Anarchistische Buchmesse 2010 - Warum eine libertäre Buchmesse in Biel/Bienne?

Während anarchistische Buchmessen in der ganzen Welt stark am Kommen sind, blieb es in den Deutschsprachigen Ländern bislang auffällig ruhig. Im Februar 2009 fand zum ersten mal ein solcher Anlass in Winterthur in der Schweiz statt. Der Erfolg der Buchmesse machte eine Fortsetzung fast zwingend, doch konnte in Winterthur ein Ziel schlecht realisiert werden: Der Anlass sollte nicht nur für Deutsch sprechende BesucherInnen und AnbieterInnen interessant sein, sondern auch für solche aus Französisch- und Italienischsprachigen Regionen. Als grösste zweisprachige Stadt der Schweiz ist Biel/Bienne daher bestens dafür geeignet. Und damit noch nicht genug: Beinahe in den Stammlanden der legendären Fédération Jurassienne gelegen, lebt auch heute noch in Biel die libertäre Tradition fort: Trotz der lediglich 50'000 EinwohnerInnen gibt es hier besetzte Häuser, ein autonomes Jugendzentrum mit mehr als vierzigjähriger Geschichte, den "Chat Noir" als einer der ganz wenigen anarchistischen Infoläden in der Schweiz, eine selbstverwaltete Gassenküche mit täglichen warmen Mahlzeiten, eine autonome Druckerei... Darüber hinaus ist die Stadt dank ihrer günstigen geographischen Lage schon seit langem beliebter Treffpunkt für Anarch@s aus dem ganzen Land. Kurz und bündig: Ein idealer Ort für eine libertäre Buchmesse!

Was geboten wird

Die Buchmesse findet am Samstag, 15., und Sonntag, 16. Mai 2010 im „Chessu“ statt. In Winterthur waren gut 30 AnbieterInnen anarchistischer Medien anwesend, dieses Mal hoffen wir noch auf einige mehr. Eine laufend erweiterte Liste der Teilnehmenden findest du hier. Zudem besteht an verschiedenen Orten in Biel/Bienne Platz für weitere Veranstaltungen: Austellungen, Diskussionsrunden, Filmvorführungen, Kleinkunst, Lesungen, Podiumsgespräche, Referate, Workshops,... Ein Teil davon wird von uns organisiert, wir sind aber auch auf die Eigeninitiative von BesucherInnen angewiesen. Wenn du eine Idee hast, melde dich doch bitte hier. Das vollständige Programm wird Anfang April veröffentlicht werden. Schliesslich wird es am Samstagabend im „Chessu“ ein Konzert geben. Das Line-Up wird Anfang Jahr bekannt gegeben.

Was ist eine libertäre Buchmesse?

Anfang der 1980er-Jahre entstand bei ein paar Londoner AnarchistInnen unter dem Eindruck einer sozialistisch genannten, doch stinklangweiligen, teuren und von vielen grossen Verlagshäusern frequentierten Buchmesse der Wunsch, einen eigenen solchen Anlass durchzuführen. Das Attribut „anarchistisch“ oder „libertär“ in der rasch auf die Beine gestellten „Anarchist Bookfair“ bezog sich einerseits auf die angebotenen Verlagsprogramme und anderseits auf eine bestimmte Auffassung, wie der Anlass auszusehen habe. Es ging nicht nur darum, möglichst viele Bücher zu verkaufen und viele Menschen für den Anarchismus zu interessieren, sondern auch darum, eine Plattform für AktivistInnen und eine Vielfalt an weiteren kulturellen Veranstaltungen zu bieten. Spezifisch anarchistische Auffassungen, die viel Wert auf die individuelle Freiheit legen, sollten zudem an der Buchmesse gelebt werden: Rassismus, Sexismus, Homophobie usw. hatten am Anlass nichts verloren, dagegen wurde viel Wert auf die „do-it-yourself“-Haltung von BesucherInnen und AnbieterInnen, Solidarität und Strukturen zur basisdemokratischen Entscheidungsfindung gelegt.

Der „Anarchist Bookfair“ war das erste Mal kein Glück beschieden: Gerade einmal ein halbes Dutzend AnbieterInnen nahmen an dem Anlass teil, und nachdem sich kaum eine BesucherIn blicken liess, entschieden sich die Anwesenden kurzum, aus der Buchmesse ein Pool-Turnier zu machen. Doch der Enthusiasmus blieb, und der Anlass wurde Jahr für Jahr prominenter, konnte mehr libertäre Verlage und Interessierte anziehen und grössere Veranstaltungen durchführen. Die Buchmesse wurde im Laufe der Jahre so beliebt, dass sie dieses Jahr bereits zum 28. Mal durchgeführt wird. Ganz unbescheiden meinen die Veranstalterinnen und Veranstalter denn auch, dass sie der grösste und wichtigste regelmässig stattfindende anarchistische Anlass der Welt sei. Die Zahlen sind tatsächlich auch ziemlich eindrücklich: 100 Bücherstände, 40 Veranstaltungen und rund 3000 BesucherInnen - und das jeweils an nur einem Messetag. Doch längstens ist die "Anarchist Bookfair" nicht mehr die einzige ihrer Art, so dass ihre Organisatorinnen und Organisatoren dazu übergegangen sind, die Betonung auf "von London" zu legen. Alleine in Grossbritannien sind im Laufe der letzten Jahre zahlreiche anarchistische Buchmessen begründet worden. In Kanada und in den USA hat mensch als literarisch interessierteR AnarchistIn schon fast die Qual der Wahl - zwischen Frühling und Herbst gibt es kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendwo eine libertäre Buchmesse stattfindet. Auch in Lateinamerika, wo anarchistische Buchläden und Bibliotheken eine lange Tradition haben, gab es in den vergangenen Jahren einige Versuche, so zum Beispiel in Monterrey (Mexiko) und São Paulo (Brasilien).

Schliesslich tut sich auch auf dem Europäischen Festland in den letzten Jahren einiges in dieser Sache: Seit 2003 findet alle paar Jahre die "Balkan Anarchist Bookfair" statt (2003 in Ljubljana (Slowenien), 2005 in Zagreb (Kroatien), 2008 in Sofia (Bulgarien)); ebenfalls in Osteuropa gibt es seit 2006 die jährlich stattfindende "Anarhistički sajam knjiga" in Zagreb und eine anarchistische Buchmesse in Poznan (Polen). In Westeuropa fallen vor allem die Spanischen Genossinnen und Genossen auf, die in verschiedenen Städten (Barcelona, Bilbao, Madrid, Valencia) regelmässig stattfindende "ferias del libro anarquista" durchführen. Aber auch in Paris, Gent, Florenz, Lisabon und Dublin, gab es in den letzten Jahren entsprechende Anlässe. Die Konzepte haben sich über die Jahre kaum geändert, wenn sich auch die Programme massiv ausgeweitet haben: Viele der Anlässe sind heute Buchmessen, Kulturtage, Kleinkunstbühnen, Vortragsreihen, Filmzyklen und Begegnungsräume in einem.

Originaltext: http://buechermesse.ch/2010/index.php?option=com_content&view=article&id=47&Itemid=1&lang=de


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