Robert Foltin - Besetzen hat Geschichte (auch in Wien)

Es wird wieder besetzt. Seit ca. einem halbem Jahr versucht die Gruppe "Freiraum", ausgehend von Protesten der Studierenden an der Uni Wien im Winter 2004 Räumlichkeiten als Kommunikationszentrum zu gewinnen. Im Sommer bemühten sich die AktivistInnen um die Gebäude hinter dem Narrenturm im alten AKH. Zweimal wurde das Gelände besetzt und von der Polizei wieder geräumt. Die Aktivitäten gehen trotzdem weiter: Plena und die wöchentliche Eroberung des öffentlichen Raumes mit Veranstaltungen und Volxküche. Ein Erfolg ist kurzfristig nicht absehbar.

Besetzungen von Räumlichkeiten für Kultur- und Kommunikationszentren, oder mit einem aktuelleren Begriff soziale Zentren haben in Europa und auch in Wien Tradition seit den 1970ern. Als Kampf um Jugendzentren waren sie zuerst der Versuch zur Wiedergewinnung eines Raumes im Übergang zwischen Öffentlichem und Privaten. Dieser war mit der Aufteilung in Institutionen der Disziplinargesellschaft (Kleinfamilie, Schule, Gefängnis, Psychiatrie, Kaserne) und des Fordismus (Fabrik, Büro) verschwunden. Der Alltag wurde lückenlos und rigide von Institutionen organisiert, das Leben der Einzelnen spielte sich als Durchlauf von einer Institution zur nächsten ab (von der Schule in die Fabrik, vom Arbeitsplatz in die Familie, aus der Familie ins Einkaufszentrum). Ab den späten 60er Jahren wurde der zunehmende Kampf um Kultur und Kommunikation Teil des Aufbruchs gegen diese Strukturen im allgemeinen: nur nicht 40 Stunden pro Woche bis zur Pension arbeiten, nur nicht ein Leben lang Hausfrau sein und Kinder kriegen.

Damals, als die entstehende "Zivilgesellschaft" (im umgangssprachlichen Sinn zu verstehen) noch integriert werden sollte, war es leichter, etwas durchzusetzen. Die erste Besetzung in Wien war die des Amerlinghauses im Sommer 1975. (Tatsächlich wurde schon im Februar 1975 in einer zehntägigen Besetzung ein Jugendzentrum für Simmering gefordert.) Eine Gruppe von ArchitektInnen und KünstlerInnen sprach sich gegen die Kaputtsanierung des Spittelbergviertels aus. Gerade in dieser Zeit begann ein Umdenken über die Lebenswelt im städtischen Raum. So wurde das Amerlinghaus 1978 an eine Gruppe übergeben und existiert noch heute als linksalternatives Zentrum in einem aufgewerteten (gentrifizierten) Stadtteil. Die Besetzung der Arena im Sommer 1976 ließ die unterschiedlichsten Elemente der Subversion dieser Zeit zusammenfallen: Subkultur und KünstlerInnen, Studierende und entflohene Heimzöglinge, VertreterInnen der damals straff organisierten politischen Gruppen (MaoistInnen und TrotzkistInnen) und KifferInnen. Die Vielfältigkeit drückte sich in den Aktivitäten auf dem 70.000m2 großem Gelände aus: von künstlerischer Aktivität bis zur politischen Selbstorganisation. Auch wenn das Projekt scheiterte - die Arena wurde geräumt -, zeichnete sich eine Veränderung des sozialen und kulturellen Klimas ab. Die Gemeinde Wien begann, sehr schleppend zwar, aber immerhin, Projekträume und -gelder zur Verfügung zu stellen. Beschleunigt wurde das durch die Welle von Hausbesetzungen und Krawallen mit den Brennpunkten Berlin und Zürich. Und ja, auch in Wien gab es Ansätze einer HausbesetzerInnenbewegung! Nach ein bisschen Krawall am 1. März 1981 wurden sehr schnell Räume zur Verfügung gestellt. Eines davon war das WUK, ein anderes die Gassergasse. In der Gassergasse versammelte sich das radikalere Spektrum, als Stachel in der Normalität konnte es nicht akzeptiert werden und wurde im Sommer 1983 nach Krawallen geräumt. Das WUK mit dem Schwerpunkt auf kulturellen Aktivitäten besteht noch heute. Alle Versuche, Hausbesetzungen durchzusetzen, wurden sofort beendet (die Eigentumsordnung musste gewahrt bleiben), zur gleichen Zeit wurden Initiativgruppen Räumlichkeiten überlassen. Ein gelungenes Modell der Integration "adikaler Jugendlicher" in Wien. Aus der ersten Hälfte der 1980er stammen die meisten Projekte, die noch heute bestehen, vom Rockhaus bis zur Rosa-Lila-Villa, zur Verfügung gestellt und halbherzig unterstützt von der Gemeinde Wien.

In allen diesen mehr oder weniger radikalen Experimenten wurde versucht, Kultur, Wohnen und Leben zu verbinden, wobei sich (zwangsläufig) alle Projekte im Laufe der Zeit in ihrem Pragmatismus anpassen mussten. Ein radikaler Versuch war in der zweiten Hälfte der 1980er das besetzte Haus in der Aegidigasse. Es wurde nicht in einem spektakulären Akt in Besitz genommen, sondern schleichend wurden immer mehr leer stehende Wohnungen angeeignet. Mit dem angrenzenden Haus in der Spalowskygasse bildete es einen kulturellen Brennpunkt ebenso wie ein Kommunikationszentrum der radikalen autonomen Szene. Auch dieses Projekt konnte auf Dauer nicht bestehen. Im Sommer 1988 wurden die beiden Häuser geräumt und abgerissen. Die Gemeinde war immer weniger bereit, Räume zur Verfügung zu stellen. Obwohl die Bereitschaft zur Militanz größer war als um 1980, genügte den herrschenden Institutionen die repressive Unterdrückung.

Um nicht sofort geräumt zu werden, besetzte eine Gruppe von AktivistInnen ein Gebäude der KPÖ im 10. Bezirk und gründete das Ernst-Kirchweger-Haus als kulturelles und soziales Zentrum. Die Verunsicherung der Hausbesitzerin KPÖ durch den Zusammenbruch des staatlichen Sozialismus machte es möglich, dass dieses Projekt noch heute besteht, wenn auch in der letzten Zeit von Unsicherheit geprägt, weil die KPÖ an den Verkauf des Gebäudes denkt.

Auch wenn aus den Aktivitäten ab den 1960ern, an denen Besetzungen einen maßgeblichen Anteil hatten, die postfordistische Kontrollgesellschaft entstand, in der der Konformitätsdruck der fordistischen Disziplinargesellschaft durch den Zwang zu umfassender Flexibilität abgelöst wurde (der fordistische Wohlfahrtsstaat wurde nicht nur von kapitalistischer Seite angegriffen, sondern auch von den Wünschen und Bedürfnissen gegen die herrschende Disziplin), bildeten diese autonomen Zentren einen zukunftsweisenden Typus gesellschaftlicher Organisation, da sie weder kommerziell ("privat") noch verstaatlicht waren. Sie existierten als Versuche von Selbstverwaltung und Selbstorganisation, immer eine Quelle des "Gemeinsamen" ("Commons"). In ihrem neuen Buch "Multitude" diskutieren Michael Hardt und Toni Negri (S. 202ff der amerikanischen Ausgabe) das schwierige Verhältnis der emanzipatorischen Bewegungen zu Staatlichkeit und Privatisierung. Als "Privat" gelten die Rechte und Freiheiten, etwa für Minderheiten, wie z.B. Schwule und Lesben. Das wird aber begrifflich und ideologisch vermischt mit dem Privateigentum, so wie in den mit dem Begriff "öffentlich" bezeichneten staatlichen Institutionen das Gemeinsame (Kooperative, Kollektive) mit Autorität, Repression und Kontrolle verbunden ist. Soziale Zentren sind ein Ausdruck für die Befürwortung individueller Rechte und dem gemeinsamen Leben, während zugleich Privateigentum und staatliche Kontrolle bekämpft werden.

Die postfordistische Gesellschaft trägt die Keime eines Lebens in sich, das über den Kapitalismus hinausweist. Auf eine verkehrte Weise, indem unsere Autonomie ausgebeutet wird, ist das herrschende System auf unsere Kreativität angewiesen. Die Kritik am Versorgungsstaat, der angeblich Eigeninitiative unterdrücke, ist ein Symptom dafür. Wir sind gewünscht in unserer Selbstorganisation, in Projektarbeit, als Ich-AGs und freie UnternehmerInnen. Zugleich wird immer vehementer unsere Unterwerfung unter die Verwertung gefordert, die jede Kreativität abwürgt.

Die BesetzerInnen nehmen die kapitalistischen Forderungen nach den Freiheiten und dem gemeinsamen Leben wörtlich (bringen das System zum Tanzen, indem sie ihm ihre eigene Melodie vorspielen). In sich selbst sind sie das Gemeinsame, das immer mehr in der Organisation des Lebens gefordert wird, Kommunikation und soziale Kompetenz. Auch in ihrer Produktion von Netzwerken der Kommunikation sind sie eigentlich das, was der Kapitalismus fordern möchte, aber aus dem Verwertungszwang heraus unterdrückt. Solche Projekte wie Freiraum sind ein Versuch, Elemente einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft zu verwirklichen. Und sie sind auf der Höhe der Zeit. Die kapitalistischen Strukturen sind angewiesen auf die neuen Formen des Gemeinsamen, sie haben es nur noch nicht verstanden. Selber schuld, aber vielleicht ist es besser so, denn sie arbeiten an ihrem eigenen Scheitern.

Originaltext: http://robertfoltin.net/?Archiv:Besetzen_hat_Geschichte_%28auch_in_Wien%29


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