht vor dem Boß und so weiter - hatten einfach aufgehört zu existieren. Die normale Klasseneinteilung der Gesellschaft war in einem Umfang verschwunden, wie man es sich in der geldgeschwängerten Luft Englands fast nicht vorstellen kann. Niemand lebte dort außer den Bauern und uns selbst, und niemand hatte einen Herrn über sich. Natürlich konnte dieser Zustand nicht andauern. Es war einfach ein zeitlich und örtlich begrenzter Abschnitt in einem gewaltigen Spiel, das augenblicklich auf der ganzen Erdoberfläche gespielt wird. Aber es dauerte lange genug, um jeden, der es erlebte, zu beeindrucken. Wie sehr damals auch geflucht wurde, später erkannte jeder, daß er mit etwas Fremdem und Wertvollem in Berührung gewesen war. Man hatte in einer Gemeinschaft gelebt, in der die Hoffnung normaler war als die Gleichgültigkeit oder der Zynismus, wo das Wort Kamerad für Kameradschaft stand und nicht, wie in den meisten Ländern, für Schwindel. Man hatte die Luft der Gleichheit eingeatmet.

Ich weiß sehr genau, wie es heute zum guten Ton gehört zu verleugnen, daß der Sozialismus etwas mit Gleichheit zu tun hat. In jedem Land der Welt ist ein ungeheurer Schwärm Parteibonzen und schlauer, kleiner Professoren beschäftigt zu „beweisen“, daß Sozialismus nichts anderes bedeutet als planwirtschaftlicher Staatskapitalismus, in dem das Motiv des Raffens erhalten bleibt. Aber zum Glück gibt es daneben auch eine Version des Sozialismus, die sich hiervon gewaltig unterscheidet. Die Idee der Gleichheit zieht den normalen Menschen zum Sozialismus hin. Diese „Mystik“ des Sozialismus läßt ihn sogar seine Haut dafür riskieren. Für die große Mehrheit der Menschen bedeutet der Sozialismus die klassenlose Gesellschaft, oder er bedeutet ihnen überhaupt nichts.

Unter diesem Gesichtspunkt aber waren die wenigen Monate in der Miliz wertvoll für mich. Denn solange die spanischen Milizen sich hielten, waren sie gewissermaßen der Mikrokosmos einer klassenlosen Gesellschaft. In dieser Gemeinschaft, in der keiner hinter dem Geld herrannte, wo alles knapp war, es aber keine Privilegien und kein Speichellecken mehr gab, fand man vielleicht in groben Umrissen eine Vorschau davon, wie die ersten Schritte des Sozialismus aussehen könnten. Statt mir meine Illusionen zu rauben, fesselte mich dieser Zustand. Die Folge war, daß ich noch viel stärker als vorher wünschte, der Sozialismus möge verwirklicht werden. Teilweise kam das daher, weil ich das Glück gehabt hatte, unter Spaniern zu leben. Mit ihrer angeborenen Anständigkeit und ihrem immer gegenwärtigen anarchistischen Gefühl würden sie selbst die ersten Stadien des Sozialismus erträglicher machen, wenn man ihnen nur eine Chance gäbe.

Die Entmachtung der Anarchisten

Der allgemeine Umschwung nach rechts begann ungefähr im Oktober und November 1936, als die UdSSR anfing, die Zentralregierung mit Waffen zu versorgen, und als die Macht von den Anarchisten auf die Kommunisten überging. Außer Rußland und Mexiko besaß kein anderes Land den Anstand, der Zentralregierung zu Hilfe zu kommen, und Mexiko konnte aus einleuchtenden Gründen Waffen nicht in großen Mengen liefern. So waren also die Russen in der Lage, die Bedingungen zu diktieren. Es besteht kaum ein Zweifel daran, daß diese Bedingungen vor allem lauteten: „Verhindert die Revolution, oder ihr bekommt keine Waffen.“ So wurde die erste Maßnahme gegen die revolutionären Elemente, nämlich die Verdrängung der P.O.U.M. [1] aus der katalanischen Generalidad, nach Befehlen der UdSSR durchgeführt. Man hat abgeleugnet, daß die russische Regierung irgendeinen direkten Druck ausgeübt habe. Aber diese Tatsache ist nicht von großer Bedeutung, denn man kann annehmen, daß die kommunistischen Parteien aller Länder die russische Politik ausführen. Es wird aber nicht geleugnet, daß die kommunistische Partei die hauptsächliche Triebkraft zunächst gegen die P.O.U.M., später gegen die Anarchisten, den von Caballero geführten Flügel der Sozialisten und allgemein gegen eine revolutionäre Politik war. Nachdem sich die UdSSR einmal eingemischt hatte, war der Triumph der kommunistischen Partei gesichert.

Zunächst wurde das kommunistische Prestige dadurch enorm gehoben, dass man Rußland gegenüber dankbar war für die Waffen und die Tatsache, daß die kommunistische Partei besonders nach Ankunft der Internationalen Brigade den Anschein erweckte, als könne sie den Krieg gewinnen. Zweitens wurden die russischen Waffen durch die kommunistische Partei oder die mit ihr verbündeten Parteien ausgeliefert, und sie achteten darauf, daß ihre politischen Gegner so wenig wie möglich davon erhielten. [2] Drittens gelang es den Kommunisten, durch die Verkündung einer nicht-revolutionären Politik alle diejenigen um sich zu scharen, die von den Extremisten verscheucht worden waren. Es war beispielsweise leicht, die wohlhabenderen Bauern gegen die Kollektivierungspolitik der Anarchisten zu sammeln. Die Mitgliedschaft der Partei wuchs gewaltig an, der Zufluß speiste sich hauptsächlich aus dem Mittelstand: Ladenbesitzer, Beamte, Armeeoffiziere, wohlhabende Bauern und so weiter und so weiter. Im Grunde genommen war der Krieg ein Dreieckskampf. Das Ringen mit Franco mußte fortgesetzt werden, aber gleichzeitig war es das Ziel der Zentralregierung, alle Macht zurückzugewinnen, die noch in den Händen der Gewerkschaften verblieben war. Dies geschah durch eine Reihe kleiner Manöver, es war eine Politik der Nadelstiche, wie es jemand genannt hat, und man tat es, im ganzen gesehen, sehr klug. Es gab keine allgemeine, offene Gegenrevolution, und bis zum Mai 1937 war es nicht einmal nötig, Gewalt anzuwenden.

Man konnte die Arbeiter immer durch ein Argument zur Räson bringen, das fast zu augenfällig ist, um es zu nennen: „Wenn ihr dieses oder jenes nicht tut, werden wir den Krieg verlieren.“ In jedem Fall natürlich verlangte anscheinend die militärische Notwendigkeit, etwas aufzugeben, das die Arbeiter 1936 für sich errungen hatten. Aber dieses Argument war immer stichhaltig, denn das letzte, was die Revolutionsparteien wünschten, war, den Krieg zu verlieren. Verlor man den Krieg, würden Demokratie und Revolution, Sozialismus und Anarchismus zu bedeutungslosen Worten. Die Anarchisten, die einzige Revolutionspartei, deren Größe von Bedeutung war, wurden gezwungen, Stück für Stück nachzugeben. Das Fortschreiten der Kollektivierung wurde angehalten, die örtlichen Ausschüsse wurden entfernt, die Arbeiterpatrouillen wurden aufgelöst, die Polizeikräfte der Vorkriegszeit wurden, weitgehend verstärkt und schwer bewaffnet, wieder eingesetzt, und verschiedene Schlüsselindustrien, die unter der Kontrolle der Gewerkschaften gestanden hatten, wurden von der Regierung übernommen. (Die Übernahme des Telefonamtes von Barcelona, die zu den Maikämpfen geführt hatte, war ein Beispiel dieser Entwicklung.) Schließlich, und das war das allerwichtigste, wurden die Milizeinheiten der Arbeiter, die sich auf die Gewerkschaften gründeten, allmählich auseinandergebrochen und in die neue Volksarmee aufgeteilt. Das war eine „unpolitische“ Armee, sie hatte einen halben Bourgeoischarakter. Es gab unterschiedlichen Sold, eine privilegierte Offizierskaste und so weiter und so weiter. Unter den besonderen Umständen war das tatsächlich ein entscheidender Schritt. In Katalonien vollzog man ihn allerdings später als an anderen Orten, denn hier waren die Revolutionsparteien am stärksten. Offensichtlich bestand die einzige Garantie für die Arbeiter, ihre Errungenschaften zu festigen, nur darin, einen Teil ihrer Streitkräfte unter ihrer eigenen Kontrolle zu halten.

Wie gewöhnlich wurde auch das Auseinanderbrechen der Miliz im Namen militärischer Leistungsfähigkeit vollzogen, und niemand leugnete, daß eine gründliche militärische Reorganisation notwendig war. Es wäre aber durchaus möglich gewesen, die Miliz zu reorganisieren und leistungsfähiger zu machen und sie gleichzeitig unter der direkten Kontrolle der Gewerkschaften zu belassen. Der Hauptzweck des Wechsels lag darin, dafür zu sorgen, daß die Anarchisten keine eigenen Waffen mehr besaßen. Außerdem war der demokratische Geist der Miliz ein Brutnest für revolutionäre Ideen. Die Kommunisten wußten das sehr genau und schimpften ohne Unterlaß und erbittert über die P.O.U.M. und das anarchistische Prinzip des gleichen Lohns für alle Ränge. Es fand eine allgemeine „Verbürgerlichung“ statt, eine absichtliche Zerstörung des Gleichheitsgeistes aus den ersten Monaten der Revolution. Alles ereignete sich so geschwind, daß Leute, die Spanien innerhalb von wenigen Monaten mehrmals besucht hatten, erklärten, daß sie anscheinend kaum das gleiche Land besuchten. Was an der Oberfläche und für eine kurze Weile ein Arbeiterstaat zu sein schien, verwandelte sich vor den eigenen Augen in eine herkömmliche Bourgeoisrepublik mit der normalen Unterscheidung von reich und arm.

Barcelona

Jeder, der während des Krieges im Abstand von einigen Monaten Barcelona zweimal besuchte, hat sich zu dem außerordentlichen Wechsel geäußert, der in dieser Zeit stattfand. Ob jemand zuerst im August und dann im Januar hingekommen war oder, wie ich selbst, zuerst im Dezember (1936) und dann wieder im April (1937), er sagte merkwürdigerweise immer das gleiche: Die Atmosphäre der Revolution war verschwunden. Zweifellos sah für jeden, der im August dagewesen war, als das Blut in den Straßen kaum getrocknet und die Miliz in den feinen Hotels einquartiert, war, Barcelona im Dezember bürgerlich aus. Für mich glich es, als ich gerade frisch aus England kam, eher einer Arbeiterstadt als irgend etwas sonst, was ich mir vorgestellt hatte.

Aber jetzt war die Flut zurückgerollt. Es -war wieder eine gewöhnliche Stadt, ein wenig vom Krieg gezwickt und zerstört, aber sonst ohne ein äußeres Zeichen der Vorherrschaft der Arbeiterklasse.

Der Wechsel im Aussehen der Menge war überraschend. Die Milizuniform und die blauen Overalls waren fast verschwunden. Jeder schien einen schmucken Sommeranzug zu tragen, auf den sich die spanischen Schneider spezialisiert haben. Überall gab es fette, wohlhabende Männer, elegante Frauen und rassige Autos. (Es schien so, als gäbe es noch keine Privatwagen. Aber trotzdem schien jeder, der „etwas“ war, über ein Auto zu verfügen.) Die Offiziere der neuen Volksarmee, ein Typ, der kaum existierte, als ich Barcelona verließ, zeigten sich in überraschender Anzahl. In der Volksarmee gab es auf je zehn Mann einen Offizier. Eine gewisse Anzahl dieser Offiziere hatte in der Miliz gedient und war zur technischen Unterweisung aus der Front gezogen worden. Aber die meisten von ihnen waren junge Leute, die die Kriegsschule besucht hatten, statt in die Miliz einzutreten. Ihr Verhältnis zu den Soldaten war nicht genau das gleiche wie in einer Bourgeoisarmee. Aber in der Volksarmee gab es entschiedene soziale Unterschiede, die sich im Unterschied der Bezahlung und der Uniform ausdrückten. Die Soldaten trugen eine Art grober, brauner Overalls, die Offiziere trugen eine elegante Khakiuniform mit enger Taille. Sie sahen ungefähr wie die Uniformen der britischen Armeeoffiziere aus, nur noch übertriebener. Ich glaube nicht, daß mehr als einer von zwanzig schon an der Front gewesen war. Aber sie alle trugen automatische Pistolen, die sie an ihr Koppel geschnallt hatten, während wir an der Front weder für Geld noch für gute Worte eine Pistole bekommen konnten...

Ein einschneidender Wechsel war über die Stadt gekommen. Zwei Tatsachen boten den Schlüssel für alles andere. Einmal hatten die Leute - also die Zivilbevölkerung - sehr viel von ihrem Interesse am Krieg verloren; zum zweiten behauptete sich wieder die normale Unterscheidung der Gesellschaft in reich und arm, Ober- und Unterklasse...

Als ich zum erstenmal nach Barcelona kam, glaubte ich in einer Stadt zu sein, in der Klassenunterschiede und große Unterschiede im Wohlstand kaum existierten. So sah es tatsächlich aus. „Feine“ Kleider waren etwas Ungewöhnliches, niemand war ein Kriecher oder nahm ein Trinkgeld an. Kellner und Blumenverkäuferinnen und Schuhputzer schauten jedem in die Augen und sprachen ihre Kunden mit „Kamerad“ an. Ich hatte nicht begriffen, daß diese Erscheinung vor allem eine Mischung aus Hoffnung und Tarnung war. Die Arbeiterklasse glaubte an eine Revolution, die begonnen, aber nie gefestigt worden war. Die Bourgeoisie hatte Angst und verkleidete sich vorübergehend unter der Maske der Arbeiter. Während der ersten Monate der Revolution muß es viele tausend Menschen gegeben haben, die absichtlich Overalls angezogen und revolutionäre Phrasen schrien, um auf diese Weise ihre Haut zu retten.

Jetzt aber kehrte alles wieder zum Normalen zurück. Die feinen Restaurants und Hotels waren voll reicher Leute, die teure Mahlzeiten herunterschlangen, während die Lebensmittelpreise für die arbeitende Bevölkerung, ohne eine entsprechende Erhöhung der Löhne, phantastisch in die Höhe gesprungen waren. Außer der allgemeinen Teuerung herrschte dauernd Mangel an diesem und jenem, was natürlich die Armen härter traf als die Reichen. Die Restaurants und Hotels hatten anscheinend wenig Schwierigkeiten zu bekommen, was sie wollten. Aber die Schlangen nach Brot, Olivenöl und anderen Notwendigkeiten in den Quartieren der Arbeiterklasse waren manchmal Hunderte von Metern lang. Zuvor hatte ich über die Abwesenheit von Bettlern in Barcelona gestaunt, jetzt sah ich sie in großen Mengen. Vor den Delikatessenläden am oberen Ende der Rambia warteten immer ganze Banden barfüßiger Kinder, um den hinaustretenden Käufern nachzulaufen und sie um ein paar Brocken Lebensmittel anzuhalten. Die „revolutionären“ Floskeln der Sprache wurden nicht mehr gebraucht. Fremde sprachen jetzt nur selten jemand mit tu und camerada an, normalerweise war es senor und usted. Buenos dias begann salud zu ersetzen. Die Kellner trugen wieder Frackhemden, und die Ladenaufseher machten ihre Bücklinge in der gewohnten Weise. Meine Frau und ich gingen in ein Strumpf geschäft in der Rambia, um Strümpfe zu kaufen. Der Ladenbesitzer verbeugte sich und rieb seine Hände, wie man es heute nicht einmal mehr in England tut, obwohl es dort vor zwanzig oder dreißig Jahren noch üblich war. Die Gewohnheit, Trinkgelder zu geben, kam auf eine verstohlene, indirekte Weise wieder in Gebrauch. Die Auflösung der Arbeiterpatrouillen war angeordnet worden, und die Polizei der Vorkriegstage war wieder auf den Straßen...

Hinter dem oberflächlichen Bild der Stadt, hinter dem Luxus und der wachsenden Armut, hinter der scheinbaren Fröhlichkeit der Straßen mit ihren Blumenständen, ihren vielfarbigen Fahnen, ihren Propagandaplakaten und den sich drängenden Menschenmengen gab es ein unbezweifelbares und schreckliches Gefühl politischer Rivalität und des Hasses. Menschen mit den verschiedensten Anschauungen sagten ahnungsvoll: „In Kürze wird es Ärger geben.“ Die Gefahr war einfach und verständlich. Es war der Gegensatz zwischen denen, die die Revolution vorantreiben wollten, und jenen, die sie kontrollieren und verhindern wollten. Letzten Endes also zwischen den Anarchisten und den Kommunisten.

Fußnoten:
[1] Antistalinistische, revolutionäre SozialistInnen
[2] Anmerkung des Verfassers: Das war der Grund dafür, dass es an der aragonischen Front so wenig russische Waffen gab, da die Truppen dort hauptsächlich Anarchisten waren. Bis zum April 1937 sah ich als einzige russische Waffe – mit Ausnahme einiger Flugzeuge, die vielleicht russisch waren, vielleicht aber auch nicht – nur eine einzelne Maschinenpistole.

Aus: Mein Katalonien (Homage to Catalonia), Deutsch von Wolf gang Rieger. Frankfurt/M. 1966, S. 119-121, Nachdruck in: 1936: die Revolution in Spanien.

Gescannt von anarchismus.at


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