Versuch, ein Mensch zu bleiben... Georg K. Glaser

„Meine älteste Schwester ist all seinen furchtbaren Bemühungen zum Trotz am Leben geblieben. Aber für immer entstellt. Sie ist in die USA gegangen wie in ein 1000 Meilen weites Versteck. Für immer verstört, das Nasenbein schlecht verheilt, das er ihr mit seinen Schlägen zertrümmert hatte. Ich selber wusste nicht woraus mir allein unter allen Kindern die Kraft erwuchs dem Alten in einem jahrelangen Kampf zu widerstehen und damit seine zerstörende Gewalt auf mich zu lenken. In jener Zeit lag alles in einem Nebel des Entsetzens, den Farbtöne durchbrachen, die allein mir alles vermittelten. Ich spürte, dass der mörderische Hass des Alten durch meinen Widerstand verursacht war, aber ich konnte mich nicht unterwerfen, denn es ging um mehr als um mein Leben. Wie oft bin ich geflohen und wieder eingebracht worden, um geschlagen zu werden, wie keiner sein Vieh zu schlagen wagt.“

Eine kleine Seitenstrasse in Paris, im Marais, in der Nähe der Bastille. Im Haus Nr. 9, ein kleiner Laden, Werkstatt für Silber- und Kupferarbeiten: Georges Glaser. Auf einem Tisch am Eingang Bücher. Eines davon: Geheimnis und Gewalt, Autor Georg K. Glaser. Ein und dieselbe Person.

Ein deutscher Emigrant, der 1910 im rheinhessischen Guntersblum geboren wurde und ab 1934 in Frankreich lebte. Sein letzter Ort, da wo er zur Ruhe kommt, bevor er 1995 auf dem Friedhof Père Lachaise den Frieden findet, den er über 70 Jahre lang in Flucht, Vertreibung, Kampf und ständiger Gewalt suchte.

In den 20erJahren wird er oft aufgegriffen, in so genannte „Erziehungsanstalten“ gesteckt. Hier trifft er seinesgleichen. Geflohene, Rebellische, Suchende. Er kommt in Kontakt mit anarchistischen und kommunistischen Jugendgruppen. In dem schon erwähnten Buch „Geheimnis und Gewalt“ lässt er sein Alter Ego zwischen den Kommunisten und der SAJD der anarchosyndikalistischen Jugend zögern.

Entstanden war die SAJD 1920 aus der Abspaltung des FAUD nahen Flügels der „Freien Jugend“. Auf dem 14.Jahreskongress der FAUD im Jahre 1922 wurde die SAJD als unabhängige Jugendorganisation anerkannt. Organe der SAJD waren die Zeitschriften „Junge Menschheit“ und „Junge Anarchisten“.

Doch noch zu sehr brannten in ihm die Wut und der „Heldenmut“, in „Schönheit“ zu kämpfen und zu sterben. Er tritt der kommunistischen Partei bei.

„Werktätige in Stadt und Land, Männer, Frauen und Jungarbeiter! Die Kommunistische Partei Deutschlands ruft Euch zur antifaschistischen Aktion auf. Sie will alle Werktätigen zu gemeinsamen Kampfe gegen die Hunger-Politik der Papen-Regierung, gegen den Hitler-Faschismus und gegen die Tributsklaverei vereinigen. Nur die Kommunistische Partei ist die einzige Kraft, die den einheitlichen Kampf aller Werktätigen organisiert. Werktätige, kämpft gegen Lohn- und Unterstützungsraub, entscheidet Euch für den politischen Massenstreik. Ihr habt die Macht in Händen, wenn ihr einig seid zum revolutionären Kampfe!“ (Ernst Schneller 1932)

„So wurde ich ein getreuer Soldat der kommenden Zeit. Wie stolz war ich auf das Wort eines Beauftragten der Partei mit dem er mich und andere bezeichnete. `Die jungen Offiziere der künftigen Armee Deutschlands´.

Als während eines Hungermarsches der Befehl durchgegeben wurde, um keinen Preis zu weichen, blieb ich wacker stehen und trat den Lohndienern der herrschenden Klasse entgegen. Nieder mit den Bluthunden der Ausbeuter ! Gebt uns Arbeit und Brot, sonst schlagen wir euch tot! Ich handelte schnell, schlug dem nächsten Grünen (Farbe der Polizeiuniform) kräftig unters Kinn, so heftig, dass er mit dem Hinterkopf an die Laterne prallte. Mit einem zweiten Schlag machte ich alles klar.“

Er prügelte sich gern als Mitglied im „Rotfrontkämpferbund“, wird mehrmals festgenommen und zusammengeschlagen - und schreibt Literatur, wird Mitglied im „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“.

Während er sich mit Nazis rumprügelt, im Sommer 1932 in Worms bei blutigen und tödlichen Kämpfen dabei ist (die Wormser KP lieferte sich tödliche Auseinandersetzungen mit der NSDAP und der Polizei), hat die KPD Leitung schon längst eine andere Strategie bestimmt.

Die KPD hörige „Rote Gewerkschaftsopposition“ (RGO) hatte beschlossen, zusammen mit der betrieblichen Naziformation „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“ in einen gemeinsamen Streik bei der BVG zu treten. Gemäß der Moskauer Direktive, waren die Sozialdemokraten als „ gemäßigter Flügel des Faschismus“ und damit als „Sozialfaschisten“ nicht erwünscht.

Dafür aber, entsprechend einer Rede von Ernst Thälmann(Herbst 1932), die Hereinnahme von Nazis in die Streikkomitees absolut notwendig und erwünscht. Galt es doch nun, da die SPD der Hauptgegner der KPD war, eine neue Einheitsfront von unten aufzubauen.

1933 wurden beide - KPD und SPD - von den Nazis verboten und verfolgt. Thälmann erschossen.

Glaser beginnt mehr und mehr an der Richtigkeit seiner Entscheidung zu zweifeln. Er erlebt immer mehr unsinnige, unverständliche ja sogar konterrevolutionäre Strategien und Handlungen der Partei, bleibt aber dabei, wegen der „Notwendigkeit des Zusammenhaltens in diesen lebensgefährlichen Zeiten“.

“Der Kommunismus ist wirklich die geringste Forderung/ Das Aller nächst Liegende, Mittlere, Vernünftige/ Wer sich gegen ihn stellt, ist nicht ein Andersdenkender/Sondern ein Nichtdenkender/ oder ein nur An sich Denkender/ Feind des Menschengeschlechts“ (B.Brecht)

„Aber wir konnten nicht einmal darüber streiten, es kam einzig und allein auf den Gehorsam, auf die Disziplin an, wir hassten in jenen Stunden die Leute draußen in Sicherheit, die uns mit ihrer Wissenschaft die Hände banden und uns angreifen ließen. Und unsere Leitung wählte den Weg der scheinbaren Blindheit um ihrerseits besser jene berauschen zu können, jene fernen kalten Götter, die gewohnt waren in Menschen wie in Mörteln zu schöpfen.“

Er übernimmt daher Aufgaben, die immer gefährlicher werden. Bei einer dieser Aktionen erschießt er einen Nazi.

„Ich wusste, was mich im Falle einer Verhaftung erwartete, er hätte mich endgültig getötet. Aber noch nie hatte ich mich ergeben, nie. Meine Angst war zu furchtbar. Ich zielte und schoss mit solch einer rasend hassenden Wollust, dass ich die Zähne zusammenbeißen musste,
Ich traf ihn mit der ersten Kugel, aber ich schoss weiter. Ich schoss und schoss. Eine Minute lang atmete ich befreit auf, dann rannte ich um mein Leben.“

Er flieht ins unabhängige Saarland, gejagt von Polizei und Nazis gleichermaßen. Dort konfrontiert mit KPD Leuten, die ihn nach einer „Erlaubnis“ fragten, sich dort überhaupt aufhalten zu dürfen.

Die „politischen Säuberungen“ der Stalinära erreichen ihren Höhepunkt in den Jahren 1936 bis 1938. In Spanien putschen Offiziere unter General Franco gegen die gewählte Linksregierung.

Glaser muss nach Frankreich fliehen, wird dort von der deutschen Armee festgenommen und in deutsche Arbeitslager gesteckt.

Nach erneuter Flucht findet er Arbeit und ein neues Ziel am Fliessband der Autowerke von Renault. Er trifft Anarchosyndikalisten „Anars“ wie er sie nennt, besucht deren Versammlungen und wird irgendwann Mitglied der sich 1945 gebildeten „Anarchistischen Föderation“.

1949 gründet er eine Werkstatt mit Kupfer- und Silberschmiedearbeiten.

Jenseits der Grenzen

„Es tut weh auf die großen Boulevards zu sehen/ wo sich die großen Herren breit machen.
Für die mag das Leben schön sein / aber nicht für uns.
Die suchen sich immer neue Druckposten / damit sie noch mehr Leute in die Gräben schicken können / die ihren Wohlstand verteidigen / denn wir haben nichts.
Alle unsere Kameraden sind da oben begraben / nur um den
Wohlstand dieser Herren zu verteidigen.
Refrain
Die, die Kohle haben, sollten sich zusammentun / weil wir uns für sie schinden
Aber damit ist Schluss / weil die Fettsäcke sich immer drücken
Jetzt seid ihr an der Reihe / ihr großen Herren / da auf die Hochebene zu steigen
und wenn ihr Krieg wollt / bezahlt dafür mit eurer Haut.“

(„La Chanson de Craonne“, ein bis 1970 in Frankreich verbotenes antimilitaristisches Lied, das 1917 zum ersten Mal von revoltierenden Soldaten gesungen wurde.)

Die libertäre Bewegung in Frankreich war 1936 so stark wie nie zuvor. Die Solidaritätsorganisation SIA (Solidaridad Internacional Antifascista) hatte wohl an die 40000 Mitwirkende, die vor allem durch und in der spanischen Revolution tätig war.

Danach gab es bis 1942 keine klare Linie im Kampf gegen Krieg und Faschismus. Die meisten männlichen Anarchisten gingen aufgrund ihrer Kriegsdienstverweigerung in die Gefängnisse, einzelne beteiligten sich an dem nationalen bewaffneten Widerstand der Resistance, viele organisierten Fluchthilfen für die von den Nazis aus rassistischen oder politischen Gründen Verfolgten , riefen zur Verweigerung von Zwangsarbeit auf

Hier war es vor allem die Gruppe aus Marseille, die mit ihrer Antikriegspropaganda Verantwortliche für den Krieg benannte - einschließlich Kapitalisten und stalinistischen Diktatoren. Sie gab mindestens fünf verschiedene Publikationen von 1000 oder mehr Exemplaren heraus - mit der Überschrift „Gegen Faschismus und Diktatur“. Sie hatte auch regelmäßig Kontakte mit anarchistischen Gruppen in anderen Städten und Einzelpersonen.

Hier vor allem zu den libertären Druckern Henri und Raul Lion in Toulouse, die sich aktiv in der Widerstandsbewegung beteiligten. Die beiden wurden später verhaftet und im KZ Mauthausen umgebracht.

Befremdliche individuelle Aktionen wie von einem Menschen wie Luis Loreal, der zu einer Kooperation mit den Nazis gegen die französische Regierung aufrief, hatten zwar keinen Erfolg, dienten aber den Kommunisten ihrerseits den libertären Widerstand zu diskreditieren.

1945 entstand aus einem Zusammenschluss der FAF(„Fédération Francaise Anarchiste“) und der „Anarchistischen Union“ die „Anarchistische Föderation“, der Georg Glaser während seiner Arbeit in den Renaultwerken beitrat.

„Und so bin ich wieder unter die Leute gekommen. Bei Renault hatten sie auf mich gewartet, haben mir wie bei jedem Heimkehrer einen Beutel voll Büchsenfleisch, Tabak und Backwerk geschenkt und mich gleich eingespannt. Mit 1 ½ Fuß haben wir schon in der neuen Zeit gestanden. Mit den Anars hatte ich bis dahin wenig zu schaffen. Aber am Abend bin ich ihrer Gewerkschaft beigetreten.“

Er ist in derselben Bezirksgruppe wie Giliana Berneri,die später in der Gruppe „Kronstadt“ der FCL, der „Föderation der Anarchokommunsit*innen“ u.a. auch die Theorien von Wilhelm Reich innerhalb der libertären Presse vorstellte.

1947 kommt es zu einer Serie von Streiks. Ausgegangen von einer anarchosyndikalistischen Gruppe der Renaultwerke in Boulogne - Billancourt, die der sozialistische Innenminister mit der Gründung einer Spezialeinheit der Polizei, der „CRS“ (Compagnies Républicaines de Sécurité) beantwortet.

1949, als eine weitere Streikwelle, bei der u.a. auch die inzwischen aus der Regierung geworfene kommunistische Partei beteiligt ist, wurde die CRS neu organisiert und hat sich bis heute ihren repressiven, äußerst brutalen Charakter bewahrt.

1968 wurde sie von den Demonstrat*innen „CRS=SS“ oder „ Busse voller Affen“ genannt.

Georg Glaser, der nach Auskunft von Gilbert Devillar bei den Streiks von 1947 durchaus reden konnte, war selber kein großer Freund davon. Er liebte das Erzählen und unterhielt die Genoss*innen mit Geschichten aus seinen antifaschistischen Zeiten Ende der 20erJahre, sang hin und wieder Antinazilieder bei Solidaritätsveranstaltungen der Föderation.

„Sie hatten die Worte nicht verstanden, aber die Lieder hatten eine große Wirkung auf sie“

Glaser diskutierte mit Albert Camus, der ihn auch später in seiner Werkstatt besuchte. Hörte zum ersten Mal die Gedichte von Georges Brassens oder die Lieder von Leo Ferré auf Kundgebungen - und schrieb selber. Vor allem an seinem Hauptwerk „Geheimnis und Gewalt“.

Er träumt von seiner eigenen Werkstatt. „Ich träumte davon, Güter zu erzeugen, die Entstehungen nachzuspüren, zu sehen, warum ein Schrank, ein Krug, ein Gitter von einem einzelnen kleinen Mann mit Augenmass und Stolz gebaut, so kostbar wird - während ein Dutzend in der Fabrik Müll wird. Dem nachzugehen gebietet nur ein einziger Weg: das Dasein jenes kleinen Mannes zu leben. Erfahrungen über das Tun erwirbt sich nur im Tun.“

Er kündigt bei Renault.

„Unversehrtes, lebenserfüllendes Tun ist zwar Mühe, aber keine Pein. In ihm ist Geduld in die Zeit gelöste Schaffensfreude. Erst auf eine einzige Verrichtung beschränkt wird sie zur langweiligen Mühsal der Arbeit, des immerwährenden Schmerzes. Eine Zeit, in der neun von zehn Lebenden ihre Tätigkeit als Fluch oder Strafe erleiden, ist krank. Deshalb schwankt das Gepräge so vieler Gesellschaften zwischen dem einer Heilanstalt und dem eines Zuchthauses.“

1949 gründet er seine Werkstatt, seine „Philosophie der Arbeit“, hält Kontakt zu Camus und anderen Literaten, diskutiert mit ihnen, warum alles so geworden, räsoniert über die „Lust zur Macht“.

Die Aufstände 1968 in Paris reißen ihn noch einmal hoch. Bei einer Buchvorstellung eines befreundeten Verlegers kommt er „nach langer Zeit wieder mal unter die Leute. Und dort ist der Zorn mir noch einmal durchgegangen. Aber so wütend ich war, so geordnet waren nun meine Sätze. Ich sah den örtlichen Vordenker der Anars, verdammt für ewig ein in unergründete Tiefen versenktes Gesicht zu tragen, stets eine ausgefallene Schrift zur hand, und neben ihm der festliche Wortführer der strenggläubigsten aller verstoßenen Ketzer, eine der Gruppierungen, die dem Namen ihres gemordeten Gründers einen Ismus gegeben haben (gemeint ist hier die trotzkistische „lutte ouvriere“). ´Ich seh hier den Anwärter auf eine Macht, die auf dem einzigen Weg der einzig unfehlbaren Partei besteht, neben dem Fürsprecher der alten Sehnsucht in Versuchen des sich selbst Verwaltenden das weite Feld des Möglichen zu erschließen.

Doch noch nie hat die Macht den freien Willen geduldet. Die Leichen von Kronstadt, der Machnow-Bewegung, des aufständischen Barcelona bezeugen es. Nur in den trüben Gewässer heutiger Sprachverwirrung können unsere beiden Leibredner da oben sich auf gemeinsame Hohlräume einigen. Aus deren Schall jede einen anderen verschwommenen Inhalt heraushört.“

„Weg geschwiegen wurde ich, wie man einem Hund direkt wortlos aus dem Wege gehe.“ Schreibt er später in „Jenseits der Grenzen“.

„Und ich habe mich davon gestohlen wie ein bei hässlichen Sachen erwischter.“ Bis ihn eine Gruppe junger Anarchist*innen umlagert, wissen will, wer er ist.

„Es hatte mich verlangt, ihnen zu erzählen, was zwischen ihren und meinen 20 Jahren geschehen war, lud einen von ihnen zu einem Glas Wein ein, um anschließend von 30 jungen Leuten belagert und in eine lebhafte Diskussion gezogen zu werden. Es hatte mir sehr leid getan, sie irgendwann zu verlassen. Es war schon selten geworden, mit ihren Jahrgängen überhaupt ins Gespräch zu kommen, wenn sich heute Heranwachsende schon bei fünf Jahren Unterschied fremd werden.“

Im Januar 1995 stirbt Georg K.Glaser in Paris. In einer Grabrede wird er geehrt als „ein wirklicher Anarchist auf der Suche nach einer Definition des Menschen, des verantwortungsvollen, freien Menschen“.

Originaltext: http://radiochiflado.blogsport.de/2012/02/09/versuch-ein-mensch-zu-bleiben/


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