Der Aufstand: eine Fiktion. Über das Buch "Der kommende Aufstand" (Buchbesprechung)

Die Einen schreien „linksradikal“, die Anderen wittern Rechtsextremismus: Der französische Essay „Der kommende Aufstand“ ist knallharte Gesellschaftskritik gepaart mit praktischen Tipps für den DIY-Aufstand. Die deutsche Übersetzung erregt bislang vor allem mediales Aufsehen.

In Frankreich hatte das Erscheinen von „L’insurrection qui vient“, verfasst vom „Unsichtbaren Komitee“, im Jahr 2007 eine Reihe von unerwarteten Konsequenzen: Eine linke Kommune wurde mit der Anschuldigung festgenommen, hinter dem Text sowie dem Hakenkrallenanschlag auf eine TGV-Strecke zu stehen; eine Anschuldigung, die bis heute nicht bewiesen werden konnte. Nicht zuletzt als Folge des Medienrummels hat der Text in Frankreich – über linke und autonome Kreise hinaus – weite Verbreitung gefunden, und sogar das französische Verteidigungsministerium hat mittlerweile zugegeben, dass das Pamphlet des Komitees einige wunde Punkte berührt.

Im deutschsprachigen Raum ist die Rezeption des Textes nun mit einer Polemik verbunden, an der „linke“ ebenso wie „bürgerliche“ Feuilletons beteiligt sind. Die taz schreibt von „rechtskonservativem, zusammengeflicktem Unsinn“ und ortet Einflüsse nationalsozialistischen Gedankenguts von Heidegger und Carl Schmitt, in der FAZ ist von „neuen Linksradikalen“ die Rede, die SZ wiederum vermutet, es könnte bald das „wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit“ werden. Anstatt dem Text auf den Grund zu gehen, nehmen ihn die RezensentInnen lieber als Beweis, dass das jeweilige journalistische Gegenüber schon immer falsch lag. Kurz gesagt, keiner möchte sich politisch hinter das Buch stellen, obwohl alle seine Sprengkraft spüren, und genau darin besteht sein Verdienst: Es zwingt die LeserInnen dazu, sich zu positionieren.

„Wir“ gegen „euch“

Dermaßen gegensätzliche – und hysterische? – Zuordnungen werden natürlich durch den Text geradezu provoziert. Denn diese scharfzüngige Gesellschaftsanalyse ist durchwegs geprägt von einer SprecherInnenposition, die sich als starkes „wir“ konstituiert und LeserInnen aller politischen Schattierungen in die Defensive drängt, aus der sie nur mehr durch einen Frontalangriff herauskommen. Ein Effekt, der der rhetorischen Strategie des Textes ebenso entspricht wie das apokalyptische Szenario der als „Kreise“ betitelten Kapitel eins bis sieben, das nicht umsonst an Dantes „Göttliche Komödie“ angelehnt ist. Der prognostizierte Untergang steht schließlich schon vor der Tür, nein: schon mitten in unserem Leben. Die sieben Kreise werden als Symptome dieser Krise analysiert, den konzentrischen Kreisen einer Zielscheibe oder eines ins Wasser geworfenen Steins folgend, beginnend beim Innersten, dem Zustand des Ich, im nächstgrößeren Kreis die sozialen Beziehungen, dann Arbeit, Stadt, Ökonomie, Umwelt, Zivilisation. Weil sie unaufhaltsam um sich greift, bleibt nichts von dieser finalen Systemkrise verschont. Das System, sprich: die gegenwärtige Organisation des Staates, muss also weg. Der zweite Abschnitt des Textes ist ein – bisweilen ironischer – Aufruf zu direkter Aktion, Streik, Sabotage, Betrug, Plünderung ...und zur Bildung von Kommunen. Jedes außergewöhnliche Ereignis, so das Komitee, öffnet einen Raum, den es durch die Kommune zu besetzen und gegen die „Normalisierung“, die Einverleibung in den staatlichen Kontrollapparat, zu verteidigen gilt. Immer wieder betont das Komitee, keine ultimative Lösung zu haben, sondern nur den richtigen Zeitpunkt zu kennen: Nämlich jetzt.

Auf geht’s?

Na klar, wann, wenn nicht jetzt? Aber dieser Kurzschluss zum präsentierten Lösungsansatz, der „Kommunisierung“, führt, zu Ende gedacht, nicht nur in die 1970er-Jahre, sondern ins Mittelalter zurück. Die Radikalität des „Aufstands“ liegt nicht in der angebotenen Alternative, sondern in seinem Appell an die politische Mündigkeit der LeserInnen. Außerdem zeugen die abrupten Wechsel von soziologischem Fachjargon zur Vulgärsprache, die vom akademischen „Kanon“ von Rancière bis zu Latour und Bachtin unvermittelt zum Angriff auf die „Bullen“ übergehen, von einer – in der Rezeption bisher übersehenen – ironischen Überzeichnung des Textes, die zwar die Schlagkraft seiner Analyse hervorhebt, auch die Ausweglosigkeit der Situation zeigt, aber vor allem seine literarische Qualität unterstreicht. „Der kommende Aufstand“ ist eine glänzend geschriebene, poetische Fiktion, ein Stück politischer Literatur.

Ruth Dragún & Pamela Rucker

Der kommende Aufstand“, übersetzt von Elmar Schmeda, Hamburg: Edition Nautilus 2010.

Aus: Malmoe Nr. 52

Originaltext: http://www.malmoe.org/artikel/widersprechen/2146


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