Häuserkampf und Stadterneuerung

Vor 30 Jahren, am 28. März 1980, fand in der Kreuzberger Cuvrystraße das erste gemeinsame Treffen der sogenannten Instandbesetzer statt. Dort wurden weitere wöchentlichen Treffen vereinbart und ein gemeinsamer „Besetzerrat“ gegründet. Damit war das wichtigste organisatorische Standbein der West-Berliner Hausbesetzerbewegung entstanden, welches die politische Szenerie der Stadt in den 80er Jahren wesentlich prägen und – anders als die zehn Jahre später folgende Welle der Hausbesetzungen in Ost-Berlin – großen Einfluss auf den Wandel der Stadterneuerungsstrategien ausüben sollte.

Was waren die Ursachen der Besetzerbewegung? Anfang der 80er Jahre standen rund 27 000 Wohnungen in West-Berlin leer, und 80 000 Wohnungssuchende hatten keine feste Bleibe. Die herrschende Wohnungspolitik geriet darob in ihre bislang schwerste Legitimationskrise. Ein Korruptionsskandal um den Bauunternehmer Dietrich Garski brachte den SPD-Senat zu Fall. Erst das damit entstandene Machtvakuum ermöglichte die nun folgende enorme Zunahme von Hausbesetzungen.

Diese hatten allerdings, wie die Gründung des Besetzerrates anzeigt, bereits zuvor begonnen, und zwar im Februar 1979, als die Bürgerinitiative (BI) SO 36 die ersten „Instandbesetzungen“ organisierte. Mit der Praxis, Wohnungen zu besetzen und unmittelbar mit Instandsetzungsarbeiten zu beginnen, wollten die Hausbesetzer auf den jahrelangen Verfall von Häusern hinweisen und Akzeptanz schaffen für das Mittel des zivilen Ungehorsams.

Der rasche Erfolg der ersten Besetzungen inspirierte bald auch andere Gruppen. Zugleich bot die Alternativbewegung eine subkulturelle Basis für die erste große Welle der Hausbesetzerbewegung in Berlin von 1979 bis 1981.

Die „Revolte 81“

Der eigentliche Startschuss der „Revolte 81“ in Berlin war der 12. Dezember 1980, als eine illegale Räumung der Polizei in Berlin-Kreuzberg eine Straßenschlacht provozierte. In den kommenden Monaten wurden fast täglich neue Häuser besetzt – der Höchststand wurde im Sommer 1981 mit etwa 165 besetzten Häusern erreicht.

Zunächst widersprachen sich die unterschiedlichen Motive und Interessen in der Bewegung nicht. Im Gegenteil: Die Aktivistinnen und Aktivisten nutzten das politische Machtvakuum, das durch den geschwächten Senat entstand, um in kürzester Zeit eine erhebliche Anzahl von Häusern zu besetzen und damit ein Niveau zu erreichen, das unmittelbare Räumungen überwiegend verhinderte. Sie profitierten dabei von der öffentlichen Akzeptanz, die vor allem der langen „Gärungsarbeit“ von Bürgerinitiativen und Mieterläden und deren primär auf Verhandlungen ausgerichteter Strategie zu verdanken war. Hinzu kam, dass sich die Besetzerinnen und Besetzer auch auf Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes berufen konnten, in dem es heißt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Da das „Wohl der Allgemeinheit“ durch die Immobilienspekulation, die unzählige Häuser über Jahre zu „Leerstand“ machte, vorsätzlich verletzt wurde, trug diese Referenz ebenfalls zur öffentlichen Akzeptanz der Besetzungen bei. Allerdings kristallisierten sich schon bald Widersprüche zwischen „Verhandlern“ und „Nicht-Verhandlern“ heraus. Diese waren dann, als es um die Legalisierung der Häuser ging, nicht mehr zu überdecken: Während die einen in erster Linie die von ihnen besetzten Häuser behaupten wollten, wurden sie genau dafür von den anderen kritisiert. Sie würden den politischen Kampf aufgeben und sich auf eine bloße Bewahrung ihrer eigenen Räume zurückziehen, lautete der Vorwurf.

An diesem inneren Widerspruch setzten die Strategien des Senats an, mit den Hausbesetzungen und der von ihnen ausgelösten „Krise“ umzugehen. Ein prinzipiell zu Zugeständnissen bereiter, aber politisch schwacher SPD-Übergangssenat unter Hans-Jochen Vogel scheiterte mit seinem Vorhaben, die sich rapide ausdehnende Bewegung einzugrenzen. Der im Juni 1981 unter Richard von Weizsäcker antretende CDU-Senat setzte dann auf einen Kurs selektiver Einbindung und repressiver Marginalisierung. Dabei wurden durchaus ernsthafte Bemühungen um eine Einbindung der „friedlichen“ Hausbesetzer immer wieder von Innensenator Heinrich Lummer durchkreuzt, unter dem die „Berliner Linie der Vernunft“ bedeutete: Einteilung der Besetzer in „Verhandlungsbereite“ und „Straftäter“, keine Toleranz gegenüber Neubesetzungen, massives polizeiliches Vorgehen gegen Demonstrationen und Hausdurchsuchungen unter dem Vorwand, keine „rechtsfreien Räume für Straftäter“ zu dulden.

Der Höhepunkt dieser Repressionswelle – der Tod Klaus-Jürgen Rattays während einer Demonstration am 22. September 1981 – war zugleich der Wendepunkt, der den Niedergang der Hausbesetzerbewegung einleitete. Die Besetzer, die sich ihre Häuser als Räume für alternative Lebensentwürfe sichern wollten, „glaubten, dass durch die neue CDU-Regierung die Chancen auf eine Legalisierung der Häuser gesunken waren“. Auch die stadtpolitischen Initiativen im Umfeld der Bewegung sahen ihre langjährige Arbeit gefährdet. Sie begannen, die Hausbesetzungen „in ihre wohnungspolitischen Vorstellungen zu inkorporieren“. Legalisierungen scheiterten aber immer wieder an der Eskalationsstrategie des Innensenators, der oft mitten in Verhandlungen aus nichtigem Anlass Häuser räumen ließ. Erst im Oktober 1983 gelang mit der Übergabe von neun Häusern an den alternativen Sanierungsträger „Stattbau“ eine umfassende Lösung. Nach der letzten Räumung im Herbst 1984 waren von den 165 besetzten Häusern 105 durch Miet- oder Kaufverträge „vertragsbefriedet“ und 60 geräumt worden.

Ende 1984 war die Besetzungsbewegung schließlich endgültig zerschlagen bzw. „befriedet“. Einige Häuser kamen in den Genuss finanzieller Förderung im Rahmen des ab 1982 aufgelegten Programms „bauliche Selbsthilfe“. Räume für kollektive und alternative Lebensweisen blieben jedoch ein Randphänomen. Gleichzeitig schrieben die Legalisierungen die Spaltung der Bewegung fest: Sie erleichterten die Kriminalisierung der „Nicht-Verhandler“ und verabschiedeten letztlich die über die wohnungspolitische Dimension hinausgehende, explizit politische Dimension der Besetzungen.
Von der Flächensanierung zur behutsamen Stadterneuerung

Danach ebbte die Hausbesetzerbewegung ab. Paradoxerweise verstärkte sich ihr Einfluss auf die Strategien zur Stadterneuerung jedoch noch. Dies belegen die wohnungspolitischen Impulse, die vor allem in die 1979 ins Leben gerufene Internationale Bauausstellung (IBA) hineinwirkten. Die IBA wurde als öffentlich finanzierte und privatwirtschaftlich organisierte Institution in den 80er Jahren zum neuen städtebaulichen Machtzentrum, deren „Zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung“ wesentliche Forderungen der Mieterinitiativen, stadtpolitischen Gruppen und Instandbesetzer aufnahmen.

Die „behutsame Stadterneuerung“ von 1981 bis 1989 entwickelte sich aus der Kritik an der Flächensanierung, die auf den großflächigen Abriss der erneuerungsbedürftigen Bausubstanz und den Neubau von modernen Wohnsiedlungen gesetzt hatte. Die Flächensanierung basierte auf dem Aufkauf der Grundstücke in den Sanierungsgebieten durch Sanierungsträger (meist Wohnungsbaugesellschaften) und einer umfassenden Förderung der Abriss- und Neubauarbeiten durch öffentliche Gelder aus den Programmen des Sozialen Wohnungsbaus. An dieser autoritären Form der Stadterneuerung kritisierten nicht nur die Hausbesetzer die mangelnde Einbeziehung der Bewohnerinnen und Bewohner, die gezielte Zerstörung der bestehenden Nachbarschaftsstrukturen und die ersatzlose Vernichtung preiswerter Wohnraumbestände. Denn trotz der massiven Förderung lagen die Mietpreise in den Neubauten deutlich über den Wohnkosten in den Altbaugebieten.

Anstelle der Flächensanierung sollte ab 1981 eine „bauliche Behutsamkeit“ die Bausubstanz erhalten und für eine schrittweise Modernisierung sorgen. Als „sozial behutsam“ galt, die Zusammensetzung der Sozialstruktur möglichst zu bewahren. Schließlich entsprach es dem Grundsatz der „politisch-planerischen Behutsamkeit“, die Bewohner umfassend an den Erneuerungsaktivitäten zu beteiligen. Gleichzeitig beruhte auch die behutsame Stadterneuerung auf öffentlichen Fördermitteln und einer Übertragung der Grundstücke an (oft städtische) Sanierungsträger, so dass – trotz völlig anderer Ziele der Stadterneuerung – eine Kontinuität der marktfernen, staatlichen Organisation der Sanierung fortbestand.

Für die politische Durchsetzung der behutsamen Stadterneuerung waren die Hausbesetzungen der 80er Jahre von zentraler Bedeutung. Sie waren Auslöser, Gegenstand und Partner des neuen Stadterneuerungsmodells.

Die Konzentration der besetzten Häuser war in den künftigen oder bereits festgelegten Sanierungsgebieten allerdings auch eine Folge der Legitimationskrise der Flächensanierung. Hausbesetzer, Bürgerinitiativen und eine kritische Fachöffentlichkeit kritisierten gleichermaßen – wenn auch nicht immer gemeinsam – den geplanten Abriss ganzer Straßenzüge. Darüber hinaus waren die besetzten Häuser ein Experimentierfeld für die Erprobung neuer Instrumente der Stadterneuerung. Besetzern wurden bisher unbekannte Mitsprache- und Gestaltungsrechte bei der Erneuerung ihrer Häuser zugestanden. Kollektive Nutzungsverträge, schrittweise Modernisierungsarbeiten und die preisdämpfende Einbeziehung von Selbsthilfeanteilen standen für das Ende des autoritären Stadterneuerungsregimes der Flächensanierung und für völlig neue Wege der Stadterneuerung.

Ein weiterer – ambivalenter – Erfolg der Hausbesetzerbewegung war die scheinbare Kohärenz der partizipationsorientierten Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung mit dem Selbstverständnis der „Selbstermächtigung“ durch Hausbesetzungen. Insbesondere in Kreuzberg entwickelte sich auf der partizipatorischen Basis ein eigenwilliges politisches Amalgam aus Alternativszene, Hausbesetzern, Alternativer Liste (später Die Grünen) und professionellen Stadtplanern und Architekten, die sich in der Ablehnung der bürokratisch-autoritären Stadterneuerung der Vergangenheit einig waren.

Die zweite Welle: Hausbesetzungen in Ost-Berlin

Anfang der 90er Jahre kam es im machtpolitischen Vakuum der Ost-Berliner Wendezeit erneut zu zahlreichen Hausbesetzungen. Insbesondere der massive Autoritätsverslust von Polizei und Verwaltung begünstigte den neuerlichen Aufschwung der Bewegung. Die innerstädtischen Altbaugebiete Ost-Berlins waren aufgrund der neubauorientierten DDR-Stadtplanung von baulichen Zerfallserscheinungen geprägt und wiesen Leerstandsquoten von bis zu 20 Prozent auf. Etwa 25 000 Altbauwohnungen waren unbewohnt, die meisten davon in den Innenstadtbezirken. Hier konzentrierten sich denn auch die Hausbesetzungen.

Von Dezember 1989 bis April 1990 wurden zunächst vor allem in Mitte und Prenzlauer Berg etwa 70 Häuser (von insgesamt 120) besetzt. Zwar hatte es bereits in der DDR eine langjährige Tradition von Wohnungsbesetzungen – das sogenannte Schwarzwohnen – gegeben. Nun aber änderte sich der Charakter der Hausbesetzungen: Mit Transparenten, gesicherten Fenstern und barrikadenartigen Türeingängen wurden die besetzten Häuser schnell zu Orten eines anarchistisch-libertären Versuchslabors gegen alles Spießige, gegen die sich in dieser Zeit massiv formierenden Neonazis und gegen jede Form von Herrschaft. Die Besetzerinnen und Besetzer waren in dieser frühen Phase überwiegend ostdeutsche Jugendliche, die sich teilweise aus verschiedenen Subkulturen und Politszenen kannten. Bald kamen auch erste westdeutsche und internationale „Freaks“ sowie Künstler in die Häuser und integrierten sich in das neue Freiraumleben. Insbesondere die als „Kunstkaufhaus“ deklarierte Besetzung in der Oranienburger Straße (Tacheles) und die Besetzung der Schönhauser Allee 5 als Hauptquartier des Kunst-Kulturprojektes „Wydox“ zielten auf die Schaffung von Räumen der Selbstverwirklichung und dienten nur in zweiter Linie auch als Wohnhäuser. Hinzu kamen einzelne Hausbesetzungen von Bürgerinitiativen, die mit ihren Aktionen die geplanten Abrisse ganzer Altbaublöcke verhindern wollten. Die meisten dieser Häuser wurden relativ schnell in Genossenschaften legalisiert und mit Fördergeldern „behutsam“ erneuert.

In der zweiten Phase von Mai bis Juli 1990 konzentrierten sich die weiteren etwa 50 Besetzungen stärker auf den Stadtbezirk Friedrichshain. Ein Aufruf aus dem Kreis der oppositionellen „Kirche von Unten“ im April 1990 in der West-Berliner Szenezeitschrift „interim“ machte auf den seit 1987 bestehenden Leerstand in der Mainzer Straße aufmerksam und rief zu Besetzungen auf. Da dieser Aufruf Ost-Berliner Linker explizit in einem West-Medium erschien, fühlten sich viele West-Berliner Aktivisten von den Hemmungen befreit, als „Wessis“ im Osten Häuser zu besetzen.

Mit über 250 Besetzerinnen und Besetzern entwickelte sich die „Mainzer“ schnell zum Zentrum der Friedrichshainer Hausbesetzerszene. Sie wurde auch in politischen Stellungnahmen und in der medialen Berichterstattung zum Symbol der Ost-Berliner Hausbesetzerbewegung. Gerade die Mainzer Straße stand für die Tendenz, besetzte Häuser nicht mehr nur als Freiraum zur Selbstverwirklichung anzusehen, sondern auch als Orte der Konfrontation mit staatlichen Behörden und als Symbole einer politischen Selbstverortung.

Ab Ende Juli 1990 verringerte sich die Zahl der Neubesetzungen angesichts der nun auf den Ostteil der Stadt übertragenen „Berliner Linie“ indes deutlich. Gleichzeitig wurden erste Häuser geräumt, mit dem symbolischen und gewalttätigen Höhepunkt der Räumung der Mainzer Straße in den Morgenstunden des 14. November 1990. Ein unmittelbares Ergebnis dieser Räumung war die mehrheitliche Orientierung an Verhandlungslösungen für die besetzten Häuser. Das Scheitern in der Mainzer Straße, besetzte Häuser militant durchzusetzen, zwang die Besetzer an die Verhandlungstische. In nach Bezirken getrennten Verhandlungen schloss ein Großteil der Häuser mit den jeweiligen Wohnungsbaugesellschaften Nutzungsvereinbarungen ab. In Ost-Berlin konnten etwa drei Viertel aller Häuser vertraglich gesichert werden, das waren mehr als die etwa 60 Prozent in West-Berlin Anfang der 80er Jahre.

Im Anschluss an die vertragliche Sicherung der Häuser begannen die Besetzerinnen und Besetzer vielfach mit baulichen Aufwertungsarbeiten, die über die Wiederherstellung der Bewohnbarkeit hinausgingen. Statt der anfänglichen Instandsetzungen und Reparaturen in Eigenarbeit wurden nach und nach umfangreiche Sanierungsarbeiten vorgenommen – oftmals im Rahmen von öffentlichen Förderprogrammen: Im Laufe der 90er Jahre wurden über 250 Mio. Euro für die Förderprogramme der „Wohnungspolitischen Selbsthilfe“ ausgegeben. Insgesamt wurden über 3000 Wohnungen auf diesem Wege erneuert – viele davon in ehemals besetzten Häusern. In einzelnen Quartieren waren die ehemals besetzten Häuser die ersten sichtbaren Markierungen der beginnenden Stadterneuerungsprozesse. Gleichzeitig wurden die mit den Häuserkämpfen entwickelten Kommunikationsstrukturen wie die Zeitschrift „BZ – BesetzerInnen Zeitung Berlin“ (1991 bis 1995) oder das Videonachrichtenprojekt „AK Kraak“ eingestellt oder in politische Projekte mit einem nur noch geringen Bezug zur Hausbesetzerbewegung überführt. Organisationsstrukturen wie der „BesetzerRat“ lösten sich nach den Legalisierungen 1991 auf.

Anders als die West-Berliner Hausbesetzerbewegung zehn Jahre zuvor kam den Hausbesetzungen in Ost-Berlin bei der Durchsetzung eines neuen Sanierungsregimes keine zentrale Rolle zu. Die besetzten Häuser waren vielmehr eine Art Fremdkörper im neuen Stadterneuerungsregime.

Ähnlich wie in West-Berlin ermöglichte dagegen die ordnungspolitische Strategie des Senates den vertragswilligen Besetzern enorme Freiräume bei der baulichen Erneuerung ihrer Häuser. In Ost-Berlin griff man dabei im Wesentlichen auf die im Westen erprobten Lösungsinstrumente zurück. Das routinemäßige Abspulen von Selbsthilfeprogrammen und Kollektivmietverträgen hatte kaum Innovations- oder Störpotential für die Durchsetzung des neuen, auf individuelle Aushandlung und private Investitionen setzende Sanierungsmodell in Ost-Berlin. Neben den Ost-West-Dissonanzen erklärt gerade diese Sonderrolle der besetzten Häuser die weitgehende Abstinenz der Hausbesetzer in den Stadtteilkämpfen. Sie erschwerte auch eine Kooperation mit Mieterorganisationen und Stadtteilinitiativen. Berührungspunkte zwischen Stadtteilinitiativen und besetzten Häusern gab es vor allem dort, wo private Eigentümer versuchten, die besetzten Häuser auf eigene Faust zu räumen. Angesichts der ansonsten abweichenden Interessen blieben solche Solidarisierungen allerdings Einzelfälle.

Unterschiede und Parallelen der Besetzungswellen

Insgesamt unterschied sich die postfordistische Stadterneuerung in Ost-Berlin in den 90er Jahren deutlich von der behutsamen Stadterneuerung im Westteil der Stadt. Der enorme Erneuerungsbedarf von insgesamt 180 000 Altbauwohnungen, die Krise der öffentlichen Finanzen und die mit der Restitution durchgesetzte Privatisierung des Eigentums in den Sanierungsgebieten erzwangen den Übergang zu einer Stadterneuerung, die – in den Worten des Berliner Senats – „in erster Linie vom Eigentümer finanziert werden“ muss. Die Stadterneuerung wandte sich zunehmend verhandlungsorientierten Ansätzen zu. Statt der direkten Steuerung durch Geld sollten die Sanierungsziele nun verstärkt mit den Steuerungsmedien „Gesetze und Gebote“ durchgesetzt werden. Dabei entstanden vielfältige Verhandlungssysteme zwischen Mietern, Eigentümern und städtischen Behörden. Für den Verbleib in der Wohnung waren damit nicht mehr nur ökonomische Kriterien, sondern vor allem kulturelle und soziale Ressourcen maßgeblich. Insbesondere gebildete und in soziale Netzwerke eingebundene Mieterinnen und Mieter konnten ihre Interessen in den individualisierten Aushandlungsprozessen der Modernisierungsvorhaben besser durchsetzen.

Zwischen den Hausbesetzerbewegungen in den 80er und den 90er Jahren gibt es jedoch auch zahlreiche Parallelen: Erstens war die Bedingung für die eruptive Ausbreitung beider Bewegungen jeweils ein machtpolitisches Vakuum – in den 80er Jahren die Agonie des im Januar 1981 gestürzten SPD-Senats und die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Übergangsregierung, in den 90er Jahren der Fall der Mauer und das darauf folgende institutionelle und gesellschaftliche Chaos.

Zweitens bildete in beiden Fällen eine gewaltsame Demonstration der wiederhergestellten stadtpolitischen Souveränität den Wendepunkt, der den Niedergang der Bewegungen einläutete – zum einen der Tod Klaus-Jürgen Rattays, zum anderen die Räumung der Mainzer Straße. In beiden Fällen gingen dieser Wiederherstellung der Souveränität umfassende machtpolitische Verschiebungen auf der gesamtstädtischen Ebene voraus: die Neuwahl des CDU-Senats 1981 und der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik 1990.

Drittens waren in beiden Fällen umfassende Legalisierungsmodelle nur mit Häusern in öffentlichem oder gemeinnützigem Besitz möglich. Und viertens verliefen die Konfliktlinien innerhalb beider Besetzungsbewegungen ähnlich: Die Interessenkonflikte zwischen „konservierenden“ und „Besetzungen zur Erprobung kollektiver Wohnformen“ einerseits und den „politischen“ Besetzungen andererseits ähnelten sich.

Neben diesen Parallelen gibt es aber auch gewichtige Unterschiede: In den 80er Jahren waren die Hausbesetzungen Teil einer ausgedehnten und ausdifferenzierten Subkultur, die sich in den Innenstadtvierteln Kreuzberg und Schöneberg konzentrierte und den ideologischen Hintergrund sowie das soziale und politische Unterstützerumfeld für die Besetzungen bildete. In den 90er Jahren hingegen waren die besetzen Häuser eher Fremdkörper in einer umfassenden Umbruchsituation. Zwar gab es Kontinuitäten zur DDR-Praxis des „Schwarzwohnens“, und viele Häuser waren auch in ihren jeweiligen Nachbarschaften verankert. Sie konnten jedoch nicht als Teil eines umfassenden Bewegungsmilieus in den östlichen Innenstadtbezirken gelten. Der gravierendste Unterschied zwischen den Besetzungen der 80er und 90er Jahre zeigte sich jedoch in ihrer Rolle für die bereits dargestellten Stadtumstrukturierungsmodelle: dem Übergang von der Flächensanierung zur behutsamen Stadterneuerung bzw. zur Durchsetzung der postfordistischen Stadterneuerung.

Eine neue stadtpolitische Bewegung?

Nicht zufällig ist Stadtumstrukturierung heute wieder ein Thema sozialer Bewegungen, und eine „Bewegung für Freiräume“ scheint den in den 90er Jahren abgerissenen Faden der Hausbesetzerbewegungen wieder aufzunehmen.

In Berlin fand eine erste Wiederbelebung dieser Themen im Rahmen der Kampagne für ein soziales Zentrum der Jahre 2001 bis 2005 statt. Die Mobilisierung gegen die Räumung des langjährigen Hausprojektes in der Yorckstraße 59 und die nur wenige Tage nach der Räumung im Juni 2005 stattfindende Besetzung des ehemaligen Bethanien-Krankenhauses für ein soziales Zentrum belebten die Diskussion über Stadtumstrukturierung und Freiräume. 2008 schien die Auseinandersetzung über diese Themen mit den europaweiten Squatter Action Days im April einen vorläufigen Höhepunkt zu erreichen. Zugleich gelangen in Berlin erste Mobilisierungen gegen Mietsteigerungen und eine größere Demonstration gegen die zunehmende Gentrifizierung, das heißt gegen die gezielte Aufwertung von Innenstadtbezirken.

Wie kam es zu einer solchen, um 15 Jahre verzögerten politischen Relevanz der städtischen Bewegungen innerhalb des aktuellen Modells der postfordistischen Stadterneuerung?

Der erste, übergeordnete Faktor ist das Auftreten einer neuen politischen Bewegung in den 90er Jahren, als deren wichtigste Referenzpunkte der zapatistische Aufstand 1995 im mexikanischen Chiapas und die globalisierungskritischen Proteste von Seattle 1999 und Genua 2001 gelten können. So war die kurz nach Genua initiierte Kampagne für ein soziales Zentrum auch weniger Ausdruck eines Mangels an Raum für soziale Bewegungen, sondern Kulminationspunkt einer Annäherung von Gruppen und Strömungen im Rahmen der globalisierungskritischen Bewegung.

Ein zweiter Grund liegt in der beschleunigten Stadterneuerung in den Berliner Innenstadtbezirken – ein Prozess, wie er auch in anderen deutschen und internationalen Großstädten anzutreffen ist. Luxusmodernisierungen, steigende Mieten und soziale Verdrängung finden nun nicht mehr nur in den Bezirken Prenzlauer Berg und Mitte statt, sondern werden zunehmend auch in anderen Innenstadtbezirken wie Friedrichshain, Kreuzberg oder Nord-Neukölln spürbar. Davon sind auch die ehemals besetzten Häuser nicht mehr ausgenommen. Eigentümerwechsel bzw. das wieder erweckte Profitinteresse der alten Besitzer waren dementsprechend die Auslöser für eine neue Gefährdung linker „Freiräume“.

Diese neue Betroffenheit findet ihren Ausdruck in breiteren Bündnissen wie beispielsweise der für die Freiraumaktionstage ins Leben gerufenen Kampagne „Wir bleiben alle!“ oder in der Beteiligung an der Initiative „Mediaspree versenken“. Inwiefern dieses neue stadtpolitische Interesse spürbare Auswirkungen auf die aktuelle Stadterneuerungspolitik haben wird oder ob gar ein Bruch mit dem aktuellen Sanierungsmodell zu erwarten ist, bleibt offen. Die zunehmend angespannte wohnungspolitische Situation, die Vielzahl von Gruppen und Initiativen sowie erste institutionelle Erfolge, wie der gewonnene Bürgerentscheid gegen Mediaspree, sind zumindest Anzeichen einer neuen Welle stadtpolitischer Auseinandersetzungen in Berlin.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese Ansätze einer neuen Bewegung im neuen Jahrzehnt verstetigen lassen. Eines jedoch zeichnet sich bereits ab: Für die keimende stadtentwicklungspolitische Bewegung wird es künftig – nicht nur in Berlin – entscheidend darauf ankommen, eine wirksame Politik gegen die zunehmende Gentrifizierung zu entwickeln, damit Wohnraum in den Innenstädten auch für die weniger Gutsituierten bezahlbar bleibt.

Andrej Holm und Armin Kuhn, in »Blätter« 3/2010, Seite 107-115


Literatur:

  • „Kursbuch“, 65 (1981), Der große Bruch – Revolte 81.
  • Renate Mulhak, Der Instandbesetzungskonflikt in Berlin, in: Peter Grottian und Willfried Nelles (Hg.), Großstadt und neue soziale Bewegungen, Basel u.a. 1983, S. 205-252, hier S. 242.
  • Harald Bodenschatz, Volker Heise und Jochen Korfmacher, Schluss mit der Zerstörung? Stadterneuerung und städtische Opposition in Amsterdam, London und West-Berlin, Giessen 1983, S. 324.
  • Vgl. Ruud Koopmans, Democracy from below. New social movements and the political system in West Germany, Boulder 1995, S. 178.
  • Vgl. Matthias Bernt, Rübergeklappt! Die „Behutsame Stadterneuerung“ im Berlin der 90er Jahre, Berlin 2003, S. 46.
  • Vgl. Susan Arndt u.a., Berlin – Mainzer Straße. Wohnen ist wichtiger als das Gesetz, Berlin 1991.
  • Vgl. Andrej Holm, Die Restrukturierung des Raumes. Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin: Interessen und Machtverhältnisse, Bielefeld 2006, S. 90.
  • Zudem wurde die mögliche Räumung des sozialen Zentrums Køpi abgewendet.
  • Henrik Lebuhn, Stadt in Bewegung. Mikrokonflikte um den öffentlichen Raum in Berlin und Los Angeles, Münster 2008, S. 30 f.
  • Etwa in der Yorckstraße 59 oder aktuell in der Linienstraße 206 und der Liebigstraße 14.
  • Vgl. Albert Scharenberg und Ingo Bader, Berlin’s Waterfront Site Struggle, in: „City“, 2-3/2009, S. 325-335.


Originaltext: http://gentrificationblog.wordpress.com/2010/03/19/berlin-hauserkampf-und-stadterneuerung/


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