Rethinking Crimethinc. - Crimethinc. überdacht. Eine Kritik

Der folgende Text aus den USA kritisiert Crimethinc. von einem "klassenkämpferisch-anarchistischen"-Standpunkt aus. Teile des Textes sind völlig daneben - etwa wenn der Autor mal nebenbei einwirft, dass das Furious George Kollektiv "eine Kugel für kriminelle Akte gegen den Anarchismus" verdiene - und Beschimpfungen oder sektiererisches Beharren auf den "einzig wahren und richtigen Anarchismus" sind einer inhaltlichen Debatte auch nicht gerade dienlich. Und mal ganz ehrlich: der Schreibstiel von Crimethinc. ist wirklich poetischer und fantasievoller ;-). Dennoch enthält er viele treffende Kritikpunkte an einem Lebensweltanarchismus, wie er bei Crimethinc. oder der aktuellen autonomen Bewegung oftmals anzutreffen ist.

Eure Politik ist zum Kotzen bourgeois

Es gibt zwei Wege aus dem Kapitalismus, Revolution oder Tod. Jede/r der/die dir etwas anders sagt liegt ganz einfach falsch. Der subkulturelle Kult „Crimethinc“ (CWC) aus den USA, welcher Anarchismus mit einem bohemischen AussteigerInnen-Lebensstil und einer vagen Antizivilisationshaltung vermischt, will dir weismachen, dass Kapitalismus etwas ist, von dem du dich nur distanzieren kannst, indem du deine Arbeit aufgibst, aus Mülleimern isst und einfach tust was sich „gut anfühlt“. Sie tragen das Erbe des preisgekrönten Idioten Abbie Hoffman weiter, drucken Bücher und Zines, fetischisieren Betrug, Kleinkriminalität und sinnlose Aktivitäten der Punk-Subkultur, wie etwa Food Not Bombs, Squatten usw. Sie nennen sich AnarchistInnen, aber haben keinen Bezug zum Rest der anarchistischen Bewegung und keine Klassenanalyse. Lasst uns einen Blick in ihren geheimen Untergrund-„Anarchieclub“ riskieren.

Crimethinc behauptet, nicht zu existieren, aber dabei scheitert ihr Versuch mysteriös und poetisch zu sein. Wir müssen damit beginnen zu sagen, dass Crimethinc existiert, sie haben ein paar Adressen, eine Anzahl von Büchern im Druck und einen Online Shop sowie eine Anzahl von Websites. Sie sind eine lose Organisation, welche eine Vielzahl von politischen Sichtweisen repräsentiert – ein Mischmasch aus der Post-Linken, Situationismus, Primitivismus und all jenen „Einleitungs“-Philosophie Büchern, von denen du niemanden erzählst, dass du sie liest. Jede/r kann unter dem Namen und Logo publizieren und jede/r „Agent“ oder Gruppe operiert individuell. Es gibt keine formelle Struktur, Mitgliedschaft oder Entscheidungsprozess. Man muss sich wundern, ob es so dezentralisiert ist, wie sie behaupten. Während sich jene Hunderte von Kids, die ins Forum schreiben, als ein Teil von Crimethinc bezeichnen können gibt es in Wirklichkeit nur eine Entscheidungsgruppe von 20 Leuten oder weniger, die das Vergnügen haben unter dem CWC Titel zu publizieren und welche die ganze Show lenken. Sich selbst als „Crimethincer“ zu bezeichnen gibt dir die Illusion, dass du ein Teil von etwas Großem bist, das ist sehr wichtig wenn du ein gelangweilter Vorstadtteenager bist ist und die gut illustrierten Publikationen und leidenschaftlichen Zeilen in ihren Texten sind inspirierend zu lesen. Das Problem ist allerdings, dass du, sobald du sie kritisch analysierst, schnell bemerkst, dass sie eigentlich fast nichts aussagen.

Viele Aspekte von Crimethinc leiten sich von der Situationistischen Internationalen ab und ein Großteil ihrer Ideen basiert auf dem Konzept der “Transformation des alltäglichen Lebens” der Situationisten. Die Situationisten waren sehr von Marx beeinflusst und es scheint so, dass Crimethinc sehr von der amerikanischen Konsumkultur beeinflusst ist. Der Aufruf, das alltägliche Leben zu verändern ist ein Aufruf, das aktuelle ausbeuterische System zu zerstören, sich im Klassenkampf, einem historischen Konflikt zwischen dem Proletariat und der herrschenden Klasse, zu engagieren. Crimethinc substituiert diesen Klassenkampf mit einer individualistischen Teenagerrebellion, die darauf basiert jetzt Spaß zu haben. Stehlen, aus Mülleimern zu essen, die Arbeit aufzugeben werden als revolutionäre Wege dargestellt, um außerhalb des Systems zu leben, aber sie führen zu nicht viel mehr als einem parasitären Lebensstil, welcher vom Kapitalismus abhängig ist ohne für irgendeinen wahren Wandel zu sorgen. Die Arroganz von Mittelklasse-Kids (genau wie den Hippies), die behaupten die Welt zu verändern, wenn sie für ein paar Jahre als anspruchslose „arme“ Menschen leben, zeigt sich perfekt in dem Zitat auf der Rückseite ihres Buches Evasion: "Armut, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit – wenn du keinen Spaß dabei hast, dann machst du es nicht richtig!”

Herablassender, privilegierter Mitteklasse-Blödsinn. Die einzigen Leute, die glauben können, dass Armut in nur irgendeiner Weise spaßig ist sind wohlhabende Kids, die für ein paar Jahre arm zu sein spielen. Die tägliche Realität von Armut, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit für den Durchschnittsmenschen ist sehr ernst und etwas, gegen das AnarchistInnen organisieren und sich nicht darüber lächerlich machen sollten.

Die Realität der Situation ist, dass du dich nicht aus dem Kapitalismus heraus boykottieren kannst. Aussteigen aus dem System wird es nie zerstören, wenn dann bekräftigst du dieses System nur dadurch, indem du Menschen von deren Entfremdung und deren Wunsch nach Revolution „heilst“, in dem du ihnen einen neuen Lebensstil innerhalb desselben Systems verkaufst. Kapitalismus ist ein System des Zwangs und der Kontrolle, wir arbeiten nicht um das System zu unterstützen, wir arbeiten weil wir Nahrung und Unterkunft und medizinische Versorgung brauchen und der einzige Weg, das innerhalb eines kapitalistischen Systems zu bekommen ist mit Geld. Der einzige Weg, wie wir Geld bekommen können ist unsere Arbeit zu verkaufen – die Alternative ist zu verrotten, das ist Kapitalismus. Ich will meine Kinder nicht aus einem Mülleimer heraus versorgen oder mir freie medizinische Versorgung erklauen wenn ich Krebs bekomme, das ist weder ansprechend noch praktisch. Es ist überhaupt nicht revolutionär wenn du dein weißes, westliches Mittelklasse-Privileg benutzt, dich aus dem System zu entfernen auf Kosten jener, die darin gefangen sind. Keiner von uns ist frei, solange wir es nicht alle sind.

Diese Verherrlichung des Landstreichers/der Landstreicherin und des Betrügers/der Betrügerin als eine Art revolutionäre Taktik ist der Grund warum ihre AnhängerInnen, und sie sind wirklich AnhängerInnen, die nicht viel zu sagen haben, wenn es um die Aufrechterhaltung der Homepage und des Shops geht – die informelle Organisationsstruktur “wir sind alle Crimethinc” trägt dazu bei – vor allem gelangweilte Teenager sind. Ein kurzer Besuch auf crimethinc.net wird dir das bestätigen. Was am meisten beunruhigt ist das „Wir gegen die Welt“ Denken, welches die meisten dieser Jugendlichen haben. Viele sehen Menschen, die regelmäßig arbeiten als Feinde, die mit dem kapitalistischen System zusammenarbeiten, ein System, welches sie nicht wirklich verstehen und welches in der Crimethinc Literatur nie wirklich erklärt wird. Sie haben eine peinlich liberale Interpretation von Kapital und dem Kampf dagegen: "Mit eurer “unterstützt die Arbeiterklasse” Logik, glaube ich, dass ihr euch alle dafür schämen solltet, wenn ihr eine multinationale Korporation wie Wal-Mart boykottiert – denn diese haben ja auch Angestellte der “Arbeiterklasse”, die dort arbeiten" – DizzIE

In diesem Zitat aus einem Streit TouristInnen zu berauben (oder Neokolonialisten, wie diese bizarrerweise von manchen genannt werden) zeigt eine Crimethincerin das gefährliche Fehlverständnis des Klassenkampfs auf. Der Boykott von Multinationalen, ähnlich wie der AussteigerInnen-Lebensstil, werden wenig dazu beitragen, den Kapitalismus, der eine soziale Beziehung basierend auf Lohnarbeit ist, zu zerstören. Ich will sie nicht davon abhalten, AussteigerInnen zu sein und aus Mülleimern zu leben so lange sie merken, dass sie nichts verändern werden wenn sie so leben. Ein aufgeblähtes Selbstbewusstsein hat sie davon überzeugt, dass ihr eingeschlagener Weg der Richtige ist und dass alle anderen einer Gehirnwäsche unterzogen wurden oder revolutionäre BürokratInnen sind.

Eine der aktuelleren Publikationen von Crimethinc "recipes for disaster: an anarchist cookbook" (Rezepte für ein Desaster: ein anarchistisches Kochbuch) ist ein Indiz für die massiven Probleme, die sie haben. Das Buch ist eine mehr oder weniger interessante Auflistung von Streichen, Betrügen und Informationen für AktivistInnen. Als Nachfolger von "Days of war, Nights of love" (Tage des Krieges, Nächte der Liebe) angekündigt weißt dieses Buch viele ernste Mängel vor. Die Rezepte (die nicht viel mehr als DIY – do it yourself – mach es selbst - Richtlinien sind) reichen von wie man einen Black Bloc (Schwarzen Block) organisiert bis zu Gynäkologie, Squatten und „wie man ein Fahrrad in eine Stereoanlage verwandelt“. Eine ausgewählte Mischung an Information, das meiste von dem ist einfach nur Blödsinn und der Rest ist ohne ein politisches Verständnis bedeutungslos. Dies war als Praxis vorgesehen, wo „Days of war“ als Theorie galt, aber leider hatte es keine wirkliche Theorie außer jene AussteigerInnenmentalität und das zu tun, was sich gut anfühlt. Einen Black Bloc aus einem Handbuch heraus zu organisieren ohne die sozialen Bedingungen zu verstehen, die eine militante direkte anarchistische Organisation der Massen notwendig machen, ist nicht nur gefährlich sondern auch für unsere gesamte Bewegung kontraproduktiv. Das Buch drückt sich davor, seriöse revolutionäre Informationen zu geben, etwa wie man eine Gewerkschaft am Arbeitsplatz organisiert, wie man sich in der Schule organisieren könnte, wie man Kontakte zu Gemeinden, die gegen Ungerechtigkeiten ankämpfen, herstellt und mit ihnen zusammenarbeitet, wie man aus dem Aktivistenghetto ausbricht, wie man ein soziales Zentrum aufstellt, wie man Gefangene oder Asylsuchende unterstützt etc. All die Aktivitäten führen zu wenig mehr als Aktivistenbeschäftigung, etwas, mit dem man die Zeit totschlagen kann, während man ein Aussteiger/eine Aussteigerin ist, das soziale Bewusstsein zu erleichtern und keine harte Arbeit machen zu müssen oder sich zu beschränken indem man mit Menschen zusammenarbeitet die Komplizen des Systems sind. Der Antifaschistische Aktionsführer ist gut gemeint aber erbärmlich, es führt zu ein paar Jugendlichen, die sich maskieren und ihre Frustration an der Polizei auslassen bevor sie davonlaufen. Das ist ein typisches Element im ganzen Buch, diese Dinge sind aufgelistet, weil sie aufregend und gefährlich sind und weil sie sich „gut anfühlen“, nicht weil sie effektive Formen revolutionärer Organisation sind.

Ramor Ryans Buchbesprechung von Days of War trifft den Nagel auf den Kopf und braucht keiner weiteren Erklärung. DOW ist massiv plagiarisiert, voll von ungenauen und beleidigenden Berichten der radikalen Geschichte und neigt dazu Dinge in sehr einfachen Begriffen wie gut und schlecht zu definieren, ohne jegliche fundierte Ideen, die ihre Behauptungen unterstützen könnten.

"Text, Ideen und Graphiken sind von Stoke-Newington´s Fanzine Vague, vom britischen Graphik-Künstler Clifford Harper, vom französischen Situationisten Raoul Vaneigem und überhaupt aus dem ganzen situationistischen Pantheon geliehen und gestohlen. Sie plündern die Archive radikaler Subkulturen, um Unwahrheiten, wie das Hauptprinzip dieses Buches, dass es ein Instrument zur “totalen Befreiung” sei, zusammenzusetzen. In Wahrheit wächst Crimethinc´s Vision nicht über jene eines rebellierenden Vorstadtteenagers hinaus. Gefangen in der Punkrock und Crust Subkultur wird die praktische Anwendung all dieser revolutionärer Theorien realisiert, indem Musikgruppen gegründet werden, in einem Park gefickt wird, man sich vegan ernährt oder – oh mein Gott jetzt zeigen wir es ihnen aber wirklich! –gefälschte Freitickets im lokalen Kino ausgegeben werden. Es wird einem schnell klar, dass der wahre kriminelle Akt hier die Plünderung einiger der feinsten und lebendigsten Ideen am Ende des 20. Jahrhunderts ist und dass diese abgestumpft und unklar wiedergegeben werden." Ramor Ryan

Als Tausende französische Studierende vor kurzem ihre Universitäten besetzten und ihre Städte demolierten als Opposition gegen die Einführung des CPE Gesetzes sagte ein Crimethincer folgendes über die organisierten Studierenden: "Als ich mir die Situation in Frankreich anschaute dachte ich mir oft, dass sie nicht genug dumpster diver [„Mülltaucher,“ im Deutschen auch als „Containern“ bezeichnet, ein Begriff der von Crimethinc dazu verwendet wird Menschen, die freiwillig aus Mülleimern essen als hipp zu bezeichnen, Anm. d. Übers.] Kollektive hatten!"

Welchen Sinn oder Relevanz jener Person zu Folge ein Dumpster Diving Kollektiv hat, um einer radikalen Massenbewegung zu dienen, außer dadurch alte Sandwiches zu bekommen, die sowieso gestohlen werden könnten, ist mir unklar. Wenn Massenkämpfe entstehen sind die Argumente von Crimethinc natürlich sehr schwach, Massenkämpfe bedeutet mit Langweilern zusammenzuarbeiten und ArbeiterInnen zu erlauben, Teil ihrer revolutionären Subkultur zu werden, was einfach nicht akzeptabel wäre. Das Buch „Co-Conspirators: DIY Von Anarchie und Dinosauriern“, das von Crimethinc unter dem Furious George Kollektiv (die alle eine Kugel für kriminelle Akte gegen Anarchismus verdienen) publiziert wurde ist kurz und schlecht geschrieben und argumentiert gegen die Idee einer Massenorganisation und für „Chaos“ und „Schmetterlingsflügel“, so scheint es: “Volksanarchie ist der Name, den wir dem Pfeil gegeben haben, der auf das Herz eines jeden Dinosauriers gerichtet ist. Wir ersetzen die Massenbewegung mit einer fragmentierten Vielheit aus Meuterern, Zigeunern, wuchernden Buden, Dieben der Nacht und verrückten Wissenschaftlern”

Der Mangel an jeglicher kritischer Analyse und dem Fokus auf Spontaneität sind ernste Unzulänglichkeiten von Crimethinc, welche mich dazu verleiten zu glauben, dass sie nicht an die Revolution glauben und dass sie ziemlich wahrscheinlich glückliche Kids sind, die am “Rande” des Kapitalismus leben, einem System, dessen Exzess ihren Aussteigerlebensstil ohnehin unterstützt. Das würde erklären, warum Crimethinc keine Theorie für eine Revolution hat, oder wie man auf den Umsturz dieses Systems hinarbeitet und wie man sicher geht, dass wir wenn wir es geschafft haben diese Gewinne auch erhalten können, wie man eine post-revolutionäre Welt organisiert, so dass wir nicht die Fehler des CNT und anderer historischer Vorgänger wiederholen. Eine spontane Revolution gibt der ArbeiterInnenklasse nicht die Mittel sich gegen Reaktionäre und StaatssozialistInnen zu verteidigen. Crimethinc ruft zu einer Revolution im täglichen Lebensstil und nicht im Leben auf, sie versuchen eine Subkultur aus IndividualistInnen zu definieren, die sich nur um sich selbst und dem engen Kreis um sich herum kümmern. Eine Revolution aus unruhigen und verwöhnten Mittelklasse AmerikanerInnen, die ArbeiterInnen und organisierte AnarchistInnen verachten, weil sie in ihnen die größte Gefahr für ihren bourgeoisen Lebensstil sehen.

Die vermeintlich selbst-kritische Analyse in Crimethinc´s 10-Jahres-Bericht berührte die gerade aufgelisteten Fehler nicht. Vielleicht ist das etwas, was diese Kids jetzt adressieren und hoffentlich tragen andere AnarchistInnen zu dieser Debatte bei. Ich habe ein paar Jahre damit verbracht, unkritisch Crimethinc Rhetorik zu versprühen und Zeit mit ihren ineffizienten Taktiken zu vergeuden und ich möchte keine weitere Generation sehen, die zum Narren gehalten wird. Ich möchte alle GenossInnen dazu aufrufen, die einfachen Lösungen, die von CWC vermarktet werden, zu bedenken. Die Welt kann nicht warten, wenn ernstzunehmende RevolutionärInnen von schlechten Ideen und noch schlechteren Taktiken abgelenkt werden.

“Unsere gemäßigsten Forderungen sind – Wir wollen nur die Erde!” - James Connolly

Originaltext: http://www.anarkismo.net/article/6111


Creative Commons - Infos zu den hier veröffentlichten Texten / Diese Seite ausdrucken: Drucken



Email