25 Jahre Edition Nautilus - "Weder Euren Frieden noch Euren Krieg!"

Es ist schon schwer in Zeiten wie diesen gegen den Strom anzuschwimmen. Noch viel mehr Beachtung sollte denjenigen gehören, die sich über längere Zeit gegen den Zeitgeist sträuben bzw. gesträubt haben. Zu einigen dieser wenigen Menschen gehören die Genossen und Genossinnen von der Edition Nautilus und von der Zeitschrift Die Aktion aus Hamburg (Verlag Lutz Schulenburg, Am Brink 10, 21029 Hamburg). Über ihr politisches Engagement sind Hanna Mittelstädt, Lutz Schulenburg und Pierre Gallissaires, der konkrete Erfahrungen aus dem Pariser Mai 68 mitbrachte, vor 25 Jahren mehr zufällig als absichtsvoll in die Verlegerei hineingerutscht: zunächst durch die Herausgabe diverser Flugschriften unter dem Label MAD-Verlag, Materialien, Analysen, Dokumente, der sich nach einer Klage des gleichnamigen Satireblatts in Edition Nautilus umbenannte. "Ein Gedicht kann genauso revolutionär sein wie ein theoretischer Text." Getreu dieser Devise wurden neben Schriften der Anarchisten und Situationisten auch solche der Dadaisten, Räte- Linkskommunisten und Surrealisten herausgegeben. Bald fanden auch die ersten Biographien, u.a. von Jacques Mesrine, Charles Mingus, Billie Holiday und Franz Jung, sowie unerschrockene Prosa junger Autoren wie Franz Dobler, Ingvar Ambjørnsen und Sean McGuffin Eingang ins Programm. Parallel dazu wurde die Werkausgabe von Franz Jung, der sehr enge Beziehungen zur KAPD hatte, in Angriff genommen und 1997, nach 16 Jahren und zwölf Bänden, endlich vollendet. Sehr zu Lasten der Verlagsökonomie, die in der Edition Nautilus stets um einige wenige Verkaufserfolge herum organisiert werden muß(te), allen voran um den zweisprachigen Silvester-Dauerbrenner Dinner for one. Nicht ganz so erfolgreich, aber ebenso unverzichtbar ist Die Aktion, eine der letzten streitbaren Zeitschriften für Politik. Da interessiert uns natürlich einmal, wer steckt dahinter und was sind die Gedanken und Absichten, welche die Aktivisten der Edition Nautilus verfolgen.

EN steht für Edition Nautilus, RT steht für Revolution Times


RT: Der Verlag Edition Nautilus existiert seit über 25 Jahren und "Die Aktion" erscheint ja nun schon seit 1981. Was denkt ihr habt ihr in dieser Zeit mit der Herausgabe der Aktion und eurer Bücher bewirken können? Habt ihr überhaupt etwas bewirken können? Wo bzw. wie seht ihr die Rolle der Kultur?

EN: Mit Sicherheit haben wir etwas bewirken können, auch wenn die Resultate schwer meßbar sind. Wir haben stets versucht, eine radikale und unabhängige Haltung zu fördern, indem wir die Vorstellungen und Zeugnisse der revolutionären Intelligenz veröffentlichten. Etwa die Schriften der Situationisten oder die der Surrealisten, die von linken Kommunisten oder Anarchisten. Immer sind wir in unserer verlegerischen Tätigkeit davon ausgegangen, daß dem herrschenden Denken, auch dem in der Linken vorherrschenden, eine Alternative entgegengestellt werden muß. Gleichgültig ist dabei, ob es sich um den politischen oder kulturellen Bereich handelt. Denn das simplifizierende und autoritätsgläubige Denken, das die kapitalistische Gesellschaft produziert hat, ist in allen Bereichen des menschlichen Lebens präsent, und deshalb haben wir immer versucht, eine kritische Einheit von Literatur-Kunst und Politik herzustellen. Dieses Engagement hat seine Wirkung, eure Fragen sind für mich ein freudiger Beleg dafür. Ein wirklich kritisches Denken, ein Denken also, das sowohl historisch wie auch gegenwärtig ist, verschwindet nicht spurlos; es wandert und erneuert sich, weil es nicht losgelöst ist von den menschlichen Bedürfnissen. Die vielfältigen Formen der menschlichen Bedürfnisse, die, im ästhetischen Bereich, als Fülle der Phantasie gegen die Ideologieproduktion ankämpft, macht den kulturellen Bereich aus, und eine kulturrevolutionäre Linksfront hätte dort eine bedeutende Rolle zu spielen. (Allerdings: bei jeder künstlerischen Produktion bedarf es mehr als nur guten Willens. Es genügt also nicht, auf irgendein Erzeugnis der Literatur, der bildenden Kunst oder der Musik ein politisches Etikett zu kleben, etwas mehr formale und inhaltliche Anstrengung muß vorausgesetzt werden!)


RT: Ihr seht euch ja den Linkskommunisten, den Situationisten, den Anarchisten, den Dadaisten und den Surrealisten und somit einer Minderheitenposition in der (deutschen) Linken verbunden. Seht ihr euch nach den Ereignissen von 1989, also dem Ende des Stalinismus, in eurem Denken bestätigt? Welche eurer Positionen sind durch die Geschichte bzw. die Vergangenheit und die politische Praxis bestätigt, welche sind eurer Meinung nach widerlegt worden?

EN: Ja vollkommen. Sowohl der Stalinismus wie die Sozialdemokratie sind Bausteine der Konterrevolution. Sie haben den Sinn der Massen für ihre Befreiung vernebelt. Der Aufstieg des Faschismus wäre ohne diese zwei Formen der Reaktion nicht möglich gewesen. Unglücklicherweise ist es aber so, daß alle die Entmutigung und Verwirrung, die diese Niederlage des autoritären Sozialismus bewirkt, teilen müssen, auch wenn wir es im Ganzen besser wußten. Schließlich triumphieren momentan die kleinen und großen Lobredner des Kapitalismus und ihr ideologischer Hit, der Neo-Liberalismus, breitet sich wie die Pest aus. Der Untergang der bürokratischen Klasse, der bei genauer Betrachter eigentlich nur ihre Verwandlung, ihre Erneuerung, ist, schafft eine weltweite Vereinheitlichung des Kapitalismus. Insofern ist die Bestätigung unserer politisch-kulturellen Position (die Feindschaft gegenüber dem bürokratischen Staatskapitalismus und seinem autoritären Sozialismus) selbstverständlich eine Herausforderung. Zwar ist es ganz tröstlich sich in der Wahrheit zu wissen, entscheidend ist aber, daß die gesellschaftliche Wirklichkeit unser Denken und unsere Wünsche bestätigt. Was widerlegt? Ich denke, widerlegt ist gar nichts. Denn, wenn selbst das falsche, abgelegte und ziemlich diskreditierte Denken, wie etwa der _Nationalismus und der Rassismus, heute eine solch schauerliche Wiedergeburt erlebt, ist die Praxis und das Denken, das uns in den letzten 30 Jahren geformt hat, im ganzen nützlich. Allerdings würde ich dem taktischen Dogmatismus, wie wir ihn durch die Situationisten kennenlernten, und den wir, wenn auch nicht blind, so doch ziemlich konsequent nacheiferten, heute weniger befürworten als vor 25 Jahren. Ich denke, jede Art von Sektierertum und Dogmatismus - mithin alles was die Sichtweise verengt - ist, sowohl für den Einzelnen wie für die soziale Bewegung, kontraproduktiv.


RT: "Der Kommunismus ist keine Frage der Partei, sondern der Schaffung einer autonomen Massenbewegung." so hieß es in einem Artikel der französischen Gruppe "Le Proletaire" aus dem Jahre 1947. Wie steht ihr zu dieser Aussage und wie kann bzw. soll so eine "autonome Massenbewegung" entstehen? Wo seht ihr da die Rolle eures Verlages und eurer Publikationen?

EN: Einverstanden! Ich hoffe, daß die Edition Nautilus auch für eine solche "autonome kommunistische Massenbewegung" eine positive Rolle spielt. Wie diese Funktion genau aussehen mag, wird sich zeigen, wenn eine solche Kraft in Erscheinung tritt. (Im übrigen: in unserer Zeitschrift Die Aktion wurde stets dieser Perspektive - der Kommunismus als wirkliche Bewegung der menschlichen Bedürfnisse - antizipiert.)


RT: Hattet ihr jemals Ärger mit der Staatsmacht wegen einer eurer Veröffentlichungen?

EN: Klar gab es Ärger, aber dies gehört irgendwie zum verlegerischen Alltag und zur politischen Biographie.


RT: In eurem Verlagsprogramm ist von Kuriosem, Romanen (etwa Sean Mc Guffins "Der Hund") über Geschichtsdokumente (etwa "Das Leben ändern, die Welt verändern!") bis zu Dokumenten sozialer Bewegungen (etwa "Der Wind der Veränderung") alles zu finden. Was bestimmt Euer Verlagsprogramm? Wer oder was entscheidet darüber, was veröffentlicht wird und was nicht?

EN: Um es kurz und knapp zu sagen, gibt es zwei Grundregeln für die Gestaltung des Programms: Entdeckungslust und Freude an der künstlerischen Qualität. Daneben gibt es jede denkbare Form von Vermittlung und Zufall. Nicht verschweigen möchte ich aber noch eine dritte Kategorie, die wir leider nie aus den Augen verlieren dürfen, die Ökonomie nämlich. Als Verlag agieren wir innerhalb der kapitalistischen Marktwirtschaft und wir sind darauf angewiesen, uns ständig am eigenen Schopf aus dem makroökonomischen Sumpf zu ziehen. Dies ist nicht immer lustig, auch wenn dieser Prozeß, mit seinen vielen Bösartigkeiten und Enttäuschungen, im Lichte der eigenen Lebensgeschichte betrachtet, recht komische Szenen aufweist.


RT: Ihr habt bei euch im Programm ja auch die Bücher "Stellungskrieg" und "Purer Wahnsinn" von Stewart Home, der sich selbst als linker Skinhead sah. Wie kam es zu diesen Buchveröffentlichungen?

EN: Zu den Büchern von Stewart Home sind wir durch die Empfehlung seines Übersetzers gekommen, der ein guter Freund, Genosse und Zuträger des Verlages ist.


RT: Ihr scheint da ja nicht wie viele andere Berührungsängste in irgendeiner Art zu haben. In den Veröffentlichungen anderer Verlage tauchen Skinheads stets nur als fette, schwachsinnige und rassistische Mördermonster auf. Wie kommt es da zu eurer eher objektiven Haltung?

EN: Der "Schwachsinn" hat keine exklusive Form. Oder etwas einfacher gesagt: es kommt immer darauf an, was ein Mensch wirklich tut und wozu er nicht bereit ist. Ich denke, jede und jeder sollte sich einen Sinn für ein unabhängiges Urteil erhalten. Als menschliche Wesen, die für individuelle und kollektive Freiheit eintreten, sollten wir nicht nur ein theoretisches, sondern praktisches Verständnis von Toleranz haben. (Es ist wirklich von Vorteil, für das Gefühlsleben genauso wie für das Denken, möglichst wenig Vorurteile zu dulden, weil sie die eigene Erlebensfähigkeit vom Ressentiment vergiftet wird.) Die Bereicherung des anderen, das gelebte weichende Verhalten, sollte mehr neugierig machen als Ablehnung auslösen.


RT: Eure Haltung zum Krieg hattet ihr ja ganz gut in der Formulierung "Weder Euren Frieden noch Euren Krieg" ausgedrückt. Wo hättet bzw. wo seht ihr die Alternative zum NATO-Krieg und dem ganzen Diktat-"Frieden"? Wie seht ihr die Perspektive solcher Kriege in Zukunft und wo seht ihr eure Rolle bzw. die Rolle der gesamten Linken?

EN: Bei "weder Euren Frieden noch Euren Krieg" handelt es sich um eine Formel, die die Surrealisten, angesichts von Krieg und Faschismus, in den 30er Jahren geprägt haben. Dieser absichtsvolle Rückgriff soll auf die Parallelität zur heutigen Situation hindeuten: auch in den 30er Jahren gerieten die Revolutionäre zwischen die verschiedenen Lagerfeuer der Konterrevolution. (Es waren die Surrealisten in Paris, die tapfer die ganze revolutionäre Tradition verteidigten, gegen das Vorhaben der Konterrevolution die Massen zu instrumentalisierten, worin Faschisten, Demokraten und Stalinisten sich einig waren; wie auch die spanischen Arbeiter-Bauern 1936, die ein letztes Mal gegen alle Feinde ihrer Freiheit gekämpft haben.) Für mich ist dieser historische Rückgriff eine Bekräftigung des rebellischen Programms in unserer Gegenwart. Daneben bin ich der Überzeugung, daß die ideologische Limonade, mit denen die Herrschenden ihre Kriege legitimieren, damit ihre kapitalistische Ökonomie weiter existieren kann, ziemlich abgestanden ist. Auf diesem Gebiet gibt es keine Neuigkeiten. Und unsere Antwort auf die Aufforderung zur Unterwerfung unter die Befehle des Staates ist die gleiche wie vor 50 oder 100 Jahren. Die einzige Alternative zu diesem Krieg ist es, an der internationalistischen Haltung des Sozialismus und der Arbeiterbewegung festzuhalten. Daran, daß die Nation, der Staat, die Ökonomie allen Menschen als eine feindliche Macht gegenüber tritt und der Krieg ein Ungeheuer ist, das ihren Bedürfnissen nach Glück und Freude entgegensteht. Für die Proletarisierten gibt es keinen Grund, sich für die Interessen ihrer Herren gegenseitig zu töten - genausowenig wie sie die Arbeit lieben können, zu der wir alle mehr oder weniger gezwungen sind. Niemals! Der Internationalismus wie auch der Antimilitarismus sind eine historische Erfahrung, sie sind ein Grundelement der Rebellion, eine Voraussetzung, um die kapitalistische Gesellschaft aus den Angeln zu heben. Unsere Rolle bleibt die einer kleinen aber lärmenden Minderheit, so lange, wie eine qualitative Mehrheit daran geht, die Schaffung einer neuen Gesellschaft als praktische Tagesaufgabe anzugehen. Für die nahe Zukunft ist allerdings zu befürchten, daß wir uns einer Kette von imperialen Kriegen und autoritären Maßnahmen des Staates gegenübergestellt sehen, ohne daß eine selbstbewußte Massenbewegung diese für uns scheußlichen Perspektiven umkehrt. Wir sind deshalb gezwungen, klug und geschickt zu agieren, und müssen auch auf uns nicht vertrautem Terrain, zusammen mit Menschen, die uns von ihrer politischen oder kulturellen Orientierung her fremd sind (genauso wie wir in ihren Vorstellungen unverständlich erscheinen können), kämpfen und so dabei mithelfen, daß die unterschiedlichen Kräfte der sozialen Bewegung sich sammeln und kräftigen können. Dazu sind viele Lernschritte notwendig, die nur dann positiv verlaufen, wenn Geduld und aufrichtige Offenheit für andere Ansichten eine Selbstverständlichkeit sind. Das Fatale an der heutigen Situation besteht darin, die notwendige Geschmeidigkeit der Praxis nicht mit einer Nachgiebigkeit in den Wünschen zu verwechseln (bekanntlich ist der Opportunismus ein Zwillingsgeschöpf des Dogmatismus!). Da das radikale Verlangen nach Veränderung der Lebensweise der eigentliche Motor für die heute notwendige Bewegung ist, führt natürlich geistige Lauheit nicht aus der Misere heraus, sondern verstärkt diese. Wenn man also sagen muß, Achtung, gelegentlich geht es drei Schritte zurück, damit es überhaupt einen voran gehen kann, muß der Kopf diese Bewegung der Praxis nur bedingt mittun ... Kurz und knapp gesagt: Wir werden weiterhin unsere Rolle darin sehen, die Phantasie und die Aufklärung, als die zwei Quellen des revolutionären Geistes, zu gegen jede ideologische Verschmutzung zu verteidigen. Dies ist unser spezifischer Beitrag als Litertaturproduzenten für die große Bewegung von Freiheit und Sozialismus, in die den sozialen und ästhetischen Fortschritt voranbringt.


RT: Irgendwelche letzten Worte, Wünsche, etc.?!?

EN: Da der Mensch in der kapitalistischen Welt durch die ideologische und ökonomische Ausbeutung erniedrigt wird, muß ein Denken, das sich als revolutionär versteht, die Menschen ermutigen, ihr Selbstbewußtsein anregen und sie so zu einer Praxis befähigen, in der gleichermaßen positive Ziele wie Verhaltensweisen dominieren. Die Revolution, die wir alle wünschen, muß eine lustvolle Angelegenheiten sein, die alle einschließt. Lutz Schulenburg

Edition Nautilus: www.edition-nautilus.de

Aus dem rätekommunistischen Skinheadszine "Revolution Times" Nr.1

Originaltext: http://www.geocities.com/revolutiontimes/edit.htm


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