Pierre-Joseph Proudhon - Die Arbeit führt zur Gleichheit des Eigentums (1840, Auszug)

Geben wir (...) zu, daß die Arbeit ein Eigentumsrecht am Gegenstande verleiht: warum ist dann dieser Grundsatz nicht allgemein? Warum wird die Wohltat dieses angeblichen Gesetzes auf eine geringe Anzahl beschränkt und der großen Menge der Arbeiter verweigert? (…)

Wenn der Arbeiter, der den Wert der Sache erhöht, ein Recht auf das Eigentum an ihr hat, so erwirbt dasselbe Recht derjenige, der diesen Wert erhält. Denn was heißt erhalten? Doch: ohne Unterlaß zusetzen, fortgesetzt schaffen. Was heißt bearbeiten? Dem Boden seinen Jahreswert geben, das heißt durch eine jährlich erneuerte Schöpfung verhindern, daß der Wert des Grundstückes abnimmt oder verlorengeht. Unter der Voraussetzung, daß das Eigentum vernünftig und legitim sei und die Pacht recht und billig sei, erwirbt, sage ich, der Bearbeiter das Eigentum mit demselben Rechtstitel wie der, der ihn urbar gemacht, und der, der ihn verbessert hat, und jedesmal, wenn der Pächter seinen Zins bezahlt, erhält er einen Eigentumsbruchteil des seiner Pflege anvertrauten Landes, dessen Nenner dem Betrag jenes Zinses gleich ist. Weicht Ihr davon ab, so verfallt Ihr in Willkür und Tyrannei, so erkennt Ihr die Kastenprivilegien an und heiligt die Knechtschaft.

Wer arbeitet, wird Eigentümer: Diese Tatsache läßt sich in den heutigen Grundsätzen der Nationalökonomie und der Rechtswissenschaft nicht leugnen. Und wenn ich Eigentümer sage, so verstehe ich darunter nicht nur, wie unsere heuchlerischen Nationalökonomen, Eigentümer seines Gehalts, seiner Besoldung, seines Lohnes; sondern Eigentümer des Wertes, den er geschaffen hat und aus dem allein der Herr Nutzen zieht.

Da dies alles die Theorie des Arbeitslohnes und die Verteilung der Erzeugnisse berührt und dieser Gegenstand noch nicht genügend beleuchtet ist, so möchte ich gern dabei verweilen; diese Untersuchung wird der Sache nicht unnützlich sein. Viele Leute sprechen davon, daß man den Arbeitern einen Anteil an den Erzeugnissen und am Gewinne zugestehen müßte; aber diese Beteiligung, um die gebeten wird, ist eine reine Wohltat für sie; man hat niemals bewiesen und vielleicht auch noch nicht einmal vermutet, daß das ein natürliches, notwendiges, der Arbeit innewohnendes Recht sei, das von der Eigenschaft, Produzent zu sein, und zwar einschließlich des letzten Handlangers, nicht getrennt zu werden vermag.

Mein Vorschlag ist: Der Arbeiter behält, selbst nach Empfang seines Lohnes, noch ein natürliches Eigentumsrecht an der von ihm erzeugten Sache. (…)

Der Arbeiter bedarf eines Lohnes, um davon während der Zeit seiner Arbeit zu leben; denn er produziert nur, wenn er verzehrt. Wer einen Menschen beschäftigt, schuldet ihm Nahrung und Unterhalt oder einen gleichwertigen Lohn. Das ist der erste Teil, der bei jeder Produktion zu erledigen ist. Ich nehme im Augenblick an, daß der Kapitalist in dieser Beziehung seine Schuldigkeit getan hat.

Der Arbeiter muß außer seinem gegenwärtigen Unterhalt in seiner Produktion noch eine Garantie seines künftigen finden, da er einsehen muß, daß die Produktionsquelle versiegen und er selbst arbeitsunfähig werden kann; mit anderen Worten, die künftige Arbeit muß dauernd aus der vollendeten entstehen: das ist das allgemeine Gesetz der Reproduktion. Daher findet der Grundeigentümer:

1. in seinen Ernten nicht nur die Mittel für sich und seine Familie zu leben, sondern auch Mittel, sein Kapital zu erhalten und zu verbessern, Mittel für die Aufzucht von Vieh, kurz, Mittel für weitere Arbeit und stete Reproduktion;
2. in dem Eigentum an einem Produktionsinstrument die dauernde Sicherheit eines Betriebs-, Beschäftigungs-, und Arbeitskapitals.

Welches Betriebskapital hat nun aber derjenige, der seine Dienstleistungen vermietet? - Das vermutete Bedürfnis des Eigentümers nach seinen Dienstleistungen und dessen vermuteter Wille, ihn entgeltlich zu beschäftigen. Wie in früheren Zeiten der Hörige sein Grundstück nach der Freigebigkeit und der Willkür der Herren hatte, so hat heute der Arbeiter seine Arbeit nach der Willkür und den Bedürfnissen des Meisters und Eigentümers: Das nennt man nach dem "bittweisen" Rechtstitel besitzen. Aber diese bittweise erhaltene Bedingung ist ungerecht, denn sie zieht eine Ungleichheit in jenen Handel mit sich. Der Lohn des Arbeiters übersteigt seinen laufenden Verzehr nicht mehr und sichert ihm nicht den Lohn für morgen, während der Kapitalist in dem vom Arbeiter hervorgebrachten Produkt ein Unterpfand der Unabhängigkeit und Sicherheit für die Zukunft findet.

Nun, dieses Reproduktionsferment, dieser ewige Lebenskeim, dieser Vorrat an produktivem Kapital und Produktionsinstrumenten, dies ist der Kapitalist dem Produzenten schuldig, er gibt es ihm aber niemals. Und diese betrügerische Weigerung veranlaßt die Not des Arbeiters, den Luxus des Müßiggängers und die Ungleichheit der Bedingungen. Darin hauptsächlich besteht das, was man so treffend die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen genannt hat.

Vor drei Sachen eine: entweder der Arbeiter erhält einen Anteil an der Sache, die er mit einem Vorgesetzten produziert hat, nach Abzug allen Lohnes, oder der Vorgesetzte gibt dem Arbeiter ein Äquivalent für seinen produktiven Dienst, oder endlich, er verpflichtet sich, ihn stets zu beschäftigen. Teilung des Produktes, Gegenseitigkeit der Dienstleistungen oder Garantie einer ständigen Arbeit: dieser Alternative kann der Kapitalist nicht entrinnen. Aber es ist klar, daß er die zweite oder dritte Bedingung nicht erfüllen kann: er kann sich nicht in den Dienst von Tausenden von Arbeitern stellen, die, direkt oder indirekt, für seine Niederlassung gearbeitet haben; und er kann nicht alle ständig beschäftigen. Es bleibt also die Verteilung des Eigentums. Aber wenn das Eigentum geteilt wird, so werden alle Bedingungen gleich; es gibt dann weder große Kapitalisten noch große Eigentümer mehr. (…)

Wir kommen von der Arbeit zur Gleichheit; jeder Schritt, den wir tun, bringt uns ihr näher; und wenn die Kraft, der Fleiß und die Geschicklichkeit der Arbeiter gleich wären, so ist es klar, daß es auch die Vermögen wären. Wenn in der Tat, wie man behauptet und wir auch zugegeben haben, der Arbeiter Eigentümer des von ihm geschaffenen Wertes ist, so folgt daraus:

1. daß der Arbeiter auf Kosten des untätigen Eigentümers erwirbt;
2. daß der Arbeiter, da jede Produktion notwendigerweise kollektiv ist, Anrecht auf einen Teil der Produkte und auf den Gewinn nach Maßgabe seiner Arbeit hat;
3. daß, da jedes aufgehäufte Kapital soziales Eigentum ist, keiner ausschließliches Eigentum daran haben kann.

Aus: Pierre Joseph Proudhon. Was ist das Eigentum, Verlag für Sammler, Graz 1971, S. 92-94

Originaltext: Degen, Hans-Jürgen: "Tu was du willst". Anarchismus – Grundlagentexte zur Theorie und Praxis. Verlag Schwarzer Nachtschatten 1987. Digitalisiert von www.anarchismus.at


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