Neala Schleuning - Die Abschaffung der Arbeit und andere Mythen

Vorbemerkung: Wir sind froh darüber, auf diesen Artikel gestoßen zu sein und ihn hier zugänglich machen zu können.  Er enthält eine Antwort auf immer wieder aus der Versenkung hochgebrachte Pamphlete gegen die Arbeit und kommt über diesen Nebenschauplatz zu den größeren Fragen rund um Arbeit.

Okay, wir hassen also alle die Arbeit. Aversionen gegen Arbeit scheinen über Kulturen und Zeiten hinweg endemisch zu sein. In vielen Kulturen gibt es reichlich Visionen der Freiheit von Arbeit. Das sorgenfreie Leben der Grashüpfer, die konsumieren können ohne Vorräte für den Winter anzulegen, spricht auch uns an, wogegen das Leben der stumpfsinnigen, langweiligen Arbeitsameise unseren Zorn erregt. Sowohl in der Zeit der Antike wie in der zeitgenössischen Kultur stellt das Potential der Maschine zur Erleichterung unserer Arbeit seine Faszination unter Beweis. Das epische GedUnbenanntes Dokumenticht des finnischen Volkes, die Kalevala zum Beispiel enthält die Erzählung von einer wunderbaren Maschine, der Sampo, die unablässig begehrte Güter produziert. Während der ganzen Geschichte der westlichen Kulturen haben sich solche perpetuum mobile einen anhaltenden Zauber bewahrt.

Trotz dieser reizvollen Fantasien von Müßiggang, endlosem Vergnügen und Reichtum haben sich alle Kulturen auch mit der Notwendigkeit der Arbeit für den Einzelnen auseinandergesetzt. Leben heißt arbeiten und ein großer Teil des Lebens wird mit ökonomischer Tätigkeit verbracht. Ob Arbeit als Pfad zur Erreichung spiritueller Gipfel oder individueller Rettung angesehen wird oder als Fluch aus früheren Verfehlungen – alle großen Religionen der Welt haben den Nichtstuer ermahnt und einige erheben die Arbeit in den Status eines höchsten Prinzips. Auch die meisten politischen Denkrichtungen setzen den Wert der Arbeit entweder voraus oder bedingen ihn zum Nutzen des kollektiven Wohlergehens. Das reine Überleben ist selbstverständlich das Zugrundeliegende, wenn wir über die Notwendigkeit von Arbeit sprechen.

Fast von Beginn an hat das anarchistische Denken zwei verschiedene Philosophien der Arbeit erwogen: eine Schule fordert die Abschaffung der Arbeit, die andere anerkennt die Notwendigkeit von Arbeit. Für die letztere wird zur zentralen politischen Frage, wer über den Arbeitsprozess, seine Ergebnisse und Produkte bestimmt. Anarchisten sind auch geteilter Meinung über die Verdienste der Technik und treten für jeweils eine der drei Alternativen ein: eine ungetrübte Akzeptanz des technologischen Fortschritts; eine primitivistische Forderung nach Rückkehr zur Natur ohne jede Technik oder eine aggressive luddistische Feindschaft gegen die Technik und die Herrschaft der Maschine. Ich möchte kurz auf einige dieser verschiedenen Positionen eingehen.

Die Argumentation für die Abschaffung der Arbeit kann aus verschiedenen Richtungen kommen: als Kritik der geisttötenden Arbeit infolge der Arbeitsteilung; als Ablehnung von Technik und Rückkehr zu einem einfacheren Lebensstil, frei von den Zwängen der zentralisierten Beherrschung durch Kapital und Maschinen; als Wiederaneignung der den “Bossen” gehörenden Zeit für eigene Betätigungen; oder als absolute Ablehnung der Arbeit und Inbesitznahme der Arbeit anderer durch Besetzen, Stehlen, usw. Einige der Argumente für die Abschaffung der Arbeit sind sehr problematisch. Bestenfalls sind sie fehlgeleitet und unsinnig. Im schlimmsten Fall sind sie kontraproduktiv für das Leben einer Gemeinschaft und schlicht unverantwortlich.

1. Die Vorstellung nicht zu arbeiten ist schön und gut, aber unrealistisch und vereinfachend. Wenn die Kritik dessen, was wir nunmehr “Arbeit” nennen, gemeint ist als Ermutigung des Sich-Wehrens gegen die Ausbeutung durch das System der Lohnarbeit, dann ist das eine gute Absicht. Aber mit dieser Kritik muss ein verantwortbarer Plan verbunden sein, wie die fortwährend anliegende Arbeit der Gesellschaft getan werden könnte.

2. Die Verweigerung von Arbeit ist arrogant und wahrscheinlich auch ein bisschen kindisch. Mit Sicherheit ist sie individualistisch und selbstdienlich. Ich möchte es wagen, die Beobachtung auszusprechen, dass diese Philosophie wahrscheinlich besonders ansprechend ist für die Jungen, Starken und Gesunden, die keine Verantwortung tragen für das Wohl anderer (oder glauben, dass sie keine Verantwortung hätten). Einige Argumente für die Abschaffung der Arbeit sind eher gegründet auf der Ideologie einer persönlichen, individuellen Arbeitsethik als auf einer sozialen Ethik, d.h. sie vertreten die Auffassung: ich habe keine Verantwortung für irgendjemand ausser mir selbst.

3. Das Recht auf Faulheit zu fordern oder Arbeit anzulehnen ist eine Position des bloßen Widerstandes. In ihrer Selbstbezogenheit ist sie verkünstelt und zutiefst sozial verantwortungslos. Wie vieles andere in der gegenwärtigen fragmentierten Kultur ist sie weniger eine befreiende Position als ein Symbol dafür, wie machtlos sich die Menschen fühlen. “Aussteigen” ist im Grunde eine Äußerung politischer Verzweiflung und eine moderne nihilistische Antwort, die unglücklicherweise das Individuum sehr effektiv aus der politischen Arena entfernt (wenn wir die klassische Definition von Politik als kollektives Handeln verwenden). Aussteigen ist als individualistischer Akt ein ineffektives politisches Werkzeug. Individualismus ist gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche des politischen Aktivismus. Eine der Hauptgefahren ist, dass alle Probleme der modernen individualistischen Kultur auf Entscheidungen oder Versagen der Einzelnen reduziert werden können. Zum Beispiel: unser Himmel ist voller Schmutz, aber anstatt die Verschmutzer anzugehen, werfen wir uns gegenseitig unser Raucherverhalten vor; wenn Löhne gekürzt werden oder Arbeitsplätze wegfallen um der Firma die Gewinne zu erhöhen, gehen wir aufeinander los und die Arbeitsumgebung wird zum Streitfeld untereinander; unsere Arbeit ist langweilig und ätzend und wir lösen das Problem durch individuelles Aussteigen. Was wir stattdessen fordern sollten ist die Kontrolle über die Verschmutzer und das Recht, unsere Arbeit selbst zu bestimmen. Das Recht fordern, faul sein zu können, würde nur aus einer unerfreulichen Situation befreien. Es gibt dem Individuum nicht mehr Selbstbestimmung. Es ist ein Verhalten, das wahrscheinlich in einer Luxus-Gesellschaft geboren wurde, in der wenige, die nicht in das “System” eingebunden sind, außerhalb stehen und sich einen Spaß auf den Rest von uns leisten können.

4. Zur Natur zurückzukehren, um auf Überlebensniveau zu existieren, könnte machbar sein, aber nur in einem südlichen Klima, mit einer beschränkten Bevölkerungsdichte, in einer ökologisch stabilen regionalen Biosphäre und einer Umwelt, die genügend Essbares für die Nahrungsmittelsuche bietet. Diejenigen von uns, die in nördlichen Klimazonen leben, müssen eine Menge tun, um zu überleben.

5. Ein anderes Argument, das Freiheit von Arbeit verspricht, ist in unserer modernen Kultur impliziert, und obwohl es nicht notwendig ein anarchistisches Argument ist, scheint es in einigen der Kritiken von Arbeit enthalten, z.B. in: Wir müssen nicht arbeiten, weil uns die Technik davor schützen wird, die Maschinen werden das für uns erledigen. Dieser Glaube unterfüttert sowohl kapitalistische wie marxistische Agenden und während er nicht explizit in anarchistischen Argumentationsweisen steckt (die allgemein argwöhnisch sind gegenüber Technik und der mit ihr verbundenen zentralisierten Lenkung), ist doch die implizierte Aussage, dass wir ein Leben geprägt von Freizeit führen können, weil wir weniger Stunden oder gar keine zu arbeiten brauchen, um den gleichen Produktionslevel zu erreichen. Die Vorstellung von Null-Arbeit ist bei dieser Begründung nur eine Ausweitung der Forderung nach einem 4-Stunden-Tag.

Ungeachtet des von Paul Lafargue im 19. Jahrhundert geforderten Rechts auf Faulheit und ungeachtet Bob Blacks kürzlicher Mahnrufe [1985] sieht es so aus, dass die Arbeit uns begleitet und bei uns bleiben wird, selbst wenn wir fortfahren, ein hohes Niveau der Entwicklung der Technik anzustreben. Durch ihr ureigenes Wesen beansprucht die Arbeit ständige und langfristige Verbindlichkeit. Viel von der in jeder Gesellschaft zu verrichtenden Arbeit ist keine Frage der Wahl. Und viele Arbeiten werden gewiss nicht aufregend oder notwendigerweise kreativ sein. Die vollen Windeln eines Kindes müssen gewechselt werden; Saaten müssen gepflanzt und gepflegt werden, Lebensmittel müssen geerntet und auf verschiedene Weise gelagert, vorbereitet und gekocht werden (insbesondere in nördlichen Klimazonen); Brennstoffe und Obdach müssen für Wärme und Kühlung bereitgestellt werden; Kinder müssen versorgt, Menschen geheilt und bekleidet werden. In großen Teilen der Welt wird die meiste Arbeit von Frauen getan. Insbesondere für Menschen, die außerhalb des Lohnsystems leben, ist Arbeit – Handarbeit – die Norm zum Überleben.

Bestimmt wird der Preis für die Befreiung von der industriellen Lohnsklaverei höchstwahrscheinlich mehr Arbeit sein und nicht weniger. Mehr noch, wenn wir an unserer modernen, zentralisierten, urbanen und industrialisierten Gesellschaftsform hängen bleiben, muss ein Minimum an riesiger Infrastruktur aufrechterhalten werden und die Arbeit muss hochgradig koordiniert und spezialisiert bleiben. Strassen und Gehsteige müssen erhalten werden, Müll muss abgefahren werden, Wasser muss zu den Leuten gebracht werden, Abfälle müssen abtransportiert und in umweltgerechter Weise verarbeitet werden. Die Motoren, die die Aufzüge bewegen, müssen laufen; Fernwärme, Wasser, Strom und Telefone müssen weiter in Betrieb gehalten werden: “irgendjemand” muss all diese Arbeit machen – ob gemeinschaftlich, einzeln, durch Losentscheid, durch Zwang – die Arbeit muss getan werden.

Es gibt jedoch verschiedene Optionen, gewisse Wahlmöglichkeiten für uns, um unsere Arbeit auf eine sinnvollere Weise zu organisieren. Einige dieser Lösungen sind ökonomisch, einige persönlicher Art, aber alle, natürlich, politisch. Manche berühren tiefere Fragen, ethische Fragen. Um den Charakter der Arbeit im 21. Jahrhundert zu ändern, müssen wir mit Änderungen an alle Bereiche der Gesellschaft gehen, die das jetzige Arbeitsumfeld zu dem machen, wie es ist: wollen wir die Zentralisation des Kapitals und die private Verfügung über Produktionsmittel und die Profite, die dieses Finanzsystem schöpft, fortführen? Ist etwa die Teilung der Arbeit, die wir eingeführt haben, human und produktiv dafür, wie der einzelne Mensch seine Arbeit macht? Welchen Stand des technischen Fortschritts wollen wir erreichen? Was ist mit den Kosten, die die Umwelt für unseren Lebensstandard zu tragen hat? Und wollen wir uns weiter künstlich stimulieren zu obsessivem Konsum? Wir müssen uns den Fragen stellen, wieviel wir arbeiten wollen und wie die Arbeit getan werden soll; welchen Lebensstil, welches Konsumniveau wir wollen, welche Auswirkungen wir unserer Umwelt auflasten, welchen Grad der Verschmutzung wir akzeptieren können.

Eine unserer ersten Aufgaben ist die Beschreibung der elementaren menschlichen Bedürfnisse und wieviel “genug” ist. Der nächste Schritt ist die Adaptierung einer ökonomischen Struktur, die die Befriedigung dieser grundlegenden Bedürfnisse garantiert und Grenzen für den Konsum setzt. Paul Goodman und andere haben eine Ökonomie mit zwei Ebenen vorgeschlagen: eine Ebene ist auf die gemeinsamen sozialen Bedürfnisse zugeschnitten, die andere dient der Erfüllung individueller Wünsche und Begehrlichkeiten. In dieser Ökonomie würden alle die dazu fähig sind zur Arbeit gebraucht, um ihnen ein garantiertes Grundeinkommen zu sichern, das die individuellen Grundbedürfnisse und die Kosten für Wohnung und Aufrechterhaltung der kollektiven Infrastruktur decken würde. Die Leute würden dann in fünf von jeweils sieben Jahren zur Arbeit herangezogen (mit zwei Jahren Sabbatical). Es hätten aber alle die Möglichkeit, in einem der beiden Jahre weiter zu arbeiten, um zusätzliches Geld für erhöhten Konsum zu verdienen. Ein Sabbat-Jahr wäre obligatorisch. Die Höhe des erzielbaren Einkommens in der zweiten Ökonomie-Ebene könnte begrenzt werden, um die Konsummenge insgesamt zu begrenzen. Das von einem Individuum zu verdienende Gesamteinkommen sollte dann auf das Fünffache des Grundeinkommes limitiert sein. Die “Arbeit”, die wirklich öde, abstumpfend, gefährlich oder abstoßend ist, könnte jenen übertragen werden, die sich für sie entscheiden, im Austausch gegen weniger Arbeitsstunden (z.B. Bergleute, die Gefahrensituationen ausgesetzt sind). Die schweren Arbeiten könnte man rotieren lassen. Ein Teil unseres Widerstandes gegen Arbeit kommt aus ihrem Tretmühlencharakter. Wenn wir insbesondere die unangenehmsten Pflichten so aufteilen könnten, dass ein Individuum nicht die ganze Last allein tragen und diese Arbeit über längere Zeit verrichten muss, würde das auf lange Sicht die Arbeit leichter machen und für den Einzelnen weniger Risiko und Gesundheitsgefahr bedeuten.

Diese Ökonomie mit zwei Ebenen müsste zwar sicherlich eine “gelenkte” Ökonomie sein, würde aber der Mehrheit der Menschen nur ein Minimum an Arbeit abverlangen. Viele Anarchisten werden sich gegen eine solche Aussicht sträuben, aber ihre Vorteile sind offen sichtbar: der Konsum würde gesteuert oder zumindest abgeschwächt, denn die meisten Leute würden es wahrscheinlich vorziehen, nicht zu viel zu arbeiten und lieber zwei Jahre Auszeit nehmen; eine Menge der Sorgen um das Lebensnotwendige würde weggenommen sein; der Wohlstand würde gleicher verteilt werden; mehr individuelle Freiheit des Konsumverhaltens wäre möglich und die Arbeit wäre besser verteilt.

Wir müssen noch mehr die Umbewertung der Richtung der technologischen Entwicklung in den Fokus stellen. Trotz der großen Attraktivität einer Rückkehr zur Natur ist es höchst unwahrscheinlich und voraussichtlich extrem unrealistisch, dass die meisten Menschen den Komfort einer technisierten Gesellschaft aufgeben würden gegen die aufreibende Plackerei auf einem Bauernhof des 19. Jahrhunderts. Aber welche Technologien und ob und wie sie angewendet werden sollen, muss unter die Kontrolle und Leitung der Gesellschaft als Ganzes kommen. Wir müssen bewusst unserer technologischen Weiterentwicklung Grenzen setzen. Nur weil wir es austüfteln können, dass der effektivste Weg, Hühnchen auszunehmen, der ist, jemand zu haben, der diesen Handgriff den ganzen Tag lang wiederholt, heißt das nicht, dass wir die Arbeit auch so ausführen lassen und dem Arbeiter eine chronische Sehnenscheidenentzündung zumuten müssen. Wir müssen uns auch für umweltangepasste, schonende Technologien einsetzen.

Eine unserer Wertmaßstäbe muss es werden, einen so leichten Fußabdruck auf der Erde zu hinterlassen, wie nur möglich. Wir könnten damit beginnen, indem wir langlebige Produkte herstellen. Das stünde im Gegensatz zu unserer Konsumgesellschaft und wäre eine komplette Umkehr. Wir sind süchtig auf Neues geworden und darauf, das wegzuwerfen, was uns nicht länger unterhalten kann. Aber was ist die wahre Eigenschaft des “Neuen” und warum verlangen wir so intensiv danach? Vielleicht ist es des Fehlen von kreativen Herausforderungen auf unserer Seite, das uns dazu bringt, diese von einer wechselnden Umgebung der Dinge zu erhoffen. Wir könnten z. B. beschliessen, stramme Uniformen zu tragen und dasselbe wohlgebaute Auto zu fahren, aber würde uns das den sichtbaren Stolz auf unsere Selbstdarstellung geben, den wir uns so wünschen? Müssen wir Dinge konsumieren oder würden auch angemalte Gesichter uns individuelle Selbstdarstellung ermöglichen? Wir müssen einen Weg finden, Äußerungen unseres Inneren ohne Verschwendung nach aussen zu geben, unser Selbst mit Mitteln zu präsentieren, die keinen ausufernden Konsum mit sich ziehen. Kürzlich bin ich auf die Tatsache gestoßen, dass es in Russland sehr wenig Abfallkörbe gibt – ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Gesellschaft nicht viel in systematischer Weise wegzuwerfen hat (aber sie kommen dahin, leider).

Wir müssen auch Wege herausfinden, die Ausbreitung der Entfremdung in der Arbeit zu überwinden. Einige der Argumente für die Abschaffung der Arbeit sind Tiraden gegen Lohnarbeit, sinnlose Arbeit, sich ständig wiederholende und geisttötende Arbeit, unnötige Arbeit, fragmentierte Arbeit – Arbeit, über die der Ausführende keine Kontrolle hat. Gute Arbeit ist/sollte eine Möglichkeit sein, die eigene Mitte zu finden. Gute Arbeit spricht die kreativen Energien und Ressourcen an, sie verlangt das Vereinen von geistiger und körperlicher Anstrengung. Die postmoderne Arbeitsphilosophie bricht alle Arbeitsschritte auseinander, reduziert sie auf die kleinsten unterteilbaren Einheiten und beauftragt dann einen Ingenieur, die Arbeitsschritte auf die effektivste Weise wieder zusammenzubauen. Das beraubt die Tätigkeit um ihren Inhalt und den Arbeiter um seine Befriedigung.

Sogar unsere Philosophie geriet in den Bann dieser mechanistischen und technologischen Weltsicht. Der Post-Modernismus als eine “Philosophie” (was er nicht ist; er ist nur eine Rebellion gegen alles, soweit ich ihn kenne, gegen nahezu alles, was ihm im Weg steht) begann als Werkzeug zur Kritik der dominanten Hegemonie des korporativen Konsum-Kapitalismus, aber er scheiterte an seinen eigenen destruktiven, reduktionistischen Techniken. Kein gemeinsamer Mittelpunkt hält heute mehr und wir sind zurückgeworfen auf unsere eigenen mageren persönlichen Ressourcen. Der Post-Modernismus wurde ironischerweise zum perfekten Spiegel einer Gesellschaft von Konsumenten: es gibt keine Geschichte, keine Kontinuität, keine Verantwortung – nur eine kindliche Faszination durch den zufälligen Augenblicksmoment, das “Jetzt” und sofortige Belohnung. Auch unsere Arbeit ist fragmentiert. Die vom industriellen Kapitalismus verfeinerten Methoden der Arbeitsteilung haben das abstumpfende Fließband hervorgebracht, Krankheiten durch ständige Bewegungswiederholungen und “wissenschaftliches” Management. Die Teilung der Arbeit führte zu einem mechanistischen Arbeiter und einem mechanistischen Bürger, kanalisiert in Ein-Punkt-Themen und auf einen verengten Horizont; sie zeitigt kurze Aufmerksamkeitsspannen und ein Leben in totaler Isolation von anderen – sowohl politisch, durch Nichtteilnahme am kollektiven Leben und durch soziale Verantwortungslosigkeit und Selbstbezogenheit.

Wir könnten wahrscheinlich die notwendige Anzahl der Arbeitsstunden in unseren Gesellschaften durch mehrere Optionen reduzieren, wenn wir den Ansatz einer hochentwickelten technischen Arbeitswelt verfolgen und den Profit herausnehmen. Wir könnten auch viele einzelne Anwendungen von Technik sein lassen. Je tiefer wir auf der technologischen Skala gehen, wird es natürlich korrespondierende Zuwächse der Menge an Arbeit geben, oder Reduzierungen von Produktion und Konsum. Anarchisten haben traditionell für ein niedrigeres Niveau der Technologie optiert, weil es sich potentiell kompatibler zur Dezentralisierung verhält, besser beherrschbar ist und geringere Kapitalmengen benötigt.

Gute Arbeit hat viele Aspekte, die wichtig sind um den individuellen menschlichen Geist und das gemeinsame Wohlergehen zu nähren: sinnvolle Arbeit gibt uns einen Sinn für Erfüllung und trägt bei zur Befriedigung des Selbst; es regt die Vorstellungskraft an und schafft geistiges Wohlbefinden. Schufterei auf der anderen Seite ist unmenschlich, sie schafft eine Umgebung von geistiger Verantwortungslosigkeit und Unempfänglichkeit. Ihre sinnlosen Wiederholungen dämpfen den Geist und erodieren die mentalen Gewohnheiten der Aufmerksamkeit und Neugier.

Gute Arbeit hat letztendlich mit Gemeinschaft und Demokratie zu tun. Arbeit ist am erfüllendsten und befriedigendsten, wenn sie für andere getan wird und in Kooperation mit anderen. In dieser Einbettung kann das Selbst am bestmöglichsten sein Potential erkennen. Z.B. wird Kunst durch die Gemeinschaft geschaffen und konsumiert. Handarbeit zeichnet sich durch eine genießerische Aufmerksamkeit für die Vervollkommung der von ihr geschaffenen Schönheit aus. Tätigkeiten im Kulturbereich, in sozialen Gruppen und in politischen Gemeinschaften sind vielleicht die wichtigste Arbeit, die Menschen unternehmen. Unsere Entfremdung von jeder Arbeit, so glaube ich, hat dementsprechend zu unserer Entfremdung untereinander beigetragen und von der “Arbeit” dafür, unser kollektives Leben bedeutungsvoller und befriedigender zu machen. Der moderne “Job” hat zur Auflösung von Gemeinschaften beigetragen, in denen sich das menschliche Potential am besten entfalten kann. Wenn Leute sich abwenden und aus der Fronarbeit aussteigen, die ein Schreiber mal die “Proletarisierung der Arbeit” nannte, dann steigen sie auch aus der Beteiligung an vielen Sachen aus, auch aus solchen der politischen und sozialen Gemeinschaft. Die Entfremdung von der Arbeit setzt sich fort in der Entfremdung untereinander. Wenn es gute Arbeit zu tun gibt, dann ist die Ablehnung zu arbeiten, zu sagen “ich will mich daran nicht beteiligen”, eine selbst gemachte Entfremdung. Als menschliche Wesen haben wir die Verpflichtung, ein Minimum zur kollektiven Überlebensarbeit beizutragen. Niemand sollte den Luxus haben, Arbeit generell abzulehnen. An dieser unabwendbaren kollektiven Überlebensarbeit teilzunehmen ist nicht notwendigerweise unterdrückend. Etwas für andere zu tun, zu ihrem Nutzen, zu ihrer Befriedigung und dabei zu wissen und darauf zu vertrauen, das sie dasselbe für mich machen werden, ist die Quintessenz von Arbeit. Was unterdrückend ist, ist die erzwungene Arbeit, ausgebeutete Arbeit; Arbeit, die Güter und Dienstleistungen nicht deswegen hervorbringt, um die sozialen Beziehungen zu optimieren, sondern um irgendetwas zu materialisieren, das einen Tauschwert besitzt. Wir brauchen eine Neugestaltung der Arbeit, keine Abschaffung. Und wir müssen mit den Fragen beginnen: “Was tun wir für–einander?”, “Worin besteht unsere Arbeit?” und nicht nur uns gegenseitig zu fragen, was wir “tun”, was unsere jeweilige individuelle Arbeit ist, wie wir in das System eingeordnet sind, das uns isoliert. Wenn  unsere Arbeit ein wirkliches Anliegen für uns ist, dann werden wir die Probleme lösen, wer für unsere Kinder sorgt, uns kleidet und ernährt, unsere Häuser baut und Gärten bepflanzt.

Die folgenden Gedanken sind entscheidend für die persönliche Ermächtigung und für die politisch/soziale Mitwirkung in Gemeinschaften:

1. Mach deine Arbeit mit anderen zusammen. Nicht-entfremdete Arbeit findet im Kontext von Interaktionen mit anderen Leuten statt. Eines der wichtigsten Management-Kontrollmittel über die Arbeiter im industriellen Kapitalismus ist z.B., ihnen das Recht zu verweigern, miteinander über die Arbeitsplätze und -bedingungen zu sprechen. Partizipation ist entscheidend für die Entwicklung einer sinnvollen Ökonomie und für effektive politische Einflussnahme. Arbeit sollte mit und für andere sein. Die Produktion  muss aus der Gemeinschaft kommen und wieder an sie zurückgehen. Das ist die Grundlage einer neuen Arbeitsethik.

2. Sieh ein, dass für die Arbeit Fähigkeiten und Sachverstand wichtig sind. Die Mechanisierung der Arbeit tötet die Wissbegier und den vorhandenen menschlichen Impuls sich zu engagieren, sich einzumischen, sich anzustrengen und kreativ zu sein. Die Mechanisierung erlaubt keine Unterbrechungen, der Arbeiter wird zum Überwacher, zum Anhängsel der Maschine. Fordere sinnvolle Arbeit.

3. Sei verantwortungsbewusst in dem was du tust, in der Ausübung deiner Arbeit.

4. Verlange, durch deine Arbeit ein Verständnis für das Ganze zu gewinnen; wie die einzelnen Teile sich zueinander verhalten. Die Arbeitsteilung zerstört eine wichtige politische Qualifikation – die Fähigkeit, die Zusammenhänge zwischen Mittel und Zweck zu erkennen. Ein anderes aber benachbartes Problem dreht sich darum, wie eine mechanistische Weltsicht unser Verständnis von Ursache und Wirkung versimplifiziert. Wir entwickeln fast unbewusst eine Präferenz für formal-logische, mechanistische Erklärungen und werden ungeduldig bei Mehrdeutigkeiten. Unser Frustrationslevel ist in dieser rigiden mechanistischen Welt merklich angestiegen und wir verlieren unsere Fähigkeit, mit Menschen und Dingen wertschätzend und einfühlsam umzugehen.

5. Vereinfache technologische Prozesse. Nach T. Fulano in einer Ausgabe der Zeitschrift Fifth Estate vor einigen Jahren über Anti-Technik, ist die Technik selbst ein System der politischen Kontrolle: “Durch ihre enorme Größe, die komplexen inneren Zusammenhänge und die Hierarchisierung der Teilaufgaben machen moderne technologische Systeme eine autoritäre Leitung notwendig und verselbständigend, dagegen individuelle Entscheidungsfindung unmöglich.”(1981). Eine Vereinfachung der technischen Infrastruktur würde auch helfen, die politische Macht zu dezentralisieren und der Kontrolle durch die Beschäftigten unterzuordnen (nach E. F. Schumacher in Small is Beautiful.) Organisatorische Faktoren von technischen Infrastrukturen, die die Macht zentralisieren und Herrschaft beinhalten: großer Maßstab, Hierarchie, Spezialisierung, Standardisierung der Produkte und Vereinfachung der Arbeitstätigkeiten. Zu den Elementen einer freien, demokratischen Ökonomie gehören die strukturellen Alternativen von: kleine Größe, nicht-hierarchischer Aufbau, kooperative Arbeit, Verschiedenheit der Produkte und Arbeitsaufgaben und deren Komplexität.

6. Abschaffung des privaten Eigentums an Produktionsmitteln. Eine neue soziale Ökonomie erfordert die Überprüfung des Konzepts des Privateigentums an Produktionsmitteln. Abgesehen von der Tatsache, dass einige Formen von Sozialismus “gescheitert” sind, stehen wir noch immer mit den Problemen des Kapitalismus da, die Karl Marx vor über 100 Jahren beschrieben hat.

Ebenso muss ein neues Herangehen an die globale Ökonomie entwickelt werden. Die globale Ökonomie ist  “da” und wir haben noch sehr wenig darüber nachgedacht, wie wir auf sie antworten können. Um damit vielleicht anzufangen, wir sollten die Festsetzung von Mindestlöhnen in jedem Land fordern. Ein weltweit garantierter Mindestlohn würde die rastlose Bewegung des Kapitals bremsen bis Mittel zum Einsatz gebracht werden können, um eine Kontrolle über Profite und Investitionen auszuüben. Der durch die Arbeit in den verschiedenen Arbeitsmärkten hinzugefügte Wert sollte auch dort verbleiben wo er entstanden ist. Ausgenommen einer Erstattung an die Überbringer von ökonomischer Entwicklung für ihre Investition und Arbeit bei der Schaffung von Produktionsstätten und Arbeitsplätzen. Auch die Preise sollten weltweit stabilisiert werden nach einer Skala die das relative Verhältnis der Währungen reflektiert. Blue Jeans sollten in den USA 20 $ kosten und in Russland nur 5 $, entsprechend dem relativen Wert von Dollar und Rubel. Die Kosten aller von einer bestimmten Industrie benötigten Infrastruktur müssten völlig von dieser selbst aufgebracht werden: Straßen, Stromversorgung, Abwasserkanäle, öffentliche Transportmittel für die Arbeitenden, usw. Die Verantwortung der Konzerne gegenüber den Gemeinden muss anerkannt und durch Gesetze institutionalisiert werden. Kapital ist beweglich, aber die Menschen sind es im allgemeinen nicht; deshalb muss besonders aufgepasst werden, wenn Firmen versuchen umzusiedeln. Alles was in diesen Gemeinden von den Arbeitenden für die Industriefirmen beigetragen wurde, muss deren Eigentum bleiben. Die Firmen müssen Wege finden, dort wieder Arbeitsplätze bereit zu stellen. Ein überzeugenderer Grund als Profit, als geringere Arbeitskosten oder laxere Umweltschutzgesetze muss vorhanden sein, bevor es einer Firma erlaubt wird, ihr Investment an andere Stelle zu verlagern. Steuerliche Zusatzfinanzierungen müssen abgeschafft werden und mindestens die Hälfte des Profits ist als Steuer zu bezahlen. Viele dieser Vorschläge sind mehr reformorientiert als radikale Umstrukturierungen, aber durch das Fehlen von schlüssigen Alternativen könnten sie ein Ausgangspunkt sein.

Anmerkungen:

“The Abolition of Work and other Myths”. Der Artikel erschien erstmals im Sommer 1995 in Kick it over, Toronto, Kanada. Veröffentlichung mit Einverständnis der Autorin, eigene Übersetzung 2013

Neala Schleuning erhielt 1978 ihr Diplom (PhD) für Studien über Amerika von der Universität von Minnesota mit Schwerpunkt auf Politischer Philosophie und Geistesgeschichte. Sie war als Fulbright Scholar in der Russischen Föderation tätig. Sie ist Autorin vieler Artikel, Studien zu Higher Education Policy, Filme, Radioproduktionen und verschiedener Bücher. Darunter Song We Sang Without Knowing (1983); Idle Hands and Empty Hearts: Work and Freedom in the United States (1990); Women, Community, and the Hormel Strike of 1985-86 (1994); To Have and to Hold: the Meaning of Ownership in the United States (1997), und vor kurzem Artpolitik: Social Anarchist Aesthetics in an Age of Fragmentation (2013). Dieses Buch steht hier zum Download bereit: http://www.minorcompositions.info

Originaltext: http://williammorristexte.com/2013/10/19/neala-schleuning-die-abschaffung-der-arbeit-und-andere-mythen/


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