Erfahrungsbericht aus dem KZ - Front und Etappe »Buchenwald«

Anmerkung: Der folgende Bericht stammt von einem Mitglied der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter-Union (FAUD). Er wurde 1946 verfasst.

Bei allen Berichten über die Konzentrationslager stehen begreiflicherweise die fürchterlichen Greueltaten, die von der "SS" in den Lagern begangen wurden, im Mittelpunkt, und doch gibt es darüber hinaus noch viele Dinge, die die Verhältnisse in den Lagern bestimmten.

Die Lebensbedingungen in den Lagern waren in einem ständigen Wandel begriffen, sie wurden bestimmt von der Entwicklung der Lager selbst, als auch von den Verhältnissen außerhalb der Lager. Wenn auch der Terrorr der "SS" wie ein ständiger schwerer Schatten über dem Leben aller Häftlinge schwebte, so gab es doch in jedem Lager gewaltige Abstufungen der Grade des Terrors, unter dem der Einzelne oder ganze Gruppen zu leiden hatten. Die Verhältnisse in den Konzentrationslagern waren ein direktes Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse der übrigen bürgerlichen Welt, mit all ihren Klassenunterschieden, aus deren Interessen sie ja geboren wurden.

Die "SS" selbst hatte zunächst die Häftlinge in die verschiedensten Gruppen eingeteilt: in Politische und Kriminelle, in Juden und Angehörige fremder Nationen, in Rassenschänder und Homosexuelle, in Bibelforscher und Emigranten, ohne die zahlreichen Untergruppen, die alle schon äußerlich durch verschiedenfarbige Dreiecke gekennzeichnet waren. Gegen all diese gezeichneten Opfer des Faschismus wurde der Terrorapparat der "SS", je nach den Konjunkturgesichtspunkten der faschistischen Wahnsinnsideologen, eingesetzt. Diese Klassenteilung und ihre äußere Kennzeichnung hatte nicht nur den Grund, die speziellen Opfer schneller greifen zu können, sie hatte auch ihre psychologischen Hintergründe, nämlich künstliche Gegensätze unter den Häftlingen zu schaffen, um sie besser beherrschen zu können. Auf Grund dieser rassischen, sprachlichen, weltanschaulichen und sittlichen Unterschiede, die hier auf einem engen Raume sich aneinander rieben, ist es der "SS" tatsächlich gelungen, jeden offenen Widerstand der Opfer gegen ihre Henker zu verhindern, so daß der Selbsterhaltungstrieb der Gehetzten sich immer wieder gewisse Schlupfwinkel suchte, in denen sie der unmittelbaren Vernichtung zu entrinnen versuchten.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren zunächst die politischen Gegner diejenigen, gegen die sich die Vernichtungswelle richtete. Sie füllten die Gefängnisse und Zuchthäuser und sie wanderten dann in die Konzentrationslager. Sie waren mit den Kriminellen die Pioniere, welche unter dem individuellen Terror der "SS" die harten Aufbauarbeiten der Konzentrationslager zu verrichten hatten, die unzählige Opfer gekostet haben.

Wer den Kampf ums Dasein in dieser Hölle bestehen wollte, mußte zunächst bestimmte individuelle Eigenschaften mitbringen und entwickeln. Gesundheit, körperliche und seelische Kraft waren in den Jahren des Aufbaues nötig, als es noch galt, unter den primitivsten Lebensverhältnissen, in Elendsbaracken, in Wind und Wetter bei schwerster Arbeit und schlechtester Ernährung das Leben zu fristen.

Die Arbeiter, aus deren Reihen sich der größte Teil der politischen Häftlinge rekrutierte, brachten die besten Voraussetzungen mit, um auch diesen harten Lebenskampf in den Konzentrationslagern zu bestehen, und in dem Maße, in dem der individuelle Terror wuchs, entwickelte sich der Instinkt und die Lagererfahrung, um in vielen Fällen der Gefahr, die von dieser Seite drohte, auszuweichen. Nur so ist es zu verstehen, daß unter den Überlebenden ein großer Teil alter Konzentrationäre zählen, während oft diejenigen, die später in die Lager kamen und denen diese harte Schule fehlte, zugrunde gingen.

Als die Konzentrationslager sich vergrößerten, traten neben die primitiven und schweren Arbeiten in den Steinbrüchen, Straßenbau, dem Roden der Wälder usw. auch solche Arbeiten, die qualifizierte Arbeitskräfte benötigten und damit vergrößerte sich auch für viele die Chance, zu denjenigen zu gehören, für die die Vernichtung zwar nicht aufgehoben, aber doch wenigstens hinausgeschoben war. In Buchenwald entstanden neben den Elendsbaracken, die auch in Zukunft noch zur Unterbringungen der Häftlinge dienten, feste Wohnblocks, eine ganze Reihe Verwaltungsgebäude, die SS-Siedlungen und Kasernen, die Führerhäuser und später auch ganze Fabrikanlagen. Dieser ganze Aufbau, seine Planung und Ausführung wurde zum größten Teil von den Häftlingen ausgeführt.

Diese Umstände brachten es mit sich, daß besonders die Häftlingsintelligenz und die Facharbeiter der unmittelbaren Kontrolle und dem ständigen Terror der SS entrückt wurde. Die SS behielt nur dort ihren Einfluß als Antreiber und ständiger Bewacher, wo es sich um primitive Arbeiten handelte. Schon bei den Handwerkern konnten diese primitiven Landsknechte nicht mehr mitreden.

Die SS-Aristokratie benötigte allein für die Befriedigung ihrer im ständigen Ansteigen begriffenen Bedürfnisse ein Meer von Arbeitssklaven, die, solange sie dieselben brauchte, etwas mehr waren als bloße "Mistvögel", die man nach Herzenslust über den Haufen schoß oder unter den Füßen zertrampelte. Alles, was diese Landsknechte, die nichts mitbrachten als ihre angeborene Brutalität, sich im Laufe der Jahre auf rechtlichem und noch viel öfter auf unrechtlichem Wege erwarben, war durch Häftlinge geschaffen worden. Und die Bedürfnisse dieser neuen Herrenrasse steigerten sich, je höher sie auf ihrer Klassenstufenleiter hinaufkletterten.

In Buchenwald entstanden ganze Luxusbetriebe, Ateliers und Kunstwerkstätten, in denen hervorragende Künstler, die in aller Welt eingefangen wurden, die Launen dieser Parasiten zu befriedigen hatten. Der damalige Lagerkommandant Koch war derjenige, der auf den Gedanken kam, Häftlinge, die am Körper besonders interessante Tätowierungen hatten, töten zu lassen, ihre Haut zu gerben und zu Lampenschirmen zu verwenden. Die Gestelle der Tischlampen waren aus Menschenknochen gefertigt. Zu seiner Belustigung hielt er sich einen kleinen Zoo mit Füchsen, Affen, Bären und dergleichen, die mit den besten Leckerbissen gefüttert wurden, während Tausende von Gefangene am Hunger zugrunde gingen. In den Bärenkäfig ließ er Gefangene werfen, die von den Bestien zerfleischt wurden.

Seine Frau, die gefürchtete Kommandeuse, die jeden Gefangenen, der nicht rechtzeitig wegblickte, wenn er ihr begegnete, über den Bock brachte, wo ihm dann 25 Stockhiebe ausgezahlt wurden, hatte eine eigene Reithalle, in der sie bei den Klängen der SS-Kapelle ihren Morgenritt machte. Bei dem Bau dieser Reithalle verunglückten 30 Häftlinge tödlich.

Ich selbst hatte einmal Gelegenheit, die Launen dieser "Dame" kennenzulernen. Ich arbeitete damals als Installateur in der Villa Kochs. Wir hatten das Badezimmer fertig installiert, das mit blauen Kacheln an den Wänden verkleidet und mit allem Luxus ausgestattet war. Eines Tages erschien die Kommandeuse, um sich die Sache anzusehen. Nachdem sie sich prüfend umgesehen hatte, gefiel ihr die Farbe der Kacheln nicht und die Folge war, daß die Fliesenleger wieder alles abreißen mußten. Da sie selbst nicht wußte, was sie wollte, wurde einfach eine andere Farbe gewählt. Nachdem alles wieder in Ordnung war, gefiel ihr auch das nicht, so daß sich das Spiel mit dem Abreißen und Aufbauen einige Male wiederholte.

Es ist klar, daß die Häftlinge, die als Facharbeiter irgendwo beschäftigt waren, sich nicht immer totarbeiteten, sondern die Dummheit ihrer Sklavenhalter zu ihrem Vorteil ausnutzten. Während der Jahre, in denen die Konzentrationslager sich zu gewaltigen Produktionsstätten entwickelten, entstand so gewissermaßen eine Etappe, in der viele Häftlinge untertauchten und so dem unmittelbaren Terror der SS mehr oder weniger entronnen waren.

Ein weiteres Organ der Sicherung gegen den individuellen "SS"-Terror bildete die Häftlingsselbstverwaltung. Die "SS" hatte von allem Anfang an unter den Gefangenen sogenannte Stubenälteste bestimmt, die für die Ordnung und die Durchführung der Lagerbestimmungen verantwortlich waren. Mit der Erweiterung der Lager erweiterte sich auch dieser zunächst primitive Selbstverwaltungsapparat. Neben die Stubenältesten traten die Blockältesten und Lagerältesten, die zur Bewältigung ihrer Aufgaben wieder Hilfskräfte hatten. Auf den Arbeitsstellen bestimmte die "SS" für die Überwachung der Arbeiten die sogenannten "Kapos", die meistens von der Arbeit befreit waren, diesen wieder unterstanden die Häftlingsvorarbeiter. Um diese Posten entspann sich sehr bald ein erbitterter Kampf zwischen den Politischen und den Kriminellen.

Anfänglich wurden die "BV"er (Berufsverbrecher) bei der Besetzung dieser Posten von der "SS" bevorzugt, weil sie rücksichtslos gegen die Gefangenen vorgingen und die Interessen der "SS" vertraten. Es ist unbeschreiblich, was die Häftlinge unter diesem Abschaum der Menschheit zu leiden hatten, sie waren oft eine schlimmere Geisel als die "SS" selbst. Ihre Vertrauensstellung bei der "SS" benutzten diese Elemente, um sich auf Kosten ihrer Mitgefangenen zu bereichern.

Die einfachste Form dieser Korruption war, daß sie die Essenrationen schmälerten, um sich zunächst selber satt zu fressen, was übrig war, wurde für teures Geld und alle möglichen Dinge verschoben. Wer es wagte, sich gegen diese Ungerechtigkeiten aufzulehnen, wurde bei der "SS" wegen illegaler Tätigkeit oder sonstiger falschen Anschuldigungen gemeldet, was gefährliche Folgen nach sich zog, oder es konnte ihm passieren, daß er umgelegt wurde.

Die meisten dieser Individuen trieben es bei ihren dunkelen Geschäften, bei denen die "SS" nicht selten beteiligt war, so weit, daß sie selbst von der "SS" plötzlich fallen gelassen, und um ihnen den Mund für alle Fälle zu schließen, umgebracht wurden.

Wegen der Unzuverlässigkeit dieser zweifelhaften Elemente und wohl auch aus der Erkenntnis, daß sowohl die Disziplin als auch die Probleme der Arbeit allein mit roher Gewalt nicht zu bewältigen waren, konnten sich die Politischen in Buchenwald schließlich durchsetzen. Während bei den "BV"lern die persönlichen Interessen und Vorteile im Vordergrund standen, waren bei den Politischen gerade die Bekämpfung der Korruption unter den Häftlingen, die eine ernste Gefahr für die Selbsterhaltung darstellte, die ursprünglichen Motive für den Kampf um die Selbstverwaltung.

Im Allgemeinen hat sich die Beseitigung der "BV"er zu Gunsten der Politischen in einem günstigen Sinne im internen Lagerleben ausgewirkt, wenn auch im einzelnen nicht immer verhindert werden konnte, daß es auch unter den Politischen solche Elemente gab, die den Verlockungen ihrer Vormachtstellung nicht widerstehen konnten, um sie mehr oder weniger zu eigenen Vorteilen auszunutzen. Überall dort, wo jedoch charakterfeste Persönlichkeiten diese Posten bekleideten, haben sie die Moral des Lagerlebens gefördert und das Zusammenleben der Häftlinge reibungsloser und somit erträglicher gemacht.

Es gibt wohl kein Gebiet, auf dem der Einfluß der Politischen für die Allgemeinheit von so entscheidendem Einfluß gewesen ist, als in den Häftlingslazaretten. Für die "SS" gab es ja überhaupt keine Krankenbehandlung. Der Lagerführer Koch hat die Auffassung der "SS" in die Worte zusammengefaßt: "Bei uns gibt es keine Kranken, sondern nur Gesunde oder Tote". Dementsprechend sah es auch in den Häftlingslazaretten aus. Stundenlang mußten die Häftlinge, die sich krank meldeten, oft im Freien stehen und waren, wenn sie endlich vorgelassen wurden, den wüstesten Mißhandlungen der "SS"-Sanitäter ausgesetzt, die sie mit Fußtritten in der Regel wieder zum Teufel jagten. Diejenigen, die wirklich in die Lazarette zur Behandlung auf genommen wurden, liefen, wenn sie ernstlich erkrankt waren, Gefahr, abgespritzt zu werden. Die Giftspritze war in Buchenwald ein beliebtes Instrument der Massenliquidierung. Kein alter Konzentrationär ging deshalb, solange es noch keine politischen Häftlingspfleger gab, zur Behandlung dorthin.

In einem hartnäckigen Kleinkrieg gegen die "SS" gelang es den Politischen, die in den Lazaretten Fuß gefaßt hatten, Medikamente und sonstige für die Behandlung kranker Menschen notwendigen Dinge herbeizuschaffen, d.h. illegal oder auf dem Wege der List zu organisieren. In Buchenwald gelang es im Winter 1939/40 auf illegalem Wege, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Arbeitskommandos und der stillschweigenden Duldung des Lagerarztes Dr. Blies, der einer der wenigen "SS"-Ärzte war, die für Schaffung sanitärer Verhältnisse Verständnis hatte, einen Operationssaal zu errichten.

Im Jahre 1945 gab es in Buchenwald 280 Häftlingspfleger und 70 Häftlingsärzte, durch deren Hilfe und Pflege vielen Häftlingen das Leben gerettet wurde.
 
Mit der Zeit gelang es auch, der Selbstverwaltung einen Häftlingslagerschutz anzugliedern, der über eine gewisse Polizeigewalt im Lager verfügte. Dadurch war es möglich, den Einfluß der "SS" im internen Lagerleben auszuschalten und solche wilden Überfälle, mit denen früher die "SS"-Streifen die Häftlinge terrorisierten und oft mitten in der Nacht aus den Betten trieben, um alles von unten nach oben zu kehren, einzudämmen.

Überall, wo der Gefangene mit der "SS" in Berührung kam, und das geschah ja nicht nur bei der Arbeit, sondern auf den verschiedenen Dienststellen, auf die er zur Erledigung irgendwelcher Formalitäten gerufen wurde, benutzte die "SS" diese Gelegenheit, um ihren Sadismus an den Gefangenen auszulassen. Die ausgesprochene Dummheit und Faulheit der "SS" gab wohl in erster Linie die Veranlassung dazu, daß auch in den Verwaltungsstellen der "SS" immer mehr Häftlingsschreiber eingesetzt wurden, die nun im Verkehr mit den Gefangenen an die Stelle der "SS" traten, wodurch auch hier erträglichere Verhältnisse Platz ergriffen.

Eine bedeutende Rolle haben diese Kommandierten innerhalb des illegalen Kampfes gegen die "SS" gespielt. Da sie in ständigem Kontakt mit der "SS" standen, bekamen sie oft Einblick in wichtige Befehle und Anordnungen, die sich gegen einzelne Häftlinge oder das ganze Lager richteten. Diese wurden dann über einen gut ausgebauten Nachrichtendienst an die entsprechenden Stellen der illegalen Häftlingslagerleitung weitergegeben, wo sie entsprechend ausgewertet wurden.

Bei dem ständigen Anwachsen der Verwaltungsarbeit, der die "SS" ohnmächtig gegenüberstand, verlor sie sehr bald die Übersicht, so daß die Häftlinge in den Schreibstuben nicht selten die eigentlichen Herren waren. Diese Machtstellung wurde allgemein dazu benutzt, um gefährdete Genossen abzuschirmen und sie in weniger gefährlichen Arbeitskommandos unterzubringen und sie dem Gesichtskreis der "SS" zu entziehen.

Ich selbst bin auf diesem Wege aus der Gefahrenzone herausgeschleußt worden. Als ich 1938 von einem Straflager im Moor nach Buchenwald überführt wurde, war ich monatelang in den verschiedensten Arbeitskommandos, von denen eines verrufener war als das andere: Zunächst im Steinbruch, dann im Straßenbau, bei dem Schachtkommando "SS"-Siedlung und in dem gefürchteten Klinkerwerkkommando. Dort entdeckte mich durch Zufall einer unserer syndikalistischen Genossen, der schon länger im Lager war und der über die entsprechenden Beziehungen zu den von den "Roten" besetzten Dienststellen verfügte. Er signalisierte die Sache den Häftlingen auf der Arbeitsstatistik, die mich dann prompt hinter dem Rücken des Arbeitsdienstführers zu meinem Freund, der ein Baumateriallager verwaltete, abkommandierten. Von hier aus kam ich in ein Installateurkommando, wo ich bis zu meiner Befreiung blieb.

Diese Häftlingssolidarität kam in erster Linie natürlich dort, wo die Politischen die Macht in den Händen hielten, den Politischen zugute, doch wurde sie auch dort, wo kein engstirniger Kastengeist herrschte, auf alle anderen Kategorien ausgedehnt. Voraussetzung war in jedem Falle eine einwandfreie Lagerführung.

Wenn hier sehr häufig die Gegensätze zwischen Politischen und Kriminellen hervorgehoben werden, so ist dies nur die Feststellung einer Tatsache, die jedoch keine grundsätzliche Ablehnung und Verurteilung dieser Opfer des Faschismus bedeuten soll. Ich habe unter den anderen Winkelträgern sehr oft Menschen kennengelernt, die ich wegen ihrer Kameradschaft schätzen gelernt habe, während gerade die Roten, und hier besonders die Kommunisten, ihre Solidarität oft von der Parteizugehörigkeit abhängig machten. Ich habe es erlebt, daß unsere spanischen Kameraden, als sie sich als Mitglieder der C.N.T. oder der F.A.I. zu erkennen gaben, rücksichtslos in das Vernichtungslager Natzweiler abgeschoben wurden, während die Mitglieder der spanischen K.P. abgeschirmt wurden.

Die Solidarität der Politischen untereinander war bestimmt durch die gemeinsame Weltanschauung, die uns zu prinzipiellen Gegnern der "SS" machte. Diese Solidarität kannten vor allem auch die Angehörigen der fremden Nationen und im besonderen die Bibelforscher. In dieser Solidarität lag die Voraussetzung, als handelnder Faktor gegen die "SS" in Erscheinung zu treten. Den Kriminellen fehlte diese Gruppensolidarität. Wo es sich um wertvolle Menschen handelte, wurden sie in die Gemeinschaft einer Solidaritätsgruppe aufgenommen, im anderen Falle versuchten sie ausnahmslos, sich mit den verwerflichsten Mitteln der Korruption durchzusetzen. Durch die Häftlingssolidarität, die von den Kommandierten ausging, wurde Großes für die Gemeinschaft und für den Einzelnen geleistet, doch ist diese Häftlingsprominenz in keinem einzigen Falle ganz frei von Korruption geblieben, bei den "Grünen" und "Schwarzen" (Kriminelle und Assoziale) war sie nur viel stärker ausgeprägt. Größer und selbstloser habe ich die Solidarität als stille Tat einzelner kennengelernt.

Die Stellung des Einzelnen im Lager hing also von den verschiedensten Faktoren ab. Gehörte er zu den Gruppen, die von den Nazis dazu bestimmt waren, unmittelbar ausgerottet zu werden, wie die Juden, Polen oder Russen, so war er in den meisten Fällen verloren.

Die Arbeitsbedingungen waren einer der Hauptfaktoren, von denen es abhing, ob man die Chance hatte, zu den Überlebenden zu zählen. Ein Arbeiter im Steinbruch hatte dabei weniger Chancen als ein Handwerker, der für die "SS" weniger greifbar war.

Die Kommandierten wieder standen mit ihren Aussichten noch etwas höher, denn es ist kaum vorgekommen, daß einer von ihnen sich an die erste Stelle einer Transportliste gesetzt hätte, von dem er zum wenigsten wußte, daß er ins Ungewisse geht.

Jedenfalls gab es in jedem Lager, obwohl alle Gefangene waren, die gleichen Klassenunterschiede wie in der Freiheit, nur daß sie hier, wo ein mörderischer Kampf ums Dasein tobte, noch viel krasser in Erscheinung traten. Schon rein äußerlich gesehen gab es da Gestalten, die zum Lagerproletariat gehörten, die verlumpt, müde, ausgezehrt und kahlgeschoren dahergeschlichen kamen. Im großen Gegensatz hierzu die Lagerprominenz, womöglich in eigener Kleidung, und nach dem sonstigen Aussehen nach zu schließen, gerade noch nicht auf dem Aussterbeetat stehend. Zwei typische Vertreter von "Front" und "Etappe" im Konzentrationslager.

Obwohl Buchenwald kein ausgesprochenes Vernichtungslager war, wie etwa Auschwitz oder Ravensbrück, weil es nicht über die für die Massenvernichtung vorgesehenen Gaskammern verfügte, sind dort alle nur erdenklichen Methoden des individuellen und kollektiven Terrors zur Anwendung gekommen. Einundfünfzigtausend Menschen sind in Buchenwald dem braunen Terror zum Opfer gefallen.

Unter dem Massenterror hatten besonders die Juden, die Polen und die Russen zu leiden. Während der verschiedenen Judenaktionen, die in Deutschland selbst und im Ausland stattfanden, kamen auch zahlreiche Judentransporte nach Buchenwald. Die Juden wurden ausnahmslos in primitive Baracken zusammengepfercht. Ohne die geringsten sanitären Anlagen, oft tagelang ohne Essen, ohne Schutz gegen Kälte und ohne jegliche ärztliche Hilfe waren sie in kürzester Zeit so heruntergekommen, daß sie massenweise dahinstarben.

Sie waren nicht nur dem wüstesten Terror der "SS" ständig ausgesetzt, sondern auch der schamlosesten Erpressung. Angefangen von Stubenältesten, die ihnen ihre kargen Rationen schmälerten, und das Übriggebliebene dann für teures Geld an die Hungrigen verkauften, bis hinauf zu den höheren "SS"-Führern, die sie willkürlich mit Sühnegeldern für alles mögliche belegten, ihnen mit leeren Versprechungen Tausende aus den Taschen lockten und auch sie in Einzelfällen für Hunderttausende laufen ließen.

Wenn sie durch Hunger und Krankheiten genügend dezimiert waren, wurden sie nach den einzelnen Vernichtungslagern abgeschoben. Nach dem angeblichen Attentat im Münchener Bürgerbräukeller im November 1939 wurden willkürlich 21 Juden herausgegriffen und als Geiseln erschossen. Von den 389 Juden, die im Februar 1941 von Amsterdam und Rotterdam nach Buchenwald kamen, lebten, als sie nach kurzer Zeit nach dem Vernichtungslager Mauthausen abgeschoben wurden, nur noch 341.

Den Polen ging es ebenso wie den Juden. Von den im Oktober 1939 eingelieferten 1.700 Polen lebten im Januar 1940, als das Elendslager, in welchem sie untergebracht waren, wegen Seuchengefahr aufgelöst wurde, noch 600. Die übrigen waren zum größten Teil erfroren, andere verhungert oder an Krankheiten gestorben. Die Überlebenden hatten ein Durchschnittsgewicht von 40 kg.

Zur Liquidierung russischer Kriegsgefangener wurde in Buchenwald ein Pferdestall in eine als Baderaum getarnte Hinrichtungsstätte umgebaut. Die ahnungslosen Opfer, die sich in einem Raum entkleiden mußten und dann in einen mit schalldichten Türen versehenen Raum traten, der als Baderaum hergerichtet war, wurden dort von einem versteckten Schießstand aus von einem "SS"-Mann mit einer Maschinenpistole erschossen. Wer nicht gleich tot war, wurde mit einer Keule erschlagen. In einer Nacht wurden bis zu 500 Mann auf diese Art umgebracht.

Die Fleckfieberstation, welche in Buchenwald 1942 errichtet wurde, und in der an gesunden Menschen Versuche mit Fleckfieberimpfstoffen gemacht wurden, diente ebenfalls zur serienweisen Liquidierung von Häftlingen, wobei sich der Terror ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängte.

Neben diesen Massenmorden hatte die "SS" im Laufe der Zeit so ziemlich alle Möglichkeiten, die der menschliche Wahnsinn ersinnen kann, um einen Menschen zu töten, erprobt. Die Opfer wurden: erhängt, erwürgt, erschossen, erschlagen, vergiftet, abgespritzt, gesteinigt usw. Durch die staatliche Sanktionierung des Mordes hatten diese Mörder alle Hemmungen verloren. Es war eine Selbstverständlichkeit bei der "SS", einen Menschen über den Haufen zu schießen, um drei Tage Prämienurlaub zu erhalten, den sie dann ohne die geringsten Gewissenskonflikte im Kreise ihrer Familie oder mit der Geliebten verbrachten. Oftmals waren die Beweggründe nur Langeweile, verletzter Autoritätsdünkel, Geltungsbedürfnis der eigenen Mördergilde gegenüber oder Strebertum, das sich so die Sporen zu verdienen trachtete. Die meisten Opfer forderten die schlechten Arbeits- und Ernährungsverhältnisse während des Krieges.

Die "SS" verfügte in den "Deutschen Ausrüstungswerken (D.A.W.), im Lager selbst und in der näheren Umgebung über eine Reihe Rüstungsbetriebe, in denen Tausende von Häftlingen beschäftigt waren. Im Verlaufe des Krieges wurden aber auch die Häftlinge in eigene und private Betriebe verschickt, die weit im Lande verstreut lagen. Aus diesem Grunde entstanden etwa 70 neue Lager, die dem Stammlager unterstellt waren. Von den 80.813 Häftlingen, die das Lager Buchenwald am 1. April 1945 zählte, arbeiteten etwa 34.000 in 55 Rüstungsbetrieben außerhalb des Lagers.

Die Verhältnisse in diesen Lagern waren in der Regel primitiv und grauenhaft. Besonders schlecht waren die Kommandos, die zum Bau der unterirdischen Rüstungsbetriebe und der unterirdischen Hauptquartiere eingesetzt waren. Bei der schlechtesten Ernährung wurden die Gefangenen von den SS-Bestien zu den schweren Arbeiten angetrieben.

Ein anschauliches Bild von den fürchterlichen Verhältnissen geben die Sterblichkeitsziffern dieser Kommandos. Wir wollen hier die von dem Außenlager "Dora" herausgreifen. Von den 15.000 Häftlingen, die dort beschäftigt waren, kamen in den Herbstmonaten 1943 jeden zweiten Tag 100 Leichen nach Buchenwald zurück, um im Krematorium verbrannt zu werden. Die Kommandos mußten ständig mit neuen Opfern aufgefrischt werden.

Die Transporte, die mit arbeitsunfähigen Häftlingen zurückkamen, boten ein grauenvolles Bild. Zu Skeletten abgemagert, in zerrissenen Kleidern und Schuhen, seit Monaten ohne irgendwelche Gelegenheit zum Baden, vollkommen verlaust und verdreckt, krank und vollkommen entkräftet, so kehrten diese Überlebenden zurück. Als Arbeitskräfte hatten sie für die "SS" keine Bedeutung mehr. Soweit sie nicht in Buchenwald starben oder als nicht mehr lebensfähig die Giftspritze bekamen, wurden sie nach den Vernichtungslagern auf Transport geschickt.

Der Krieg bedeutete also ein plötzliches Anschwellen der Vernichtungswelle, in deren Strudel ausnahmslos alle Kategorien hineingezogen wurden. Viele, die jahrelang in der Etappe untergetaucht waren, wurden durch diese wirtschaftliche Mobilisierung neu erfaßt und mit irgendeinem Transport abgeschoben.

Es gab indessen auch eine ganze Reihe von Außenlagern, in denen einigermaßen erträgliche Verhältnisse herrschten. Und mancher Spezialist oder Facharbeiter hatte dadurch, daß er in einem Rüstungsbetrieb mit Zivilarbeitern zusammenkam, manche Vorteile.

Da die Transporte durch die Häftlinge der Arbeitsstatistik zusammengestellt wurden, gab es besonders für die alten Konzentrationäre die Möglichkeit, in die besseren Kommandos zu kommen. Das Gross des unbekannten Häftlingsproletariats war jedoch dem Zufall überantwortet. Bei dieser Gelegenheit mußten viele über die Klinge springen, die sich im Lager nicht einwandfrei benommen hatten. Spitzel, Denunzianten, Brotdiebe und sonstige unsichere Kandidaten standen natürlich auf der schwarzen Liste und wurden auf diese Weise erbarmungslos ausgerottet.

Dabei kam es natürlich auch vor, daß mancher Gegner der herrschenden Parteikirche, der sich unbeliebt gemacht hatte, und an den man mit offenem Visier nicht herankonnte, "versehentlich" auf eine bestimmte Liste gesetzt wurde. Für manchen politischen Häftling, der als Schreiber in der Arbeitsstatistik saß und auf Befehl der "SS" über das Schicksal seiner Mitgefangenen zu entscheiden hatte, mag dies eine schwere Gewissensfrage gewesen sein. Mit der Aufgabe dieser Machtpositionen aus Gewissensgründen wäre aber tatsächlich nichts gewonnen gewesen, weil eben nicht jeder in die wenigen Rettungsboote gezogen werden konnte, und so mußte, selbst auf die Gefahr hin, daß die anderen zugrunde gingen, die rettende Hand den wenigen hingehalten werden, die für wertvoll betrachtet wurden.

Durch die Beschäftigung in den Rüstungszentren waren die Häftlinge auch der Gefahr ausgesetzt, dem Bombenkrieg zum Opfer zu fallen. Bei dem Luftangriff am 9. Feburar 1945 auf Weimar kamen von den 2.000 Häftlingen, die in den dortigen Gustloff-Werken beschäftigt waren, 300 ums Leben und einige Hundert wurden verwundet. Bereits am 24.8.1944 waren die Rüstungsbetriebe, die sich in Buchenwald befanden, durch einen Luftangriff vollkommen zerstört worden. Einige Bomben, die den SS-Kasernen zugedacht waren, fielen dabei in das Lager, wobei es 384 Tote und 1.462 Verwundete gab.

Als die Fronten sich den deutschen Grenzen näherten, ging die "SS" dazu über, die Lager, die in Frontnähe lagen, zu evakuieren. Diese Evakuierung hatte in den letzten Monaten und Wochen nochmals unzählige Opfer gekostet. Über Hunderte von Kilometern wurden die halbverhungerten und entkräfteten Häftlinge von der "SS" ins Innere des Landes getrieben. Wer diesen Strapazen nicht gewachsen war und am Wege liegen blieb, wurde rücksichtslos erschossen. Denjenigen, die in die Güterwagen gepfercht und auf dem Schienenwege transportiert wurden, ging es nicht besser. Die Gefangenen erstickten und verhungerten in den Waggons und kamen als Leichen an ihrem Bestimmungsort an. Von 4.500 Häftlingen, die von dem KZ Buna nach dem Lager Buchenwald transportiert worden waren, kamen 470 um.

Im April näherte sich die Front auch dem Lager Buchenwald. Durch das dauernde Hinzuströmen der Häftlingsmassen aus den anderen Lagern war die Belegungsziffer auf 47.000 angestiegen, so daß die Ernährung auf das Äußerste gefährdet war. In den Baracken herrschten durch die Überfüllung fürchterliche Zustände. Die Spannung der Häftlinge war auf das Äußerste gestiegen. Was würde die "SS" tun? Würde sie das Lager evakuieren? Würde sie es in letzter Minute noch aus der Luft bombardieren oder mit Flammenwerfern vernichten?

Der Kommandant, SS-Oberführer Pister schien zu zögern. Am 4. April sollten die Juden evakuiert werden. Dem Befehl wurde nicht Folge geleistet. Von den 6.000 Juden konnte die "SS" schließlich 1.500 zusammentreiben. Durch den SS-Sturmbannführer Dr. Schüler kam der Häftlingsleitung zur Kenntnis, daß 46 Politische exekutiert werden sollten, und als sie am 6. April ans Tor gerufen wurden, waren sie bereits im Lager versteckt. Auch diesem Befehl wurde keine Folge geleistet.

Am 6. April verließen 3.000 Juden zu Fuß Buchenwald. Am 7. April sollten nochmals 14.000 Mann evakuiert werden. Es gelang der "SS" aber nur, 6.000 zusammenzubringen. Bis zum 11. April konnte das Lager bis auf 21.000 Mann geräumt werden.

Ich selbst kam erst in den letzten Tagen in das Lager zurück, da ich mich vorher in einem Lager befand, das etwa 25 km von Buchenwald entfernt war. Wir hatten unsere Rückführung ins Stammlager um einige Tage hinauszögern können, in der Hoffnung, daß uns die Panzer der Amerikaner überrollen würden. So erlebten wir den Tag der Befreiung am 11. April durch die amerikanischen Truppen im Lager Buchenwald.

T.M.

Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at


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