Anarchistische Bewegungen in Irland

Warum es kaum anarchistische Bewegungen in Irland gibt, warum die Repression gegenüber denen beinahe gleich null ist und wie die Anarchisten zu „regimekritischen“ Republikanern stehen, waren alles Fragen, die mich auf meiner Irlandreise begleitet haben und die ich dank Mitgliedern der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften „Organise“ aus Belfast und „Workers Solidarity Movement WSM“ aus Dublin beantworten konnte.

Kurze Einführung in die Geschichte

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, als allgemein die Tendenz zu Nationalismus stieg, wurde der Grundstein für den Nordirlandkonflikt entfacht. Um nicht mehr von den Engländern unterdrückt zu werden und eigenständig zu sein, gründete sich die Irish Republican Army IRA, die Irland von den Engländern befreien wollten, bzw. wollen. Teilweise haben sie ihr Ziel erreicht: Der Süden Irlands wurde nach dem Ersten Weltkrieg zuerst ein Freistaat innerhalb des britischen Empires und schliesslich 1948 die heutige Republik Irland. Allerdings blieb der nördliche Teil Irlands, die Provinz Ulster, nach wie vor unter der Herrschaft von England.

Die pro-britischen Unionisten und Loyalisten machten aus Nordirland einen „protestantischen Staat für ein protestantisches Volk“ (1). Weil die Unionisten und Loyalisten Angst hatten, die IRA könnte auch Nordirland unabhängig von Grossbritannien machen und Irland einigen, nahm die Diskriminierung der Katholiken, die sich mehrheitlich irisch-republikanisch verstanden, stark zu. Bis heute kämpft die IRA für ein geeintes Irland und bis heute kämpfen die Unionisten und Loyalisten mit aller Kraft, um dies zu verhindern.

Wie sich der Konflikt auf die politische Arbeit auswirkt

„Wir müssen immer auf die Spaltung in unserer Gesellschaft achten, die natürlich auch die Arbeiterklasse teilt. Wir tun unser Bestes eine alternative, libertäre und auf die Klassen bezogene Analyse zu der Situation zu liefern.“, so ein Mitglied von „Organise!“ aus Belfast. Über Jahre hinweg besteht nun der grösste Teil der politischen Arbeit in Irland, bzw. vor allem in Nordirland darin, eine kleine Gruppe von Anarchisten, jenseits der konfessionsgebundenen Spaltung, zu bilden und vor allem, diese aufrecht zu erhalten.

In Irland ist dies schwer, weil der grösste Teil der Bevölkerung nationalistisch und religiös eingestellt (oder zumindest nationalistisch und religiös geprägt) ist. Mit einer antinationalen, konfessionslosen Kritik am System auf offene Ohren zu stossen, ist deshalb äusserst schwer. Auch bei dem kleinen Teil der Bevölkerung, der weder katholisch, noch protestantisch ist, der sich weder bei den Unionisten noch bei den Republikanern zugehörig fühlt, kommt der Kampf der Anarchisten nicht wirklich an.

Die meisten sind von dem Konflikt ermüdet: Man ist in dem Konflikt geboren und wird vermutlich auch in ihm sterben. Alles, was auch nur ansatzweise etwas mit einer Forderung nach einer neuen Form der Gesellschaft zu tun hat, wird abgetan, weil dieser Teil der Bevölkerung das Gefühl hat, es wird sich ja doch nichts ändern und doch nur wieder weitere Konflikte, weitere Einschnitte in ihr Leben mit sich bringen.

CCTV und Repression

„Seit CCTV auch nach Nordirland gekommen ist, sind wir vermutlich die bestüberwachte Bevölkerung der Welt“, so das Mitglied von „Organise!“ auf die Frage, wie die Repression in Irland ist, bzw. warum sie (anders als in der Schweiz oder in Deutschland) ohne Probleme beispielsweise ihren Namen unter einem Artikel in einem anarchistischen Magazin abdrucken.

CCTV ist eine Firma in Grossbritannien, die Privatpersonen, Firmen, öffentliche Gebäude und den öffentlichen Raum mittels Kameras überwacht. In Belfast sind die Kameras vor allem bei Denkmälern, Einkaufspassagen und grossen Firmen zu finden: Alles Orte, an denen die Gefahr eines Attentats nach dem Ermessen der Regierung grösser ist als anderswo. In Städten wie beispielsweise Derry sind die Kameras allerdings auch in Wohnquartieren zu finden.

Weiter erzählt das „Organise!“-Mitglied, dass es keinen grossen Sinn habe, sich zu verstecken, wenn gleichzeitig draussen an jeder Ecke eine Überwachungskamera hängt. Wenn die Regierung oder die Polizei etwas wissen will, werden sie es auch wissen. Ausserdem gebe es eigentlich auch gar nicht viel zu unterdrücken, da es kaum revolutionäre Bewegungen gäbe. Da seien die Nationalisten schon viel interessanter.

Ein Mitglied der „WSM“ aus Dublin erzählte mir zu dem Thema: „Wenn gerade ein bewaffneter Kampf im Gange ist, bei dem beide Seiten immer wieder staatliche Institutionen angreifen und für viele Menschen eine Lebensgefahr darstellen, wird man als Anarchist hier kaum ernst genommen: Die anarchistische oder allgemein die antinationalistische Bewegung ist hier viel zu klein und viel zu harmlos. Was natürlich zwei Seiten hat: Einerseits können wir viele Dinge tun, ohne dass die Polizei davon Notiz nimmt. Andererseits ist dies ein Zeichen dafür, dass die Regierung das Gefühl hat, dass von uns keine Gefahr ausgeht - was wiederum negativ ist.“

Die Anarchisten und die Republikaner

„Selbst als Anti-Nationalist können dir die Nationalisten, vor allem gerade in antifaschistischen und antirassistischen Kampagnen und Aktionen sehr behilflich sein.“, so ein weiteres Mitglied der WSM. Wenn nur die Anarchisten zu einer antifaschistischen Demonstration aufrufen, kann man sicher sein, dass viele Faschisten da sein werden: Die anarchistisch-antifaschistische Bewegung macht ihnen keinerlei Angst.

Wenn aber die Republikaner zu einer Demonstration aufrufen, wird garantiert kein einziger Faschist auf der Strasse zu sehen sein, weil sie wissen, dass sie nicht so heil davonkommen würden. „Abgesehen von dem sind es aber in meinen Augen Nationalisten wie alle andern auch: Sie sind weder systemkritisch noch revolutionär“.

Viele Mitglieder der IRA sehen sich selbst aber als regime- und systemkritisch an. Zu denen hat die „Organise!“ in ihrer eigenen Zeitschrift „The Leveller“ einen Artikel geschrieben in dem steht: „Diese regimekritischen Republikaner sind in Wahrheit regimekritische Nationalisten. Es muss einem bewusst sein, dass sie sich beispielsweise von der Sinn Fenn (2) separiert haben, weil ihnen diese nicht nationalistisch genug waren. Das hat nichts zu tun mit der Abschaffung des Systems und dem Kampf für Sozialismus. [...] Organise! stellt sich gegen jegliche Art von Nationalismus, sei dies oranger oder grüner (3), wie wir auch gegen Kapitalismus und gegen jegliche Form eines Staates sind, der uns schlussendlich doch nur an den Kapitalismus bindet. Egal ob das die Regierung der Republikaner oder die der Briten ist.“

... und sie versuchen es doch!

Der Nordirlandkonflikt hat seine Spuren hinterlassen und wird wahrscheinlich auch noch weitere Auswirkungen haben. Aber es gibt ein paar Menschen, die weiterhin für etwas kämpfen, das weit über ein geeintes oder getrenntes Irland hinaus geht. Um noch ein letztes Mal die „Organise!“ zu zitieren: „Die wirkliche Teilung in unsere Gesellschaft ist wie in jeder Anderen die Teilung der Klassen und wir kämpfen um eine Bewegung zu bilden, die auf den gemeinsamen Interessen der arbeitenden Klasse basiert.

Anmerkungen:
1.) Diese Bezeichnung stammt von dem ersten nordirischen Ministerpräsident James Craigg
2.) Republikanische Partei, gilt als politische Fraktion der IRA.
3.) Orange ist die Farbe der Unionisten, grün die der Republikaner

Aus: di schwarzi chatz Nr. 2, Sept. / Okt. 2009 (FAU Bern)


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