Johann Most - "Nun danket alle Gott!“

Wenn in Preußen der königliche Söffel einen "moralischen" Kater ob seiner früher verübten Menschenmetzgereien empfindet, oder wenn derselbe im Begriffe steht, seinen Kronlieferanten, den Gottespinsel, in freundliche Launen zu drängeln, damit derselbe irgendeine noch zu verübende Engros-Schinderhannesiade (Kriegs-Raubmörderei) himmlisch begünstige, so kommandiert er einen Büß- und Bettag; und die untertänigen Kirchensimpel deklarieren sich als Rabenäser. Sie flehen ihren "Schöpfer" um den bekannten "Gnadenknochen" an und jeder wünscht, daß er wie ein "Hund beim Ohr" gebeutelt werde, um auf diese Weise die "Sünden", wie der Fuchs die Flöhe, zu verlieren.

Aber nicht nur in Preußen und den sonstigen verrotteten Monarchien des verlumpten Europa kommt solcher Narren-Schwindel und Halunken-Blödsinn vor, sondern auch in den Staaten der nordamerikanischen Monopolisten-Republik pflegt alljährlich durch den Wahlkönig von Dummheits Gnaden eine allgemeine Augenverdrehung und Gehirnverkleisterung angeordnet zu werden. Diese Posse geht stets am letzten Donnerstag im November über die Bretter der verschiedenen christlichen Zaubertheater.

"Nun danket Alle Gott!", krächzten die ungefiederten Raben von ihren Kanzelnestern herab; die Presspfaffen sekundierten tapfer mit. Glockengebimmel, Weihrauchstank und höhere Katzenmusik führen vollends die richtige Stimmung herbei; und es ist kein Wunder, daß die Gesichter des ganzen Publikums ein äußerst bockledernes Aussehen gewinnen - just, wie sie bei göttlichen Audienzen vorgeschrieben sind.

So weit ist die Sache komisch genug, um unsereinen zum Spotte zu reizen. Allein der Schwindel hat doch auch eine verflucht ernste Seite.

Dem Volke zuzurufen, es solle Gott - eine Wildsau mag wissen, was oder wer das sein soll -  danken für die im Laufe des Jahres genossenen Wohltaten, das ist mehr als starker Tabak. Wenn vollends derjenige, welcher einen solchen Aufruf ergehen läßt, der Anführer einer Räuberbande ist, deren Verbrechen das Volk sein Elend zu verdanken hat, so ist die Zumutung der reine Hohn.

Schindet da eine Rotte von herzlosen Blutsaugern das Volk das ganze Jahr hindurch und läßt hintennach ihren Opfern sagen, sie sollten "Gott" danken, daß er sie diese Schinderei aushalten ließ! Kerle, denen nie eine Wimper zuckt, wenn sie Weiber zu Grunde richten und förmlich Kinderfraß betreiben, sprechen von Danksagung derer, denen sie systematisch das Mark aus den Knochen und das Blut aus den Adern zapfen!

Politiker, die das ganze Jahr hindurch ihre ellenlangen Finger in den Taschen anderer Leute hatten, deren Handwerk nur in Betrug und Verrat bestand, regen die Genasführten und Bestohlenen zu Dank und Jubel an.

Pfaffen, die vom Januar bis zum Dezember buchstäblich Schafe scheren und ihre Ranzen mästen, geben zu allen diesen Beutelschneidereien ihren Segen und wollen dafür auch noch den Dank für solches Treiben ernten.

Da geht das reiche Lumpenpack oder vielmehr fährt es zur Kirche, festlich angeputzt, behangen mit Geschmeide, strotzend vor Wohlbehagen, und dankt - wahrscheinlich dem Teufel, daß er es noch nicht geholt, oder, deutlicher gesprochen, der hohen und niederen Polizei, weil sie es fertig brachte, die Armen und Elenden ihm weit genug vom Leibe zu halten.

Hernach geht es zurück in die Prunkgemächer des Palastes, wo an diesem Tage die Tafeln brechen vor Beladung mit den raffiniertesten Produkten, die Küche und Keller darzubieten im Stande sind. Und wenn sie dann ihre vollgepfropften Bälge auf weichen Divanen dehnen und der süße Wein ihre Gehirne angenehm umnebelt, da mögen sie wohl "selig" sein und in Dankbarkeit zerfließen.

In bunten Bildern rollt sich ihr Tun und Lassen des Jahres vor ihren Augen auf. Keine Arbeit, keine Mühe, keine Last, keine Sorge hat sie in ihrem schlemmenden Dasein gestört. Ihr Besitztum glich einer Henne, welche goldene Eier legte, und ihnen verschlug es nichts, wenn ein solcher "Segen" nur dadurch möglich wurde, daß die Henne Menschenfleisch verzehrte.

Die Aktien sind gestiegen; die Profite träufelten unaufhörlich in den Geldschrank; die Grundstücke erhöhten sich im Werte; alles ging zu, wie im Zaubermärchen, wo sich Kohlblätter in Gold, und Tränen in Perlen verwandeln.

Ja, ja Tränen - Tränen, geweint vom darbenden, geknechteten Volke.

Hah! Wie das summt und schnurrt in den Fabriken; wie das hämmert und pocht in der Werkstatt; wie das kracht und rauscht im Bergwerk unter der Erde; wie das schafft und wirkt auf dem Felde. Jede Bewegung scheint der Reibung zu gleichen, welche der Elektrisiermaschine feurige Garben entlockt - jeder Strahl ein Goldstück.

Wer sollte da kein Gefühl der Dankbarkeit empfinden?!

Ein Schatten aber lagert über diesen sonnigen Bildern einer wonnetrunkenen Phantasie. Er bedeutet die massigen Kräfte, welche die ganze Herrlichkeit hervorgebracht, und die gleichwohl nichts davon genießen. Deutlicher und deutlicher werden die Formen. Was zuerst sich nur als grauer Nebel zeigt, das scheint Millionen Einzelgestalten in sich zu fassen. Ein Meer von Köpfen breitet sich aus; Antlitz an Antlitz grinst herein in diese irdische Glückseligkeit des reichen Prassers. Da spiegelt sich kein Sonnenstrahl. Die Gesichter sind blaß, abgemagert, hohläugig, ernst, ängstigend.

Der Reiche wendet sich ab; dieses Massen-Gespenst stört ihn in seinem Lebensgenuß. An sein inneres Ohr aber dröhnt es mit Donnerstimme: "Elender, Du hast uns ruiniert! Dein Glück ist unser Untergang! Du bist ein Räuber, ein Mörder! Für den Galgen bist Du reif!"

Aus ist's mit dem Dankes-Schwelgen. Müde, abgespannt, verfällt der müßiggängerische Schlemmer in Schlaf. Aber wilde Träume durchtoben sein Gehirn. Mörder - Räuber - Galgen! hört er rufen. Und, in Angstschweiß gebadet, mit verzerrtem Gesicht, stöhnt er: Hilfe, Polizei!

Wenn er seinen Rausch ausgeschlafen, ist er unendlich froh, daß das Ganze nur ein Traum gewesen. "Träume," tröstet er sich mit Franz Moor, "kommen aus dem Bauche."

Aber wisset, Ihr Drohnen im Bienenstock der Menschheit, es bleibt nicht immer beim Träumen. Jene abgehärmten Gestalten, die Euch jetzt im Traume erscheinen, werden eines Tages vor Euren wachenden Augen stehen. Sie werden Euch an die Gurgel fahren; sie werden Euch in Stücke reißen!

Diese Armen und Elenden, deren Knochen und Muskeln, deren Gehirne und Blut Ihr heute lot- und tropfenweise an Euch reißt, um daraus Schätze zu formen und dieselben in wahnwitzigem Hochmut bergehoch zu häufen; jene Unglücklichen, denen Ihr heute zumutet, daß sie Eurem erdichteten Gotte für die ausgestandene Pein und Plage noch Dankbarkeit bezeugen, durchzuckt bereits ein Gedanke, welcher für Euch den Untergang bedeutet.

Das Proletariat von heute ist nicht mehr der Sklaventroß von gestern.

Der letztere ist freilich noch immer nicht gänzlich ausgestorben, aber der Nachwuchs nimmt zu, und der ist störriger Natur.

Die Arbeitsleute fangen an zu zählen - zu zählen in jeder Hinsicht.

Sie zählen, wie viele Dinge sie erzeugen und wie wenig sie davon verbrauchen. Da schauen sie sich nach dem Fehlenden um und sie finden heraus, daß dasselbe verschwunden ist, während es durch Eure Finger lief. So ertappten sie Euch als diebische Halunken. Sie zählen Eure Jahre und ihre Jahre und finden, daß Ihr durchschnittlich doppelt so alt werdet, wie sie. Vergegenwärtigen sie sich dabei, wieviel mehr Genußmittel sie zur Verfügung hätten, wenn der bei der vorerwähnten Zählung konstatierte Schwindel nicht existierte, so ist es ihnen klar, daß Ihr es seid, welche diesen Unterschied in der Lebensdauer verschulden. Sie erwischen Euch als Mörder.

Sie zählen endlich Euch und sich selber und finden heraus, daß Ihr ja ein ganz winzig kleiner Haufen seid, verglichen mit ihrer eigenen Masse.

Es geht ihnen ein Licht auf. Sie schlagen sich vor die Köpfe und können nur das eine nicht begreifen: wie eine so ungeheure Menschenmasse sich von einer so verschwindend kleinen Bande Jahr aus, Jahr ein ausrauben und abwürgen lassen konnte.

Sie raffen sich schließlich zusammen und übersetzen die sizilianische Vesper in's Internationale. Sie stechen Euch ab, wie fette Schweine, streichen ihre Güter, die Ihr jetzt als die Eurigen ausgebt, ein und schaffen künftig für sich selber. "So wird es kommen, eh' Ihr denkt."

Hernach ist auch für's Volk ein Grund gegeben, nicht "Gott" zu danken, wohl aber ein Freudenfest zu feiern.

Aus: Johann Most – Marxereien, Eseleien und der sanfte Heinrich. Verlag Büchse der Pandora, 1985. Zuerst erschienen in Mosts Zeitung "Freiheit“ am 21.11.1885. Digitalisiert von www.anarchismus.at


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