Luciano Lanza - Herrschaft und Ökonomie

"Wenn wir zu den Wurzeln der politischen Ökonomie vordringen wollen reicht es nicht, das zu enthüllen, was mit dem Begriff Konsum verbunden ist: die Anthropologie der Bedürfnisse und des Gebrauchswerts. Wir müssen auch all das aufdecken, was sich mit dem Begriff Produktion verbindet, den Produktionsmethoden, den Produktivkräften, den Produktionsbeziehungen," warnt Jean Baudrillard (1, S.23) Führt nun aber die Frage des Pariser Philosophen tatsächlich an die Wurzeln, die einerseits sofort zu identifizieren, andererseits aber so verborgen und unentzifferbar sind, daß sie den Forscher abschrecken?

Das Verständnis für die Natur der Ökonomie auf der Grundlage ihrer eigenen Kategorien und Logik, wie es Baudrillard scheinbar vorschlägt, kann nur befriedigende Ergebnisse bringen wenn man den Begriff der Ökonomie selbst nicht in Frage stellt. Damit wird die Ökonomie als eine mögliche Art, aber nicht als die einzige betrachtet, bestimmte Beziehungen in der Gesellschaft zu organisieren. Bei solchem Vorgehen müssen wir die Ökonomie im weiteren Kontext aller sozialen Bewegungen der Menschen untersuchen. In Anbetracht der Tatsache, daß der Mensch keine andere Dimension der Realität als die der Herrschaft kennt, muß deshalb notwendigerweise auch die Ökonomie im Rahmen der alles bestimmenden Gegenwart der Herrschaft analysiert werden. Da die Herrschaft das zentrale Element des sozialen Lebens ist, der Bedeutungsproduzent, das unzerstörbare Tabu, das den Menschen durch seine Geschichte begleitet, können wir mit einer gewissen Sicherheit die Hypothese aufstellen, daß sie die Bedeutung aller Aspekte der Gesellschaft bestimmt, einschließlich der Ökonomie. Deshalb können wir die Ökonomie als eine Manifestation der Herrschaft betrachten. So ist die Ökonomie nichts als der Ausfluß eines Prozesses der Institutionalisierung der Produktionsmethoden für materielle Güter nach der Logik der Herrschaft.

Die Institutionalisierung der Ökonomie geht Hand in Hand mit einem Rationalitätsmodell, das mit der fundamentalen Voraussetzung arbeitet "größtmöglichen Ertrag mit dem kleinstmöglichen Aufwand" zu erzielen. Das ist wichtig zu betonen, denn die ökonomische Theorie, wie sie etwa durch Lionel Robbins personifiziert wird, behauptet, daß ohne dieses Basiselement die Wissenschaft keine Existenzberechtigung hätte. (vgl. Lit Nr.8) Die Ökonomie ist deshalb lediglich eine mögliche Variable. Wenn man sie von diesem Blickwinkel aus betrachtet, wird ihre Natur als Produkt, als menschliche Schöpfung ohne jede wirklich objektive Grundlage klar.

Mit den Worten von Cornelius Castoriadis: wir können uns die Ökonomie als ein Produkt der Geschichte vorstellen, das eine zentrale Bedeutung in der modernen Gesellschaft einnimmt und das die schon existierenden Bedeutungen von Gesellschaft auf eine andere Art reorganisiert: die Ökonomie als "imaginäre soziale Bedeutung" (Nr. 2,  S.484 - 485) Wie alle Elemente der Gesellschaft darf die Ökonomie nicht mit den Gütern, der Produktion, den Produktionsverhältnissen, den Produktionsmitteln identifiziert werden, sondern mit der symbolischen und repräsentativen Struktur des Menschlichen. Diese beiden Komponenten markieren, wie Marshall Sahlins richtig sagt, den spezifischen Charakter des Menschen, dessen Kontakte mit der Umwelt nach einem Bedeutungsschema seiner eigenen Erfindung ablaufen.(Nr.9, S. VII-VIII). Das gibt uns ein Bild von der Ökonomie - das auch auf alle anderen Elemente der Gesellschaft ausgedehnt werden kann - als ein willkürliches Phänomen, vom Menschen geschaffen, Produkt seines schöpferischen Potentials, seiner vielfältigen Existenzmöglichkeiten.

Die Geburt der Ökonomie

In diesem Rahmen können wir erkennen, daß der Prozeß der Institutionalisierung der Ökonomie ein ziemlich neues Phänomen ist: beginnend im 17. und 18. Jahrhundert, als die Ökonomie als unabhängige Wissenschaft begründet wurde. Als erste entwickelten die Merkantilisten und später die Physiokraten Analysen und Theorien bestimmter Aspekte der menschlichen Aktivität, und benannten ihre besonderen Charakteristika und Funktionsweisen. Von da an besonders seit Adam Smith (10), wurden die konkreten ökonomischen Verhältnisse in einer theoretischen Konstruktion kodifiziert, die sie nicht nur erklären konnte sondern vor allem erzeugte.

Es lohnt sich bei diesem Gedanken zu verweilen. Im 17. Jahrhundert existierten schon Kaufleute, die sich nach außen hin nicht sehr stark von denen späterer Zeiten unterschieden, genauso wie die Idee des Profits und andere Elemente, die wir dem ökonomischen Bereich zurechnen, bereits existierten, aber es gab noch keine umfassende Logik, um diese "Zeichen" von politischer Ökonomie in einem eigenen System zu vereinheitlichen und zu interpretieren. Mit dem Entwurf dieses Systems können wir eine tiefgreifende qualitative Veränderung in der sozialen Vorstellungskraft erkennen: die Bewegungen von einem Land zum anderen wurden von den Kaufleuten nun auf eine andere Weise geplant und umgesetzt. Ihre Aktivitäten, die seit tausenden von Jahren in der gleichen Art abliefen, bekamen jetzt eine symbolische Bedeutung, die sie vorher nicht hatten, und wurden zu den Bausteinen dieses Bedeutungszusammenhangs, den wir als freie Marktwirtschaft kennen. Mit ihrem Eindringen in den Zusammenhang sozialer Bedeutungen wurden die freie Marktwirtschaft und besonders ihre Theoretisierung Elemente der zentralen Kennzeichnung der Gesellschaft: der Herrschaft. Die Logik der Herrschaft, die im wesentlichen in der Produktion von sozialer Bedeutung besteht (einer ganz besonderen Bedeutung) dringt auch in den Bereich des gesellschaftlichen Lebens ein, den wir normalerweise als den Bereich der materiellen Bedürfnisse definieren.

In dieser Periode begann eine echte kulturelle Revolution, die den Menschen dahin brachte, sich selbst und die Gesellschaft in ökonomischen Begriffen zu verstehen. Es ist schwierig für den modernen Menschen, die Umgestaltung zu begreifen, so total verstrickt ist er in eine von der Ökonomie dominierte Gesellschaft, aber man kann sie zurückverfolgen, wenn man einen anthropologischen Ansatz zu Hilfe nimmt, mittels einer Analyse von archaischen und primitiven Sozialstrukturen. Bis zu dem genannten Zeitpunkt hatte es noch keine effektive, autonome ökonomische Logik gegeben, da ökonomische Beziehungen durch andere Institutionen geregelt wurden: religiöser, sozialer, verwandtschaftlicher Art.

Dieser Ausgangspunkt ist in den Werken Karl Polanyis (5;7) und der substanzialistischen Schule dokumentiert und erlaubt uns die Richtung dieser großen Umgestaltung zu erkennen und den Moment in der Geschichte festzumachen, an dem sie stattfand. Die Geburt der ökonomischen Logik geschah völlig innerhalb der Logik der Herrschaft und wurde somit auch von der Herrschaft reguliert. Denn Herrschaft war die einzige soziale Signifikante und die neuen Institutionen folgten der Dynamik der vorgegebenen. Das Herrschaftsdenken war noch nicht in den Reproduktionsbereich eingedrungen. Die privilegierten Machthaber übten eine externe Kontrolle über die Verteilung der Produktionsmittel aus: es gab keinen Eingriff in den Reproduktionsprozeß von innen. Die Ökonomie war ein marginales Element in der sozialen Vorstellung; jene Praktiken, die wir fälschlicherweise als ökonomische definieren, hatten keine oder wenig soziale Bedeutung.

Sogar in den alten Feudalreichen (im ägyptischen, chinesischen etc.), in denen die imperiale Bürokratie aktiv in Produktion und Verteilung der Güter eingriff, können wir nicht von ökonomischer Logik im heutigen Sinne sprechen, sondern eher von einer bevorzugten Zuwendung und hierarchischen Verteilung der lebensnotwendigen Güter. Als die Herrschaft aber die ökonomische Logik schuf, begann ein Prozeß der, - indem er der Reproduktion der Mittel zum Überleben eine besondere Rationalität beimaß, - auf ebenderselben Herrschaftslogik beruhte: das ökonomisch Rationale wurde das der Herrschaft.

Die Geburt der modernen Herrschaft ist organisch mit der Gesellschaft verbunden. Indem sie auch in die Ökonomie eingedrungen ist, absorbiert Herrschaft die ganze Logik der Gesellschaft. Es gibt keinen Aspekt der Gesellschaft, der sich ihren Regeln entziehen kann. Ihre Logik dringt aber noch tiefer in die Logik der Gesellschaft ein, ihre Reproduktionsweisen werden in Produktionsweisen für Gebrauchsgüter umgewandelt. Im Interaktionsprozeß zwischen Herrschaft und Ökonomie, zwischen Schöpfer und Geschöpf, wird der erste, auch wenn er das zweite entstehen läßt, durch sein Produkt selbst bedingt und transformiert. Herrschaft nimmt so eine neue Form an, indem sie jeden Aspekt des Lebens in der Gesellschaft lenkt. Sie durchdringt einen Bereich, der vorher unbekannten, autonomen Funktionsgesetzen unterworfen war. Und diese "Erfindung" kann nur kontrolliert werden, wenn die ökonomischen Gesetze mit jenen gleichgesetzt werden, durch welche die Herrschaft die Gesellschaft reguliert.

Weder ein Bürger Athens, noch ein Guayakijäger, noch ein chinesischer Mandarin, noch ein ägyptischer Pharao, noch ein indischer Brahmane oder ein italienischer Vasall konnte sich vorstellen, daß die wichtigsten Kriterien ihres Lebens Profit und Akkumulation sein sollten. Und ebenso konnten sie sich nicht vorstellen, daß die Ressourcen angesichts unbegrenzter Bedürfnisse begrenzt wären. Um zu so einer Vorstellung zu gelangen, muß der Mensch glauben, daß ihn die bestehenden Möglichkeiten nicht befriedigen können. Nur so kann die Ökonomie im wahrsten Sinn des Wortes entstehen. Nur so können ökonomische Logik und Rationalität offensichtliche und unwiderlegbare Notwendigkeiten werden. Der Mensch stellte Prämissen auf, die er dann als Teil seiner Natur betrachtete (begrenzte Ressourcen und unbegrenzte Bedürfnisse) und konnte dann nur noch die rationale Regel übernehmen: kleinstmöglicher Aufwand für größtmöglichen Erfolg.

Die Stadien der Begegnung

Wir können zwei Stadien des Zusammengehens von Herrschaft und Ökonomie erkennen, die auch zwei theoretisch unterschiedliche Aspekte darstellen: die Marktwirtschaft und die Planwirtschaft.

Die Marktwirtschaft, (basierend auf dem sich selbst regulierenden Markt) ist die erste Form in der diese Begegnung manifest wird. Wenn wir das Funktionieren der freien Marktwirtschaft analysieren und mit dem Altertum vergleichen, wird sogleich offensichtlich, daß sich die zwei nur oberflächlich ähneln. Die Märkte des Altertums hatten sehr verschiedene Funktionen und können nicht auf ein einziges Modell beschränkt werden, so wie heute. Auch liegen die Märkte des Altertums oft außerhalb der Gemeinde, nicht nur in geographischer sondern auch und vor allem in sozialer Hinsicht. Die Modalität der Transaktionen ist überhaupt nicht ökonomisch, sondern hängt von den Kriterien anderer Institutionen ab, und das gleiche gilt für die Festsetzung der Preise. Mit dem modernen Markt ändert sich diese Situation total.

"Eine Marktökonomie ist ein ökonomisches System, das gänzlich von den Märkten kontrolliert, reguliert und geleitet wird; die Ordnung der Produktion und der Distribution der Güter wird diesem Selbstregulierungsmechanismus überlassen, eine Ökonomie dieses Typs basiert auf der Annahme, daß Menschen immer einen größtmöglichen Gewinn erzielen wollen."(6, S.27) Diese wenigen Zeilen von Polanyi klären sofort den qualitativen und quantitativen Unterschied zwischen den zwei Markttypen. Es ist ebenfalls nicht wahr, daß sich der moderne Markt aus dem der Antike entwickelt hat wie viele Ökonomen behaupten. Zwischen den beiden besteht ein Bruch, eine Lücke, die repräsentiert wird durch eine andere Weltsicht, den Liberalismus.

Das moderne Konzept des Marktes entstammt der Verflechtung mit einem politischen Regime - dem der Liberalen -, das sich selbst als Bruch mit der absoluten Monarchie darstellt und den Weg für das moderne Konzept der Freiheit öffnet. Gerade dieses nicht irrelevante Element verkompliziert die Analyse. Sie sind gleichzeitig widersprüchlich: einerseits ist die freie Marktwirtschaft die erste "ökonomische Form", die durch die Begegnung von Herrschaft und Ökonomie entstanden ist, und andererseits bedeutet sie die Geburt der Freiheitsidee, die, in ihrer extremsten und radikalsten Form die Basis des anarchistischen Gedankens bildet. Das ist ein schwer zu lösendes Dilemma, außer wir nehmen Zuflucht zur Hypothese eines einfachen Zufalls, was jedoch niemanden befriedigen wird. Die Schwierigkeit wird noch durch die Tatsache verstärkt, daß die ökonomische Form, die durch den Liberalismus hervorgebracht wurde, nämlich die freie Marktwirtschaft in der Theorie als ein Modell von Freiheit und Gleichheit dargestellt wird: vielen kleinen Verkäufern stehen viele kleine Käufer gegenüber, die keinen Einfluß auf die Preisgestaltung oder auf andere Faktoren haben können. Diese Theorie kann leicht als eine Abstraktion, eine Fiktion, eine Ideologie erkannt werden, die geschaffen wurde, um neue Formen der Ausbeutung zu rechtfertigen. Aber, wie stichhaltig diese Antwort auch sein mag, sie ist nicht gänzlich unhinterfragbar. Überdies kann Proudhons Hypothese vom Verschmelzen von Sozialismus und Markt nicht durch Marxens Methode außer Kraft gesetzt werden, ihn als kleinbürgerlich einzustufen. Proudhons Vorschläge enthalten ein stichhaltiges Argument für den wirtschaftlichen Wettbewerb als ökonomische Basis der Beziehungen unter freien Produzenten. Der einzige Einwand, den wir gegen den Denker aus Besancon erheben können, ist, daß er - wie alle seine Zeitgenossen - unfähig war, sich von dem symbolischen Universum zu lösen, in welchem die Ökonomie den ersten Platz einnimmt.

Wie wir bereits erkannt haben ist die freie Marktwirtschaft ein Produkt der Herrschaftsgesellschaft und deshalb ungeeignet für das anarchistische Projekt. Die Tatsache jedoch, daß sie die erste ökonomische Form war, die im Kontakt mit der Herrschaft entstanden ist, erlaubt uns auch die Mängel dieser Fusion zu erkennen (Herrschaft-Ökonomie). Obwohl es zutrifft, daß die Herrschaftslogik die Logik der Reproduktionsmittel zur Lebenshaltung durchdringt, stimmt ebenso, daß hier eine Kluft zwischen den beiden Elementen bleibt. Politische Herrschaft und ökonomische Herrschaft entwickeln sich in parallelen Prozessen nach der gleichen Logik, aber sie operieren auf verschiedenen Gebieten. Die politischen Institutionen überlagern nicht die ökonomischen Institutionen; sie besetzen unterschiedliche Bereiche in der Gesellschaft. Man könnte sie als zwei rivalisierende Brüder betrachten: biologisch gleich - aber kulturell entgegengesetzt.

In der Planwirtschaft finden wir ein höheres Maß an Integration zwischen Herrschaft und Ökonomie. Die ökonomische Logik und ihre Ratio sind immer noch die der Marktwirtschaft, aber sie sind nicht mehr länger institutionell getrennt; die beiden Bereiche sind total verschmolzen. Die Ökonomie ist hier gänzlich in der Herrschaftsstruktur aufgegangen. Auch in diesem Fall kompliziert die Genesis der Planwirtschaft die Analyse.

Planung entsteht entweder als ein Regulierungsinstrument durch den Kapitalismus oder als eine ökonomische Form für den Sozialismus. Im letzteren Fall wird die Planung als ein Instrument betrachtet, um die Ökonomie wieder unter die Kontrolle der Menschen zu bringen, um der Gesellschaft eine organische Dimension zurückzugeben, indem die Trennung zwischen Gesellschaft und Ökonomie, welche als ein Produkt des Kapitalismus gesehen wird, eliminiert wird. So hat auch die Planung ein Element der Freiheit und Gleichheit, das wir nicht unterschätzen dürfen.

Wie auch der Markt entwickelt sich die Planung als Wideraneignung der Ökonomie durch die Gesellschaft in einem Kontext, der durch die Herrschaftslogik gekennzeichnet ist. Die ökonomische Rationalität wird also nicht verändert sondern adaptiert, auf Ziele ausgerichtet, die sich z.T. aus der Logik des Marktes ergeben, dies aber nur in dem Sinn, daß die politische Dimension ein Übergewicht gegenüber der ökonomischen gewinnt. Um mit unserem früheren Beispiel fortzufahren: einer der zwei rivalisierenden Brüder hat den anderen teilweise zur Aufgabe gezwungen.

Die Planwirtschaft ist deshalb heute (Der Artikel wurde vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfasst, Anm.) die vollständigste Form der Integration von Herrschaft und Ökonomie. Von daher können wir begreifen, daß das eventuelle Verschwinden des Ökonomischen in keiner Weise eine gerechtere Gesellschaft hervorbringen würde, wie viele naiv glauben, sondern eher die Bekräftigung des Totalitarismus in seiner reinsten Form.

Hier betreten wir den Bereich des Imaginären aber nicht Unmöglichen: die Ökonomie, das Produkt der Herrschaft ist heute einer der wunden Punkte, die der Evolution der Herrschaft hin zu ausgefeilteren Formen im Wege stehen. Denn nicht nur die Gesellschaft der Freiheit sondern auch die der Herrschaft können jenseits der Ökonomie angesiedelt werden.

In dem Moment, in dem die Herrschaft alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens durchdringt, und zwar total, z.B. mit perfekter Planung (die heute nicht existiert und glücklicherweise davon noch weit entfernt ist), könnte die ökonomische Logik verschwinden, von der Herrschaftslogik völlig umgestaltet. Bis heute jedoch hat sich die Begegnung von Herrschaft und Ökonomie auf zwei Methoden der Verteilung ausgewirkt (die wir Markt und Planung nennen), die schon vor der Integration in das Herrschaftsdenken existierten. Beide haben ja soziale Funktionen, die durch Herrschaft mystifiziert und pervertiert wurden: Tausch wurde zu Markt und Wahl zu Planung. Diese beiden sozialen Funktionen werden so in die ökonomische Logik integriert und zu ökonomischen Formen transferiert. Daher können wir uns heute Tausch und Auswahl nicht mehr anders denken, als als Formen mit nur dieser einzigen Rationalität, die unsere soziale Vorstellung durchtränkt - die der Herrschaft.

Die Wurzeln der Ökonomie

Die Analyse der Ökonomie als Produkt der Herrschaft und die Identifikation ihrer Funktion in der Gesellschaft werfen Fragen über ihre wahre Natur auf.

Die Definitionen der Ökonomen aus den letzten Jahrhunderten helfen uns für eine Antwort nicht weiter, da sie gänzlich im ökonomischen Denken verhaftet sind: sie definieren ein Produkt der Herrschaft ohne diese als Produzenten zu berücksichtigen. Selbst die marxistische Kritik der Ökonomie ist da wenig hilfreich, da auch sie nur eine Form dieser Manifestation von Herrschaft kritisiert - den Kapitalismus - und fälschlicherweise behauptet, daß die Planwirtschaft ein Pfad zur Gesellschaft ohne Ökonomie sei, als sogenannte zweite Phase des Kommunismus.

Aufgrund meiner Überlegungen zur Planung, ist der marxistische Beitrag für mich mehr oder weniger bedeutungslos. Der Pfad, der eingeschlagen werden muß, sollte, wenn es möglich ist, über das Bild der Ökonomie, wie wir es uns heute machen, hinausgehen und die Existenz der sozialen Natur der Ökonomie berücksichtigen bzw. in unserer Vorstellungskraft begründen oder wiederentdecken.

Das betont die dualistischen Aspekte der Ökonomie, die schon von Karl Menger und Karl Polanyi benannt werden. Menger schreibt: "Ich würde die zwei Tendenzen der Ökonomie, die ich vorher diskutiert habe, als elementar bezeichnen; das heißt, die technische Tendenz und jene zu sparen (oder wie Menger es nennt "Ökonomisierung").

Während beide fast immer in Verbindung miteinander auftreten, haben sie nichtsdestotrotz verschiedene und von einander unabhängige Ursachen, und treten in einigen Bereichen der ökonomischen Aktivitäten sogar getrennt auf ... die technische Tendenz der Ökonomie hängt deshalb nicht von der Tendenz zum Sparen ab, noch ist sie notwendigerweise an sie gebunden... die zwei Tendenzen sind deswegen unabhängig voneinander - sie sind elementare Tendenzen - und ihr regelmäßiges Aufeinandertreffen in der Realität rührt daher, daß die Ursachen, die sie bestimmen, in der Ökonomie fast immer zusammen auftreten. (3, S.162-163)

Polanyi führt Mengers Einsicht noch weiter: "... der Terminus ökonomisch führt zwei Bedeutungen mit unterschiedlichen Ursachen zusammen; wir können sie als substantielle und formale Bedeutung bezeichnen. Die substantielle Bedeutung der Ökonomie fußt auf der Tatsache, daß der Mensch auf die Natur angewiesen ist. Sie bezieht sich auch auf den Austausch zwischen dem Subjekt und seiner natürlichen und sozialen Umgebung, der darauf abzielt, ihm die materiellen Mittel zur Bedürfnisbefriedigung zu erhalten. Die formale Bedeutung der Ökonomie leitet sich von der logischen Natur der Beziehung zwischen Mittel und Zweck her, was man am Gebrauch solcher Ausdrücke wie "ökonomisch" oder "ökonomisieren" sehen kann. Sie bedeutet einen typischen Fall der Auswahl zwischen den verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Mittel, eine Auswahl, die allein schon deshalb getroffen werden muß, weil diese Mittel in ungenügender Anzahl vorhanden sind. Wenn wir die Regeln, die die Auswahl der Mittel bestimmen, die Logik der rationalen Aktivität nennen, können wir, um einen improvisierten Ausdruck zu benutzen, diese Vielfalt von Logik als 'Formale Ökonomie' bezeichnen." (5, S.29)

Um zurückzukehren, können wir noch eine Definition zu jener von Menger und Polyani hinzufügen: die Ökonomie als Element von Machtbeziehungen und die Ökonomie als ein Element sozialer Beziehungen. Im ersten Fall ist es eine der Manifestationen von Macht und nimmt bestimmte Formen an, um sich der Macht anzupassen, durch die es begründet ist. Im zweiten Fall kann Ökonomie als ein Beispiel für die Beziehungen zwischen Menschen gelten, welches einen Zuwachs der Fähigkeiten und Eigenschaften des Individuums oder der Gruppe ermöglicht.

Diese Aspekte des Dualismus der Ökonomie, die wir bis jetzt betrachtet haben, zeigen, daß die Menschen, obwohl in der Herrschaftslogik verhaftet, fähig sind, sich ökonomische Beziehungen vorzustellen, die nicht unbedingt mit dem zentralen gesellschaftlichen Bedeutungsgehalt in Zusammenhang stehen. Aber zur gleichen Zeit können sie uns zeigen, wie tief die Ökonomie in unserer Vorstellungswelt verwurzelt ist, daß wir uns nur unterschiedliche Vorstellungen von ihr machen und sie dabei nicht gänzlich auslöschen können.

In diesem Sinne kann die Ökonomie als erschreckend gutes Mittel zur Analyse von Herrschaft betrachtet werden. Unsere Unfähigkeit, die Ökonomie wegzudenken, läßt unsere Unfähigkeit deutlich werden, die Herrschaft zu annullieren. Der Wunsch nach Rationalität, nach Normen, nach Regeln, nach denen man versucht, die Güterproduktion zu lenken und zu kontrollieren, ist von der gleichen Art, wie der Wunsch, der Gesellschaft als Ganzes, Rationalität, Normen und Regeln aufzudrücken. So wird ein legitimer und notwendiger Wunsch für das gesellschaftliche Leben zu einem Beispiel für die Reproduktion von Herrschaft. Die offensichtlich triviale ökonomische Notwendigkeit (wie können wir uns die Waren leisten?), wird zur komplexesten und schrecklichsten Notwendigkeit der Herrschaft.

Die Entschlüsselung von Herrschaft heute muß über die Entschlüsselung der Ökonomie erfolgen. Eines wird durch das andere unerläßlich und umgekehrt. Vielleicht erscheint auch aus diesem Grunde die Identifizierung der Ursprünge dieser menschlichen Schöpfung, die wir Ökonomie nennen, unmöglich. Möglicherweise hat sie keine Wurzeln; oder wir müssen vielleicht in den einfachen Gesten des Bauern, der Korn sät, nach diesen Ursprüngen suchen, oder in denen der Frau, die Wolle verwebt, der abenteuerlichen Fahrt des Kaufmanns, in der Tätigkeit der aseptischen, weißgebleichten jungen Frau, die die Tasten des Computers bearbeitet.

Ein Weg aus dieser Sackgasse könnte sein, zu erkennen, daß es nichts zu begreifen gibt, außer dem, was wir sehen können. Die Ökonomie würde uns so nicht mit entfernten und unerforschten Zonen kommen, außer vielleicht in unserer Vorstellung oder vielleicht in der kollektiven Vorstellung.

"Man kann sagen, wenn die Produktion den allgemeinen Entwurf der Gesellschaft widerspiegelt, dann betrachtet sie sich selbst im Spiegel. ... Für uns ist die Warenproduktion im Grundsätzlichen Produktion und Übertragung von Symbolen zugleich." (9)

Literatur:

(1) Baudrillard, J.: Lo specchio della produzione, Mailand 1979
(2) Castoriadis, C.: L' Institution imaginaire de la societe, Paris 1975
(3) Menger, K.: Principi di economia politica, Turin 1976
(4) Polanyi, K.: La grande transformazione, Turin 1974
(5) Polanyi, K. (hrsg.): Traffici e mercati negli antichi imperi, Turin 1978
(6) Polanyi, K.: Economie primitive, arcaiche e moderne, Turin 1980 Polanyi, K.: La sussistenza dell'uomo, Turin 1983
(8) Robbins, L.: Saggio sulla naturae l' importanza della scienza economica, Turin 1947
(9) Sahlins., M.: Cultura e utilitäj Mailand 1982
(10) Smith, A.: Indagine sulla natura e le cause della richezza delle nazioni, Mailand 1973

Aus: “Schwarzer Faden” Nr. 29, 4/1988. Übersetzung aus: Volonta, Bd. 28, 1984, Nr. 1, übersetzt von Bernhard Arracher und Irene Neres

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